Die ganze Schweiz ist eine Zone — Neue Probleme beim Park(ier)en

August 30th, 2011

(reload vom 11.6.07)

  • Kein Laternenparkplatz in der Schweiz
  • Wir hatten schon in den Anfangszeiten der Blogwiese darüber berichtet, dass man offensichtlich in der ganzen Schweiz nur noch geregelte Parkzonen kennt, in denen Deutsche Besucher ihre Autos parken und einheimisch Eidgenossen dieselben „parkieren“ (vgl. Blogwiese). Mitunter führt das zu skurrilen Lösungsansätzen, nämlich das Fahrzeug hinter der Grenze in Deutschland legal und kostenlos unter einer Laterne stehen zu lassen um dann mit der S-Bahn in die Schweiz zurückzukehren (vgl. Blogwiese) .

  • Welche Farbe hat die Zone?
  • Es ist also ein Dauerproblem bzw. eine Tatsache, dass es in der ganzen Schweiz nur „verwalteten“ Parkraum gibt, sauber in farbige Zonen unterteilt. Die sind mitunter grün, blau, weiss oder gelb. Was die einzelnen Farben bedeuten, fragen sich viele Zuzügler. Die einheimischen Schweizern wissen das genau. Oder etwa nicht? So erhielten wir Post von einer Deutschen aus Lausanne, am Genfer See:

    In Lausanne gibt es grüne, blaue, weiße und gelbe Parkzonen und um durchzusteigen, habe ich jeden Police assistant gefragt, der mir über den Weg gelaufen ist, – aber jeder hat mir seine eigene Version der Regelungen erzählt. Zuletzt habe ich einen Polizisten getroffen, der gemeint hat, er wäre selbst vom Land und würde sich da nicht so genau auskennen!!!
    (Quelle: private Elektropost)

  • Kauf dir doch einen Macaron in Genf
  • Wir haben unseren Spezialisten für die Westschweiz um Rat gefragt. Er schickte uns einen Link auf diese Seite des “Genfersee Gebiets”, sogar auf Deutsch:

    Parkzonen am Genfersee
    (Quelle: Genferseegebiet.ch)

    Und ergänzte:

    Was ich allerdings in dieser Beschreibung verwirrlich finde, sind die gelben Farbstreifen auch neben der Bezeichnung „weisse Zone“ und „Gemeinschaftsparkscheinautomat“ (das kracht und zischt ja wieder, deshalb schreiben wir lieber „zentrale Parkuhr“ oder in Lausanne „parcomètre collectif„). Diese Zonen sind natürlich alle auch weiss. Gelb ist grundsätzlich nur alles, was für jemand anderen reserviert ist (Polizei, Bus, Taxi, Behinderte etc.).

    Besonders in Städten kann man sich je nach Quartier auf der Gemeindeverwaltung oder auf dem Polizeiposten die Anwohnerprivilegierung erkaufen. Das ist eine Parkkarte oder eine Vignette (z. B. Genf „le macaron„), damit man in seinem Wohngebiet auch auf den blauen Zonen langzeitparkieren kann. Günstig ist das nicht. Das ist oft – auch ohne Platzgarantie – fast in der Preisklasse wie über den Immobilienmarkt einen Innenhofparkplatz mieten. Aber Immobilien aller Art wie auch Parkplätze sind im Genferseegebiet sowieso Mangelware. Deshalb bleibt einem fast nichts anderes übrig, als sich in irgend einer Weise einen Parkplatz zu mieten oder aber das Auto zu verkaufen.

    Oder der Tipp meiner Zeit in Genf: Wenn man das Auto sowieso fast nie braucht, dieses wochenlang in einem (wenn auch 15 Minuten per Bus entfernten) Aussenquartier mit unbeschränkter weisser Zone abstellen und zwischendurch vorbeigehen oder radeln, um zu sehen, ob es überhaupt noch dort steht und keinen Parkschaden hat.
    (Quelle: private Elektropost)

  • Weisse Zonen entdecken und verheimlichen
  • Solche “weissen Zonen” in der Nähe seines Wohnortes zu entdecken und niemanden den Weg dahin zu verraten, darin besteht die hohe Kunst des Survivals für Automobilisten im Schweizer Grosstadtdschungel. In Thalwil am Zürichsee (der nicht zum „Zürisee“ verkürzt werden muss) entdeckte wir sie (siehe hier). Jetzt im Sommer ist die Seestrasse allerdings zugeparkt von Bootsbesitzern, die keinen Dauerliegeplatz im See finden oder bezahlen können. Was die Schreiberin aus Lausanne unter „grüner Zone“ verstand, bleibt uns ein Rätsel. Vielleicht ein Parkplatz im Wald, von Moos überwuchert?

  • Kostenloser Parkplatz bei der Polizei
  • In deutschen Innenstädten ist es ähnlich kompliziert, einen bezahlbaren Parkplatz zu finden. Ein Studienkollege in Freiburg i. Brsg. pflegte sich immer im Innenhof der Polizei auf den Platz für die abgeschleppten Parksünder zu stellen. Das war der einzige Platz in der Innenstadt, an dem man nicht abgeschleppt wurde.

    Ein Felsen aus Stoff — Neues von der geheimen Landesverteidigung der Schweiz

    August 14th, 2011

    (reload vom 8.6.07)

  • Ein Stoffloch in der Felswand
  • Auf dem Polenweg bei Rothenbrunnen (vgl. Blogwiese) entdeckten wir an der engsten Stelle des Tales, wo die Autobahn nach Thusis durch einen Tunnel geführt wird und der Hinterrhein unverbaut durch das Tal fliesst, diesen merkwürdigen Felsen mit Loch:

    Ist das eine Felswand?
    Wer entdeckt auf diesem Bild etwas Ungewöhnliches?

    Erst das kleine schwarze Loch, dass aussieht, als sei es aus Stoff, machte uns auf diesen falschen Felsbrocken aufmerksam. In der Detailansicht wird es besonders deutlich.

    Stoffloch im Felsen

    Das ist keine Felswand, das ist eine gut getarnte Öffnung, ca. 15 Meter oberhalb der Strasse, mit freiem Blick und Schussfeld über die gesamt Talenge bei Rhäzüns. Wenn man genau hinschaut, sieht man den Rand der Stoffbahn, die dort eine Öffnung tarnt.

    Der Verdacht, dass es sich hier um gut verstecktes Geschützversteck handeln muss, verstärkte sich, als wir am Fusses des Felsens diesen Bunkereingang fanden:

    Bunkereingang im Felsen

    Und gleich daneben Leitern die zu einem zweiten gut getarnten Eingang führten:

    Leitern zum getarnten Felsenloch

    Warum bloss die Leitern nicht als Felsen getarnt wurden? Und der Bunkereingang nicht mit Tarnfarbe bestrichen wurde? Von dort oben kann leicht das ganze Tal und diese Engstelle beobachtet und natürlich auch beschossen werden, auch 62 Jahre nach Kriegsende.

    Schon bei der Anfahrt kamen wir durch diese Sperre. Die grossen Betonklötze, im Volksmund liebevoll „Beton-Toblerone“ genannt, finden sich auch am bewaldeten Abhang unterhalb der Strasse:

    Sperre des Polenwegs

    Leider fehlte uns die Zeit, die dazu passenden Querbalken zu suchen, um diese alte Sperre auszutesten. Aber es war ja auch niemand hinter uns her.

    Als die Schweiz 12‘000 Polen internierte — Geschichte der „Polenwege“ in der Schweiz

    August 2nd, 2011

    (reload vom 7.6.07)

  • Ein Polenweg in Graubünden
  • Wir fuhren mit den Rädern, die merkwürdiger Weise auch nach 10 Jahren in der Schweiz für uns noch nicht zu Velos wurden, auf dem Veloweg 6 von Thusis nach Chur. Ab Rothenbrunnen steigt der Weg an und führt als kleine Fahrstrasse durch den Wald oberhalb des mäandernden Hinterrheins. Im Veloland-Radführer lesen wir, dass dies ein sogenannter „Polenweg“ sei, gebaut von polnischen Internierten im Zweiten Weltkrieg.

    Polenweg
    (Foto: Polenweg zwischen Rothenbrunnen und Chur)

    Auch eine Gedenkstein erinnert an die Erbauer dieses Weges:
    Arbeits-Komp der Polen

    Die Geschichte beginnt uns zu interessieren. Warum wurden Polen im 2. Weltkrieg in der Schweiz interniert? Die Schweiz war doch neutral und nicht an Kampfhandlungen beteiligt. Ein Schweizer, der in dieser Gegend aufwuchs, erklärte uns dann, dass das Fremdarbeiter waren, die überall in der Schweiz solche Wege angelegt haben. Aber wie kommen mitten im 2. Weltkrieg polnische Fremdarbeiter von Polen in die Schweiz?

  • Wie die Polen in die Schweiz kamen
  • In verschiedenen offizellen Quellen zu dem Thema ist mal von 12’000, 12’500 bzw. 13’000 polnischen Soldaten die Rede. Aber das waren bei weitem nicht alle:

    In der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 1940 hat sich die Geschichte wiederholt: eingekesselt von deutschen Kräften überquerten rund 50’000 Soldaten und Zivilflüchtlinge im Neuenburger Jura die Schweizer Grenze, darunter das 45. französische Armeekorps unter Führung von Korpskommandant Daille und die gesamte 2. polnische Schützendivision mit 12’000 Mann unter der Führung von General Bronislaw Prugar-Ketling. Sie wurden entwaffnet, interniert und blieben bis zum Kriegsende in der Schweiz.
    (Quelle: armee.vbs.admin.ch)

    Dennoch ist unklar, warum bei der Verteidigung von Frankreich eine polnische Schützendivision beteiligt war. Polen war im September 1939 besiegt und zwischen Russland und Deutschland aufgeteilt worden. Die Antwort findet sich in einer Maturarbeit:

    Nach der Kapitulation der polnischen Armee flohen viele Soldaten über Rumänien und Ungarn nach Frankreich – teilweise waren sie auf abenteuerlichen Um- oder Irrwegen und mit gefälschten Papieren unterwegs. In Frankreich angekommen, schlossen sie sich der neu gebildeten polnischen Exilarmee an. (…)
    (Quelle: www.gmbasel.ch)

    Eigentlich sollten diese Soldaten nur als Reserve eingesetzt werden. Doch es kam anders:

    Durch das rasche Vorstossen der deutschen Truppen (Blitzkriege gegen Belgien und Holland) sah sich die französische Regierung aber gezwungen, auch sie an die Front zu schicken. Also wurde die Zweite Polnische Division zur Verstärkung des VIII. französischen Armeekorps nach Belfort gebracht. Bereits nach wenigen Tagen kreisten sie deutsche Panzerbrigaden ein. Zuerst wurde der Weg von Norden her und im Westen von deutschen Kräften abgeschnitten, später auch der Durchgang in den Süden versperrt. Es folgten lange Kämpfe auf den Anhöhen des Clos du Doubs, welche die gesamte Munition kosteten. Das Fehlen von Waffen, Munition und weiteren Ausrüstungsgegenständen wie Fahrzeugen oder Pferden machten den weiteren Kampf schliesslich aussichtslos. Auf Befehl des polnischen Generals Sikorski zog sie sich in die Schweiz zurück und wurde dort interniert. Da die polnische Division unbedingt vermeiden wollte, in deutsche Kriegsgefangenschaft zu geraten, wurde die Internierung in der Schweiz vorgezogen.

    (…) Aus diversen Quellen wird berichtet, dass die 12’000 polnischen Soldaten die Grenze in vorbildlicher und mustergültiger Ordnung und einer disziplinierten Haltung überschritten hätten, ohne auch nur einen einzigen Verwundeten zurückgelassen zu haben. Mit dem Ablegen ihrer Waffen und sonstiger Ausrüstung begann daraufhin die lange Zeit der Internierung.
    (Quelle: gmbasel.ch)

  • Die Beliebtheit polnischer Männer bei den Schweizer Frauen
  • Die Aufnahme der Polen durch die Schweizer Bevölkerung wird so geschildert:

    (…) die mussten sich keine Sorgen machen, die Burgdorferinnen kamen mit Kindskörben voller Chram und Schokolade zum Bahnhof, wollten die Fremden fast zu Tode füttern, waren völlig vernarrt in sie. Kaum ein polnischer Internierter, der auf der Pritsche übernachten musste. Der Nüchternste schaffte es ins beste Bett. Albert kann das bezeugen. Überall, wo diese Polen hin kamen, wurden die Frauen zu Närrinnen, hatten kaum mehr Augen für die Schweizer. Das machte diese böse und verzweifelt. Sie fragten die uralte Frage: “Was haben die, was wir nicht haben?” Die Frauen hatten eine Antwort darauf. Albert weiss sie, will sie aber “ums Verroden” nicht preis geben – nicht an diesem Tisch.
    (Quelle: blogk.ch)

  • Wie die Schweiz zu ihrem ersten und einzigen „Conzentrationslager“ kam
  • Nach der anfänglichen Privatunterbringung der Polen kam es zum unsäglichen Entschluss, ein „Conzentrationslager“ zu errichten:

    Im Juli 1940 aber beschloss der Chef des Generalstabs, in Büren an der Aare ein Lager für 6000 polnische Internierte zu errichten. Dieser Entscheid erfolgte, weil die polnischen Soldaten im Gegensatz zu den französischen nicht nach Frankreich zurückgeführt werden konnten und nach der Zerschlagung des polnischen Staates durch Deutschland und die Sowjetunion nicht damit gerechnet werden konnte, dass der Schweiz die Kosten für die Internierung je zurückerstattet würden. Man plante deshalb eine wintertaugliche Unterkunft und erhoffte sich von der Konzentration der Soldaten in einem Lager auch finanzielle Einsparungen. Die Armee bezeichnete das Lager in der Planungsphase als «Concentrationslager».

    Die Behörden verstanden zu dieser Zeit, als es noch keine Vernichtungslager gab, unter dem Begriff Gefängnisse oder Arbeitslager. In der Schweiz gab es bisher kein Vorbild für ein solches Lager, das sowohl die Überwachung und Versorgung der Internierten, die Einschränkung des Kontaktes mit der Bevölkerung als auch eine kostengünstige Unterbringung ermöglichen sollte. Der Begriff wurde bald nicht mehr verwendet; man sprach vom «Polenlager», «Interniertenlager» oder «Grosslager», was zeigt, dass man sich von dieser problematischen Bezeichnung distanzieren wollte.

  • „Effiziente“ Schweizer Lagerhaltung und Heiratsverbot
  • Nach der Fertigstellung des Lagers war nicht nur die Bevölkerung von Büren, sondern auch die Schweizer Regierung sichtlich stolz auf die Effizienz, mit der das Lager errichtet und wie das Problem insgesamt gelöst worden war. Viele Internierte hatten keine Arbeit und waren gezwungen, untätig zu warten. Auch war es den Internierten verboten, Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung zu pflegen, und es bestand ein Heiratsverbot mit Schweizerinnen. Nach dem enthusiastischen Empfang durch die Schweizer Bevölkerung war dieses «Gefängnis» ein harter Rückschlag. Schon bald ging das Gerücht um, die Schweiz handle auf Druck der deutschen Behörden. Dies zeigt, welche Ressentiments die Polen gegenüber der Einweisung ins «Concentrationslager» hatten.

  • Schüsse auf polnische Soldaten
  • Der zunehmenden Unzufriedenheit begegnete die Lagerleitung mit verschärften Disziplinierungsversuchen. Ende Dezember 1940 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen und Schüssen auf polnische Soldaten, wobei mehrere verletzt wurden.

    Seit Ende Januar 1941 regelte ein Erlass des Armeekommandos den Arbeitseinsatz von Internierten, was deren Situation insofern verbesserte, als sie nun nicht mehr zur Untätigkeit gezwungen waren. Im Rahmen der im November 1940 angeordneten «Anbauschlacht» wurden sie hauptsächlich in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Schweizer Behörden erkannten im Frühjahr 1941, dass das Lager eine Fehlkonzeption war. Mit einer Höchstbelegung von 3500 Menschen waren die Kapazitäten bereits überschritten, und ab März 1941 wurden keine weiteren Polen mehr eingewiesen. Nun wurden viele Polen von Büren in andere Kantone verlegt, wo sie in Industrie, Strassenbau, Waldwirtschaft usw. arbeiteten. Zudem erhielten einige die Erlaubnis – im März 1945 waren es rund 500 –, an den Universitäten zu studieren.

    Im März 1942 wurde das Lager als militärisches Interniertenlager aufgegeben; (…)
    (Quelle: Schlussbericht UEK, S. 113)

    Ein Gedenkstein bei Büren erinnert heute an dieses Lager:

    Gedenkstein Polenlager Büren

    Die Zürichsee Zeitung schreibt:

    Nun wurden die Polen über das Gebiet der ganzen Schweiz in kleinere, gut betreute Lager verteilt. Von hier aus haben sie in etwa 420 Ortschaften einen grossen Betrag zum wirtschaftlichen Durchhalten der Schweiz geleistet.»
    (Quelle: zsz.ch)

    So auch der „Polenweg“ bei Rothenbrunnen. Wir lesen dazu bei Wikipedia:

    Insgesamt wurden 450 km Wege, Brücken und Kanäle gebaut. Eine Kapelle in der Nähe von Ruis/Rueun im bündnerischen Surselva erinnert an die polnischen Soldaten.

    Blick vom Polenweg auf den Hinterrhein
    (Foto: Blick vom Polenweg über den mäandernden Hinterrhein auf Rhäzüns)

    Was bei der ganzen „Polenweg-Geschichte“ immer noch ein Rätsel bleibt, ist wie es die 12’000 polnischen Soldaten nach der Niederlage im September 1939 via Rumänien, Ungarn, und wahrscheinlich Österreich, Italien nach Frankreich schaffen konnten. Quer durch Nazideutschland werden sie kaum gereist sein. Ein paar Hundert kann ich mir noch gut versteckt reisend vorstellen, aber 12’000? Allemal eine verrückte Geschichte.

    Kann man Haferkäse essen? — Etymologie eines Schweizerdeutschen Ausdrucks

    Juli 25th, 2011

    (Reload vom 4.5.07)

  • Wie schmeckt eigentlich Haferkäse?
  • Wer kennen „Haferflocken“, vor allem die aus Köln. Als Kind waren sie für mich eine frühe Art von „Müesli“, denn diese Schweizer Erfindung mit dem zusätzlichen „e“ nach dem „ü“ gab es erst ab den 80ern in den ersten Bioläden im Ruhrgebiet zu kaufen, und zwar als „Müsli“ ohne „e“. Vom Herrn Bircher-Benner und seinem kleinen Mus bzw. kleinen Mäusen hatten wir nichts mitbekommen, so hoch im Norden. Es gab ausschliesslich Kölnflocken mit Rosinen oder Nüssen, und natürlich viel Zucker. Damit es nicht so dröge schmeckt und die alkoholische Gärung im Darm so richtig in Gang kommt. Besagte „Kölnflocken“ kamen aber überhaupt nicht aus Köln am Rhein, sondern schrieben sich aber mit „ll“ und wurden von Peter „Kölln“ in Elmshorn hergestellt.

    Köllnflocken nicht aus Köln

    Der Legende nach reiste der Firmengründer Peter Kölln Anfang des letzten Jahrhunderts nach München. Ihm gefiel das blau-weiße Rautenmuster der bayerischen Flagge so gut, dass er auch seine Flocken aus Elmshorn in blau-weiße Packungen füllen wollte. Aber BMW war schneller und hatte die blau-weißen Rauten in seinem Logo schon verwendet. Peter Kölln wählte stattdessen die Farben Dunkelblau und Hellblau. Die Packung sieht seitdem viel schöner aus als der Inhalt, der gekochte.
    (Quelle: goethe.de)

  • Und „Haferkäse“?
  • Sind das Haferflocken mit Käse? Das Wort entdeckten wir neulich in der City-Regionalausgabe Stadt Zürich des Tages-Anzeigers:

    Die Stadt bewilligt nicht jeden Haferkäse
    (Quelle: Tages-Anzeiger 02.06.07)

    Das Wort findet sich in diversen Schweizer Beiträgen, Artikeln und Leserbriefen. Hier eine kleine Auswahl von Fundstellen:

    „für jeden haferkäse wollt ihr gesetze und in einer anderen diskussion beschwert ihr euch über die drangsalierung des staates !!!“
    (Quelle: www.baz.ch)

    Ich wähle schon gar nicht mehr, weil der Kantonsrat mittlerweile überflüssig ist und wir über jeden Haferkäse abstimmen.
    (Quelle: evp.nzzvotum.ch)

    Sie müssen schon einen argen Haferkäse bringen und ein anderes Land etwas Bombastisches, um mich umzustimmen
    (Quelle: hitparade.ch)

    Dem Kontext nach muss es sich bei „Haferkäse“ um ein Synonym für „Mist“ oder „Unsinn“ handeln. Aber kann das schon alles sein? „Haferkäse“ wird vom Deutschen Rechtswörterbuch so erklärt:

    Haferkäse:
    Wohl eine Abgabe
    (Quelle: lehre.hki.uni-koeln.de)

    Doch bei der weiteren Suche tun sich plötzlich etymologische Abgründe auf, ungeahnte Querverbindungen zu Wörtern, die so gar nichts mit „Hafer“ aber mit „Hafen“ zu tun haben. Denn „Haferkäse“ steht nahe bei „Hafengeld“, das ist abgeleitet aus „Havarie“, ein Wort mit abenteuerlicher Geschichte:

    Havarie […v…] die; -, …ien (über niederl. averij, fr. avarie aus gleichbed. it. avaria, dies aus arab. ‚awārīya „durch Seewasser beschädigte Ware“ zu ‚awār „Fehler, Schaden“;Bed. 2 wohl nach russ. avarija›
    (Quelle: duden.de)

    Der Fehler, der Schaden, das Schadensgeld, der Unsinn, der Mist. Passt doch alles wunderbar zum Schweizer „Haferkäse“, oder? Natürlich ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit, aber einmal mehr sehen wir, wie eng verzahnt die europäischen Sprachen und das Arabische sind. Auch das englische „Average“ ist unmittelbar aus dem „Hafengeld“ und der „Havarie“ abzuleiten:

    average ‹engl.; : mittelmäßig, durchschnittlich (Bez. für Warenqualität mittlerer Güte).
    Average der; – ‹aus gleichbed. engl. average, dies über mittelfr. avarie „Seeschäden,Hafengeld
    (Quelle: duden.de)

    Ist nun alles geklärt? Dann essen wir weiter Haferflocken und lassen die Finger vom Haferkäse, denn das Wort schmeckt uns zu sehr nach Seewasser.

    Nachtrag:
    Die ersten Kommentare erwähnen, dass neben „Haferkäse“ auch „Hafenkäse“ gebräuchlich ist. Ein „Hafen“ oder „Haferl“ ist im alemannischen-süddeutschen Sprachraum die Variante für „Topf“ (im Norden „Pott„). Die Verwendung bleibt sich ansonsten gleich, die Verwandtschaft zu „Hafengeld“ liegt ebenfalls nahe.

    Heute schon geschlipft? — Vom Chue-Schlipf bis zum Schlüpfer als Herrenmantel

    Juli 15th, 2011

    (reload vom 4.6.07)

  • Verbringung von Müll
  • Der wunderbare Artikel „Wir gegen uns“ des Tagi-Magazins 21-2007 über das Verhältnis der Süddeutschen zur Schweiz berichtet im letzten Abschnitt über den Müllexport von Deutschland in die Schweiz. Die Müllabfuhr überquert die Grenze und wird zur Kehrichtabfuhr:

    Um 6 Uhr ist er in Bad Säckingen losgefahren, zwanzig Minuten später hat er am Zoll das Formular ‚Grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen` stempeln lassen. 100 000 Tonnen Müll aus Deutschland werden jedes Jahr in die Schweizer verbrannt. „Also wenn es um Abfall geht“, sagt Stuchinger, „dann ist die Zusammenarbeit über die Grenze hervorragend.“ Schliesslich erreicht der Müllwagen die Kehrrichtverbrennung. (…) 21 840 Kilo deutscher Müll schlipfen ins Loch.

    Ob bei einem Mülltransport von der Ausdruck „Verbringung von Abfällen“ nun der deutschen oder der eidgenössischen Beamtensprache entsprungen ist, darüber mögen sich andere streiten. Auch dass Müll bei der Grenzüberschreitung in der Gegenrichtung flugs zu „Kehricht“ mutiert, macht uns nicht stutzig, denn Kehrichthaufen gibt es im Schwabenländle auch. Doch das kleine Verb „schlipfen“ hat uns uns angetan.

  • Küken schlüpfen
  • Wir kennen es von Vögeln, die „aus dem Ei schlüpfen“. Doch dann schreibt es sich mit „ü“ und nicht mit „i“. Wir finden es erklärt in Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch:

    Schlipfen (sw. V.:,ist) (mundartnah) – rutschen, ausgleiten. – ausschlipfen. Er schlipfte aus, nichts leichter als das, auf den Ufersteinen (Frisch, Bin 58).
    (Quelle: Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch, S. 73 u. 227)

    Ein Wort also, was dem grossen Max Frisch nicht durch Deutsche Lektoren „zensuriert“ bzw. wegzensiert und in eine standarddeutsche Form gebracht wurde. Wahrscheinlich ist es bei der Kontrolle durchgeschlipft.

    Unser Duden führt „schlipfen“ als eine von vielen Varianten für „glitschen“:

    glitschen
    1. ausrutschen, gleiten, rutschen, schlittern; (geh.): ausgleiten, entgleiten; (schweiz. ugs.): [aus]schlipfen.
    (Quelle: Duden.de)

    Wenn wir ältere Quellen heranziehen, die sich bei GRIMM finden, wird deutlich, dass dieses Wort praktisch seit dem Althochdeutschen „slipfan“ und dem Mittelhochdeutschen „slipfen“ unverändert im alemannischen Sprachraum erhalten blieb!

    SCHLIPFEN, verb., ableitung von schleifen, sich zu diesem verhaltend wie schlitzen zu schleiszen, ritzen zu reiszen, ahd. slipfan, häufiger in zusammensetzungen GRAFF 6, 807–809, mhd. slipfen.
    1) die bedeutung ist meist ‚gleiten, ausgleiten‘
    (Quelle: Grimms Wörterbuch )

  • Reich mir doch mal den Schlüpfer
  • Während sich diese Variante für „gleiten, herausgleiten“ im Tagi-Magazin auf 21 840 Kg Müll beziehen, erinnert uns das Wort an die Norddeutsche Bezeichnung für „Unterhose“:

    Schlüpfer, der; -s, -:
    1. oft auch im Pl. mit singularischer Bed. Unterhose mit kurzen Beinen, bes. für Damen u. Kinder: einen neuen S., ein Paar neue S. anziehen.
    2. bequem geschnittener, sportlicher Herrenmantel mit großen, tiefen Armlöchern.

    Wenn ich je einen Herrenmantel als „Schlüpfer“ angeboten bekommen hätte, ich wäre sicher vor Lachen nicht zum Anprobieren gekommen.

  • Wohnen Sie auch im Schlipf?
  • Die Schweiz haben noch eine weitere eigene Variante des Wortes, die es auch in den Duden geschafft hat. Die Rede ist vom „Schlipf“ als Landschaft und Wohnstätte:

    1. Schlipf:
    1) Wohnstättenname zu mhd. slipfe „Erdrutsch“.
    2) Herkunftsname zu der gleich lautenden Landschaft im Kanton Zürich.
    2. Schlipf, der; -[e]s, -e [spätmhd. slipf(e)] (schweiz.): Berg-, Fels-, Erdrutsch.

    Auch das DWDS führt ihn an, noch dazu den „Erdschlipf“.

    Schlipf, der; -(e)s, -e schweiz. Berg-, Fels-, Erdrutsch: ein Schlipf geht nieder
    dazu Erdschlipf
    (Quelle: dwds.de)

    Und das gar nicht auf den Mund gefallene Züri-Slangikon nennt den „Chue-Schlipf“ als Variante für einen Kuhfladen, neben „Alpen-Pizza“ und „Tälla-Miine“ noch die nettere Variante.

    Kuhfladen als Chue-Schlipf
    (Quelle: Züri Slangikon)

    Doch jetzt ist Feierabend, sonst kommt noch jemand auf „schlüpfrige“ Ideen.