Teile und herrsche — dem Divisionär ist nichts zu schwer

September 19th, 2011

(reload vom 13.6.07)

  • Als Caesar die Helvetier besiegte
  • Gallia omnis divisa est in partes tres, lernten wir im Lateinunterricht. Dieser berühmte Bericht Caesars beginnt nebenbei mit einer Schlacht gegen die Helvetier. Latein bleibt auch nach verlorener Schlacht lange nach Caesar eine wichtige Fähigkeit für das Überleben in der Schweiz, z. B. für die morgendliche Lektüre des Tages-Anzeigers.

  • Der Divisionär und die anders Denkenden
  • Wir lasen wir im dort am 12.06.07 auf Seite 2

    Bundesrat Schmid tadelt Divisionär
    Bern. – Es ist ungehörig, wenn ein Divisionär anders Denkende als «linke Wühlmäuse » qualifiziert. (…). Allerdings habe der Divisionär keine Person angepeilt. (SDA)

  • Wer teilt denn da?
  • Ein „Division“, das wissen wir noch aus dem Mathematikunterricht, ist eine „Teilung“. Das Verb dazu ist „dividieren“. Ist ein „Divisionär“ folglich ein „Teiler“ Nein, das wäre der „Divisor„? Vielleicht ein kleinster gemeinsamer Teiler? Weit gefehlt, der gute Mann hat auch nichts mit Visionen zu tun, „Di Vision“ so wie „Di Caprio“. Nein, ein „Divisionär“ ist der Chef einer „Division“, denn wir sind beim Militär, nicht in der Mathematik. Damit hatten wir nicht gerechnet. Wie gross ist in der Schweiz so eine militärische Teilung?
    Unser Duden weiss:

    Divisionär, der; -s, -e ‹franz.› (bes. schweiz., österr. für Befehlshaber einer Division)
    (Quelle: Duden.de)

    Der kleinwüchsige Franzose aus Korsika hat ihn sicher in die Schweiz gebracht, und die Österreicher pflegen ihn auch, den Divisionär. Nur wir armen deutsche Ex-Zivildienstleistenden können mit dem Wort so gar nichts anfangen. Wie garantiert schweizerisch und verbreitet dieser Begriff bei den Eidgenossen ist, verrät uns der altbekannte Google-Vergleichstest: 22‘700 Funde bei Google-CH gegenüber nur
    901 Fundstellen bei Google-DE, von denen die ersten 3 Auszüge aus Fremdwortlexikas sind. Zur „Division“ meint der Fremdwörterduden:

    Division »Teilung«:
    Das seit dem 15. Jh. – vor allem als mathematischer Fachausdruck – gebräuchliche Wort ist aus gleichbed. lat. divisio entlehnt, das zu lat. dividere »teilen« (vgl. dividieren) gehört. 2Division »Heeresteil«: Das Wort wurde als militärischer Fachausdruck zu Beginn des 18. Jh.s aus gleichbed. frz. division (eigentlich »Abteilung«) entlehnt, das auf lat. divisio zurückgeht (s. o.).

    Also nix mit Latein, über Frankreich kam das Wort zu den Schweizern! Und ganz schön gross noch dazu. 10-20‘000 kommen da locker bei einem Heer zusammen (Quelle Wikipedia).

  • Die Super Challenge in der League
  • In Frankreich, Spanien und England ist eine Division auch eine Fussball-Liga. Nicht so in der Schweiz, da wird für eine Division auf die uraltbündnerischen Sport-Fachbegriffen „Axpo Superleague“ und „Challenge League“ zurückgegriffen, passend zum alt-berndeutschen Ausdrücken „Penalty“, „Corner“ und „Goalie“.

    Nicht gähnen bitte — Wenn alles „so gäh“ ist

    Mai 13th, 2011

    (reload vom 16.05.11)

  • Steil ist wichtig
  • Bei manchen Ausdrücken im gesprochenen Schweizerdeutsch sind die Gene des ehemaligen Bergvolkes noch deutlich zu spüren. Ein Bergvolk plagte sich dereinst ab an steilen Berghängen und Wiesen. Während im deutschen Flachland ein „steiler Zahn“ unter den Jugendlichen „Halbstarken“ in den Fünfzigern noch ein beliebter Ausdruck für ein hübsches Mädchen war, pflegen die Schweizer heutzutage in Erinnerung an die „steilen Lagen“ noch ein paar andere Ausdrücke für „steil“ zu verwenden:

  • So gäh = so steil
  • So gäh“ hörten wir in einem Gespräch zwischen jungen Zürchern in der S-Bahn, „so gäh“ sei eine Sache gewesen. Nein, sie sprachen gewiss nicht von der letzten Wanderung auf den Pilatus, dem Hausberg von Luzern.
    Die Erklärung für diese Wort fand sich dann glücklich im Slangikon

    So gäh
    (Quelle: Slangikon)

    es gaht zümftig abe, gäch, högerig, schtotzig, schtötzlig, spitzig, zünftig

    Nun, bei „zümftig“ und „zünftig“ sind natürlich die alten Zünfte mit im Spiel, die sich althochdeutsch noch mit „m“ schrieben als „Zumft“ (vgl. Wikipedia).
    Hingegen „schtotzig“, „schtötzlig“ müssen eindeutig von besagten unbequemen Bergpfaden hergeleitet worden sein. Selbst unser Duden spricht dieses Wort den Alemannen zu:

    stọtzig [alemann. stotzig = steil, zu: Stotz[e] = Hügel, Abhang] (bes. südwestd., schweiz.): steil: der Weg war stozig
    (Quelle: duden.de)

    Doch etwas fehlt in der Erklärung des Dudens, denn nicht der Weg allein war schtozig, schtotzlig oder stozig, sondern auch das letzte Event in Zürich, zumindest im Gespräch meiner S-Bahn Nachbarn. Oder sprachen die eventuell doch vom letzten Kletterwochenende?

  • Gäh ist alt
  • Aber gäh? Es erinnert uns an „gähnen“, dem plötzlichen Maulaufreissen, was wir kaum unterdrücken können, am Ende einer durchtanzten Nacht. Dabei hat dieses Wörtchen, bevor es im Zürcher Slangikon der Jugendsprache auftauchte, schon gewaltige Karriere im Deutschen gemacht, wie ein Auszug aus Grimms Wörterbuch belegt:

    1) rasch, von höchster schnelligkeit oder eile, mhd. die vorherschende bed., ahd. z. b. gâheჳ waჳჳer (…)
    a) von stürzenden dingen, wie eben ahd.: platzregen oder geher regen (…)
    der dick beschäumte flusz dringt durch der felsen ritzen
    und schieszt mit gäher kraft weit über ihren wall. (…)
    b) von menschen, thieren in bewegung, von allerlei thun überhaupt: ein gächs wenden im lauf, (…), man beachte den starken lat. ausdruck; darfst (brauchst) du nit ze eilen, so ist mir auch nit gäch. (…)
    c) meistens und vielleicht ursprünglich rasch mit ungestüm, ‚überstürzung‘: preceps … ein geher, gar gech, der sich übergrift. (…)
    e) auch als a d v . (wofür besser gach, s. d.): hoch kompt man nit gäh. (…)
    2) steil abfallend.
    a) mhd. zwar noch nicht belegt, aber sicher durch ahd. ‚gâhi abrupta‘ GRAFF 4, 129 und durch ein swinde gæhe, steile bergwand:
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Wir können nicht genug bekommen von diesen vielen Belegen in den unterschiedlichsten Schreibweisen. Die Verwandschaft von „gäh“ zu „jäh“, noch erhalten in „jähzorning“ wird deutlich.

    jähzornig [spätmhd. gæchzornig] : zu Jähzorn neigend; sich in einer Anwandlung von Jähzorn befindend: ein -er Charakter; j. fuhr er auf.
    (Quelle: Duden.de)

    Und nun wird klar, dass wir mit diesem vermeintlich neuem Schweizerdeutschen Wort einfach ein sehr altes Deutsches Wort in der S-Bahn gehört und im Zürcher Slangikon wiederentdeckten hatten. Nebenbei bemerkt: Auch im Ruhrgebiet wird ein „jetzt“ zu „getzt“ verhärtet. Und getzt ist Feierabend.

    Wir könnten ja mal über die Schweiz fahren — Die Schweiz als Durchfahrland

    Januar 6th, 2011

    (reload vom 5.4.07)

  • Über Bern oder über Besançon?
  • Als wir noch im süddeutschen Schwabenland lebten und die Ferien nahten, gab es stets die Diskussion: „Wie fahren wir in diesem Sommer nach Südfrankreich? Via Freiburg Mulhouse Besançon Lyon durch die „Franche Comté“, immer an der Westseite des Juras entlang und ab Lyon dann auf die Autoroute du Soleil? Oder über Bern durch die Schweiz?

    Durch die Schweiz fahren war schöner, dauerte aber auch länger. Die Fraktion der „so rasch wie möglich ankommen wollen“ stand gegen die „Au ja, zum Genfer See, den Montblanc angucken!“ Fans.
    Aus nostalgischen Gründen stellen wir uns auch heute noch, wo wir im Zürcher Unterland leben, diese Frage und entscheiden dann oft ganz spontan, nur dieses eine Mal wieder ausnahmsweise „über die Schweiz“ zu fahren, um in die Provence zu kommen.

  • Die Perspektive der Durchfahrer
  • Es ist eine ganz eigene Perspektive von der Schweiz, die man als „Durchfahrer“ erhält. An der Grenze bei Weil wird geschaut, ob man noch eine gültige Autobahnvignette hat. Einmal wolle ich ohne Vignette „nur kurz nach Basel“ reinfahren, und musste direkt auf der Autobahn eine Kehrtwende vollführen. Der Gegenverkehr wurde vom Grenzer gestoppt, und kleinlaut fuhr ich bei Weil ab, um die Schweiz quasi durch den Hintereingang ohne Autobahnbenutzung zu betreten.

  • Ängstlich 80 Fahren im Kanton Basel
  • Mit Vignette ging es an Basel vorbei, durch die Tunnels und Überdachung beim Badischen Bahnhof, peinlich genau auf die 80 Km/h achtend, mit ähnlichen beklemmenden Gefühlen wie einst auf der Transitstrecke durch die DDR nach Berlin. Denn nichts fürchteten wir Deutsche mehr als eine „Busse“ in der Schweiz zahlen zu müssen. Garantiert teurer als dreimal Essen gehen! Und sie wissen ja, wie geizig der Deutsche sowieso ist. Kriegt er ja ständig über die Werbung eingebleut.

    Eines Tages hatte ich eine Gruppe Basler Kantonspolizisten zu schulen, und beim Mittagstisch erzählten sie mir stolz, dass es im ganzen Stadtgebiet keine einzige stationäre Radarkontrolle gäbe. Na toll, und warum waren wir dann immer so vorsichtig bis nach „Schweizerhalle“ geschlichen?

  • Der Tunnel in der Landschaft
  • Im Mittelland bei Solothurn begannen dann die Staus. Wollen denn alle nach Bern? Gibt es da was umsonst? Immer wieder rätselten wir über den merkwürdigen „Tunnel in der Ebene“,
    Der Tunnel in der Ebene
    dessen Geheimnis es sogar in die Sendung „Genial Daneben“ geschafft hatte (und vom Streberlein Hoecker erraten wurde).

  • Die Raben von Bern
  • Die Nähe von Bern verrieten uns stets ein paar schwarze Blechraben auf einer Autobahnbrücke, keine freilaufenden Bären oder Bundespolitiker wie erwartet. Die Blechraben zeigen an, dass man sich im Sendegebiet von „RaBe“ , dem Radio Bern befindet. Ob das ein Durchfahrer versteht? Ein Eisenbahner erzählte mir, dass man unter seinesgleichen die Raben und Krähen am und auf dem Bahndamm für die wiedergekehrten Seelen von überfahrenen Selbstmördern und Streckenarbeitern hält. Nette Vorstellung irgendwie. Immer schön die Kollegen grüssen im Vorbeifahren.

    Kurz zeigt sich von dort oben bei den Raben die Stadt Bern in ganzer Pracht, welche ich einmal am Abend des 1. Augusts mit Raketen und vielen Feuern eindrucksvoll erleben durfte, dann versteckt sich die Bundeshauptstadt hinter durchsichtigen Lärmschutzwänden, und ängstliche Durchfahrer wie wir kriechen wieder als einzige mit Tempo 80 weiter bis zum Beginn der neuen Strecke nach Lausanne.

    Schade, die alte Strecke am Lac de Gruyère vorbei zum Genfer See zu fahren, war zwar länger aber auch schöner. Jedes Mal auf der steilen Schussfahrt hinab zum See schlossen wir im Scherz Wetten ab, ob die Bremsen des LKWs hinter uns wirklich halten oder ob wir tatsächlich einmal erleben durften, wie so ein 18-Tonner in die Nothaltespur aus Kies und Sand brettert?

  • Die Riviera wurde erst ab 2008 offiziell
  • Das schönste Stück zwischen Vevey und Lausanne durch die Waadtländer Riviera mit Blick auf Montreux war stets der Höhepunkt der Fahrt durch die Schweiz. Erst ab dem 1. Januar 2008 wurde die Bezeichnung „Riviera“ für diese Region auch offiziell als im Namen „Riviera-Pays-d’Enhaut“ für einen Bezirk (District) enthalten sein.
    Doch die wenigsten fahren noch die alte Strecke, geht es doch schneller über das schnurgerade neue Autobahnteilstück bis Lausanne, mit weiter Sicht voraus auf jede Radarfalle am Weg. Jetzt fallen die letzten Hemmungen, jetzt sind wir im Welschland, im Kanton Fribourg. Selbst mit verbotenen 150 Km/h wird man noch von zahlreichen Waadtländern überholt. Kaum ist Bern am Horizont hinter uns verschwunden, hält sich kaum jemand mehr an irgendwelche Geschwindigkeitsbegrenzungen.
    Ab Kerzers gibt es auch keine „Ausfahrt“ mehr, sondern nur noch eine „Sortie“, und auch nach Jahren bleibt das Ortschild „Murten“, ziemlich genau auf dem Röschtigraben gelegen, von militanten Lokalpatrioten durchgestrichen und mit „Morat“ überschrieben.

    Zwar sehen wir nichts mehr von der Riviera, aber wenigstens den Mont Blanc auf der anderen Seeuferseite, benannt nach einem bekannten Füllfederhalter. Viel schauen ist nicht angebracht, denn jetzt beginnt das „Höllenstück“, die dichtbefahrendste Strecke der Schweiz, die Autobahn Lausanne-Genève. Wir sind im zweitgrössten Ballungsgebiet der Schweiz, der Metropolregion Genf-Lausanne, und hier haben es die Leute eilig, ans Ziel zu kommen, auch mit 130 Km/h wird Stossstange an Stossstange gefahren. Kleiner Vorgeschmack auf das, was uns später ab Lyon auf der Autoroute du Soleil in Frankreich erwartet.

  • Nicht ins Puff sondern zum Puff nach Frankreich
  • Bei Rolle ein letztes Mal billigen Schweizer Sprit tanken, und dann ab Genf über die Berge nach Annecy weiter. Das Teilstück kurz hinter der Autobahngrenze in Richtung Cruseilles ist beidseits der Strasse gesäumt von Restaurants, Diskotheken anderen Lokalitäten mit roten Lampen, damit die braven Schweizer am Wochenende auch mal ein paar Euros in der EU loswerden können. Provence, wir kommen!

    Von einem der auszog, eine Carte de Séjour zu bekommen

    Dezember 12th, 2010

    (reload vom 30.03.2007)

  • Paris im Ausnahmezustand
  • 1987-88 verbrachte ich ein Jahr als „assistant de langue“ an einem Lycée in Paris, und nach ein paar Wochen Eingewöhnungszeit beschloss ich, ganz offiziell eine Aufenthaltsgenehmigung, eine „carte de séjour“ für Frankreich zu beantragen. Rein rechtlich war das schon damals nicht notwendig, weil ich mich als EG-Bürger in Frankreich aufhalten durfte, solange ich wollte. Nur um ein Girokonto zu bekommen, war dieser „titre de séjour“ mit eingetragener Wohnanschrift wichtig.

  • 1. Nachmittag: Îsle de la Cité
  • Also fuhr ich an einem schönen Septembermittag nach der Schule ins Zentrum von Paris zur Îsle de la Cité, weil ich mich daran erinnert hatte, dass es dort eine grosse Polizeidienststelle gab. Ein Polizist hatte mir gesagt, dass man eine Carte de séjours bei jeder Polizeidienststelle ausgestellt bekommt. Im Jahr zuvor waren in Paris einige Bomben explodiert, die in Papierkörben am Strassenrand versteckte worden waren. Das hatten meinen deutschen Vorgänger an der Schule dazu bewegt, seine Stelle „aus Sicherheitsgründen“ lieber nicht anzutreten.

    Es herrschte also immer noch „Ausnahmezustand“, und dementsprechend scharf waren die Sicherheitsvorkehrungen beim Betreten des Polizei-Gebäudes. Eine Metalldetektorschleuse am Eingang wie beim Flughafen, grimmig drein blickende Flics mit Maschinenpistole im Anschlag, dann stand ich am Empfangsschalter.

  • Sind sie über die Mauer in Berlin gesprungen?
  • (Original auf Französisch, hier übersetzt:) „Guten Tag, ich komme aus Deutschland und möchte gern eine carte de séjour beantragen“. Antwort: „Ist ihre Heimatland Mitglied der Europäischen Gemeinschaft?“ Kurz war ich verdattert und musste scharf nachdenken. Wusste die Dame das wirklich nichts von den Römischen Verträgen von 1957, den Gründungsstaaten der EWG und so weiter?

    Doch halt, vielleicht dachte sie ja, ich käme aus der (damals noch sehr existenten) DDR! „Nein, ich bin nicht über die Mauer geklettert, ich komme aus der R.F.A“. Dann fragte sie, wo ich denn wohne und ich nannte den Vorort in der Banlieu von Paris. Dort musste ich mich hinwenden, an den Hauptort des „Département de l’Essone“. Der Hauptort ist Evry, und dorthin fährt man ab der Gare de Lyon. Sicherlich nicht mehr am gleichen Tag, denn es ging auf 16:00 Uhr zu.

  • 2. Nachmittag: In Evry ist niemand zuständig
  • Am nächsten Tag nach der Schule fuhr ich zum Gare de Lyon und nahm von dort den nächsten Zug nach Evry. Unterwegs fiel mir plötzlich auf, dass die Zonen meiner Monatskarte nicht ausreichten für den Trip, denn Evry lag genau eine Zone weiter als ich eigentlich fahren durfte. Prompt geriet ich auch in eine Kontrolle, und um nicht zu viel Zeit zu verlieren, spielte ich den unbedarften nur Amerikanisch sprechenden Ausländer, der das mit den Zonen nicht blickt.

    Ziemlich fiese Masche, aber erfolgreich. Weder der Kontrolleur noch sonst jemand im Zug konnte mir auf Englisch weiterhelfen, aber aussteigen musste ich trotzdem und kam ohne Strafe davon. Mit Nachlösen und in den nächsten Zug steigen verging soviel Zeit, dass ich erst um 15:30 Uhr in Evry den Weg zur Departements-Verwaltung erfragen konnte. Dort angekommen war es kurz vor Büroschluss. Immerhin erhalte ich noch die Auskunft, dass ich hier sowieso am falschen Ort war. Denn nicht der Hauptort meines Departements sei für die Aufenthaltsbewilligung zuständig, sondern die mir am nächsten gelegene Polizeidienststelle.

    Also fuhr ich wieder heim, was in den Banlieus von Paris nicht so trivial ist, wie es sich anhört, denn alle Wege führen nach Paris, nicht „seitlich“ in die Nachbargemeinde, und so brauchte ich gut zwei Stunden und mehreren Buslinien dafür.

  • 3. Nachmittag: Geburtsname und Beruf der Mutter bitteschön?
  • Am nächsten Nachmittag fuhr ich dann direkt zum nächsten Ort mit Polizeidienststelle. Ich hatte dort angerufen und mich erkundigt, ob ich man mir dort eine „carte de séjour“ ausstellen könnte. Nun, den Antrag wollten sie schon entgegennehmen, aber das mit der Carte, das geht ein bisschen länger. So fand ich mich dort ein, und ein netter Polizist begann auf seiner Schreibmaschine mit dem Ausfüllen des Formulars. Vorname des Vaters, Geburtsort der Mutter, Schuhgrösse des Grossvaters und was es nicht noch alles für Details einzutragen gab, das alles im „Einfinger-Adler-such-System„.

    Als wir nebenbei auf Fussball zu sprechen kamen (irgendeine WM oder EM war gerade vorüber), taute er plötzlich auf und schien gar nicht mehr so interessiert daran zu sein, jedes Feld im Formular genauestens auszufüllen. Dann kam die Sichtung der von mir mitgebrachten Dokumente:

    Kopie des Personalausweises. Kopie des Reisepasses. Kopie meiner „carte professionelle“ die mich als Bediensteter des Französischen Staates auswies, beglaubigte und übersetzte Kopie der Geburtsurkunde, des Abitur-Zeugnisses, Kopie der letzten Stromrechnung, der Krankenversicherung etc. etc. Ich war gut präpariert und hatte alles dabei. Auch die 5 gleichen und neuen Passfotos in schwarzweiss sowie zwei Briefumschläge, an mich selbst adressiert, mit Briefmarke versehen und, ganz besonders wichtig, „autocollante“, d. h. selbst klebend, damit sich kein Französischer Beamter die Zunge beim Ablecken verkleben muss.

  • Ich habe eine Récépissé de carte de séjour!
  • Nach gut einer Stunde verliess ich die Polizeidienststelle mit einem gefalteten und gestempelten Karte, mit Foto und Unterschrift, betitelt als „récépissé de carte de séjour“, also einer „vorläufigen Aufenthaltsbewilligung“. Die eigentliche Carte wurde mir dann nach 8 Monaten in Frankreich schliesslich postalisch angekündigt. Sie kam an, ein Tag bevor ich das Land wieder verlassen wollte, und war dann noch 3 weitere Monate gültig.

  • Jens-Rainer veut dire Jean-René
  • Mit diesem „récépissé“ konnte ich auf einer Pariser Sparkasse mit dem hübschen Namen écureuil = Eichhörnchen ein Konto beantragen. Frage: „Quel est votre prénom?“ Antwort: „Jens-Rainer“. Rückfrage: „Comment?“ Antwort: „Jens-Rainer, ca veut dire ‚Jean-René‘ en Français“.
    Reaktion. „Alors je mets ‚Jean-René‘?“. Schade, dass ich in dieser Sekunde nicht schneller geschaltet habe, ich besässe sonst heute noch eine Caisse d’Espargne Ecureuil EC Karte mit „Jean-René“ statt „Jens-Rainer“. So leicht kann man seinen Namen ändern!

  • Köpenick is still alive!
  • Als ich später einem Pariser Freund die Geschichte erzählte, wie lange ich gebraucht hatte, um meine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen, begann er daraufhin seinerseits zu erzählen, wie er in Berlin versuchte hatte, sich an der Uni einzuschreiben. Das ging aber nur mit einem Krankenversicherungsnachweis. Den bekam man nur mit einem Girokonto bei einer Bank. Das wiederum erhielt man nur, wenn man an einem festen Wohnsitz in Berlin hatte. Er wollte in ein günstiges Studentenwohnheim einziehen. Ein Platz in einem Studentenwohnheim gibt es aber nur, wenn man korrekt an der Uni eingeschrieben war. Und einschreiben kann man sich nur mit Versicherungsnachweis. So ging das immer wieder von vorn los. Hauptmann von Köpenick lässt grüssen, er war damals noch sehr lebendig in der deutschen Bürokratie.

    Blogwiese in der Tageschau

    November 10th, 2010
  • Ein altes Foto
  • Die Blogwiese war heute als Beispiel für Blog in der Schweizer Tagesschau zu sehen, und zwar hier bei 5:06.
    Es ist ein alter Screenshot aus einem früheren Beitrag über Blogs in der Schweiz, den sie hier wieder aufgewärmt haben. Dennoch freuen wir uns über diese ehrenvolle Erwähnung! Es geht um ein Grundsatzurteil des Schweizer Bundesgerichts über Quellenschutz von Blogkommentaren, und über die Verwantwortung der Medien, welche den Blog betreiben. Oder so ähnlich. So ganz habe ich das auch noch nicht verstanden.

    Blogwiese in der Tageschau am 10.11.2011
    Im Beitrag heisst es wörtlich:

    „Medienhäuser dürfen geheimhalten, wer auf ihren Internetseiten Kommentare, sogenannte Blogs, verfasst hat“

    Verstehen Sie diesen Satz? Ich nicht. Kommentare sind als Blogs, werden nur anders genannt? In dem Beitrag werden „Blogger“ und „Kommentarschreiber“ munter gleichgestellt. Wer kommentiert, ist ein Blogger, so hört sich das an. Auch schön. Sind wir nicht alle ein bisschen Blog? Auf der SF-Tageschau Seite stand der Text dann korrekt zu lesen:

    Das Bundesgericht hat entschieden, dass Medienhäuser gegenüber der Justiz die Namen von Verfassern von Blog-Kommentaren auf ihren Internetseiten geheim halten dürfen.

    (Quelle: Tageschau.tv)