Hat es noch oder gibt es nichts mehr? — Man hat’s nicht leicht, aber leicht hat’s einen

September 24th, 2010

(reload vom 15.3.07)

  • Gibt’s noch was?
  • Wir kamen aus dem „Gibt’s noch was?“ Teil von Deutschland und lebten schliesslich im „Nein, es hat nichts mehr“ Gebiet. Bevor wir in die Schweiz gezogen sind, hatte ich bereits einige Jahre Zeit, mich an die Frage „Hat’s noch Kaffee?“ bei den Schwaben zu gewöhnen. Und die Feststellung, „In der Schweiz, da hat’s Berge“ fand ich auch nicht übermässig amüsant. Von den Franzosen oder Spaniern müssen die Menschen im Neu-Hoch-Deutschen Raum weit im hohen Süden es gelernt und behalten haben, die mit ihrem „Il y en a“ = „Es dort davon hat“ bzw. dem „Hay que“ = „hat dass, es muss“ begriffen haben, wie wichtig das Wörtchen „haben“ für die Existenz der Dinge ist. Warum sollte es also nur „geben“ dürfen im Deutschen, wenn „haben“ doch viel internationaler ist?

  • Er hat Hunger, er hat Fieber, er hat kalt
  • Diesen hübschen Satz lasen wir in einer „Ganzschrift“ sprich Lektüre für die 1. Klasse in der Bülacher Primarschule. Es war die Geschichte eines Maroni Mannes, dem es nicht gut ging: „Er hat Hunger, er hat Fieber, er hat kalt“. Muss einem denn immer kalt sein? Darf man nicht auch kalt haben? Wenn doch in anderen Ländern wie Frankreich „j’ai froid“ = „isch ´abe kalt“ und in Italien „ho freddo“ = „ich habe den Fred“ ganz normal sind. Auch Saarländer haben, nebenbei bemerkt, manchmal kalt, ganz ohne „es“ (vgl. Wikipedia) .

  • Nur solange Vorrat reicht
  • Unser Lieblingssatz, den wir bereits in Süddeutschland lernten und der dann in der Schweiz mit einem Umlaut verfeinert wurde, ist aber die geniale Formulierung: „Es hät solang’s hät“. Soviel Logik, soviel Prägnanz! Soviel Beweiskraft in wenig Worten zum Ausdruck gebracht! Das fällt für uns in die Kategorie „Geniale Aussagen“, ähnlich wie das trockene Norddeutsche „Fällt aus wegen is nich“.

    Es hät solangs hät
    (Es hat viele „ö„s und „ii„s in der Schweiz. Foto vom Weihnachtsmarkt in Bülach 2006)

    Hier noch ein paar hübsche Fundstellen:

  • Beim Schlittenverleih in Toggenburg
  • Beim Sport Treff, Unterwasser und direkt auf Iltios gibt es Schlitten zu mieten – „es hät solang’s hät„. Reservierungen für Gruppen ab 10 Personen mindestens zwei Tage vorher beim Sport Treff melden
    (Quelle: toggenburg.org)

    Im Hotel-Coronado auf der Speiskarte:

    Fegato di vitello alla veneziana
    Geschnetzelte Kalbsleber nach venezianischer Art
    (Es hät solang’s hät!)
    (Quelle: hotel-coronado.ch)

    Bei Fahrradhersteller „Pickup“

    Damit auch Sie mitfeiern können, gewähren wir auf alle restlichen Modelle 06 einen Jubiläumsrabatt von 300 Fr.
    Greifen Sie zu. : „Es hät, solang’s hät.
    (Quelle: pickup-bike.ch)

    Wie langweilig und nichts sagend hingegen die klassische Deutsche Ausrede „Nur solange Vorrat reicht“. Das reicht doch wirklich, oder? Wir wollen, dass es „hat“ und nicht „reicht“. Doch wir sind zuversichtlich, dass diese geniale Formulierung langsam und stetig ihren Siegeszug in Richtung norddeutsche Waterkant fortsetzen wird. Gemäss dem Gesetz der sprachlichen Ökonomie haben sich solche Formulierungen bisher immer von allein durchgesetzt, in sprachliche Gegenden, in denen es bis dahin nichts Schickeres gab ausser „Vorräte, die ausreichen„.

    Achtung Fussgeher, es droht die Abschleppung — Unterwegs in Wien

    April 27th, 2010
  • Gang oder gehe ich zu Fuss
  • Zur Zeit arbeite ich Wien und entdecke hier täglich sprachliche Varianten der Deutschen Sprache, die einfach nur bemerkenswert sind. Warum sind Fussgänger in
    Deutschland „Gänger“ und in Österreich gehen sie zu Fuss als „Fussgeher„?

    Fussgeher Achtung!
    (Quelle: privat. Foto „Achtung Fussgeher“)

    Wer sein Auto vor diese Garagenausfahrt stellt, dem droht in Wien die „Abschleppung„. Keine Verschleppung oder Vertreibung, nein, die „Abschleppung„.

    Abschleppung
    (Quelle: privat)

    Ich habe mich auch gleich erkundigt, wie man „zu dem Velo“ und „zu dem Tram“ in Wien sagt. Die Antwort lautet: Fahrrad und Strassenbahn. Hmm, klingt kompliziert. Eine besondere Beziehung hat man hier mit der Schweiz. Es gibt einen „Schweizergarten„, der hier zum „Sch..izergarten“ mutierte, sorry:
    < Schweizergarten Wien

  • Sind Ihnen 36 Euro Wurst?
  • Hier kostet das Hinterlassen von Hundedreck die grade Summe von 36 Euro. Ungrad 100 Schilling, nehme ich mal an.
    36 Euro für die Wurst
    (Foto: 36 Euro für Hundedreck)

  • Resche Stelzen bei den Schweizern
  • Und dann ist da noch das berühmte „Schweizer Haus“ im Volkspark Prater.

    Überlieferungen zufolge gab es das Schweizerhaus bereits vor 1766. Es trug damals den Namen „Zur Schweizer Hütte“. Zu dieser Zeit war der Prater dem „gemeinen Volk“ noch nicht zugänglich. Seinen Namen erhielt es nach den Schweizer Jagdtreibern, die dort die kaiserlichen Herrschaften bewirteten. (…)
    Während des Wiener Kongresses wurde das Gasthaus 1814 der Zeit gemäß „Zum russischen Kaiser“ umbenannt. 1868 wurde es als „Schweizer Meierei“ eröffnet, um später seinen endgültigen Namen zu erhalten, der allen Wienern und Touristen, die Wien besuchen, ein Begriff ist.
    Synonym für gepflegtes Bier und resche Stelzen. Von 1907 bis 1920 führte Jan Gabriel die Gaststätte. Im „Wiener Extrablatt“ hieß es in einem Eröffnungsbericht: „Das bürgerliche Pilsner, das Gabriel seinen Gästen vorsetzt, ist eine Wiener Specialität geworden…
    (Quelle: Schweizerhaus.at)

    Schweizerhaus im Prater
    (Quelle Foto: tv.55plus

    Synonym für gepflegtes Bier und resche Stelzen„. Keine Stangen also im Schweizerhaus, sondern Stelzen. Richtig resche dazu. Kann man nicht trinken, nur essen. Mehr dazu siehe hier

    Wenn der Esel am und der Ochs vorm Berg steht — Wie erkennt man einen Schweizer an seinen idiomatischen Wendungen?

    Januar 11th, 2010

    (reload vom 3.11.06)

  • Ochs und Esel stehen am/vorm Berg
  • Jeder, der sich schon einmal mit dem Lernen von Sprachen beschäftigt hat, weiss, dass es da ausser Grammatik und Vokabular noch eine weitere Ebene gibt, die extrem schwierig zu lernen ist. Man lernt sie automatisch mit der der eigenen Muttersprache, oder lernt sie unbewusst passiv durch ausgiebige Lektüre. Die Rede ist von „idiomatischen Wendungen“, von Sprichwörter und Redensarten. In der Schweiz wird das in der Schule gelehrt und gelernt.

  • Morgens noch schnell die Redewendungen lernen
  • So wurden wir Zeuge, wie Berufschüler in der S-Bahn von Zürich sich morgens gegenseitig die Bedeutungen von „Morgenstund hat Gold im Mund“ (das Leitmotiv der Zahnärzte), „Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht“ und „Die Axt im Haus ersetzt den Ehemann“ abfragten, wie Englisch oder Französisch-Vokabeln. Sie lernten dies für den Deutschunterricht. Eine Prüfung dazu war angekündigt worden. Sie tun gut daran, sich in diesen idiomatischen Wendungen fit zu halten, denn ohne diese Formulierung versteht man heute keine Zeitung und keine Nachrichtensendung.

    Ochs und Esel haben viel zu tun
    (Quelle Foto: fraema.it)

    Doch Vorsicht: Jedes Land im deutschsprachigen Europa kennt da eigene Varianten. Ochs und Esel zum Beispiel, aus der Weihnachtsgeschichte nach Matthäus allen bekannt, machten sich auf nach Europa, und kamen zu den Alpen, wo sie stehen blieben. Der Ochs stand „vorm Berg„, und der Esel „am Berg„.
    Google kennt 88 Belege für „wie der Esel am Berg“. Unser Variantenwörterbuch aus dem DeGruyter Verlag meint zum Stichwort Berg:

    *[dastehen] wie der Ochs vorm Berg AD;
    *dastehen wie der Esel am Berg CH (salopp) „verdutzt, ratlos [sein]; mit einer Situation überfordert [sein]. Betreten sass der Junge da wie der Ochs vorm Berg (OÖN 3.3.2001, 16;A); Oft stehen wir da wie der Esel am Berg, wenn wir ausländische Gäste etwas über unser Land erzählen müssen (TA 20.8.1006, Internet; CH);

  • Wieso gibt es diese beiden Varianten?
  • Nun gilt es noch herauszufinden, wieso es zu dieser feinen Differenzierung kam. „Ochs vorm“ ist ein Binnenreim mit doppeltem „O-Laut“. „Esel am Berg“ hingegen, da werden wir nicht schlau draus. Vielleicht spielt da noch die zweite Bedeutung vom „dummen Esel“ mit hinein? Es lässt sich nicht endgültig begründen, warum die eine Formulierung in Österreich und Deutschland, die andere jedoch in der Schweiz üblich ist. Je nachdem, ob sie ihrem Text eine „Standarddeutschefärbung“ oder mehr den helvetischen Grundton geben wollen, sollten sie lieber den „Oxen vorm Berg“ oder den „Esel am Berg“ wählen. Nur sollten sie beide Redewendungen niemals mischen, also keinen „Oxen am Berg“ und keinen „Esel vorm Berg“ platzieren. Das ist Stilbruch, und fast so grausig wie „das schlägt dem Fass den Boden mitten ins Gesicht“ oder „der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum“. Knapp daneben ist eben meistens auch vorbei.

  • Was der Ochs oder Esel sonst alles so aufhalten
  • Dann gibt es da noch den berühmten Ausspruch Erich Honeckers vom 6. Oktober 1989, im Palast der Republik anlässlich des vierzigsten Geburtstags der DDR vorgebracht:

    Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf
    (Quelle: FAZ vom 22.12.98, zitiert nach „Die DDR im WWW„)

    Der äusserst lesenswerte FAZ-Artikel führt aus, dass dieser Spruch schon 100 Jahre mehr auf dem Buckel hat und aus einer Zeit stammt, als sozialdemokratische und christliche Weihnachten bitter in Konkurrenz zu einander standen.

    Seit dieser Zeit müssen Ochs und Esel alles nur erdenkliche Aufhalten: Den Sozialismus, den Kapitalismus, den Kommunismus, aber auch die Globalisierung, und sie schaffen es nicht. 627 Belege finde sich bei Google. Sie stehen also quasi nicht mehr vor oder am Berg, sondern nur noch im Lauf, und halten dennoch nichts auf. Was für eine Wende.

    Heute schon mit grosser Kelle angerichtet?

    Januar 6th, 2010

    (reload vom 27.10.06)

  • Vom Agravolk zum Häuslebauer
  • Die Vorfahren der Schweizer dienten mit Spiessen bewaffnet als Söldner im Ausland oder waren daheim im „Agrarsektor“ tätig. Das bestätigten unsere sprachlichen Beobachtungen. Es wird hierzulande mit „gleichlangen Spiessen“ gekämpft , das “Heu auf der gleichen Bühne gelagert“ oder „der Mist geführt“, wenn nicht gleich alles „verhühnert“. Doch diese glorreichen Zeiten sind lange vorbei. Aus den ehemaligen Söldner und Bauern wurde solide „Häuslebauer“ und Maurer, denn wenn sie heute in der Schweiz aus dem Vollem schöpfen und sich besonders grosszügig zeigen wollen, dann müssen sie nicht Kaviar und Champagner auftischen oder doppelseitig geschmierte Butterbrezeln wie im Schwabenland, nein, dann greifen Sie am besten zum Speisseimer (nicht zum Essen, weil gefüllt mit Zement) und richten „mit grosser Kelle“ an.

    Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 19.10.06 auf Seite 2

    „Vor allem Uri und das Wallis haben mit der grossen Kelle angerichtet“.

    Mit grosser Kelle angerichtet

  • Was hast Du schon wieder angerichtet?
  • Etwas „angerichtet haben“ kann ja auch sehr negativ verstanden werden, wenn die Mutter das Kind fragt: „Na, was hast Du wieder angerichtet?“. Hier geht es aber wirklich um das Vorbereiten und Präsentieren von leckeren Speisen, am besten auf der „Anrichte“, wenn mit „grosser Kelle angerichtet“ wird.

    Das findet sich auch schon mal bei der Beschreibung eines Cadillacs im Tages-Anzeiger:

    Mit grosser Kelle angerichtet
    Damit der Escalade selber auch höhere Sphären erklettern kann, ist er permanent über alle vier Räder angetrieben, 60% der Kraft hinten, 40% vorne.
    (Quelle: Tagesanzeiger.ch)

    Die Kelle kann auch mal „allzu gross“ geraten:

    Die Kommission hat sich vergewissert, dass, nachdem mit allzu grosser Kelle angerichtet worden ist, nun Reformarbeiten abgeschlossen sind und die neue Führung überzeugt.
    (Quelle: gleichstellung.bl.ch)

    Das „Schweizer Wörterbuch“ von Kurt Meyer, das übrigens nicht mehr als Duden-Band, sondern jetzt wieder neu im Verlag Huber erhältlich ist, meint dazu:

    Kelle, die. *mit der grossen Kelle anrichten: grosszügig, nicht sparsam wirtschaften.

    Wir lernen daraus: Nimm eine kleine Kelle und bau sparsamer dein Haus. Dass es mit einer kleinen Kelle auch länger dauert, steht auf einem anderen Blatt. Denn „viel hilft viel“, das wissen wir alle. Doch nicht immer ist hier von der Maurerkelle die Rede, auch eine simple Suppenkelle zum Austeilen von Suppe kann gemeint sein. Wenn die kleiner ist, dauert es länger und es gibt weniger Suppe, folglich wird gespart!
    Eine Kelle sieht so aus:
    Eine Kelle
    (Quelle Foto: degewo.de)

    Aber auch das ist eine Kelle:
    Holzkelle
    (Quelle Foto tempora-nostra.de)

    Und dann gibt es da noch diese Kelle:
    Polizeikelle
    (Quelle Foto: oktoberfest.de)

    Die sieht man übrigens in der Schweiz erstaunlich oft im Berufsverkehr. Die Verkehrskontrollen bei Autobahnauffahrten, in der Agglo von Zürich, an Ausfallstrassen sind hier üblich und finden regelmässig statt. So regelmässig, dass es uns wundert, warum es sich hier überhaupt jemand traut, ohne Sicherheitsgurt (in der Schweiz gilt das „Gurtenobligatorium“!) oder mit Handy am Ohr durch die Gegend zu fahren. Mag sein, dass wir es einfach nicht wahrgenommen haben, als wir noch in Deutschland lebten, aber bis auf die garantiert regelmässigen Alkoholkontrollen in der Karnevalszeit können wir uns an keine Verkehrskontrollen durch die Polizei erinnern.

    Natürlich sieht es an der Autobahn nach Holland anders aus. Dort wird schon mal eine 100% Kontrolle durchgeführt . Auf den Autobahnen werden Raser und Drängler durch die Autobahnpolizei überwacht in Deutschland. Nur diese regelmässigen Verkehrskontrollen, einfach so, täglich wechselnd an bestimmten Stellen im Stadtgebiet, das war etwas Neues für uns in der Schweiz. Und dann gibt es halt die grosse Kelle mit dem roten Licht zu sehen, und hofentlich haben Sie dann nichts angerichtet!

    Eine Millionen Besucher auf der Blogwiese — Mir wird ganz sturm

    Oktober 29th, 2009
  • Irgendwann heute vormittag…
  • Die Blogwiese.ch ist seit dem 1. September 2005 online. In der Zeit wurden bis heute 1’176 Postings freigeschaltet und und 21.975 Kommentare abgegeben. Aber richtig rund ist heute im Laufe des Tages (wahrscheinlich gegen Mittag) die Zahl der Besucher, wenn sie die 1’000’000 Marke überschreitet.

    Hier der Stand von gestern abend, ca. 21.15 Uhr:

    kurz vor einer Millionen visits

  • Wer wird der Millionste Besucher?
  • Über diesen Sitemeter-Link können Sie es selbst überwachen. Viel Glück! Heute müssen wir feiern, morgen geht es dann wie gewohnt weiter.

  • Wird ihnen auch manchmal sturm?
  • Einen neuen alten, dazu passenden Schweizerausdruck haben wir erst neulich gelernt: Mir wird ganz „sturm„, bei den vielen Besuchern. Das passt zum Herbst und zu den nahenden Winterstürmen, wenn es einem „sturm“ wird. Bei Wikipedia finden wir die Erklärung:

    sturm: im Schweizerdeutsch ein Synonym für Schwindel (man sagt z. B. „mir ist sturm“)
    (Quelle Wikipedia)

    Wie man das wohl steigert? Sturm, sturmer am stürmischsten?

  • Nachtrag: Der Millionste Besucher war ein Dolphin aus Zürich
  • Um 8:17 Uhr war es bereits soweit. Der Millionste Besucher kam aus Zürich. Das wissen wir über ihn oder sie:

    Der millionste Besucher der Blogwiese

    … dann mal weiter zur zweiten Millionen. Kann sich nur noch um 3-4 Jahre handeln.