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Verunmöglichen Sie doch mal das Verhühnern einer Verzeigung

  • Verzeigungen und andere Spezialitäten mit „ver“
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 19.03.06

    Die Verzeigungen wegen Cannabis-Konsum nehmen von Jahr zu Jahr zu.

    Verzeigungen

    Jetzt haben wir dieses Wort schon so oft gelesen, und wissen genau, dass man in der Schweiz nicht nach Canossa gehen muss, im Büsserhemd wie einst Heinrich IV, um Busse zu tun, falls man auf Grund von „fehlbarem“ Verhalten verzeigt wurde und eine „Busse“ auferlegt bekam, sondern dass dann eher an Bezahlung in bar oder per Überweisung gedacht ist.

    Und dennoch können wir uns nicht ganz Abfinden mit den „Verzeigungen“, denn wer zeigt da eigentlich auf was, und kann man die Verzeigungen auch verzeihen, oder sprengt das jegliche sprachliche Auffassungsgabe? Die Schweizer haben da noch ein wunderbares Wort dafür, wenn etwas „unmöglich“ gemacht wird, dann wird es schlicht und einfach „verunmöglicht“.

    Fragen wir doch das Variantenwörterbuch des Deutschen:

    Verzeigung CH die;-,-en (Recht): ‚Strafanzeige’:
    132 Lenker wurden mit Bussen zwischen 40 und 250 Franken bestraft, in 22 Fällen kam es zu einer Verzeigung beim Polizeirichter (TA 30.10.1999,15)

    Der nette Mensch, der sie verzeigte, hat in der Schweiz auch einen hübschen Namen. Es ist der „Verzeiger“, und wenn es eine Frau ist, dann halt eine „Verzeigerin“. Wir müssen unweigerlich an Stehgeiger denken, lesen wir vom Verzeiger.

  • Verunfallen und verwohnen

  • Die Schweizer scheinen eine ganz besondere Vorliebe für Wörter mit der Vorsilbe „ver“ zu haben. (Wir erinnern nur an „Ver-micelles„). So hat man in der Schweiz nicht einfach einen Unfall, sondern man „verunfallt“ und wenn sie lange in einer Wohnung gewohnt haben, dann würde man in Deutschland eine solche Wohnung „abwohnen“, so wie „absitzen“ der Strafe im Knast, während man in der Schweiz die Wohnung „verwohnt“.

    „Wer sich nicht daran stört, dass die Wohnung einen (…) etwas verwohnten Eindruck macht…, wird sich schnell wohl fühlen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger 20.3.1998, nach Variantenwörterbuch)

    Verwohnen“ bitte auf keinen gar keinem Fall mit „verwöhnen“ verwechseln, das wäre peinlich. Sagt die potentielle zukünftige Schweizer Mieterin bei der ersten Besichtigung der neuen Wohnung: „Darf ich sie auch ein bisschen verwohnen“, könnte das von einem Deutschen Vermieter als „verwöhnen“ verstanden und völlig falsch interpretiert werden.
    Haben Sie auch schon mal etwas verhühnert?

  • Haben Sie hier Hühner gehalten?
  • Wenn es sehr sehr unordentlich zugeht bei den Schweizern, wenn dann etwas „durch Unordnung oder Unkonzentriertheit verlegen, verloren oder vergessen“ wird, dann spricht man in der Schweiz von etwas „verhühnern“. Vielleicht weil so ein Huhn manchmal sein frisch gelegtes Ei nicht wieder finden kann, und es so „verhühnert“ hat? Sie haben das Wort bisher noch nicht gehört? Nun, das liegt einfach daran, dass es sehr selten so unordentlich bei den Schweizern zugeht. Wir erinnern wieder an die Erfahrungen der Schweizer im Bereich Agrartechnik (vgl. Blogwiese von gestern).

  • Von Schusseln und verschusseln
  • Wenn Sie in Deutschland übrigens ihren Schlüssel nicht mehr finden, haben sie ihn nicht verhühnert, sondern „verschusselt“. „Ich Schussel!“ wäre dann der dazu passende Ausruf. So ein Schussel kann auch ein Sprung haben, den allerdings dann eher in der Schüssel, wenn er nicht ganz richtig tickt im Kopf.

    

    8 Responses to “Verunmöglichen Sie doch mal das Verhühnern einer Verzeigung”

    1. tr Says:

      „Verunfallen“ und „verunmöglichen“ gibt es durchaus auch im deutschen Sprachraum, wenngleich „verunfallen“ in Deutschland eher dem Fachwortschatz zuzurechnen ist.

    2. Administrator Says:

      @tr
      Stell dir vor, in Deutschland und die Schweiz gehören dem gleichen Sprachraum an, in dem verschiedene Varianten von Deutsch gesprochen werden. „Verunmöglichen“ wird laut Duden genau wie „verunfallen“ als regionale Schweizer Variante eingestuft, was jetzt nicht heissen soll, dass das in Berlin oder Hamburg niemand versteht. Das ist ja gerade das Tolle an den Varianten: Sie peppen die Sprache regional so richtig auf und bringen erst die Würze hinein.

    3. tr Says:

      Öh, ja natürlich ist dies das Tolle an der Sache (und mithin der Grund dafür, dass ich immer mit Freude diesen Blog lese). Ich wollte nur darauf hinweisen, dass ich weder „verunfallen“ noch „verunmöglichen“ als Helvetismen bezeichnen würde, wie du es im Text implizit machst. Bei mir sind die Wörter im Duden übrigens auch „nur“ mit „bes. schweiz.“ bezeichnet. „Echte“ Helvetismen (wie etwa „Traktandum“) werden mit „schweiz.“ gekennzeichnet.

      Manchmal ist es sicher auch etwas schwierig, zwischen einem echten Helvetismus wie er in der Schweizer Standardsprache verwendet wird, und einem nur als Stilmittel eingesetztem Dialektwort zu unterscheiden, zumal die Grenzen fliessend sind. Dies gilt natürlich auch für deutsche „Regionalizismen“.

      „Verunfallen“ findet sich in Deutschland überall. Drei Beispiele:

      Bonn: http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/a_Haushalt/s_1113.html

      Berlin:
      http://www.landesstelle-berlin.de/e269/e477/e478/e3833/index_ger.html
      http://www.feuerwehr-doku.de/ausbildung/feuerwehr-ausbildung-BFbln-Tunneltier.php

      Aber nur weiterhin her mit Wörtern, welche dir auffallen: Ob nun echte Helvetismen oder Ausgeburten einer Wortschatzlücke. 🙂

    4. Phipu Says:

      Beim „Schussel“ habe ich etwas dazugelernt. http://www.ruhrgebietssprache.de/lexikon/schussel.html
      Ich glaubte bisher, dies sei Synonym zu „Tolpatsch/ungeschickte Person“. Dies würde nämlich auch die Laut-Verwandtschaft zum Dialektwort „Schutzgatter“ herstellen. Mit dem Ausdruck „du bisch es Schutzgatter!“ wurde ich jeweils als Kind bedacht, wenn ich mich ungeschickt angestellt hatte und etwas verschüttet oder fallengelassen hatte. Auf der Google-Suche stiess ich auf die Idee, dass man mich damit einfach „Du Tor!“ nennen http://de.wikipedia.org/wiki/Tornjak oder mir die Unachtsamkeit des Barons von Münchhausen unterstellen wollte http://www.munchausen.org/horsecut2.html .

      Im Dialekt kultivieren wir die Vorsilbe „ver-…“ regelrecht. Mehr noch als in helvetischem Hochdeutsch. Sie ersetzt uns das deutsche „zer-..“. Beispiele: „verbroche (zerbrochen), verchätschet (zerkaut), „vertrampet“ (zertreten), „verwuschet“ (zerknüllt), „verstrublet“ (zerzaust) „kabutt gmacht“ (zerstört, „verstört“ gibt es ja schon).

      Man kann nicht nur etwas verhühnern, sondern auch gedankenlos über die Strasse hühnern. Oder planlos (z.B. in einem Raum) umherhühnern. Bei diesen Ausdrücken ist der Bewegungsablauf zitierten Tiere eher ersichtlich, als beim „verhühnern“ nicht wahr?

      Beim etwas verlegen/nicht wiederfinden, müsste man eher „vereichhörnle“ (ver-eichhörnchern) sagen. Und wie wohl in Oesterreich oder Bayern? http://www.ostarrichi.org/wort-1703-at-Oachkatzl.html

    5. Peter Says:

      Lieber Jens,
      ein wunderbares Wort mit der Vorsilbe „ver-“ ist Verhüterli! Mach weiter so!
      Gruß Peter.
      P.S. Aus Insiderkreisen erfuhr ich heute, am 1. April, daß Schweizer Gegner Dich nicht nur in den Ruhrpott zurück, sondern überhaupt in den April schicken wollen! Vorsicht also bis Mitternacht!

    6. Mikki Studer Says:

      Die tiefere Bedeutung von „verzeigen“ ist dir scheinbar verborgen geblieben. Es gibt hier nämlich eine zu beachtende Feinheit. Verzeigen tut grundsätzlich nur eine staatliche Behörde (insbesondere die Polizei) – in Ausübung ihrer Tätigkeit. Privatpersonen tun hingegen nur „anzeigen“.

    7. Fredy Künzler Says:

      Notiert seien noch „vergeigen“, „versiffen“ und „verhängen“ … alle im Jugendslang recht gebräuchlich 🙂

    8. Andrea Bürgi Says:

      Reichlich spät, aufgrund eines Helvetismus in der Zeitung, bin ich auf diese Seite gestossen. Haferkäse ist für mich eigentlich kein existierendes, geschriebenes Wort. Oder würde die deutsche Variante davon Hafenkäse heissen. Wir haben keine Lösung gefunden, das Wort allerdings im Tages-Anzeiger von heute.