Wenn der Esel am und der Ochs vorm Berg steht — Wie erkennt man einen Schweizer an seinen idiomatischen Wendungen?
(reload vom 3.11.06)
Jeder, der sich schon einmal mit dem Lernen von Sprachen beschäftigt hat, weiss, dass es da ausser Grammatik und Vokabular noch eine weitere Ebene gibt, die extrem schwierig zu lernen ist. Man lernt sie automatisch mit der der eigenen Muttersprache, oder lernt sie unbewusst passiv durch ausgiebige Lektüre. Die Rede ist von „idiomatischen Wendungen“, von Sprichwörter und Redensarten. In der Schweiz wird das in der Schule gelehrt und gelernt.
So wurden wir Zeuge, wie Berufschüler in der S-Bahn von Zürich sich morgens gegenseitig die Bedeutungen von „Morgenstund hat Gold im Mund“ (das Leitmotiv der Zahnärzte), „Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht“ und „Die Axt im Haus ersetzt den Ehemann“ abfragten, wie Englisch oder Französisch-Vokabeln. Sie lernten dies für den Deutschunterricht. Eine Prüfung dazu war angekündigt worden. Sie tun gut daran, sich in diesen idiomatischen Wendungen fit zu halten, denn ohne diese Formulierung versteht man heute keine Zeitung und keine Nachrichtensendung.
(Quelle Foto: fraema.it)
Doch Vorsicht: Jedes Land im deutschsprachigen Europa kennt da eigene Varianten. Ochs und Esel zum Beispiel, aus der Weihnachtsgeschichte nach Matthäus allen bekannt, machten sich auf nach Europa, und kamen zu den Alpen, wo sie stehen blieben. Der Ochs stand „vorm Berg„, und der Esel „am Berg„.
Google kennt 88 Belege für „wie der Esel am Berg“. Unser Variantenwörterbuch aus dem DeGruyter Verlag meint zum Stichwort Berg:
*[dastehen] wie der Ochs vorm Berg AD;
*dastehen wie der Esel am Berg CH (salopp) „verdutzt, ratlos [sein]; mit einer Situation überfordert [sein]. Betreten sass der Junge da wie der Ochs vorm Berg (OÖN 3.3.2001, 16;A); Oft stehen wir da wie der Esel am Berg, wenn wir ausländische Gäste etwas über unser Land erzählen müssen (TA 20.8.1006, Internet; CH);
Nun gilt es noch herauszufinden, wieso es zu dieser feinen Differenzierung kam. „Ochs vorm“ ist ein Binnenreim mit doppeltem „O-Laut“. „Esel am Berg“ hingegen, da werden wir nicht schlau draus. Vielleicht spielt da noch die zweite Bedeutung vom „dummen Esel“ mit hinein? Es lässt sich nicht endgültig begründen, warum die eine Formulierung in Österreich und Deutschland, die andere jedoch in der Schweiz üblich ist. Je nachdem, ob sie ihrem Text eine „Standarddeutschefärbung“ oder mehr den helvetischen Grundton geben wollen, sollten sie lieber den „Oxen vorm Berg“ oder den „Esel am Berg“ wählen. Nur sollten sie beide Redewendungen niemals mischen, also keinen „Oxen am Berg“ und keinen „Esel vorm Berg“ platzieren. Das ist Stilbruch, und fast so grausig wie „das schlägt dem Fass den Boden mitten ins Gesicht“ oder „der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum“. Knapp daneben ist eben meistens auch vorbei.
Dann gibt es da noch den berühmten Ausspruch Erich Honeckers vom 6. Oktober 1989, im Palast der Republik anlässlich des vierzigsten Geburtstags der DDR vorgebracht:
„Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“
(Quelle: FAZ vom 22.12.98, zitiert nach „Die DDR im WWW„)
Der äusserst lesenswerte FAZ-Artikel führt aus, dass dieser Spruch schon 100 Jahre mehr auf dem Buckel hat und aus einer Zeit stammt, als sozialdemokratische und christliche Weihnachten bitter in Konkurrenz zu einander standen.
Seit dieser Zeit müssen Ochs und Esel alles nur erdenkliche Aufhalten: Den Sozialismus, den Kapitalismus, den Kommunismus, aber auch die Globalisierung, und sie schaffen es nicht. 627 Belege finde sich bei Google. Sie stehen also quasi nicht mehr vor oder am Berg, sondern nur noch im Lauf, und halten dennoch nichts auf. Was für eine Wende.
Januar 11th, 2010 at 7:51
In meiner bayrischen Heimat haben wir als Kinder ein Spiel gespielt, bei dem sich ein Kind jeweils wegdrehte, einen kurzen Spruch sagte und dann wieder schnell umdrehte. Die anderen Kinder mussten sich von einer Startlinie nähern und sofort bewegungslos verharren, wenn das erste Kind wieder hersah. Sonst wurde man zum Start zurückgeschickt. In Bayern sagten wir jeweils „Ochs am Berg oans zwoa drei“. Meine in der Schweiz (AG) aufwachsenden Kinder spielen hier mit „Ziitig lese stopp“ Würde mich interessieren, wie das anderswo gespielt wird.
Januar 11th, 2010 at 22:59
Lieber Herr Wiese,
Ochs und Esel kommen weder in der Weihnachtsgeschichte nach Matthäus noch nach Lukas vor.
Gruss
marco
Januar 15th, 2010 at 21:09
Was ist eigentlich ein chilenischer Praesident, also Nachfolger Pinochets, der schon mal Praesident war, der jetzt nun ploetzlich Schweizer wird? Oder besser, wieder Schweizer?
…..Stutz, dr schnellschti wäg…….
Januar 16th, 2010 at 0:13
Kleiner Reim nach einem Werk von
Gottlieb Konrad Pfeffel (1736-1809)
Ochs und Esel
Ein Ochs und ein Esel stritten sich
Im Blog von Hr. Wiese um die Wette
Wer am meisten wohl Weisheit hätte
Aber keiner siegte, denn keiner wich.
Endlich kam man mühevoll überein
Dass ein Weiser, wenn er es wollte
Diesen dummen Streit beenden sollte
Denn wer konnte mehr klüger sein.
Ochs und Esel, liefen etwas gebücket
Vor des Weisen strahlenden Throne
Der mit einem leicht süffisanten Hohne
Auf diese Streithansel herunter blicket.
Endlich sprach die erhabene Majestät
Zum Esel und auch zu dem Farren
Ihr seid beide gleich große Narren
Sie gaffen erstaunt ob dieser Kapazität.
Fazit dieser arg seltsamen Geschichte
Die betroffenen, der Esel und der Farr
Machen jeweils „ha-ha“ und „har-har“
Streiten aber weiter, lauten die Berichte.