Kann man Haferkäse essen? — Etymologie eines Schweizerdeutschen Ausdrucks
(Reload vom 4.5.07)
Wer kennen „Haferflocken“, vor allem die aus Köln. Als Kind waren sie für mich eine frühe Art von „Müesli“, denn diese Schweizer Erfindung mit dem zusätzlichen „e“ nach dem „ü“ gab es erst ab den 80ern in den ersten Bioläden im Ruhrgebiet zu kaufen, und zwar als „Müsli“ ohne „e“. Vom Herrn Bircher-Benner und seinem kleinen Mus bzw. kleinen Mäusen hatten wir nichts mitbekommen, so hoch im Norden. Es gab ausschliesslich Kölnflocken mit Rosinen oder Nüssen, und natürlich viel Zucker. Damit es nicht so dröge schmeckt und die alkoholische Gärung im Darm so richtig in Gang kommt. Besagte „Kölnflocken“ kamen aber überhaupt nicht aus Köln am Rhein, sondern schrieben sich aber mit „ll“ und wurden von Peter „Kölln“ in Elmshorn hergestellt.
Der Legende nach reiste der Firmengründer Peter Kölln Anfang des letzten Jahrhunderts nach München. Ihm gefiel das blau-weiße Rautenmuster der bayerischen Flagge so gut, dass er auch seine Flocken aus Elmshorn in blau-weiße Packungen füllen wollte. Aber BMW war schneller und hatte die blau-weißen Rauten in seinem Logo schon verwendet. Peter Kölln wählte stattdessen die Farben Dunkelblau und Hellblau. Die Packung sieht seitdem viel schöner aus als der Inhalt, der gekochte.
(Quelle: goethe.de)
Sind das Haferflocken mit Käse? Das Wort entdeckten wir neulich in der City-Regionalausgabe Stadt Zürich des Tages-Anzeigers:
Die Stadt bewilligt nicht jeden Haferkäse
(Quelle: Tages-Anzeiger 02.06.07)
Das Wort findet sich in diversen Schweizer Beiträgen, Artikeln und Leserbriefen. Hier eine kleine Auswahl von Fundstellen:
„für jeden haferkäse wollt ihr gesetze und in einer anderen diskussion beschwert ihr euch über die drangsalierung des staates !!!“
(Quelle: www.baz.ch)
Ich wähle schon gar nicht mehr, weil der Kantonsrat mittlerweile überflüssig ist und wir über jeden Haferkäse abstimmen.
(Quelle: evp.nzzvotum.ch)
Sie müssen schon einen argen Haferkäse bringen und ein anderes Land etwas Bombastisches, um mich umzustimmen
(Quelle: hitparade.ch)
Dem Kontext nach muss es sich bei „Haferkäse“ um ein Synonym für „Mist“ oder „Unsinn“ handeln. Aber kann das schon alles sein? „Haferkäse“ wird vom Deutschen Rechtswörterbuch so erklärt:
Haferkäse:
Wohl eine Abgabe
(Quelle: lehre.hki.uni-koeln.de)
Doch bei der weiteren Suche tun sich plötzlich etymologische Abgründe auf, ungeahnte Querverbindungen zu Wörtern, die so gar nichts mit „Hafer“ aber mit „Hafen“ zu tun haben. Denn „Haferkäse“ steht nahe bei „Hafengeld“, das ist abgeleitet aus „Havarie“, ein Wort mit abenteuerlicher Geschichte:
Havarie […v…] die; -, …ien (über niederl. averij, fr. avarie aus gleichbed. it. avaria, dies aus arab. ‚awārīya „durch Seewasser beschädigte Ware“ zu ‚awār „Fehler, Schaden“;Bed. 2 wohl nach russ. avarija›
(Quelle: duden.de)
Der Fehler, der Schaden, das Schadensgeld, der Unsinn, der Mist. Passt doch alles wunderbar zum Schweizer „Haferkäse“, oder? Natürlich ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit, aber einmal mehr sehen wir, wie eng verzahnt die europäischen Sprachen und das Arabische sind. Auch das englische „Average“ ist unmittelbar aus dem „Hafengeld“ und der „Havarie“ abzuleiten:
average ‹engl.; : mittelmäßig, durchschnittlich (Bez. für Warenqualität mittlerer Güte).
Average der; – ‹aus gleichbed. engl. average, dies über mittelfr. avarie „Seeschäden,Hafengeld
(Quelle: duden.de)
Ist nun alles geklärt? Dann essen wir weiter Haferflocken und lassen die Finger vom Haferkäse, denn das Wort schmeckt uns zu sehr nach Seewasser.
Nachtrag:
Die ersten Kommentare erwähnen, dass neben „Haferkäse“ auch „Hafenkäse“ gebräuchlich ist. Ein „Hafen“ oder „Haferl“ ist im alemannischen-süddeutschen Sprachraum die Variante für „Topf“ (im Norden „Pott„). Die Verwendung bleibt sich ansonsten gleich, die Verwandtschaft zu „Hafengeld“ liegt ebenfalls nahe.
Juli 25th, 2011 at 9:00
JUCHHUI…der Jens Wiese isch widder daheime……..
Juli 25th, 2011 at 21:55
Eine tiefschürfende Analyse, aber ehrlich gesagt, ich halte Haferkäse für einen Druckfehler, zumindest in einer schweizerischen Publikation. Es ist allerdings möglich, dass Hafenkäse von einem älteren (?) Haferkäse abstammt und irgendeinmal „eingeschweizert“ wurde. Eine echte Verwandtschaft mit Haferkäse ist aber schon deshalb unwahrscheinlich, weil dieses eindeutig umgangssprachliche Wort in der Schweiz sonst Haberkäse lauten müsste. Zumindest dann, wenn man den Hafer wörtlich nimmt.
Hafenkäse erinnert mich ein wenig einen Kurzfilm von und mit Karl Valentin, in dem ein angetrunkener Vater seinem Sohn in einem gepflegten „Etablissement“ anlässlich von dessen Firmung eine Flasche Emmentaler anbieten möchte.
Noch etwas Grundsätzliches: Der eher sorglose Umgang der Deutschweizer mit ihrer Schriftsprache kann zur Annahme verleiten, jede Abweichung von der Standardsprache gehöre zum festen Bestand ihrer Schriftsprache. Für einen der Deutschweizer Dialekte nicht Mächtigen ist es natürlich nicht möglich zu erkennen, ob es sich bei einem Helvetismus um einen geläufigen und korrekten Ausdruck der hiesigen Schriftsprache handelt, oder aber um einen bloss versehentlich verwendeten Dialektausdruck. Beim Hafenkäse handelt es ich garantiert um Letzteres. Selbstverständlich kann ein Dialektwort oder eine entsprechende Wendung auch ganz bewusst gewählt werden, sei es, weil in der Standardsprache kein gleichwertiger existiert oder auch als Stilmittel. Dann gibt es noch die Typen, die es für besonders cool halten, wenn sie sich auch schriftlich möglichst schnoddrig ausdrücken. Am schlimmsten sind jene, die es gar nicht merken. Was unsere Journalisten betrifft, kann man ihnen in dieser Hinsicht in der Regel ein gutes Zeugnis ausstellen, finde ich.
Juli 26th, 2011 at 9:39
Brenno hat recht. Das Wort Haferkäse gibt es nicht. Es ist Hafenkäse, Käse aus dem Topf. Stinkend und schon lange nicht mehr produziert. Wurde im Topf gehalten zwecks besserer Haltbarkeit. Und eben scheusslich!!!!!
Juli 27th, 2011 at 20:04
Ich höre „Hafechääs“ auch ab und zu, verwende es aber selber nicht, genau aus dem Grund, weil ich gar nicht weiss was das eigentlich sein soll.
Juli 31st, 2011 at 16:50
@Peter
Der Ansatz hierzu hat sich bei der Erinnerung an meinem Lehrer ergeben, welcher in Momenten der größten Wut immer „Hafekäs“ zur äußersten Verneinung oder Ablehnung uäm. gesagt hatte. Er als Uralemanne aus dem südlichen Schwarzwald hat natürlich gewusst, was der sinnfällige Inhalt war: Ein alter, vergammelter, stinkender und kaum genießbarer Käse. D.h. somit sinninhaltlich: Das war, ist und wird nix!
Eine schöne Fundstelle im Grimm WB bezeugt dies: …..hafenkäsz, alter fauler käsz, so man stücklin von altem käsz in ein hafen zůsamen legt, und wein darüber schütt, und also läszt graaten und in einanderen faulen…..
Und hier ist die gewünschte Lösung: Dieser alte Käse wurde in einem „Hafen“ (also einem Topf/Teller/irdenes Geschirr uäm.) „aufgearbeitet“ und in einer neu „veredelter“ Form dann gegessen. Also ein Recycling vom alten, eigentlich schon verdorbenem Käse.
Etwa vergleichbar dem „Einbeizen“ vom alten und eigentlich bereits verdorbenem Fleisch. Daher die heurig gebräuchliche Bezeichnung „Beiz“ für eine einfache, billige und etwas herruntergekommene mitteleuropäische Garküche und Trinkstätte.
Hier ein insbesonders gewollter gourmetorientierter Lebensspruch, der aber dann wahrheitsgemäß beim schwäbischen Gourmand landet: „Nur nix verrecke lau“.
August 10th, 2011 at 12:40
Zum Vermeiden, dass die ganzen Nachforschungen in diesem Zusammenhang hier nochmals gemacht werden müssen, hier noch der Original-Beitrag mit all seinen Kommentaren:
http://www.blogwiese.ch/archives/600
August 10th, 2011 at 14:05
e andersch schmankerl san die berühmde (H)erdöpfel HAR HAR
August 11th, 2011 at 9:16
Danke AnFra und Phipu. Hafenkäse könnte also auch Quark sein. Und von Quark ist es nicht mehr weit von Quatsch. Da baben wir die Verbindung!