Ende letzten Jahres (in der Schweiz „Ende Jahr“) berichtete der Tages-Anzeiger über eine Masterarbeit der Psychologin Gabriela Suter, welche die Probleme bei der Zusammenarbeit von Deutschen und Schweizern zum Thema hatte. Die Ergebnisse finden wir höchst spannend:
„Die Deutschen wollen Klarheit, die Schweizer brauchen Zuhörer“
„Der Der ewige Kampf mit den Deutschen. Arrogant seien sie, heisst es. Und besserwisserisch. Und vorlaut. Die Schweizer dagegen: langsam, unklar und des Hochdeutschen nicht mächtig.”
(Tages-Anzeiger vom 31.12.2011, alle Zitate von hier)
Es stimmt, dieses Vorurteil hält sich hartnäckig, wenn auch bei der Frage, was denn nun eigentlich „arrogant“ sei, die Meinungen stark auseinander gehen. Hochdeutsch an sich sei schon arrogant, heisst es, weil es die Sprache des Lehrers für die Schweizer symbolisiert, der einen stets gemassregelt hat, wenn man sich in dieser Sprache ausdrücken musste. Was die Frage angeht, ob Schweizer des Hochdeutschen nicht mächtig sind, so sind wir ganz anderer Meinung: Es leben über 72 000 Schweizer in Deutschland, die sprachlich hervorragend assimiliert sind. Bruno Ganz wurde von uns nie als „Schweizer“ Schauspieler wahrgenommen, und zahlreiche seiner Schweizer Schauspielerkollegen haben Engagements an deutschsprachigen Theatern.
Es gibt mehr Verbindendes als Trennendes zwischen Deutschen und Schweizern
In ihrer Arbeit fragte sich Gabriela Suter:
„Worin besteht er aber denn genau, der oft genannte «kleine Unterschied» zwischen uns und den Deutschen? Und wie wirken sich die unterschiedlichen kulturellen Backgrounds auf die Teamarbeit in einer Unternehmung aus?“
Beobachtet hat es jeder schon einmal, aber mit wissenschaftlichen Methoden untersucht wurde es bislang noch nicht.
«Natürlich gibt es zwischen Deutschen und Schweizern mehr Verbindendes als Trennendes», sagt Suter. Dennoch beinhalte derselbe Sprachraum keineswegs dieselbe Kultur.
Hinzu kommt, das es auch innerhalb Deutschlands einen stark variierenden Sprachraum gibt, mit sehr unterschiedlicher Kulturen. Ost-Kultur gegen West-Kultur, kühle Hanseaten gegen bierselige Baiern (damit auch „Protestantismus vs. Katholizismus“), fröhliche Rheinländer versus sture Westfalen, diese und viele weitere Unterschiede machen jede Verallgemeinerungen sehr schwer. Deutschland ist eine Industrienation, Urlaubsland und Agrarland in einem, je nachdem wohin man schaut.
Die Eigenschaften, die uns trennen, führt Suter auf die Spezialisierung der Wirtschaft zurück, was vorhergehende Studien bereits belegt haben. Während in der Schweiz der Dienstleistungssektor stärker ist und so der direkte Kontakt mit Menschen dominiert, ist Deutschland ein traditionelles Industrieland.
Diese Untersuchungen würde ich gern einmal lesen, denn ich kann nicht nachvollziehen, dass sich in dieser Hinsicht Deutschland und die Schweiz stark unterscheiden. Natürlich gibt es prozentuel weniger Schwerindustrie in der Schweiz, aber hochspezialisiert produziert wird im Grossraum Zürich, Basel und Lausann-Genf genau wie im Musterländle Badenwürttemberg oder in Bayern nebendran.
Partizipativer Führungsstil vs. Kasernenhofton
«Deutsche orientieren sich eher an einem direktiven, Schweizer mehrheitlich an einem partizipativen Führungsstil», kommt Suter zum Schluss. Der Schweizer strebe demnach auch nach mehr Autonomie am Arbeitsplatz. «Der Deutsche ist eher gewohnt, von oben organisiert zu werden beziehungsweise zu organisieren.» Dies schlage sich auch im Handeln nieder. «Deutsche wollen bei einer Problemlösung schnell Klarheit und auf den Punkt kommen – Schweizer suchen erst ein gemeinsames ‚mentales Modell‘, also eine gedankliche Übereinkunft, wie die Frage zu verstehen sei, bevor es zur eigentlichen Problemlösung kommt.»
Konsenskultur mit partizipativen Elementen in der Schweiz, und zentralistischer Kasernenhof Führungsstil in Deutschland. Haben wir das nicht schon immer gewusst?
Deshalb, so Suter, agieren Schweizer und Deutsche extrem gegensätzlich: Die Deutschen warfen in ihrer Studie gleich zu Beginn der Debatte eine Lösung in die Runde; bei den Schweizern kam der erste Lösungsansatz erst in den letzten 20 Prozent der Diskussion. «Schweizer schauen zuerst, dass alle auf einer Ebene sind, um dann einen Kompromiss zu finden», erklärt Suter. Die Deutschen würden zuerst die Lösung präsentieren und diese dann verteidigen. Habe sich eine Lösungsvariante durchgesetzt, würden sie die Zeit nutzen, um die Idee auszuformulieren, während Schweizer zum Schluss eine eher vage formulierte Lösung vorlegten.
Nicht auf den Punkt zu kommen macht einen Deutschen ganz wahnsinning
Es ist genau diese „vage formulierte Lösung“, die die Deutschen dann in die Verzweiflung treibt, weil sie gern genau wissen, wo so dran sind und was Sache für sie ist.
«Da aber bei den Schweizern gedanklich alle auf einem Level sind, kann der Einzelne daraus das weitere Vorgehen für sich ableiten.» Dem Deutschen jedoch, der vor allem seine Meinung äussern und diese vertreten will (und weniger dem anderen zuhören möchte), entgeht dabei, wie die gemeinsame Lösung und das weitere Vorgehen aussehen. Suters Fazit: «Deutsche haben ein Hör-, Schweizer ein Sprechhandicap.»
Oder anders formuliert: Deutsche sind nicht auf Konsens gepolt, sondern haben eher gelernt, mit allen Mittel ihre eigene Überzeugung gegen alle Widerstände durchzusetzen.
Wer kann besser zuhören? Der Deutsche oder der Schweizer?
Eine weitere Ursache für Konflikte am Arbeitsplatz liege darin, sagt Suter, dass Schweizer beleidigt seien, weil die Deutschen ihnen nicht zuhörten. Deutsche hingegen fühlten sich gemobbt, weil sie meinten, nicht genug informiert worden zu sein. Der Grundstein für dieses Verhalten wird meist schon in der Erziehung gelegt. So zählt in Deutschland Durchsetzungsvermögen zu den wichtigsten Erziehungszielen. In der Schweiz strebt man laut Suter dagegen in erster Linie nach gutem Benehmen und korrektem Auftreten. Dies lasse sich auf das Arbeitsverhalten übertragen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass auch in Deutschland „gutes Benehmen“ und „korrektes Auftreten“ zu den klassischen Erziehungszielen gehört. Wer die nicht beherrscht, wird in der Wirtschaft und in der Gesellschaft unweigerlich scheitern. Es wird z. B. wesentlich länger gesiezt als in der Schweiz, und weil der Umgang miteinander direkter und knapper ist, bleibt er dennoch immer korrekt. Es bleibt alles eine Frage der Wahrnehmung, wie ein Schweizer den Deutschen im Alltag erlebt: „Freundlich und offen“ und „aufdringlich direkt“ kann ein und dieselbe Person sein, von einem Schweizer oder einem Deutschen wahrgenommen.
Während der Schweizer gerne zu langen Epilogen ausholt und sein Fachwissen ausbreitet, damit auch jeder alles versteht und niemand übergangen wird, sitzt der Deutsche da und wartet darauf, dass sein Gegenüber endlich auf den Punkt kommt. Sehr konkret sei das in einer eigentlichen Schweizer Gruppe zu beobachten gewesen, in der ein Deutscher sass, der schon länger in der Schweiz lebt. «Während die Schweizer sich des Langen und Breiten über eine Thematik ausliessen, sass der Deutsche gelangweilt daneben und schaute sich im Raum um.»
Wer sich nicht anpasst, kommt nicht zum Ziel in der Schweiz
Ich möchte daraus nicht ableiten, dass „Gutes Zuhören“ etwas spezifisch Schweizerisches sei, das den Deutschen abgeht. Wer jedoch eigene Durchsetzung und „schnelles auf den Punkt kommen“ schätzt, muss als Deutscher in der Schweiz erheblich dazu lernen. Es braucht eine Weile, bis man zum Thema kommt, und wenn wir uns nicht an die lokal üblichen Kommunikationsformen anpassen, ist sehr schnell Ende mit der Kommunikation. Jedes Gespräch mit einer Versicherung am Telefon oder mit einer Behördenvertreter auf dem Amt ist zum Scheitern verurteilt, wenn man als Deutscher auf seine sachlich richtigen Argumente besteht und sie auf Teufel komm raus durchdrücken will.
Ob es deswegen wirklich „Welcome“ Kurse braucht, oder man nicht mit ein wenig Offenheit und Sensibilität das selbst erkennt, möchte ich anzweifeln. Gutes Zuhören können kommt jedenfalls immer gut, nicht nur in der Schweiz.