Pfefferminze, Peppermint, Spearmint oder Swissmint?

Oktober 3rd, 2013

(reload vom 22.4.06)

  • Nicht Wrigleys Spearmint sondern Swissmint
  • Als wir die Bezeichnung „Swissmint“ das erste Mal lasen, musste wir an die Kaugummi Werbung für „Wrigleys Spearmint“ denken. Wie schmeckt wohl Swissmint? Etwa nach Schweiz? Präzise blumig und kühlich-käsig auf der Zugenspitze und mit einer zarten Schoko-Nougat-Blume im Abgang?

  • Mint heisst nicht nur Minze
  • Mint heisst „Minze“, wir kennen es vom Kaugummigeschmack Peppermint = Pfefferminz. Versuchen Sie Swissmint aber lieber nicht in den Mund zu nehmen um darauf rumzukauen. Sie beissen sich daran nur die Zähne aus. Denn diese „Mint“ ist eine „Münz„, und hinter „Swissmint“ verbirgt sich nichts anderes als die altehrwürdige Schweizer Münzstätte. Sie änderte 1998 ihren Namen:

    Die swissmint ist die offizielle Münzstätte der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den meisten wohl besser bekannt als Eidgenössische Münzstätte oder einfach „Münz“. Seit dem 1. Januar 1998 ist die traditionsreiche Institution eine selbständige Einheit der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Der neue Name signalisiert Aufbruch. Er steht für ein modern geführtes Unternehmen, das mit seinen Produkten und Dienstleistungen neue in- und ausländische Märkte erschliessen will. Die swissmint beschäftigt 21 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
    (Quelle: swissmint.ch)

    Die Schweizer Münzstätte
    (Foto: www.swissmint.ch)
    So modern, dass die Homepage gleich auch auf Englisch und Französisch angeboten wird. Das Tessin und die Räto-Romandie wird von dieser „traditionsreichen Institution“ auf der Website jedoch totgeschwiegen. Nur die Pressetexte gibt es auch auf Französisch und Italienisch. Wo bleibt die Fassung auf Ladinisch, Puter, Vallader, Sursilvan, Sutsilvan, Surmiran und Furlanisch? Oder wenigstens auf Rumantsch Grischun?

  • Was soll aufgebrochen werden?
  • Der neue Name „signalisiert Aufbruch„. Was wir darunter zu verstehen haben? Soll der Tresor mit den Goldvorraten der Schweiz aufgebrochen werden? Den haben sie doch erst kürzlich geleert, um die Vorräte zu versilbern und gerecht zu verteilen. Oder ist das nicht wörtlich zu nehmen? Will die swissmint tatsächlich grundsätzlichen Neuerungen bei den Schweizer Münzen wagen? Wenn man bedenkt, dass in der Schweiz noch 10-Rappen-Münzen aus dem Jahre 1879 (!) im Verkehr sind (vgl. Wiki).

  • Warum hat die swissmint einen englischen Namen?
  • Ganz einfach. Die Schweiz ist ein viersprachiges Land: Französisch, Italienisch, Rätoromanisch und Deutsch Schweizerdeutsch sind die offiziellen Landessprache. Darum heisst diese Anstalt für die Münze auch „swissmint„. Was daran jetzt einfach sein soll? Nun, anstatt vier Namen in vier Landessprachen zu erfinden, die viel Platz auf dem Schild benötigen, braucht es nur einen einzigen, und der ist Englisch, weil das alle verstehen. Warum das allerdings immer auch noch die Kleinschreibung erfordert, ist uns schleierhaft. Vielleicht um deutlich zu machen: Obacht, wir halten uns auch bei der Schreibweise daran: Das ist ein englischer Begriff!

    Gleiches können wir beobachten bei der halbstaatlichen Fernsehgebühren-Eintreib-Gesellschaft „Billag„, eigentlich Bill AG, die ihren Namen nicht von der Englischen Abkürzung von Willhelm „Bill“ Tell hat, sondern ganz profan „the bill = die Rechnung“ bedeutet.

    Wenn es knifflig wird in der Schweiz, wenn man keine der offiziellen Landessprachen bevor- oder benachteiligen will, dann wählen die Schweizer gern einen englischen Namen.

  • Gesucht wird ein neuer Name für das Bundeshaus in Bern
  • Cablecom ist noch so ein Beispiel (Kabelnetzanbieter für Telefon, Internet und Digital-TV) oder Swisscom (Telefon). Die deutsche Telekom schreibt sich übrigens ganz konservativ mit „k“ und nicht „c„, dafür wimmelt es von Anglizismen wie „Long-Distance-Call“ und „City-Call“ auf der Abrechnung der Telekom. Deswegen wurden in Deutschland schon Prozesse geführt, weil Kunden in einem Vertrag mit einem deutschen Unternehmen in Deutschland ein Recht auf deutschsprachige Dokumente haben. Bei soviel Kleingeist kann ich nur sagen: „Take your handy and come to Switzerland, before the English goes you on your biscuit…“

    Das Bundeshaus in Bern soll demnächst auch umbenannt werden. Gesucht wird ein Namen der kurz, präzise und auf Englisch sein sollte und den jeder ohne Anstrengung aussprechen kann. Ausdrücklich soll der Name die Hauptbeschäftigung der Parlamentarier, die vielen „Sitzungen“, und der permanente Prozess der „communication“ beinhalten. Wir hätten da auch gleich einen klasse Vorschlag als Namen für das Bundeshaus: „Sitcom“.

    Was ist ein Chlöpfer? — Klopfer ist der Freund von Bambi

    Oktober 5th, 2011

    (reload vom 18.6.07)

  • Klopfer ist der Freund von Bambi
  • Den ersten Kinofilm, den ich im zarten Alter von 10 Jahren in Bochum-Hamme an der Dorstenerstrasse ohne Begleitung in der Sonntagsmatinee sah, war „Bambi“ . Es kostet 2.50 DM in der Loge mit Polstersitzen oder 1.50 DM im Holzparkett. Der Tod von Bambis Mutter bewegte mich unendlich:

    Filmgeschichte schrieb die Szene, in der Bambis Mutter stirbt. Hier arbeiteten die Filmemacher mit der sogenannten Off-Camera-Technik: Der Tod von Bambis Mutter wird nicht im Bild gezeigt, ebensowenig der Jäger, der sie erschießt. Gerade deshalb hat er sich wohl jedem, der Bambi als Kind im Kino sah, so unvergesslich als früher „Kinderschock“ eingeprägt. Diese Szene wurde im Juli 2004 vom englischen „Total Film Magazine“ auf Platz 6 der 50 Top Movie Death Scenes (Die 50 berühmtesten Filmtode), (…)
    (Quelle: Wikipedia)

  • Der Chlöpfer ist bedroht!
  • Es folgten weitere sonntagmorgendliche „Godzilla vs. King Kong“ Filme, aber am besten von allen Filmhelden blieb mir Bambis Freund in Erinnerung.
    Klopfer ist Bambis Freund

    Er hiess „Klopfer“, und trommelte mit dem Pfoten mächtig auf den Boden. Schweizer Kinder werden ihn 1964 bzw. 1973 bei der Wiederaufführung nur als „Thumper“ in der untertitelten Version erlebt haben. Falls doch eine schweizerdeutsche Fassung synchronisiert wurde, mutierte er sicherlich zu „Chlöpfer“. Und so verwandelt fand ich ihn wieder, Bambis Freund, in einem Artikel des Tages-Anzeigers mit dem angsteinflössenden Titel:

    „Der Cervelat, wie wir ihn kennen, ist bedroht“
    (Tagi 09.06.07, S. 25).

    Nein, es ging nicht um ein „Reservat“ im tropischen Regenwald, auch wenn viel von Brasilien, Uruguay und Argentinien in dem Artikel die Rede war.
    Chlöpfer ist eine Wurst
    (Quelle Foto: ernestopauli.ch)

    Es ging um die Wurst, bzw. die brasilianischen Rinderdärme, aus denen das 100% schweizerische Qualitätsprodukt „Schweizer Cervelat“ hergestellt wird:

    Seit dem 1. April 2006 darf brasilianischer Rinderdarm nicht mehr importiert werden – weder in die EU noch in die Schweiz, die via ein Abkommen an die EU-Praxis gebunden ist. Schuld am Einfuhrverbot ist die Rinderseuche BSE. Weil die Brasilianer Präventionsvorschriften der EU nicht eingehalten haben, wurde den dortigen Farmern die Zulassung entzogen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 09.06.07)

    Nochmal ganz langsam: Die EU straft Farmer in Brasilien und in der Folge haben die Schweizer ein Problem mit der Wurst, denn:

    Rinderdärme aus Argentinien sind zäh weil fettig, ausserdem würde der Cervelat damit viel zu dick. Jene aus Uruguay machen den Chlöpfer zu krumm, und die Schweizer Därme platzen zu schnell.

    Und wir glaubten bisher, nicht der Cervelat würde zu dick, sondern der Schweizer, wenn er zuviel Wurst ist. Wenn sich Bambis Freund krumm machen soll, und die Därme der Schweizer dabei platzen, dann klingt eher nach einem unappetitlichen Splatter-Movie als Wurstwarenkonsum. Doch Chlöpfer kann, in der Mehrzahl auftretend, noch viel mehr in der Schweiz.

  • Chlöpfer machen Musik
  • Durchstreift man die 2‘340 Fundstellen für „Chlöpfer“ bei Google-CH, so sind viele von ihnen sehr musikalisch, meistens in Guggenmusiken wie die „Mägi-Chlöpfer aus Mägenwil. Oft sind Chlöpfer nur in der Adventszeit aktiv, wenn sie die grossen Treichler Glocken und Peitschen schlagend durchs Dorf ziehen, wie die Trychler Chlöpfler in Malters.

  • Chlöpfer kann man auch trinken
  • Am Zürichsee gibt es einen Schaumwein, der so richtig pochend-klopfende Kopfgefühle bereitet, daher der Name „Zürichsee-Chlöpfer“.

  • Chlöpfer können auch schiessen
  • Bei Bambi schiessen nur die Jäger, und Bambis Mutter wird erschossen. Bei einer Schweizer Schützengesellschaft entdeckten wir „Hobby-Chlöpfer“, die mit dem Sturmgewehr 90 klopfen.

  • Chlöpfer saufen auch Benzin
  • Zuletzt entdeckten wir den Chlöpfer unter vielen anderen Schweizer Fahrzeugen mit zwei Rädern:

    e Zwiback-Frääsi, en Affe-Ständer (Harley), en Arschbagge-Vibrator, en Bibelforscher-Traktor, en Blöff-Töff (Harley), en Böögge-Stuel (BMW), en Chlöpfer, en Füür-Stuehl, en Grad-uus-Töff (Harley), en Hobel, es Chlöpf-Schiit, es Guezli, es Rauchvelo, es Wäschpi (Vespa)
    (Quelle: Züri Slängikon)

    Ziemlich universal verwendbar, dieses Wort. Aber wenn „es chlöpft und tätscht“ in der Schweiz, dann sollte man lieber den Kopf einziehen.

    Mir ist so flau – da trink mal Flauder — Appenzeller Mineralwasser aus dem Wallis

    Juni 13th, 2011

    (reload vom 25.5.07)

  • Durch Zufall entdeckt
  • Am Anfang gefiel uns die hübsche Flasche und das dezente Werbeversprechen, hier ein Mineralwasser mit Holunderblüten und Melissengeschmack zu erwerben. So stiessen wir auf „Flauder“, so blumig wie „Flieder“ und so rasant wie Niki „Lauda“ ? Dann entdeckten wir den Geschmack und die einzigartige Schweizerische Erfolgsgeschichte dieses Getränks:

    Das Getränk entstand im April 2002 mehr oder weniger per Zufall: Auf der Suche nach neuen Geschmacksrichtungen wurde einem Holundergetränk irrtümlicherweise Melisse beigemischt. Der Geschmack von Flauder wird wie folgt beschrieben: «nach Blumengarten im Morgentau, nach der vergänglichen Magie eines Frühsommertages auf dem Land.»
    (Quelle: Wikipedia)

    Flauder Blütenquell

    War April 2002 nicht die Zeit, in welcher der Anbau und Genuss von Cannabis in der Schweiz wesentlich stärker toleriert und ausgeführt wurde, als heute? In dem die jugendlichen Berufsschüler im Zug von Bülach nach Winterthur noch täglich im Raucherabteil des Pendlerzugs die Haschischrauch Produktion anwerfen konnten, so dass für normale Reisende ein tiefer „Schnuuf“ im Raucherabteil genügte, um auch stoned zu werden? (vgl. Blogwiese)
    Egal, „Blumengarten im Morgentau“ klingt wie „Schwarzer Afghane“ oder „Roter Libanese“ . Doch keine Angst, Sie müssen nicht in einen Headshop gehen, um Flauder zu kaufen. Gibt es bei Coop.

    Produziert wird das Getränk von der Mineralquelle Goba in Gontenbad im Kanton Appenzell in der Schweiz. Besitzerin der kleinsten Mineralquelle innerhalb des Verbandes der Schweizerischen Mineralquellen und Softdrink-Produzenten ist Gabriela Manser, die den Betrieb seit 1999 in dritter Generation führt. Sie hat ihn erfolgreich modernisiert, verpasste den Flaschen moderne Etiketten und kreierte neue Geschmacksrichtungen.
    (Quelle: Wikipedia)

    Wahrscheinlich ist dieser Wikipedia-Eintrag lange nicht aktualisiert worden, denn Flauder wird auch von der Migros in Lizenz verkauft, nur stammt deren Abfüllung nicht mehr aus dem Kanton Appenzell sondern wird in Nedaz im Wallis abgefüllt, wie auf dem Etikett zu lesen ist:
    Flauder aus Nendaz
    (Quelle: andare.ch)

    Ein Migros-Mitarbeiter erzählte uns einmal, dass die Migros zunächst versucht habe, einen eigenen Blütentrank auf den Markt zu bringen, das Projekt aber dann aufgab und stattdessen in die Lizenzproduktion einstieg.

    Zur Erfolgsgeschichte von Flauder gehört die ursprüngliche Werbeidee:

    Dadurch, dass jeder Lieferung ungefragt eine Flasche Flauder beigelegt wurde, konnte sich das Getränk innerhalb kurzer Zeit und ohne Werbung im Getränkemarkt durchsetzen und wurde schnell zu einem Verkaufsschlager. Flauder und die anderen Produkte der Quelle werden vor allem in der Ostschweiz verkauft. Abnehmer sind Getränkehändler, Läden, Bars, Restaurants und Grossverteiler.
    (Quelle: Wikipedia )

    Demzufolge gehört Zürich jetzt wohl auch zur Ostschweiz, siehe dazu den Beitrag über das Schweizer „Morgenland“ vom letzten Montag.

  • Kein Flickflack sondern Flickflauder
  • Ein Flickflack ist ein „Handstützüberschlag rückwärts“, ein Flickflauder hingegen hat Flügel. Wir fanden die Erklärung der Herkunft des Wortes Flauder bei Wikipedia:

    Der Name Flauder stammt vom Wort Flickflauder, dem Innerrhoder Dialektausdruck für Schmetterling.

    Das Wort „Flickflauder“ wollen wir gleich mal bei Genial Daneben (Deutschland) einreichen. Mal sehen was für unfeinen Assoziationen das bei Hella von Sinnen & Co auslöst. Wahrscheinlich halten sie es für ein Regal von Ikea, oder für eine Stellung aus dem Kamasutra, was weiss ich.

    Unter der Woche heimfahren verboten — Der Wochenaufenthalter

    Juni 16th, 2010

    (reload vom 12.02.07)

  • Vom Einwohnermeldeamt zur Einwohnerkontrolle
  • Beliebte Deutsche Universitätsstädte wie z. B. Tübingen oder Freiburg im Breisgau kämpfen alle mit dem gleichen Problem: Viele Studenten sind zu faul, ihren „Hauptwohnsitz“ bei den Eltern in einen „Zweitwohnsitz“ umzumelden und sich beim zuständigen „Einwohnermeldeamt“, denn so heisst die „Einwohnerkontrolle“ in Deutschland, korrekt anzumelden. So leert sich das schwäbische Tübingen am Rande der Schwäbischen Alb jeden Freitag gegen 16:00 Uhr schlagartig und verringert seine Einwohnerzahl um einige tausend Bewohner, die erst am Sonntagabend aus Stuttgart und dem dicht besiedelten mittleren Neckarraum wieder eintrudeln. Eine typische Wochenend-Heimfahrer Uni eben.

    Wer jedoch „die überwiegende Zeit der Woche“ in einer Uni-Stadt zwecks Studium verbringt und nur am Wochenende heimfährt, muss diesen Ort gemäss Deutschem Meldegesetz als „Hauptwohnsitz“ angeben. Dahinter steckt die Not der Kommunen, nur für gezählte und registrierte Einwohnernasen vom Land oder Bund Zuschüsse zu bekommen. Wenn also 10‘000 nicht registriert und gemeldet sind, geht das richtig ins Geld. Es haben sogar schon Deutsche Gemeinden Prämien gezahlt für jeden Studenten, der sich ummeldet, um so einen Anreiz zu schaffen.

    In den letzten Jahren wollten viele Städte die Studenten mit Gutscheinen, Präsent-Tüten oder Begrüßungsgeld dazu bewegen, ihren Erstwohnsitz an den neuen Studienort verlegen. Die Idee kursierte vor allem in ostdeutschen Städten, die unter sinkenden Einwohnerzahlen litten. So gab es in Leipzig ab 1999 das Projekt „Zuzugsbonbons für Studierende“, bei dem jeder Student, der sich in der Stadt meldete, mit 49 Euro belohnt wurde.
    (Quelle: Spiegel-Online vom 13.02.07)

    Die Schweizer haben für diese Pendler ein hübsches eigenes Wort: Den „Wochenaufenthalter“. Es ist eine

    Wochenaufenthalter Person, die an den Arbeitstagen am Arbeitsort übernachtet und die arbeitsfreie Zeit (in der Regel Wochenenden) regelmässig an einem andern Ort (sog. Familien- oder Freizeitort) verbringt.
    (Quelle: steueramt.zh.ch)

  • Der Wohnort ist wichtig für die Höhe der Steuern
  • Da die Schweizer anders als die Deutschen in Deutschland nicht an jedem Wohnort gleich viel Steuern bezahlen, geht es bei den Eidgenossen weniger um entgangen Zuschüsse aus Bern als um das Recht seine Steuern dort zu bezahlen, wo man die Hauptwohnung hat und sich jedes Wochenende aufhält.
    Die Daten über die Wochenaufenthalter wurden in der Vergangenheit via Fragebogen erfasst. Eine Praxis, die auf berechtigte Kritik der Datenschützer trifft:

    Verschiedene Gemeinden unterbreiten Personen, die sich nur als Wochenaufenthalter anmelden, Fragebogen zu ihrem Aufenthaltsstatus. Diese Formulare enthalten teilweise Fragen, die weit über das hinausführen, was zur Abklärung der Steuerpflicht notwendig ist, wie z.B. Fragen nach den Gründen des Aufenthalts, der Art des Domizils (Wohnung oder Zimmer, möbliert oder unmöbliert), der Art des Zusammenlebens mit einer anderen Person (Konkubinat) und deren Personalien, dem Wohnort und den Personalien der Familienangehörigen, dem Ort des Wochenendaufenthalts, einer Vereinsmitgliedschaft, der Stellung im Beruf und dem Arbeitgeber.
    (Quelle: www.datenschutz.ch)

    Was die Vereinsmitgliedschaft und die Art des Zusammenlebens mit einer anderen Person mit der Steuerpflicht zu tun hat, fragten sich auch die Schweizer Datenschützer:

    Aus datenschutzrechtlicher Sicht sind in einer allgemeinen, d.h. alle Wochenaufenthalter betreffenden Erhebung nur Fragen zulässig, die mit der grundsätzlichen Beurteilung zusammenhängen, ob ein Wochenaufenthalter als Steuerpflichtiger in Frage kommt oder nicht. Das datenschutzrechtliche Problem liegt hier darin, dass es um eine Erhebung mittels Fragebogen geht, wobei von jeder Person alle Fragen beantwortet werden müssen. Dabei werden auch in einfachen Fällen klaren Wochenaufenthalts viele sehr persönliche Daten erhoben, die in dieser Menge nicht erforderlich sind; es findet gleichsam ein übermässiges Datensammeln auf Vorrat statt. Man könnte sogar durchaus von der Erstellung eines Persönlichkeitsprofils sprechen (§ 2 lit. e DSG), deren Zulässigkeit sich aus einer klaren gesetzlichen Grundlage ergeben müsste (§ 5 DSG).
    (Quelle: datenschutz.ch)

  • Zwischendurch heimfahren aus steuerrechtlichen Gründen verboten
  • Kompliziert wird es, wenn ein Wochenaufenthalter doch mal auf die verbotene Idee kommt, schon unter der Woche seine Lieben daheim zu besuchen. Rein steuerrechtlich darf er das nicht. So schrieb uns eine Leserin aus Solothurn zu diesem Thema:

    Inzwischen haben wir 2 Kinder, ein Haus, ein Zwangsferienstudio in Zweisimmen (mein Mann arbeitet dort und pendelt 2 mal die Woche zwischen Zweisimmen und Solothurn, 115 km). Er ist ein sogenannter „halber Wochenaufenthalter“, was für ein Wort! (…)
    Steuerlich gesehen muss man die ganze Woche dort bleiben, darf nicht mit dem Auto zwischendurch nach Hause fahren UND man muss sein „Domizil“ (auch so ein CH-erdeutsches Wort) mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Auto gilt nicht (lt. Wegleitung) Sowie ich es aus der Steuererklärung verstanden habe…
    (…)
    Und Pendeln ist zum Glück steuerlich erlaubt, da die Zeitersparnis über 1 Std. beträgt…. deshalb ist mein Mann eben kein Wochenaufenthalter, denn er unterbricht jeden Mittwoch seinen „Wochenaufenthalt“ ….
    (Quelle: Private E-Mail=

  • Leite mich auf dem Weg
  • Mit „Wegleitung“ meint die Leserin übrigens nicht jemanden, der sie aus dem Weg leitet oder sie „weg“ leitet. So nennen die Schweizer schlichtweg die Anleitung zum Ausfüllen des Steuerformulars. Man wird also hierzulande nicht „angeleitet“, sondern „weggeleitet“.
    Wegleitung zur Steuererklärung
    (Quelle Foto: Wegleitung zur Steuererklärung)

  • Und wie funktioniert das nun mit dem Wochenaufenthalt?
  • Ehrlich gesagt haben wir das auch noch nicht so richtig verstanden. Vermutlich muss dieser Deutsche entweder in Zweisimmen seine Steuern bezahlen, extrem niedrig und günstiger als in Solothurn, darf aber dafür unter der Woche nicht nach Solothurn zu seiner Familie fahren. Oder die Sache funktioniert anders herum, und er soll in Zweisimmen versteuern, will das aber nicht, weil Solothurn günstiger ist. Dann muss er nachweisen, dass er von Solothurn fünf Mal die Woche die 115 Km hin und zurück pendelt, mit der SBB selbstverständlich.

  • Und der Fragebogen?
  • Ob der gute Mann dieser Leserin den Fragebogen zum Wochenaufenthalter auch richtig und ehrlich ausgefüllt hat? Ob es Schweizer Steuerfahnder gibt, die am Mittwoch aufpassen, dass er nicht doch heimlich von Zweisimmen nach Solothurn fährt?
    Wir wissen es nicht, begreifen aber langsam, dass die Sache mit dem Schweizer „Steuerwettbewerb“ zwischen den Gemeinden ganz schön komplizierte Nebeneffekte produziert.

    Wie distanziert und verschlossen sind die Schweizer?

    Juni 7th, 2010
  • Die Schweizer scheuen den direkten Kontakt
  • In der NZZ am Sonntag vom 30. Mai 2010 schrieb Haig Simonian, seines Zeichens Schweiz-Korrespondent der Financial Times, über die Schweizer, die den direkten Kontakt scheuen:

    Die Schweiz geniesst unter Ausländern allergrösstes Ansehen. Während die Einheimischen auf Dinge wie Pünktlichkeit und Sauberkeit achten, schätzen Ausländer vor allem politische Stabilität, Wohlstand und Sicherheit. Doch in einer Hinsicht schneidet das Land nicht so gut ab: Die Schweizer gelten bei vielen Menschen als distanziert, ja verschlossen.

    An Erklärungen mangelt es nicht. Aussenstehende verweisen gern auf das Klischee von der Mentalität des Bergvolks, das, von der harten Natur geprägt, im Laufe der Jahrhunderte gelernt hat, nur den unmittelbaren Nachbarn zu trauen und Fremden gegenüber misstrauisch zu sein. Andere sprechen von der typisch «alemannischen» Arbeitsamkeit und Schwerfälligkeit, der man auch in Baden-Württemberg und Vorarlberg begegne.
    (Quelle für dieses und alle weiteren Zitate: NZZ am Sonntag vom 30.05.2010)

    Arbeitsamkeit ja, aber Schwerfälligkeit? Wie wäre dann das alemannischer Tüftlertum mit Daimler, Benz, Porsche oder der Uhrenindustrie zu erklären? Sicher nicht mit Schwerfälligkeit.

    Diese Klischees sind, wie jede Verallgemeinerung, im Detail natürlich unhaltbar. Vor allem ist die Schweiz nicht ein Land, sondern, nach Sprache und Kultur, mindestens drei. Das Image, sofern es überhaupt zutrifft, gilt also mehr für die Deutschschweizer als für den Rest des Landes.

    Immerhin stellt er hier fest, dass die Deutschschweizer nicht gleichzusetzen sind mit der ganzen Schweiz.

    Ich selbst würde sagen, dass sich die Verschlossenheit der Deutschschweizer typischerweise darin äussert, dass man den direkten verbalen Kontakt meidet und lieber schriftlich kommuniziert. Meine Einschätzung ist natürlich vollkommen subjektiv. Ich habe keine Analysen gelesen, keine Soziologen befragt, und vielleicht liege ich auch total daneben. Aber ich glaube eigentlich nicht.

  • Per Zettel kommunizieren ist einfacher
  • Wir können hier als bestes Beispiel die „Zettelkommunikation“ in der Waschküche anführen. Lieber zweimal neue Zettel aufgehängt als einmal beim Nachbar geklingelt und die Sache von Angesicht zu Angesicht besprochen.

    In keinem der europäischen Länder, in denen ich gelebt und gearbeitet habe (Deutschland, Italien, Frankreich und Grossbritannien), bin ich Menschen begegnet, die im persönlichen Umgang so gehemmt sind und gern Distanz wahren. Im Büro etwa bekomme ich täglich über hundert E-Mails, aber kaum jemand ruft an. Anderswo klingelte dauernd das Telefon.
    Das kann natürlich mit der technischen Entwicklung zusammenhängen. In den letzten sechs Jahren hat der E-Mail-Verkehr sprunghaft zugenommen. Dass in der Schweiz, einem hochtechnisierten Land mit grosser Breitbanddichte, die Leute lieber Mails schicken, als zum Telefon zu greifen, ist eigentlich kein Wunder. Vielleicht wollen manche einfach nur höflich sein und mir nicht zumuten, Deutsch zu sprechen (was ich kann), oder möglicherweise fühlen sie sich unwohl, wenn sie Hochdeutsch oder gar Englisch sprechen müssen.

    Wer in einem Büro sitzt, in dem Verkäufer damit beschäftigt sind, via Telefon ihre Ware oder Dienstleistung zu verkaufen, wird hier eine andere Beobachtung machen. Mails haben Telefonate tatsächlich weitgehend verdrängt, weil man seine Gesprächspartner sowieso nicht erreichen kann am Telefon, und irgendwann die Nase voll hat vom ständigen Nachrichten hinterlassen auf den Anrufbeantwortern, die in der Schweiz nur „Beantworter“ heissen, kurz und knapp.

    Doch ich glaube, es ist mehr. Nach sechs Jahren Schweiz bin ich überzeugt, dass vielen Deutschschweizern der direkte Kontakt unangenehm ist. Man schaue nur, wie viele von ihnen unfähig sind, auch nur den harmlosesten Smalltalk zu führen.

  • Nicht den direkten Kontakt aber die direkte Art scheuen die Schweizer
  • Aber seit wann ist denn ein Telefongespräch ein direkter Kontakt? Ich glaube nicht, dass den Schweizern der „direkte Kontakt“ unangenehm ist, jedoch die „direkte Kontaktaufnahme“, ohne Vorspiel, Ritual und langsames Herantasten an den Gesprächpartner.

    Ausländischen Mitarbeitern von multinationalen Unternehmen fällt die geringe Bereitschaft der Deutschschweizer auf, bei Sitzungen ihre Meinung zu sagen. Sie mögen klare Ansichten haben; sie behalten diese aber lieber für sich – aus Unsicherheit, aus Angst, anderen zu nahe zu treten, oder weil in ihrer Kultur der Konsens eine grosse Rolle spielt. Bei Ausländern kommt das leicht – und verständlicherweise – als Unfreundlichkeit, wenn nicht gar als Fremdenfeindlichkeit an.

    Klassische Schweizer Zurückhaltung par excellence. Nicht aus Angst, sondern weil man es nicht nötig hat, sich gross in Szene zu setzen. Suter hat dort darüber in seinen Business Class Glossen tolle Erkenntnisse geliefert, siehe hier.

    Tatsächlich ist das Bild komplexer. Den Klischees widerspricht beispielsweise die bemerkenswerte Offenheit in anderen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft, etwa die Akzeptanz von Ausländern auf Führungspositionen in Unternehmen, Universitäten oder Kultureinrichtungen.

    Dies hier beobachtete „bemerkenswerte Offenheit“ und „Akzeptanz von Ausländern auf Führungspositionen“ ist wunderbar beobachtet, aber falsch interpretiert. Nur weil beim ESC die Schweiz für Lena 12 Punkte schickte, heisst das noch lange nicht, dass Schweizer für Lena gestimmt haben (es waren eher die 260 000 Deutschen im Lande). Nur weil da Ausländer in Führungspositionen sitzen, heisst das noch nicht, dass sie akzeptiert sein müssen. Ich würde da eher von „aus der Not eine Tugend machen“ sprechen. Denn wenn sonst kein Kader im eigenen Land zu finden ist, der die notwendige Qualifikation und Erfahrung mitbringt, dann wird halt in Gottes Namen ein Ausländer akzeptiert. Und Gott ist ein Schweizer, das wissen wir seit langem.

    Ich weiss auch, dass dieselben Leute, die in ungewohnter Umgebung wenig kommunikativ und zugeknöpft wirken, in vertrauten Situationen ganz anders sein können. Historisch war das vielleicht ihr Bergdorf, heute dürfte es der Verein, der Klub oder das Quartier sein.
    In unserem Quartier organisieren die Nachbarn seit Jahren allsommerlich ein Strassenfest. Es ist eine rein private Initiative, unabhängig von der Stadt, ohne Bezug zu einer Partei oder einem Klub. Die Atmosphäre ist entspannt, die Leute reden miteinander und riskieren sogar, mit «Fremden» ins Gespräch zu kommen. Das alles ist höchst «unschweizerisch».

    Da sind wir wieder bei den alemannischen Schwaben und ihrer „Hocketse“ Feier einmal im Jahr. Da löst sich nach dem dritten Viertele schon die Zunge und es wird direkt und persönlich gefragt: „Henn Sii schoo geerbt? Henn Sii schoo gebaut?“ Alles doch nicht so anders als wie in der Schweiz, in Deutschland.