Kein Reinfall am Rii beim Rheinfall

März 10th, 2010

(reload vom 3.1.07)

  • Riifall oder Rhfinfali?
  • Im Winter hatten wir Besuch aus dem hohen Norden, und das war uns Anlass genug, die lokalen Drei-Sterne Attraktionen des Guide Michelins vorzuführen. Nein, nicht die Restaurants, sondern die sonstigen „absolut sehenswerten“ Orte, wie z. B. den Rheinfall von Schaffhausen, den Riifall von Neuhuuse und seit kurzem auch den Rhfinfali:
    Rhfinfali

    Dieses Hinweisschild zeigt deutlich, dass auch hier schon die Schaffhausener Flurnamenreform gewütet haben muss. Denn „en fin“ gab es enfin „im Fall“ einen Reinfall mit „Rh“, den RHFINFALI.

    Tatsächlich handelte es sich nur um einen Dummenjungenscherz von Gästen der nahegelegenen Jugendherberge. In der Schweiz würde man von „Nachtbuben“ sprechen, die sich hier einen Schabernack erlaubt haben, denn bei näherer Betrachtung sind die Tippex Spuren beim E zu F und L zu I deutlich erkennbar. Aber clever gemacht, denn wir waren ziemlich irritiert.

    Dass Schaffhausen nicht mehr am Rhein sondern am Rii liegt hatten wir neulich erst gelernt:
    Schaffhausen am Rii
    (Quelle Foto: Offizielle Schulkarte von Schaffhausen gis.sh.ch)

    Im Schaffhuuser Wald waren wir am Hübüel vorbei zum Rii gelaufen. Klasse Gegend, nur den „Riihirt“ (siehe auf der Karte links) konnten wir nicht sehen.

    Später fanden wir dann am Rheinfall noch dieses Schild:
    Rheinfall

    Das war die Version für die Deutschen. Ein paar Schritte weiter dann noch das Hinweisschild in leider für uns absolut unleserlicher Schaffhuuser Extrem-mundartlicher Schreibweise:
    Mundart am Rheinfall

    Die Touristen aus Hokaido, die mit uns dort Fotos machten, waren bereits in einem Schweizerdeutschkurs mit den Verschriftungsregeln von Höchstalemannisch vertraut gemacht worden, sie schienen alles wunderbar zu verstehen.

    Nur 216 Kubikmeter Wasser Abfluss pro Sekunden, statt den üblichen 600 m3 im Sommer. Wir sehen deutlich, der Rheinfall ist bald zu Fuss zu durchqueren.
    Rheinfall im Winter

    Für altertümliche Kinderwagen aus den Sechzigerjahren gilt am Rheinfall übrigens Fahrverbot, wie dieses Schild beweist:
    Fahrverbot für Kinderwagen

    Ob die Verantwortlichen in Schaffhausen den berühmten alten Kinderwagen aus dem Stummfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“ vor Augen hatte, der langsam eine Treppe hinabrollt, während rings um die Aufständigen erschossen werden?
    Kinderwagen Panzerkreuzer Potemkin

    Dieses Bild ist einer der am meisten zitierten Momente der Filmgeschichte und taucht sowohl in Woody Allens “Bananas“ als auch in Brian de Palmas “Die Unbestechlichen“ (und wiederum als Parodie auf dies Zitat in “Die nackte Kanone 33 1/3“) auf. Das sagt natürlich schon einiges über den Klassikerstatus von “Panzerkreuzer Potemkin“ aus, der auf allen Listen über “die besten Filme aller Zeiten ganz vorne zu finden ist.
    (Quelle: Highlightzone.de)

    Am Rheinfall hätte der Film nicht gedreht werden konnte, denn das Verbotsschild verhindert erfolgreich, dass je ein Kinderwagen die Treppen hinab zum Wasserfall rollen kann.

    Wie demokratisch ist Ihr Land? — Wie alt ist die Demokratie in der Schweiz und in Deutschland

    Februar 26th, 2010

    (reload vom 14.12.06)

  • Der Mythos von der Schweiz als „Wiege der Demokratie“
  • Die Schweiz wird oft als „Urdemokratie“ bezeichnet, als „Wiege der Demokratie“, die quasi seit ihrer Gründung im Jahre 1291 frei von Fremdherrschaft ist und von den Eidgenossen basisdemokratisch regiert wurde. Mit diesem Mythos räumt Walter Wittmann in seinem Buch „Helvetische Mythen“ (Frauenfeld 2003) gründlich auf.

    Die Schweiz ist eine junge Demokratie. Erst die liberalen Sieger des Bürgerkriegs von 1847/48 brachten ihre Forderungen durch. Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Freiheitsrechte. Die französische Revolution lieferte die liberalen Ideen, die amerikanische Verfassung das Modell des Zweikammersystems. Die Bundesverfassung von 1848 enthielt Ansätze zur direkten Demokratie, in den Kantonen setzte die demokratische Bewegung die Volkssouveränität durch.
    1291, im Geburtsjahr der Eidgenossenschaft, war von Demokratie nichts zu spüren. Es gab keine Versammlungs-, keine Niederlassungs-, keine Gewerbefreiheit. Keine kollektive Meinungsbildung, die zu demokratischen Entscheiden geführt hätte — das „Volk“ war nicht gefragt. Es führten Adel, ländliches Magnatentum und Geistlichkeit. Mythenzertrümmerer Walter Wittmann: „Daran änderte in der Regel auch die Landsgemeinde nichts, da dort nur ihre Vertreter wählbar waren. Es ist völlig verfehlt, die Schweiz, wie sie vor dem Einmarsch von Napoleon 1798 existierte, als Demokratie zu bezeichnen.“
    (zitiert nach: Schweizer Lexikon der populären Irrtümer von Franziska Schläpfer, S. 63)

  • Die Herrschaft des Volkes galt als etwas Anrüchiges
  • In Deutschland ist das Verständnis und die Akzeptanz von moderner Demokratie ebenfalls noch eine relativ junge Errungenschaft der Geschichte. Noch die Generation unserer Grosseltern hatte ein äusserst suspektes Verhältnis zum Begriff der „Demokratie“. Mit dem Wegfall des Deutschen Kaiserreiches zum Ende des 1. Weltkriegs brach für sie eine Weltordnung zusammen. Feudale Strukturen waren angenehm geordnet, einem nicht demokratisch sondern durch Erbfolge legitimierte Herrscher die Treue zu schwören und zu dienen galt als besondere deutsche Tugend. Demokratie war verschrien als „Herrschaft des Pöbels“, als Aufstand der Unterprivilegierten. Die junge „Weimarer Republik“ schaffte es bekanntlich nicht, die Prinzipien der Demokratie dauerhaft durchzusetzen:

    Das Vertrauen in die Demokratie und die Republik sank ungebremst. Die Republik wurde für die schlechte Wirtschaftslage verantwortlich gemacht, zumal die Reichsregierung im Verlauf des Jahres 1930 mehrfach neue Steuern erhob, um die Staatsaufgaben erfüllen zu können. Die Rufe nach einem „Starken Mann“, der das Deutsche Reich wieder zu alter Größe und Ansehen bringen sollte, wurden lauter.
    Auf diese Forderungen gingen besonders die Nationalsozialisten ein, die mittels gezielter Propaganda und der Konzentration auf die Person Hitlers ein solches Bild der Stärke suggerierten.
    (Quelle: Wikipedia zur Weimarer Republik)

    Diese Erfahrungen führt nach Ende der Naziherrschaft in Deutschland bei den Müttern und Vätern des Grundgesetzes dazu, eine Reihe von Sicherungen einzubauen, wie z. B. die „Fünf-Prozent-Hürde“:

    Sinn einer Sperrklausel dieser Art ist es, eine Konzentration der Sitzverteilung herbeizuführen, um stabile Mehrheiten zu fördern. Kritiker meinen, dies widerspräche allerdings dem Gedanken der Demokratie und dem Grundgesetz (Art 38 Abs. 1 GG), nach dem das Volk bestimmt und jede Stimme den gleichen Wert haben muss. Eingeführt wurde sie in Deutschland nach den Erfahrungen der Weimarer Republik, in der teilweise eine zweistellige Anzahl von Parteien im Parlament saß und es dadurch zunehmend erschwert worden war, eine tragfähige Regierungskoalition zu bilden. Die dadurch bedingte Situation trug angeblich mit dazu bei, dass die extremistischen Parteien am linken und insbesondere am rechten Rand der Gesellschaft verstärkten Zulauf erhielten
    (Quelle: Wikipedia)

  • Wenn der Präsident stirbt muss auch das Land bald am Ende sein
  • Wenn wir in den Aufzeichnungen dieser Generation lesen, dann hat diese Denkweise auch bei ihren Kindern, d.h. unserer Elterngeneration tiefe Spuren hinterlassen. Ein Beispiel: Als im April 1945 in Amerika Präsident Roosevelt stirbt und durch einen gewählten Nachfolger ersetzt wird, wurde dies von der deutschen Nazipropaganda als Beginn einer Niederlage des Feindes USA interpretiert, ohne Verständnis dafür, dass in einer Demokratie wie in den USA ein solcher Wechsel in der Staatsführung etwas ganz Alltägliches war. Immerhin brachte es Roosevelt auf vier Amtszeiten und wurde mit 12 Jahren als aktiver Regierungschef in der Geschichte nur von den 16 Amtsjahren (1982-98) Helmut Kohls überrundet.

  • Als der „Führerstaat“ kollabierte
  • Eine der eindrücklichsten Szenen im Spielfilm „Der Untergang“ zeigt Offiziere der Wehrmacht, die von Tod Hitlers erfahren hatte und nun in einem Bunker darauf warteten, dass russischen Soldaten hereinkamen. Welcher Befehl sollte dann ausgeführt werden? Alle Magazine in Richtung Tür leerschiessen und mit der letzten Kugel Selbstmord begehen. Ein Plan für ein Weiterleben ohne Führer war nicht vorgesehen. Selbständiges Denken und Handeln waren diese Befehlsempfänger nicht gewohnt. Sie kamen mir wie Kinder vor, die auf einem Spielplatz von ihren Eltern abgesetzt und nun vergessen worden waren. Das war 1945, also vor 61 Jahren. Demokratie musste erst gelernt werden in Deutschland, und die Abschlussarbeit zum Thema „Abstimmung mit den Füssen“ wurde in der friedlichen Novemberrevolution 1989 eingereicht.

  • Wie demokratisch ist Ihr Land?
  • Auf einer Studienreise in die Toskana verbrachte ich einen Tag in Florenz mit einem Amerikaner, einer Engländerin, einem Franzosen und einer Schwedin. Wir diskutierten angeregt über unsere Länder und kamen auf das Thema Demokratie zu sprechen. Jeder sollte, nach reiflicher Überlegung sagen, welchem der fünf Länder USA, Grossbritannien, Frankreich, Schweden und Deutschland er oder sie den höchsten Grad an „Demokratieverständnis“ zugestehen würde. Als Kriterium dafür galt für uns u. a. der mögliche Wechsel zwischen Regierung und Opposition, die gelebte Meinungsfreiheit, die freie und kritische Presse, die Einflussmöglichkeit des Volkes ausserhalb von Wahlen etc.

    Das Ergebnis war erstaunlich: Jeder von uns legte ein eindeutiges Bekenntnis dafür ab, dass er sein eigenes Land als das demokratischste Land von allen halten würde. Lag es an der mangelnden Ahnung über das poltische System und die Gesellschaft in den anderen Ländern? Selbst der Amerikaner hielt die heimische Demokratie für die fortschrittlichste. Seit diesem Tag weiss ich: Demokratie ist eine äusserst subjektiv wahrgenommene Angelegenheit.

    Ich lenke, also denke ich — Verwirrungen durch einen Schweizer Werbeslogan

    Februar 19th, 2010

    (reload vom 6.12.06)

  • Der Raclette-Stand auf dem Weihnachtsmarkt
  • Im Dezember 2006 fand in Bülach, der Lifestylemetropole des Zürcher Unterlands, ein schnuckliger Weihnachtsmarkt statt. Nein, es war natürlich eher ein „Weihnachtsmärt“. Bei dieser Mischung von vorne Hoch- und hinten Schweizerdeutsch erstaunt uns immer wieder die Konsequenz, mit der eben nicht einfach jedes Wort auf Schweizerdeutsch geschrieben wird. Google-CH findet „Weihnachtsmärt“ 6770 Mal , die „Wienachtsmärt“ Fundstellen sind dagegen vergleichsweise selten und mit nur 3690 Exemplaren deutlich in der Minderzahl. Wahrscheinlich wegen der Verwechslungsgefahr mit den Nächten in Wien? Wer weiss.

    Jedenfalls sahen wir dort auf dem Weihnachtsmarkt einen Raclette-Stand mit der deutlichen Beschriftung „Lenk dänk“ und wurden nicht schlau draus.

    Lenk dänk in Bülach

    Leider ist mir beim Fotoschiessen im Getümmel das „k“ am Ende nicht ganz mit aufs Bild gekommen.

  • Wer lenkt, der denkt?
  • Wir machten uns danach auf die Suche, was dieser hübsche Spruch „Lenk dänk“ wohl zu bedeuten hat und stiessen im Internet auf zahlreiche weitere Fundstelle:

    Lenk dänk im Militärsport

    (Quelle Foto: schweizer-soldat.ch)

    Aber wirklich begriffen hat wir diesen Spruch dadurch noch nicht. „Lenken“ und „denken“ gehören offenbar eng zusammen in der Schweiz, selbst beim Militär. Das Hirn des Autofahrers ist nicht weit vom Lenker entfernt, und manchmal denkt der Lenker auch selbst, wie wir in zahlreichen Unfallberichten gelesen haben, wenn ein „Lenker“ wieder einmal eine Kurve nicht gekriegt hat und ein „Bord“ herab stürzte oder in einen „Kandelaber“ fuhr.

  • Was der Spezialist dazu meint
  • So befragten wir einen Spezialisten des Schweizerdeutschen dazu und erfuhren, dass es da zwei Orte mit Namen „Adelboden-Lenk“ gibt, die allen Skifahrern wohl bekannt sind, und die mit einem pfiffigen Werbespruch seit vielen Jahren für sich werben:

    Der Dialekt-Werbespruch „Adelbode-Länk, dänk!“ ist schon Jahrzehnte alt. Gerade wegen seiner Kürze ist er besonders einprägsam. Es bedeutet sinngemäss ganz einfach, dass man „logischerweise“ in eben diesem Skigebiet Ferien/Urlaub macht.
    (Quelle: Private E-Mail)

    Das allein wäre uns als Nicht-Skifahrer nie aufgefallen. Ja, es gibt noch andere Menschen, die das Los unserer Freundin „Don’t mention the skiing“ Heather teilen und nicht alle Winterspororte der Schweiz kennen. Dafür kennen wir aber die besten Rodelpisten in Castrop-Rauxel, Recklinghausen und Wanne-Eickel. Sie nicht?

    Doch weiter in der Erklärung des Spezialisten:

    Das Wort „dänk!“ (wörtlich: „denke!“ oder vielleicht „denk nur, denk doch!“), das besonders Kinder oft brauchen, kann man sinngemäss am besten mit „natürlich“ oder vielleicht noch mit „doch“ übersetzen. Jedenfalls bedeutet es immer etwas, das doch logisch ist/sein sollte, wie in folgenden
    Beispielsätzen:
    Dass dis Auto fahrt, muesch zerscht Bänzin tanke – Das wäiss ich DÄNK! (Damit dein Auto fährt, musst du erst Benzin tanken – Das weiss ich NATÜRLICH!) „Du muesch DÄNK zerscht uf de Chnopf drucke, dass de Lift chunnt, susch chasch no lang warte! – Ich han DÄNK scho drü mal druckt!“ (Du musst DOCH erst den Knopf drücken, damit der Aufzug kommt, sonst kannst du noch lange warten! – Ich hab DOCH schon dreimal
    gedrückt!)

    Die Zürcher Aussprache ist eher „tänk!“, aber die Lenk befindet sich im Berner Simmental, Adelboden liegt im Berner Oberland, das wissen alle, die das Lied „Vogellisi“ kennen. Deshalb Berndeutsch: „dänk“.

    Die Zürcher haben dafür die Idee des „Think tank“ für sich in Beschlag genommen, eine „Denkfabrik“, die im Prinzip eher Schweizerdeutsch als „Dänk tank“ bezeichnet werden sollte. Die drei Schweizer Denkfabriken „Avenir Suisse“, das Gottlieb Duttweiler Institut und das Liberale Institut befinden sich im Kanton Zürich, aber soll ja nichts heissen. Wer viel schnurrt muss eben auch mal nachdenken.

    Wenn du die genervte Aussage „Das wäiss ich dänk!“ (Das weiss ich doch!) hören willst, dann gib mal mundartsprechenden Kindern in deiner Nachbarschaft einen Tipp, der sie als komplett intellektuell unterentwickelt darstellt. (z.B. „Weisst du, Wenn du dir die Augen zuhältst, kann ich dich trotzdem sehen.“)

    Man trifft diesen Ausdruck seltener ausserdem an, wenn man seine Meinung gepaart mit möglichen Zweifeln ausdrücken will im Sinn von „wohl“. Wie etwa hier: „Warum poschtet de Häiri gäng nur Büchsene und Fertigmönü? – Er chann DÄNK nöd choche.“ (Weshalb kauft Heinrich immer nur Dosen und Fertiggerichte ein?
    – Er kann wohl nicht kochen.)

    Wir werden uns die Floskel „DÄNK“ sogleich einverleiben und gelegentlich in unseren Redefluss einfliessen lassen, vielleicht links und rechts garniert von einem hübschen „IM FALL“ und einem „LÄCK“. Letzteres kenne wir ja schon von den Schleckstangen.

    Runden wir unsere Erkenntnisse ab mit dem Plan, die nächsten Wanderferien in Adelboden-Lenk zu verbringen, vielleicht im Februar? Denn Schnee fällt ja offensichtlich in den nächsten Monaten keiner mehr.

    Zum Schluss darum nochmal das Fazit unseres Spezialistenfreundes:

    Und wenn du nun noch immer nicht weisst, Wo man seine Ferien zu verbringen hat, schreit es dir die Werbung als natürliche Antwort, die ja jedes Kind wissen sollte, von den Wänden: „I der Länk, dänk!“ (In der Lenk, natürlich!)

    P.S.: Nein, für diesen Beitrag habe ich leider keinen dreiwöchigen Aufenthalt in einem Wellnesshotel in Lenk inklusive Skikurs gesponsert bekommen, snief.

    Deutscher Filz hält warm — Solidarität mit den benachteiligten Schweizer Uni-Mitarbeitern

    Januar 4th, 2010
  • Der Mann mit dem Filzhut
  • Kennen Sie Joseph Beuys ? Das ist der Mann mit dem Filzhut, internationaler bekannter und berühmter deutscher Kunstprofessor. Er hatte eine besondere Beziehung zu Fett und Filz, so die von ihm selbstgestrickte Legende, weil er nach einem Flugzeugabsturz über der Krim im Zweiten Weltkrieg von Tartaren gefunden, mit Filz und Fett gewärmt und wochenlang gepflegt worden sei.
    Joseph Beuys
    (Quelle Foto: WDR.de)

    Filz hält warm, das wusste schon Joseph Beuys. Filz an der Universität Zürich hingegen ist ein Problem für die SVP, zumindest wenn es sich um Deutschen Filz handelt. Sie startete eine Kampagne in der sie behauptet, dass sich an der Zürcher Uni und in den Spitälern „deutscher Filz“ breitmache. Klingt nicht nach kuschliger Wärme, sondern nach einem Problem, für die SVP jedenfalls.

    Schnell organisierten zwischen den Jahren die Professorinnen und Professoren der Uni Zürich und der ETH Zürich eine Gegenanzeige:

    Wir sind stolz auf den internationalen Ruf unserer Hochschulen und froh, dass exzellente Studierende und herausragende Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und vielen anderen Ländern bei uns tätig sind. Forschung und Lehre sind international, die Stärke unserer Hochschulen gründet gerade darauf, dies ernst zu nehmen. Wer sich abschottet, hat verloren. Die rassistische und fremdenfeindliche Rhetorik, Ideologie und Politik der SVP torpediert die Ausbildung unserer Jugend, setzt unsere Zukunft aufs Spiel, vergiftet unsere Gesellschaft und gefährdet das, was unsere Stadt und unser Land lebenswert macht: die freundschaftliche Nachbarschaft unterschiedlicher Kulturen. (Quelle: nzz.ch)

    Der Dekan der Philosophischen Fakultät der Uni Zürich, Prof. Dr. Bernd Roeck führt in einem Interview der nzz.ch dazu aus:

    Ich selbst habe immer wieder Schwierigkeiten, Schweizerinnen und Schweizer für meine Stellen zu finden. In einer jüngst aufgeschalteten Anzeige beispielsweise suche ich explizit nach Schweizer Assistierenden. Das wird aber schwierig, wie mir auch Kollegen bestätigen.
    NZZ: Was ist der Grund?
    Die Nachwuchsausbildung in der Schweiz ist noch ungenügend. Viele der wirklich guten Studierenden gehen nach dem Universitätsabschluss sofort in die Privatwirtschaft und nicht in ein Doktorandenprogramm. Das ist das eigentliche Problem.
    (Quelle aller Zitate: nzz.ch)

    Da soll es in der Schweiz sogar promovierte Juristen geben, die lieber Chemie-Firmen übernehmen sie in milliardenschwere Unternehmen verwandeln anstatt für die Forschung einzustehen. Vielleicht sollte man a.) die Uni-Jobs besser bezahlen, damit auch Schweizer sie machen wollen, oder b.) der Wirtschaft sagen, dass sie bitte noch ein paar Studierte für die Forschung übrig lassen mögen. Vielleicht hilft das ja.

    Zudem, und das ist ein zweiter wichtiger Punkt, gehen Schweizerinnen und Schweizer nur sehr ungern ins Ausland, um sich dort weiter zu qualifizieren. Auslandsaufenthalte sind aber beim Auswahlverfahren von Professoren ein wichtiger Punkt. Die Schweizer Studierenden bleiben nach dem Studium gerne in Zürich, sie lieben ihre Heimat, was ja auch nachvollziehbar ist. In Deutschland dagegen, da gibt es eine Masse von Studenten, die nach dem Studium nicht wissen wohin, und für diese ist die Schweiz eine attraktive Wahl.
    (Quelle: nzz.ch)

    Vielleicht könnte man ja einen Kantonswechsel (von Zürich nach Bern oder von Basel nach Zürich) bereits als „Auslandsaufenthalt“ werten, um den Schweizer Kandidaten auch eine Chance zu geben. Einen Sprung über den Röschtigraben nach Lausanne oder vielleicht ein Jahr im Tessin zählt dann einfach doppelt.

    Bernd Roeck sagt im Interview mit der NZZ weiter:

    Ich fände es auch völlig fehl am Platz, jemanden aus nationalen Gründen zu bevorzugen. Bei der Auswahl für eine Assistenzstelle oder für die Professur muss die Qualität des Bewerbers entscheidend sein und dann natürlich auch, ob man jemanden für diese Stelle findet.

    NZZ: Die Zahlen zeigen, dass in den letzten zwei Jahren an der Universität Zürich die Anzahl der Berufungen von Schweizern in Professuren leicht abgenommen hat, diejenige von Deutschen aber deutlich angestiegen ist.

    Natürlich gibt es viele Deutsche in der Schweiz, das hat sprachliche Gründe. Allerdings gibt es auch viele Schweizer, die in Deutschland unterrichten. Ich möchte anfügen, dass wenn ein Professor den Ruf aus Deutschland nach Zürich erhält, er oft ein hervorragendes Team von Kollegen aus vielen verschiedenen Ländern und nicht etwa nur aus Deutschland vorfindet. Es ist auch so, dass die Internationalität einer Universität gut ist für den Wirtschaftsstandort. Zudem ist die Professorenauswahl eine hoch kompetitive Angelegenheit und ich hätte Schwierigkeiten mit der Begründung, wir nehmen jetzt jemanden, weil er Schweizer ist und nicht, weil er der Beste ist.
    (Quelle: nzz.ch)

    Vielleicht verträgt sich diese „hoch kompetitive Angelegenheit“ nicht mit den an Zauberformel und Konsens gewöhnten Schweizer Bewerbern, die sich ausserdem noch sicherlich von der Militärzeit her kennen. Doch wie kann das sein, das jemand der Beste und nicht gleichzeitig Schweizer ist? Wurde vielleicht vergessen, das Label „Swiss Quality“ aufzukleben? Vielleicht gibt das dann bei der Stellenvergabe den richtigen Ausschlag.

  • Kauft Filz!
  • Nun denn, ich glaub ich gehe mir jetzt mal aus Solidarität mit den stellensuchenden Schweizer Universitäts-Mitarbeitern ein paar Filzpantoffel beim Schweizer Heimatwerk kaufen, „Made in Switzerland“. Nur echt wenn „Finken“ draufsteht, sonst billige Importware.

    Warum nicht eine „SwissLib“? — Neue Namen für eidgenössische Einrichtungen

    Dezember 11th, 2009

    (reload vom 19.10.06)

  • Die Franzosen machen es sich einfach
  • In Frankreich bekommt jede staatliche Institution den Namen „de France“, wie wir durch Massimo Rocchi lernen durften. So heisst die Nationalelf „équipe de France“, die staatlichen Wasserwerke „eau de France“, die Gaswerke „gaz de France„, die Elektrizitätswerke „électricité de France“ = EDF und so auch folgerichtig das Fussballstadion in Paris „stade de France“. Es war Vorbild für den Benennung des neuen Stadions in Bern als „Stade de Suisse Wankdorf“. Ganz neu ist diese Methode nicht, wir kennen sie bereits von „idée suisse“ als Namen für die Rundfunkanstalten (vgl. Blogwiese) .

    Sonst heisst die Regel in der Schweiz: Wenn es keinen einfachen französischen Namen gibt, mit dem alle gut leben können, dann nehme man im Zweifelsfall immer eine englische Bezeichnung. So kannten wir bisher:

    Swissmint (keine Kaugummiproduktion sondern eine Münzstätte)

    Swisstopo (keine Lottoannahmestelle sondern das Bundesamt für Landestopographie)

    Meteoswiss (der bekannte 26sprachige Wetterdienst)

    SwissMedics (Nicht der Interessenverband für die schrumpfende Anzahl Schweizer Ärzte gegen die massiv anwachsende teutonische Ärzteschaft, sondern eine Medikamentenkontrollstelle)

    HoppSwiss: Die Interessensvereinigung Schweizer Stabhoch- und Hochspringer, nicht zu verwechseln mit „HopeSwiss“ = Das Portal der Hoffnung, auch für Schweizer (www.HopeSwiss.ch ist tatsächlich noch zu haben!)

    SwissRe: Interessensvereinigung der rückkehrwilligen Auslandsschweizer

    Nun hörten wir im Herbst 2006, dass die „Schweizerische Landesbibliothek“ umgetauft werden sollte.

  • Wie nennt man eine Bibliothek?
  • In Frankreich stand man vor einigen Jahren vor einem ähnlichen Problem. Die gewaltige neu gebaute Universitätsbibliothek in Paris, ein Lieblingsprojekt von François Mitterand, der auch seinen Namen dafür zur Verfügung stellte, brauchte einen weiteren, griffigen Namen und wurde darum kurz und einfach „Bibliothèque nationale de France“ genannt. Kurz BnF, denn „doppelt gemoppelt“ hält besser. Zu „nationale“ gehört halt immer noch „de France“, denn es könnte ja sonst jemand diese Bibliothek einer anderen Nation zuordnen, nehmen wir an.

  • Viele Namen sind besser als einer
  • Dieser Pleonasmus liesse sich wunderbar auch in der Schweiz verwenden: Bibliothèque nationale de Suisse. Neu soll sie jedoch nur „Schweizerische Nationalbibliothek“ heissen, um sich an internationale Gepflogenheiten anzupassen. Auf Französisch heisst sie bereits heute Bibliothèque nationale suisse BN, auf Italienisch Biblioteca nazionale svizzera BN und auf die räto-romanisch Version wurde zu Gunsten der Englischen Version Swiss National Library SNL verzichtet, jedenfalls auf der Webseite. Biblioteca naziunala svizra (BN) wäre es sonst.

  • Warum nicht SwissLib?
  • Wir finden das alles viel zu sperrig und zu umständlich. Warum so viele Namen verwenden, wenn es ein griffiges „SwissLib“ auch täte? Oder ist diese Bezeichnung etwa schon von der föderalen Vereinigung Schweizer Liberale, den „Freisinnigen“, die nicht frei von Sinnen sind, gebucht? Nein, die heissen anders, aber „Swisslib“ ist schon vergeben als Bezeichnung einer mehrsprachigen Mailing-Liste die sich in ihrer Charta so definiert:

    Public
    Cette liste de discussion s’adresse à tous les spécialistes en information documentaire, qu’ils soient bibliothécaires, documentalistes ou archivistes, exerçant leur profession en Suisse. Les professionnels travaillant hors de Suisse sont bien entendu les bienvenus !
    Langue
    Les langues utilisées sur cette liste peuvent être indifféremment le français, l’allemand, l’italien ou l’anglais.
    (Quelle: )

    Es gibt diese Charta auch auf Deutsch, ganz klar. Wenn Sie nun versuchen, die deutsche Übersetzung zu finden, steht auf dieser Seite

    „Übersetzung folgt so rasch wie möglich“

    Also bleiben wir bei SNL und BN und SNB für Schweizer Nationalbibliothek. Die Schweizer Nationalbank SNB wird damit sicher kein Problem haben. „SB“ sollte man die Bibliothek lieber nicht nennen, denn das steht schon für „Selbst Bedienung“, und dann wären irgendwann keine Bücher mehr im Haus. Die Schildermaler werden es uns danken, wenn wie auch in Zukunft mehr zu schreiben haben als nur einen Namen.

    Noch ein paar highlights im Swiss-Land Schweiz:

    SwissAward:

    (…) ein Preis, der herausragende Persönlichkeiten auszeichnet, die durch Mut, Innovation, Kreativität oder Eigenwilligkeit in der Schweiz positiv aufgefallen sind.

    Warum gibt es nur extra einen Preis für sowas? Will man damit vielleicht einen Anreiz schaffen, weil da was fehlt?

    SwissMem: Das sind nicht die Schweizer Meisterschaft im Memory-Spielen sondern der Verband der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie)

    SwissLife: Schweizer Rettungsschwimmerverband

    Swisscontrol:
    Die fanden den Namen zu unhandlich und haben ihn gleich eingedeutscht in „Skyguide“.

    Und zum Schluss der unvollständigen Liste:
    Swissgrid: Nicht mit „SwissGrips“ zu verwechseln, den gibt es noch nicht auf Denglisch . Swissgrid steht für die Schweizer Landeskoordinaten.

  • Doch kein „Federal Executive Commttee“ als Bundesrat?
  • Nachsatz:
    Auf diese wunderbare Quelle wurden wir erst durch den Kommentar von Bürli aufmerksam:

    Keine englischen Namen mehr
    Neben der Vereinheitlichung hat die Arbeitsgruppe vor allem die Anglizismen der Bundesämter im Visier. So nennt sich das Bundesamt für Polizei nun Fedpol, die Eidgenössische Münzstätte heisst Swissmint, und das Bundesamt für Landestopografie liess sich in Swisstopo umtaufen.
    Künftig sollen solche Kreationen nicht mehr möglich sein. Darüber hinaus prüft die Arbeitsgruppe, das eine oder andere Amt zur Aufgabe des trendigen Namens zu bewegen. Das verlangt auch ein parlamentarischer Vorstoss von SP-Nationalrat Didier Berberat, der vom Nationalrat oppositionslos angenommen wurde. Nur so lasse sich vermeiden, glaubt Berberat, dass der Bundesrat demnächst «Federal Executive Committee» heisse.

    Die Landesregierung lässt sich den Frühlingsputz 25 Millionen Franken kosten – inklusive neues Briefpapier und der Überarbeitung der Internetauftritte. Langfristig dürfte sich die Vereinheitlichung allerdings auszahlen, indem nicht mehr jeder Amtsdirektor peppige Namen und fantasievolle Logos ausarbeiten lassen darf. So kann der Bund Jahr für Jahr sieben Millionen Franken sparen.
    (Quelle: tagi.ch)