Direkte Demokratie JA, direkte Kommunikation NEIN
(reload vom 26.11.06)
Eine der merkwürdigsten Eigenschaften von Schweizern, an die wir uns auch nach neun Jahren „Leben im anderen Kulturkreis“ nur schwer gewöhnen können, ist die Angewohnheit, jeder Art von direkter Kommunikation und Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen und wichtige wie unwichtige Dinge lieber per „Zettel-Proklamation“ zu diskutieren. Das beste Beispiel hierfür ist die viel zitierte gemeinsam genutzte Waschküche und die Waschküchenschlüsselübergabe-Ordnung oder -Einteilung, über die Hugo Loetscher ein feines Büchlein schrieb.
Wir haben in einem früher Beitrag über die Schweizer Waschküche berichtet, dass es sich gehört, auf dem Weg in die Waschküche stets einen Haufen Zettel nebst Heftzwecken und einem guten, wasserfesten Stift dabei zu haben, um an der dort üblichen Kommunikation teilzuhaben.
Per Zettel im Hausflur werden Sie in der Schweiz informiert, wenn etwas nicht in Ordnung ist, per Zettel wird man Ihnen, natürlich anonym, mitteilen, was man über sie denkt und sich nicht direkt zu sagen traut. Da sind die Schweizer sonst grosse Meister der direkten Demokratie, jeder sagt in zum Teil in offenen Abstimmungen auf dem Markplatz per Handzeichen seine Meinung, wenn es aber ans direkte miteinander reden geht, dann wird lieber zu Zetteln gegriffen.
Passiert es nur uns, weil wir hier als Deutsche in einer fremden Sprachgemeinschaft leben, dass vielleicht die direkte Kommunikation mit uns gescheut wird? Oder ist das etwas, von dem auch Schweizer berichten können? Vor Jahren hatten wir einen Kollegen, der zwar stets höflich Hochdeutsch mit uns sprach, mit allen anderen Schweizerdeutsch (Typ Ausgrenzer), die direkte Diskussion über kritische Punkte mit uns jedoch stets vermied.
Wir haben mit den Jahren den Eindruck bekommen, dass es in der Schweiz aus Gründen der Höflichkeit kaum möglich ist, jemanden offen seine Meinung zu sagen, und man darum lieber stets den indirekten Kommunikationsweg, z. B. via Zettel im Aushang, wählt. Eigentlich schade, denn dass die Schweizer tüchtig streiten können, wenn sie unter sich sind, sehen wir doch jeden Freitagabend bei Arena auf SF1.
Eine Ursache dafür, dass man in der Schweiz eher betont vorsichtig miteinander umgeht, meinen wir gefunden zu haben: Da das Land und seine Wirtschaft so klein ist, muss sollte man sich stets davor hüten, irgendwo „Leichen im Keller“ zu haben, mit Leuten im „Clinch“ auseinanderzugehen. Eigentlich eine Paradoxie, denn „to clinch“ heisst „sich umklammern beim Boxen“. Man hängt also fest aneinander, und kann gar nicht auseinander gehen bis der Boxrichter die Kontrahenten trennt.
Die „informellen Kreise und Drähte“ der Schweizer durchziehen alle Lebensbereiche, Firmen und Branchen. Der alte Spruch, dass jeder mit jedem auf der Welt über maximal 6 Personen bekannt ist lässt sich in der Schweiz sicherlich auf max. 1-2 Zwischenpersonen reduzieren. Darum werden hier bei Bewerbungen die persönlichen Empfehlungen und Beurteilungen von früheren Arbeitgeber auch viel genauer gelesen und höher in die Bewertung mit eingebunden als in Deutschland. Wehe Ihnen, da ist ein schwarzes Loch in Ihrem Lebenslauf, es muss sofort vermessen werden, und zwar sehr genau und gründlich!
Auch Kadervermittlungen, wie sich die „Headhunter“ in der Schweiz nennen, kennen sich untereinander und teilen sich Informationen über unliebsame Kandidaten gegenseitig mit. Die Branche schützt sich so nach aussen, sofern das überhaupt so „informell“ abläuft und nicht sowieso auf alte Bekanntschaften aus der Militär- oder Studienzeiten beruht.
Da hilft nur eins. Ändern sie öfters mal Ihren Namen! Oder die E-Mail oder Anschrift, was natürlich einen Umzug erforderlich macht. Kaum sind Sie im Nachbarkanton, kennt sie kein Mensch mehr. Neues Betreibungsamt, neues Glück.
Umziehen sollten Sie allerdings gar niemals nicht, wenn Sie vorhaben, eines Tages das Schweizer Bürgerrecht zu erwerben. Eine gewisse „Sesshaftigkeit“, sagen wir so ca. 12 Jahre am gleichen Ort, wird da schon erwartet:
Wer sich im ordentlichen Verfahren in der Schweiz einbürgern lässt, braucht eine Einbürgerungsbewilligung des Bundes. Der Bewerber muss hiezu folgende Voraussetzungen erfüllen:
12 Jahre Wohnsitz in der Schweiz (die zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr in der Schweiz verbrachten Jahre werden doppelt gerechnet);
(Quelle: enzian.ch)
„Hiezu“ fanden wir tatsächlich so geschrieben als Wort auf der admin.ch Seite. Ist das nun Schweizer Schriftdeutsch oder einfach nur ein Schreibfehler? Wir hielten es bisher für ein Dorf in Japan. Siehe „Hiezu„.
Februar 1st, 2010 at 12:51
Was ist das ideale Geschenk für einen „währschaften“ Schwiizer?
Natürlich ein GLOBUS…von der Schweiz!
Februar 1st, 2010 at 13:44
Diese lateinische Lockerheit der „LatiCHnos“ zeigt dann in bleischweren postings und hunderten von Leserbriefen im „Tagi“.
Ja, Träume sind Schäume, nix ragazzi di vita.
Februar 1st, 2010 at 13:51
Aha – ist mein Schreiben also bei ihrem Kollegen Blogwart angekommen. Schöne Story. Nur völlig sinnentstellt. Die ganze Geschichte geht schon recht lange und mittlerweile hat es ihr Spezi wirklich nicht mehr leicht, nachdem die ursprünglich typisch calvinistische Bünzligemeinschaft ausgezogen und weltoffenes internationales Flair eingezogen ist.
Das sind jedoch nicht alles zusammengerottete Deutsche. Die beiden Oesterreicher sprechen einfach sehr akzentfrei deutsch, wie auch die französische Familie und die Türken kommen aus Berlin, sind aber Türken. Bleibt noch Maria, die Spanierin, der Kroate und zwei Italiener.
Der einzige, aber mittlerweile abtrünnige, Mitstreiter ist Sohn eines Inders, Grossi mütterlicherseits Französin, der immer besonders eifrig Züritüütsch sprach, als die Mietparteien sich noch anders zusammensetzten. Jetzt schleimt er sich mehr und mehr mit leichtem Ruhrgebietsslang ein.
Dann ging es darum, dass oben erwähnte freundliche Gemeinschaft nun eben gerade für eifriges Lüften war. Im Sommer war es dem Bünzli dann zu laut und jetzt zu kalt. Da kriegt er irgendeine Halskehre oder so etwas und er hat es doch eh schon im Rücken und seine Frau kann die Wohnung gar nicht mehr verlassen und man wäre nun wirklich hart im Nehmen und so weiter.
Da traf der Rest sich eben und besprach sich. Einer der Oesterreicher schlug etwas näselnd vor: Wir verrläihen däm nen Orden. Von italienischer Seite wurde angeboten: Isch mache den feste mit de Mässar. – Undisch fahre druber mitmeineBMW isch teuferglecktweischt? Ja genau, wurde italienisch bestätigt, dä iss eine, wie sackte man auf deuts, eine weike ai.
Wir haben uns dann für ein lustiges Flugblatt entschieden. Er zieht jetzt aber aus – angeblich käme er sich im eigenen Land fremd vor.
Februar 1st, 2010 at 14:05
@Ein Zuercher
Sie werden lachen aber die Erfahrung habe ich just heute gemacht. In unserer Waschküche, sowas gibt es nicht nur „in der Schweiz“, steht außer Waschmaschine und Trockner die per Münzen in Betrieb zu nehmen sind (natürlich nur wenn man sich im Kalender für die entsprechende Stunde eingetragen hat!) noch ein relativ gammliger Holztisch aus früheren Zeiten.
Kein Mensch wird den noch nutzen wollen um seine frisch gewaschene und getrocknete Wäsche zu sortieren, wie das so in Apartmenthäusern ist fühlt sich halt bloß keiner zuständig dafür das Ding zum Sperrmüll zu stellen. Also steht es da. Man könnte es ja nun nutzen um sein Waschmittel unten im Waschraum zu lagern, damit man es nicht immer runtertragen muss.
Machen auch Leute. Und was seh ich heute? Ein A4 Blatt auf dem handschriftlich die Aufforderung – im Substantivstil – zu lesen ist dass die Waschmittel in der Wohnung zu lagern seien, weil angeblich irgendwo am Waschbrett (ebenfalls ein Relikt aus früheren Zeiten, da hat man noch per Kreide seine Waschzeit eingetragen) stünde dass man das Waschmittel dort nicht lagern solle. Und tatsächlich, auf einem vergilbten Blatt ist das, in jener „Schablonenschrift“ wie man sie nutzte bevor es Computer und Drucker gab, zu lesen.
Natürlich ohne Begründung, denn Zucht und Ordnung muss sein und eine Regel die geschrieben steht gilt es – gleich ob sinnvoll oder nicht, gleich ob es jemand stört oder nicht – einzuhalten. Vom Schriftbild würde ich schätzen dass der Erboste jenseits der 40 und aus den „neuen Bundesländern“ ist, aber das ist pure Spekulation meinerseits. Im Gegensatz zum Rest, das ist leider ein reiner Tatsachenbericht.
Interessanterweise ignoriert bisher aber jeder diese „Aufforderung“. Bin gespannt wann der betreffende Zwängler einen Nervenzusammenbruch, ob des eklatanten Ungehorsams, erleidet und mit einem Müllsack alles abräumt und „entsorgt“.
Februar 1st, 2010 at 14:24
Hallo zusammen
Richtig gut wird es, wenn man tatsächlich einen Nachbarn aktiv und offen auf Probleme ansprechen will. Beim deutschen Nachbarn gibts i.d.R. ein Wein oder Bier und das Problem wird ausgeräumt oder eben auch nicht.
Die Schweizer hingegen verbarrikadieren sich wimmernd in ihrer Bude und hoffen, das alles bald vorbei ist. So Reduitmässig. Das sollte jeder einmal ausprobiert haben, das ist echt witzig.
So richtig gut wird es aber dann, wenn man sich die Zeit nimt den entsprechenden Mitbewohner auf den Treppen abzupassen. Die Reaktionen reichen von zurück in die Wohnung rennen bis zu einfach ignorieren…..Einfach Grossartig
Februar 1st, 2010 at 23:28
Etwa so klingen manche ZHer ca. ab Minute 0:21 kommt der entscheidende Satz.
http://www.youtube.com/watch?v=Y8N2SKwTZz0
Februar 2nd, 2010 at 0:04
wie lebt es sich denn so im Antiquariat. Macht denn da in der Museumswaschküche keiner sauber, dass noch angegilbte Zettel mit dem Konterfei von Wilhelm II herumliegen. Nein, das brauchen Sie nicht zu betonen, dass diese Geschichte schnarch, rchhh, fffffiii, chhchchhc ….
Februar 2nd, 2010 at 8:50
Diese scheinbaren Probleme waren eigentlich keine bis vor einigen Jahren. Aber da sich Leute offenbar diese Probleme nun suchen, so werden schon ein paar Hinweise zur Nutzung der Waschküche und ein paar alte verglibte Zettel plötzlich zum Indiz, wie kompliziert die Schweizer sind.
Februar 3rd, 2010 at 22:23
Ich finde es faszinierend, wie komplex die Regeln sein können, welche in der Waschküche beachtet werden müssen. In einem Miethaus, in dem ich mal wohnte, hing hinter der Türe ein maschinengeschriebener Zettel, der von einem verlangte, immer am Ende der (dreitägigen) Waschperiode den Boden zu fegen und die Fenster zu putzen. Daran hielt sich kein Mensch. Hingegen wurde man gerügt, wenn man den Temperaturregler nach dem Waschen nicht auf Null zurückdrehte, den Filter nicht herausnahm, wusch und schräg wieder hineinstellte, ohne ihn zuzuschrauben. Vom zweiten Tag der Waschperiode an durften auch andere MieterInnen waschen, wenn die Maschine frei war. Wäsche hängen durfte aber nur der Inhaber des Waschrechts. Er war verpflichtet, die Wäsche so zu hängen, dass ein „Gängli“ von der Türe zur Maschine frei blieb. Wer – per definitionem ausser der Reihe – am Sonntag wusch, verstiess ebenfalls gegen eine ungeschriebene Regel. Was sich nur die jüngeren MieterInnen erlaubten.
Februar 3rd, 2010 at 22:29
Die entscheidende Frage, die bis heute unbeantwortet geblieben ist: Wo sind alle die einzelnen Socken hin?
Februar 4th, 2010 at 0:50
@quasiquasi
Nur darauf kommt es an!
Februar 4th, 2010 at 12:31
@ quasiquasi
Also bei mir ist es das Sockengespenst. Es wohnt in der Waschmaschine und klaut immer wieder mal einen Socken – fieserweise jeweils immer nur einen! Vielleicht weiss jemand, wie es aussieht; erwischt habe ich es noch nie.