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Wie man ein Seeli im Kartoffelstock richtig isst — Martin Suters Business Class

  • Der Autor aus Guatemala
  • Wir sind grosse Fans von Martin Suter, dem Schweizer Erfolgsschriftsteller, der in Spanien und Guatemala lebt. „Die dunkle Seite des Mondes“ und „Small World“ und „Lila Lila“ sind lesenwerte Titel, die wir oft verschenkt haben.

    Die dunkle Seite des Mondes

    Ausserdem schreibt Suter seine „Business Class“ Geschichten, die regelmässig im Magazin des Tages-Anzeigers erscheinen. Der folgende Text ist ein Klassiker, den ich immer wieder lesen könnte, weil er sehr viel aussagt über Schweizer Kommunikationsgewohnheiten, Gesprächskultur und Kartoffelstock. Er erschien am 01.2007 unter dem Titel „Carstens Integration“.

    Ob „Rüdisüli“ wirklich ein Schweizer Vorname ist? Und ob man des Landes verwiesen wird, wenn man das „Seeli“ im „Kartoffelstock“ auslaufen lässt? Die Schlusspointe ist gewaltig und sagt alles aus, was man überhaupt über das Verhältnis der Schweizer zu ihren deutschen Chefs wissen sollte.

    Mahlzeit!»
    «En Guete. Bei uns sagt man: en Guete.»
    «En Gute, dann.»
    «Guete. Wir haben da noch ein E nach dem U. Guete. En Guete.»
    «En Guete.»
    «Na ja, macht nichts, das kommt dann schon noch.»
    «Schmeckt prima, das Kartoffelpüree.»
    «Stock. Bei uns sagt man Stock. Kartoffelstock.»
    Carstens und Rüdisüli essen schweigend ihren gespickten Braten. Der Ochsen ist wie jeden Abend um diese Jahreszeit gut besetzt. Als Anni die zweite Portion bringt, zeigt Rüdisüli auf den Kartoffelstock und sagt: «Seeli.»
    Carsten schaut ihn fragend an.
    «Das in der Mitte, die Bratensauce. Bei uns sagt man Seeli. Ein kleiner See. Das macht man bei uns immer in den Stock.»
    «Ach so, ein kleiner See, verstehe. Ein kleiner Saucensee, sozusagen, nett.»
    «Die einen machen ihn gleich kaputt, und die andern essen den Stock von den Ufern weg. Beides ist erlaubt.»
    «Ich weiss das wirklich zu schätzen, dass Sie mich in die Gepflogenheiten einweihen, Herr Rüdisüli.»
    «Nicht ülli – üüli, mit einem langen ü. Es gibt solche mit einem H nach dem ü und solche ohne. Ich bin einer ohne, aber beide spricht man gleich aus. Mit einem langen zweiten ü.»
    «Ach so, Verzeihung.»
    «Schon recht.»
    «Lief schon ganz gut, für eine erste Sitzung, fand ich, nicht?»
    «Na ja.»
    «Sind Sie anderer Meinung?»
    «Vielleicht ein bisschen forsch. Bei uns geht man es gemächlicher an. Nicht ineffizienter, einfach gemächlicher. Ein paar allgemeine Bemerkungen zuerst. Zum Wetter oder zum Befinden. Einfach für das Atmosphärische, Sie verstehen.»
    «Ach so, danke, werde ich mir merken.»
    «Und auch nicht Kauer das Wort geben, bevor Stauber etwas gesagt hat. Damit die Kirche im Dorf bleibt.»
    «Aber Stauber hat sich doch gar nicht zu Wort gemeldet.»
    «Der braucht das nicht. Der wird gefragt.»
    «Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern.»
    «Und Fehr nicht unterbrechen. Der spricht zwar ein bisschen langsam, aber es ist nicht schlecht, was er sagt. Und er feiert in vier Jahren das Zwanzigste.»
    «Ach, so lange ist der schon dabei.»
    «Vier Wochen Extraferien und ein Upgrade in die First Class für zwei Personen. Langstrecke. Das ist bei uns der Tarif für zwanzig Jahre in Fehrs Hierarchiestufe.»
    «Werde ich mir merken.»
    «Brauchen Sie nicht. Nur Frau Schober fragen, Ihre Sekretärin. Die weiss das alles auswendig.»
    «Die scheint überhaupt gut zu sein. Eine halbe Stunde nach der Sitzung hatte ich schon das Beschlussprotokoll auf dem Tisch.»
    «Bei uns macht man Sitzungsprotokolle. Ist nicht so abrupt wie ein Beschlussprotokoll. Und man kann nachlesen, was die Teilnehmer gesagt haben.»
    «Nehmen Sie noch eine Nachspeise?»
    «Ein Dessert. Bei uns sagt man Dessert.»
    «Alles klar. Nehmen Sie also noch ein Dessert?»
    «Dessert. Bei uns betont man die erste Silbe.»
    «Dessert. Nehmen Sie eines?»
    Zu Hause fragt Rüdisülis Frau: «Und? Wie ist er, dein neuer Chef?»
    «Wenn der so weitermacht, könnte der schon ein bisschen frischen Wind in den Laden bringen.»

    Wie gesagt, die Schweizer sind offen und tolerant und lernfähig. Das erwarten sie von ihren Gastarbeitern auch, so einfach ist das. Wir wollen uns Mühe geben und nie wieder „Kartoffelpüree“ sagen.

    

    26 Responses to “Wie man ein Seeli im Kartoffelstock richtig isst — Martin Suters Business Class”

    1. Thomas Says:

      Die Business Class von Suter hab‘ ich letzthin geschenkt bekommen. Ich hab’s noch am selben Abend verschlungen und mich gekringelt vor Lachen. Das Verhalten eines Karrieremenschen ist so armselig komisch, und irgendwie doch nachvollziehbar, aber in seiner Gesamtheit doch nur lächerlich.. Das Buch ist herrlich geschrieben.
      Ach ja, man kann auch einfach ‚Stocki‘ sagen :-9

    2. Phipu Says:

      Jens,

      hier hättest du unbedingt den Link einfügen müssen, der auf deinen Eintrag und die Kommentare verweist, als der „Härdöpfustock“ schon auf der Blogwiese behandelt wurde: http://www.blogwiese.ch/archives/597 .

      Übrigens, es heisst im zitierten Buchtext „Herr Rüdisüli“. Es ist also ein Nachname, nicht Vorname (vielleicht verwirrt dich das verkehrte Vorstellen http://www.blogwiese.ch/archives/3 ). Die Nachforschung im Telefonbuch, pardon in den Directories ( http://www.blogwiese.ch/archives/299 ) belegt es:

      http://www.directories.ch/weisseseiten/base.aspx?language=de&do=search&origin=dir&searchtype=adr_simple&page=1&name=R%FCdis%FCli&geo=

      http://www.directories.ch/weisseseiten/base.aspx?language=de&do=search&origin=dir&searchtype=adr_simple&page=1&name=R%FCdis%FChli&geo=

    3. Brun(o)egg Says:

      Grins. Genauso ist es.

    4. Daniel Says:

      @Thomas Ja, aber Stocki ist ein Markenname. Ich habe das schon gehört, würde das Wort aber selber nicht so benutzen.

      @admin: Rüdisühli ist kein Vorname, sondern ein typischer innerschweizer Nachname. So wie Carstens ja auch kein deutscher Vorname ist. Die Herren sprechen sich also mit ihrem Nachnamen an, obwohl sie sich ansonsten duzen. Wie auch das in der Schweiz recht häufig anzutreffen ist, häufig unter Klassenkameraden in der Schule.

      Leider sind die Zeiten von Martin Suters göttlicher Business Class Kolumne seit geraumer Zeit vorbei. Sehr schade. Martin Suter wurde durch Michelle Roten (wenn ich mich richtig an ihren Namen erinnere) ersetzt. Man muss heute das Buch kaufen von ihm.

    5. Danido Says:

      @Daniel

      Ja, schade ists, dass es die Kolumnen von Suter nicht mehr gibt. Wer weiss vielleicht gibts ja mal ein Revival. Was allerdings nicht ganz stimmt, ist, dass er durch Michelle Roten ersetzt wurde. Deren Kolumne Miss Universum gab es schon vorher, also auch noch ca. 1-2 Jahre zusammen mit der Business Class. Martin Suter hat aufgehört, weil ihm nach ca. 10 Jahren anscheinend die Pointen ausgingen oder weil er des Stoffes überdrüssig wurde.

    6. Nathalie Says:

      @Thomas und Daniel: Stocki ist der instant Kartoffelstock von Knorr, den man nur in heisser Milch auflösen muss…..

    7. Simone Says:

      Nicht schlecht! Ich glaube, ich bestelle mir auch etwas von ihm.

    8. phoboid Says:

      Zum Kartoffelstock scheint es, zumindest in der Mensa der ETH Zürich, ein schleichende Germanisierung zu geben. Schon öfter als einmal las ich „Kartoffelpuree“ (mit u statt ü). Nur noch ein Buchstabe, dann sind sie angekommen 😉

    9. Frank Says:

      Richtig deutsch wirds in der ETH erst, wenn da Kartoffelbrei steht. Mit Zuckerschoten, Karotten und Rote Beete.

      Heut gibts übrigens: „Augustinerschüblig mit Senf Teigwaren oder Kartoffelsalat Karottensalat“. 😉

      Das mit den Nudeln kriegen wir auch noch hin.

    10. Daniel Says:

      @Frank: „Das mit den Nudeln kriegen wir auch noch hin“ ==> niemals! vorher gibts Revolution! Bevor das geschieht, werfen wir Schweizer alle Ausländer aus dem Norden aus dem Land!

    11. Thomas Says:

      @Nathalie: das ist schon klar. Es gibt halt so gewisse Markennamen, die sich für das Produkt an sich fast einbürgern. Mich hats nur an meine Kindheit erinnert, wo es manchmal (selten) Stocki gab und häufig eben Hädöpfustock selbst püriert. Ich hab den selbstgemachten mehr gemocht als den Stocki, bei meinem grossen Bruder wars umgekehrt. Arme Eltern. 🙂

    12. neuromat Says:

      @ Frank

      schon erledigt:

      http://www.seegarten-marina.ch/data/download/Kleine_Karte1_08.pdf

    13. neuromat Says:

      ach ja, gut ist auch der:

      http://www.restaurant-spalenring.ch/hausgemachte_teigwaren-5.pdf

      weiss jemand, was eine gefühlte Teigtasche ist?

    14. Nathalie Says:

      @Thomas: Ich konnte mich mit dem Stocki auch nie so richtig anfreunden…. Ich fand das als Kind schon komisch, dass es aus den Flocken dann „Härdöpfelstock“ gab 🙂 Ich finde auch, dass der Stocki einen ganz eigenen Geschmack hat, den man etweder mag oder eben nicht so….

    15. Fanki Says:

      @neuromat
      Ravioli

    16. neuromat Says:

      @ Franki

      http://www.der-eisbrecher.de/fernrohr/Ravioli.jpg

      besten Dank. Mein Bett sieht aus wie Sau. Dreissig Dosen Ravioli liegen völlig ausgeleert auf dem Boden – aber ein Gefühl geben einem diese Teigtaschen, Wahnsinn – gefühlte Teigtaschen.

      Und noch der Versuch eines Bilderwörterbuchs Schweizerdeutsch: Was ist hiermit gemeint?

      http://www.elektro-rieder.de/images/herd_gr.jpg
      +
      http://www.kreativoli.de/img/gruene_aepfel.jpg
      +
      http://www.gesundio.de/stock-a.jpg

    17. Sonne Says:

      Speisekarten versuchen ja international verständlich zu sein. Manchmal schleichen sich dann Fehler ein.

      Vor ein paar Jahren habe ich eine Speisekarte gefunden – in Deutschland, wohlbemerkt – die es wert war, mit der Kamera festgehalten zu werden.

      Gulaschsuppe

      Ich hoffe, der Koch kann besser kochen als schreiben:
      Wurstsalat

    18. neuromat Says:

      hier die Auflösung:

      Englisch: http://www.weinbau-krems.at/pics/auto.jpg oder auch

      schweizerisch http://www.giessereiseifert.de/Produkte/Reisebus.jpg

      und Kurzform von

      http://museen.aachen.de/img/slm/sam/christophorus.jpg (nein, das ist nicht Wilhelm Tell und der hat auch keine wahnsinnig grosse Armbrust dabei und bei dem Kleinen fehlt kein Apfel)

      minus „s“

      http://www.sackstark.info/wp-content/uploads/2008/05/busen-meer1.png ( minus gebrauchen auf englisch minus n)

      minus http://www.gamb.de/images/r-tanz-400b.jpg

      plus Ausruf des Erstaunens

      im Fall Ei der Daus oder eiderdaus obgenannten Speisekarten stammten – wohlgefühlt – aus der Schweiz

      und was ist dagegen einzuwenden, wenn der Koch Alfons Schweitzer seinen Essigwurst nach Bayern und seinen Wurstsalat nach seiner Familie benennt 😉

    19. neuromat Says:

      @ Ein Zuercher

      da haben Sie wieder einmal etwas nicht verstanden. Wir geben aber die Hoffnung nicht auf, dass wenn wir Ihnen gaaaaanz laaaangsaaaammm schreieieieieiieiebennnnnnnnnnnn, dassss dieeeeeeeeeeee beiiden anderen Speisekarten gemeint waren, selbst Sie es noch mitbekommen.

      😉

      Und jetzt aber den Eimer rausbringen …

    20. Frank Says:

      Lieber Zürcher,

      Gurkerl und Debreziner sind tendenziell eher Österreichisch. Holprige Schreibweise, speziell leichte Schwächen in der Grammatik und bei der Unterscheidung zwischen dem Reflexivpronomen „das“ und der Konjunktion „daß“, ist offenbar auch in Zürich anzutreffen, wie dein Kommentar deutlich zeigt.

    21. Fanki Says:

      @neuromat

      Habs Ravioli an den Kopf gekriegt. OK.
      Ich kapiere schnell, wenn man mir lange erklärt.

      — HerdApfelStock = Häpperebry —

    22. Sonne Says:

      In Wiener heissen die Würstchen, so viel ich weiss Frankfurter und in Frankfurt Wiener . Das ist aber keine Seltenheit. Auch das Kondom wird in Frankreich genannt und bei uns nennt man es Pariser. 😀

    23. Sonne Says:

      Komisch! *staun*
      Mein Text ist irgendwie verhackstückt.Mein krusiv geschriebener „Chapeau Anglais“ ist wohl vom System nicht akzeptiert worden. Aber nur derjenige von mir. Zürcher „Bürger“ haben da mehr Glück. 😀

    24. Sonne Says:

      Ich gebs auf!!
      It’s not my day to write correctly.

    25. Gery us Büüli Says:

      Härdöpfustock= Grumbeermuus= Kartoffelbrei. Wie vielseitig die deutsche Sprache ist, verblüfft mich immer wieder.

      Ein Schweizer mit Pfälzer Wurzeln.

    26. Carolus Magnus Says:

      @neuromat
      Gefüllte Teigtaschen sind in asiatischen Ländern eine beliebte Vorspeise und schmecken vorzüglich. Man nennt sie in englsich „Dumplings“. In der Schweiz kennt sie jedes Kind – die faden Ravioli an einer faden Tomatensauce, die, würden sie nicht sehr heiss serviert, geschmacklich ungeniessbar wären.

      Liebe Grüsse
      Carolus Magnus