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Wenn der Traktor über Bord geht

  • Ein Bord hinunter stürzen ist nicht über Bord gehen

  • Wir entdeckten in einer Meldung der Polizei Basel-Landschaft:

    Am Freitag, 24. Februar 2006, um 10.00 Uhr, stürzte ein Traktor am Steinrieselweg in Brislach BL rund fünf Meter ein Bord hinunter. Der Fahrer blieb unverletzt.
    (Quelle: bl.ch)

    Wir machen uns natürlich Sorgen bei dieser Meldung, ob auch dem Lenker nichts zugestossen ist? Vielleicht ist er ja verbogen, in dem Fall? Besonders spannend finden wir an dieser Meldung die Bezeichnung „ein Bord“, denn das war uns bisher nur in ganz anderen Kontexten bekannt.

  • Mann über Bord, Tassen auf das Bord
  • Nämlich in der Seefahrt, wenn jemand „über Bord“ geht, und sich dann im Meer wiederfindet, in der Hoffnung, dass seine Kollegen „an Bord“ ihn wieder rausfischen werden. Oder in der Küche, wenn wir Tassen auf „ein Bord“ stellen, welches wir dann Neudeutsch „Cupboard“ nennen. Oder wir stellen sie im Wohnzimmer auf unser schickes neues „Sideboard“.

    Die Polizeimeldung berichtet weiter:

    Ein 29-jähriger Traktorfahrer war mit der an dem Gefährt angebrachten Schaufel damit beschäftigt, den Steinrieselweg, eine Naturstrasse, zu planieren. Plötzlich bemerkte der Mann, dass bei der Schaufelaufhängung ein Bolzen lose war. Er hielt auf der abfallenden Strasse an und wollte Nachschau halten. Weil er die Handbremse zu wenig stark angezogen hatte, machte sich der Traktor selbstständig und stürzte rund fünf Meter das Bord hinunter.
    (Quelle: bl.ch)

  • Haltet die Nachschau!
  • Auch die Nachschau haben wir noch nie gehalten, bisher kannten wir nur die „Nabelschau“. Wenn man die Nachschau nicht hält, läuft sie dann weg? Immerhin finden wir 63 weitere Belege für „Nachschau halten“ bei Google-Schweiz. Auch in Österreich und Deutschland ist diese Formulierung beliebt, mit Vorliebe taucht sie aber in Schweizer Berichten auf.

    Beim auf der Seite liegenden Traktor lief ein wenig Dieselbenzin aus, welches von der Feuerwehr Brislach aufgenommen wurde. Der Traktor konnte durch den von der Polizei Base-Landschaft aufgebotenen Abschleppdienst in einer spektakulären Aktion wieder auf die Strasse gehoben wurde.

    Andere Städte nehmen Flüchtlinge auf, manche Führungskräfte auch die Arbeit. Hier wird zur Abwechslung mal Dieselbenzin nicht entsorgt oder abgesaugt, sondern aufgenommen. Na klar, es hatte sich ja in der Zwischenzeit auch mit dem Erdreich verbunden. Das der Abschleppdienst nicht einfach bestellt oder geholt, sondern in der Schweiz gleich „aufgeboten“ wird, fiel uns zum Schluss gar nicht mehr auf. Hier dreht sich ständig alles ums „Aufgebot“ , da fällt ein Abschleppwagen mehr oder weniger auch nicht ins Gewicht.

    Nicht das wir uns jetzt als Deutschtümler oder ewige Sprach-Nörgler bezeichnen lassen. Die Meldung der Polizei-Basel (die im Original Text zur Base-Landschaft mutierte, kann mal passieren, bei soviel Säuren und Basen, welche dort in der Chemie produziert werden) ist sprachlich absolut einwandfrei, aber gleichzeitig ein ganz typisches Exemplar Schweizer Schriftsprache, erkennbar am „Bord“ und am „aufbieten“.

  • Was heisst „Bord“ in der Schweiz
  • Wir finden die Antwort im Variantenwörterbuch auf Seite 130:

    Bord CH das; -(e)s, -e/Börder:
    kleiner Abhang, Böschung
    ,
    aufgeworfener oder abschüssiger Rand:
    „Die Wucht des Aufpralls katapultierte [das] Auto zuerst gegen das Heck eines Lieferwagens und schleuderte es danach das Bord hinunter (NLZ 3. 10.2001, Internet)

    In „Gemeindeutschen“, wie das Variantenwörterbuch die Standardsprache nennt, sind nur „Schiffsbord“ und „Ablagebrett an der Wand“ bekannt. Und wenn die Deutschen vom „Bordstein“ oder der „Bordkante“ reden, dann meinen sie den Schweizer „Trottoirrand“.

    Es gibt auch noch die Varianten „Bachbord“ (das nicht mit dem „Backbord“ des Schiffes verwechselt werden darf), „Bahnbord“, „Strassenbord“, „Wegbord“ und, was uns ganz besonders freut, das „Wiesenbord“! Auf keinen Fall darf man an das hübsch Wort „Bord“ noch die Endung „-ell“ anfügen, denn dann ändert es gleich ungemein seine Bedeutung.

    

    16 Responses to “Wenn der Traktor über Bord geht”

    1. Otto Normal Says:

      Genau, die Angelegenheit würde mit besagter Endung überborden.

    2. su Says:

      Über den „Traktor“ scheinst du nicht mal mehr zu stolpern. Denn wenn ich hier oben (Norddeutschland) von einem Traktor rede, schauen die mich komisch an. Der Traktor wird hier „Trecker“ genannt.

      Grüße aus Osnabrück

    3. Phipu Says:

      Mögliche Herkunft des Wortes „Bord“: Französisch „der Rand = le bord“ (au bord de la route = am Strassenrand). Fiel mir bei Ottos Kommentar auf: „überborden = déborder“ („déborder“ bei Flüssigkeiten = über [den Rand] laufen)

    4. Administrator Says:

      @Phipu
      Reste davon sind im Deutschen „Bordstein“ = Trottoirrand erhalten geblieben.
      Der Etymologie-Duden sagt dazu:

      Bord = Wand-, Bücherbrett: Mnd. Bort, asächs. Bord „Brett, Tisch“ ist in der niederd. Form „Bord“ hochdeutsch geworden

      „Das altgerm. Wort mhd., ahd. bort, niederl. boort, engl. board, schwed. bord war urspr. identisch mit dem Bord=Bücherbrett, vermischte sich aber früh mit nicht verwandtem ahd. brot, aengl. breord „Rand“. In der Wendung „an Bord“ steht es übetr. für „Schiff, Luftfahrzeug“. Schweiz. ist Bord s, „Rand, Uferböschung. Verwandt sind „Borte“ und „bordieren“

      bordieren: Im 16 Jh. entlehnt aus frz. border „umranden, einfassen“, zu bord=“Rand, Borte“, aus aus afränk bord „Rand“ stammt.

      Kurzum: Ein ziemliches Durcheinander von mittelhochdeutsch, althochdeutsch, niederländisch, niederdeutsch, altfränkisch, das zu der Entstehung der verschiedenen heutigen Bedeutungen von „Bord“ beitrug.

    5. Realityrunner Says:

      Um die ganze Sache noch ein bisschen zu verkomplizieren: Der Begriff „Bordstein“ ist im schweizerischen eher mit „Randstein“ zu übersetzen… die Existenz des Trottoirrandes möchte ich hier aber nicht in Abrede stellen (ist dann aber der Rand des Trottoirs und wird durch den Randstein „markiert“). 😉

    6. Phipu Says:

      Jens,
      Danke fürs Nachforschen. Mir fiel noch ein weiteres verwechslungsgefährliches Wort ein: Walliserdeutsch „mach’s Boord üf“ hat mit der Böschung oder dem Rand nichts zu tun. Dieser Satz fordert auf, die Tür (frz. „la porte“) zu öffnen.

    7. rubbish Says:

      Den „Trottoirrand“ nenne ich also Randstein, nicht mal sooo weit entfernt vom Bordstein 😉

    8. bored Says:

      bring mal wieder was interessantes! ist doch egal ob wir „aufbieten“ oder sonstige wörter benutzen. und google scheint ja dein bester freund zu sein. ist halt schon enorm wichtig wie oft welcher begriff gefunden wird. googlewiese.ch nenn ich so was.

    9. Branitar Says:

      @su
      Das wahrscheinlich was damit zu tun, dass in Norddeutschland im Plattdeutschen das Wort „trecken“ für „etwas ziehen“ benutzt wird (aber auch „an/uttrecken“ für „an/ausziehen“). Der Trecker ist als Bezeichnung daraus abgeleitet. Traktor (siehe unten) hat sich dagegen als Wort dafür im Norden nie so recht durchsetzen können.

      Zitat Wikipedia:
      „Ein Traktor (Mehrzahl Traktoren, von lateinisch trahere, „ziehen“) ist eine Zugmaschine, die in erster Linie in der Landwirtschaft benutzt wird. In Norddeutschland werden statt Traktor die Begriffe Schlepper, Ackerschlepper und Trecker verwendet. Letzterer stammt aus der plattdeutschen Sprache und ist von trecken („ziehen“) abgeleitet. Im süddeutschen Raum werden auch die Begriffe Schlepper und Bulldog verwendet. In Österreich und Deutschland lautet der amtliche Begriff für Traktor Zugmaschine.“

    10. Dänu Says:

      Die Polizeimeldung zeigt doch wirklich sehr gut, dass es in der Schweiz nicht nur ein „français fédéral“, sondern auch ein „allemand fédéral“ gibt 🙂
      Dialektausdrücke werden schonungslos „eingedeutscht“, so wird „s’Bord ab“ zu „das Bord hinunter“, „nacheluege“ zu „nachschauen“ (bzw. hier zu „Nachschau halten“, etc. Dieses Phänomen kann man auch in nationalen Arbeitsgruppen und Kommissionen häufiger beobachten, sofern dort überhaupt noch Schriftdeutsch gesprochen wird (und nicht Englisch *seufz*).

      @Phipu
      Sorry, ich muss das Wortspiel etwas abschwächen, aber ein Walliser würde eher „Mach d’Poort üf“ oder „Mach di Poort üf“ sagen. Besagte „Poort“ ist wie im Französischen weiblich und wird eher mit „P“ ausgesprochen als mit „B“, aber ich stelle nicht den Anspruch, sämtliche Färbungen des Walliser Dialekts zu kennen.

      A propos Wallis, dort wird die Cousine „Base“ genannt (und der Cousin Vetter; der Onkel wird zum Etro und die Tante zur Müema (vgl. Grimm’sches Wörterbuch: http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GM07965))…

    11. Administrator Says:

      @bored
      Recht hast Du, ich werde mich heute abend gleich an das Einmachglas (=Einweckglas) „Genialiät“ machen, und ein paar Löffel daraus schlabbern… danach verspreche ich Besserung und werde was Tüchtiges „aufbieten“ morgen.. ist es dann in Ordnung für Dich?

    12. bored Says:

      ok tönt nicht schlecht. bitte nur bio-genialität konsumieren, alles andere wurde gentechnisch aus dummheit gewonnen.
      ich lese deinen blog sehr gerne, leider lässt die qualiät in den letzten wochen zu wünschen übrig. wahrscheinlich bist du schon zu sehr eingeschweizert, so dass du bünzlig die verschiedenen begriffe analysieren musst.

      Drum erbitte ich um sofortige Einbürgerung für Wiese. eine Wiese mehr kann ja in unserem überbauten land nicht schaden. Wiese for Bundespresident!

    13. Fiona Says:

      Attention!! „débordé“ heisst auf F: „überfordert“.

      Fiona

    14. Fiona Says:

      Soll Jens Wiese eingebürgert werden? Das würde sein Arbeitegeber sicher bejahen. Weshalb? Because that would „free up“ a work permit which Jens’s employer could use to hire another German 🙂

      Fiona

    15. Phipu Says:

      an Dänu
      Danke für die Korrektur. Ich bin ja schon froh, Walliserdeutsch überhaupt passiv so „häb, chläb“ zu beherrschen – eben auch so ungewöhnliche Wörter wie „d‘Poort“. Ehrlich gesagt, hätte es mich überrascht, wenn niemand meinen Satz korrigiert hätte.

      an Fiona
      Kennst du das frz. Sprichwort: « c’est la goutte d’eau qui fait déborder le vase ». Auf deutsch sinngemäss: „das bringt das Fass zum überlaufen“. Oder BE: „jetz isch gnue Höi dunge!“. Im auf Menschen übertragenen Sinn hast natürlich auch du recht. Ich bin zu faul, alle Bedeutungen dieses Wortes aus meinem papiernen „Dixionär“ abzuschreiben. Aber du findest das sicher auch über Internet, falls du noch Unsicherheiten hast. Französisch kann ich übrigens besser als Walliserdeutsch (siehe Abschnitt gleich darüber).

    16. Flaschenbauer Says:

      Seid ihr nun schon schlauer?