Hat da jemand beim „Streicheln“ das „S“ vergessen? — Was sind Treicheln
Nun leben wir mehr als 5 Jahre in der Schweiz und waren viel unterwegs, haben dabei Kühe mit wunderbaren Kuhglocken gesehen:
Und nun das: Wir erfahren durch eine Bildunterschrift im Tages-Anzeiger, dass diese Dinger in der Schweiz gar nicht „Kuhglocken“ heissen, sondern „Treicheln“.
Bildunterschrift „Süsser die Treicheln nie klingen“
(Quelle: Tages-Anzeiger 23.02.06 S. 13)
Nur warum ist das so? Hat es was mit „treiben“ oder „treideln“ zu tun? Klingt so ähnlich, oh pardon, „tönt genauso“ meinte ich natürlich. Tun Kuhglocken eigentlich klingen oder tönen?
Wir haben schon Nord- und Süddeutsche darüber debattieren hören, ob man an einer Haustüre die „Schelle“ oder die „Glocke“ betätigen muss und ob das nun „klingeln“ , „schellen“ oder wohlmöglich gar „läuten“ heisst, was man da tut.
Solche typischen Nord-Süd Sprachdubletten gibt es einige in Deutschland, ganz selten sind sie wirklich Synonym, so z. B.
Samstag und Sonnabend
Tischler und Schreiner
Fleischer, Metzger oder Schlachter
Klempner, Flaschner, Spengler oder Blechner
Dachboden, Bühne, Speicher und Estrich (und „Stir“ in der Süd-West. Schweiz)
Doch zurück zu den Kuhglocken oder –schellen, die in der Schweiz „Treicheln“ heissen.
Unser Duden weiss warum:
Treichel:
1. Berufsübername für einen Jäger, Fallensteller (zu mhd. dru-ch ) Falle, um wilde Tiere zu fangen< + -l-Suffix: ) *Dräuchel/*Träuchel, entrundet > Treichel).
2. Berufsübername zu schwzdt. Treichle „große Kuhschelle“ für den Hersteller.
Heisst der Hersteller wirklich „Treichle“, mit dem „l“ vor dem „e“ am Ende? Oder gibt es da einen Druckfehler in unserem Duden? Egal, was würden wir anfangen ohne den Duden!
Zu Google flüchten, was sonst: Für „Treicheln“ finden wir 598 Belege bei Google-Schweiz und nur 265 Belege bei Google-Deutschland.
Der „Treichel“ ist also ein Fallensteller, und „Träuchel“ erinnert auch entfernt an die Englische „trap“, die wir alle aus der „Mousetrap“, einem Theaterstück von Agatha Christie, kennen, zu Deutsch: „Die Mausefalle“:
Das Kriminalstück „The Mousetrap“ (dt.: „Die Mausefalle“), 1947 entstanden, wird seit seiner Uraufführung am 25. November 1952 ununterbrochen jeden Abend in London gespielt und hält damit einen einsamen Rekord in der Theatergeschichte und steht damit auch im Guinness-Buch der Rekorde. Ursprünglich im „Ambassadors Theatre“ aufgeführt, zog es 1974 in das benachbarte, größere „St. Martin’s Theatre“ um. Am 25. November 2002 wurde das 50-jährige Jubiläum im Beisein von Queen Elizabeth II. gefeiert. Im Laufe der Jahre wurde das Stück alleine in London ca. 22.000 mal gespielt. Weiterhin wurde es bisher in 24 Sprachen übersetzt und in 40 Ländern aufgeführt. Damit hat es über 10 Millionen Zuschauer erreicht. Die Einnahmen aus den Autorenrechten erhält Agatha Christies Enkel.
(Quelle: Wiki)
Über dieses Stück erzählt man sich zahlreiche Anekdoten. So z. B., dass eines Abends eine Schauspielerin krank war und dann kurzer Hand eine Garderobenfrau für sie einsprang, die die Rolle vom vielen Zuhören schon lange auswendig kannte. Oder dass einmal ein neuer Schauspieler den Text vergass, worauf die Souffleuse aus dem Tiefschlaf geweckt werden musste, den Staub vom Textbuch abklopfte und aushalf.
Und dann gibt es noch den deutschen Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel, dessen Romane wie
Der Verlorene (1998) und
Tristanakkord (2000) wir sehr schätzen.
Doch zurück zu den Schweizer Treicheln. Warum haben die Kühe diese Dinger eigentlich um den Hals? Wiki meint dazu:
Kuhglocken oder auch Kuhschellen dienen in der alpenländischen landwirtschaftlichen Erwerbswirtschaft dazu, Herden von Rindern zusammenzuhalten. Sie werden vom Leittier um den Hals getragen und es ist der Brauch, dass ältere Tiere größere Schellen umgehängt bekommen.
Durch die Bewegung der Kuh, vor allem beim Äsen, bimmelt die Glocke, was allen anderen Tiere der Herde eine Orientierung ist. In losen Tierverbänden erhalten alle eine Kuhglocke, damit man Verirrte leichter wieder finden kann.
(Quelle: Wiki)
Womit wir auch verstehen, warum Hans-Ulrich Treichel einen Roman „Der Verlorene“ nannte, denn ohne Treichel können sich die Kühe verirren und gehen verloren.
März 10th, 2006 at 7:52
Hoi Jens
Es ist immer wieder erfrischend, was für Assoziationen schweizer Ausdrücke auslösen können :). Ausserdem habe ich wirklich schon einiges über unsere Dialekte und die Herkunft vieler von mir verwendeten Wörter gelernt. Besten Dank.
Bezüglich Haustüre und Glocken:
Ich „schälle a dä Huustüre“, ich „druck uf d’Lüüti“, „isch d’Glogge kaputt?“.
Nur klingeln tu ich eigentlich nur in Deutschland 😉
gruss
bruno
März 10th, 2006 at 8:30
Apropos Nord-Süd: In Schleswig-Holstein haben Kühe keine Glocken. Das muss daran liegen dass sie nicht weit kommen können, links Meer, rechts Meer, unten der Nord-Ostsee-Kanal und oben das Danewerk.
März 10th, 2006 at 10:48
Treicheln sind grosse bis riesige Glocken, so wie auf dem Bild des Tages-Anzeigers. Diese werden aber oft nur beim Alpaufzug oder Alpabzug getragen, weil sie zu schwer sind. Die Kuh auf deinem Foto hat aber nur eine Glocke um den Hals.
März 10th, 2006 at 11:11
@Dan
Kann es sein, dass du Schleswig-Holstein grade massiv verkleinerst?
Ich dachte immer, SH geht bis Hamburg. Und dann wäre ja eher die Elbe die Begrenzung für die Kühe 😉
März 10th, 2006 at 11:53
Das mit „die Treichel“ ist einfach Hochdeutsch-Transkript für das Dialektwort „d‘Treichle“. Der Hersteller kann durchaus Treichle heissen, wie es einen Schuhhersteller Raichle gibt. http://www.raichle.ch/raichle/index.asp?sprache=deutsch&sid=1&lid=1
Vgl. auch folgende Wörter:
CH / D
d’Eichle = die Eichel
d’Wirble = die Wirbel (Mehrzahl)
gwaggle = wackeln
etc.
Ich bin zwar fern aller Kühe in städtischem Gebiet aufgewachsen, glaube aber zu wissen, dass die Kühe nicht nur Treicheln tragen.
Nur eine aus zwei Blechhälften gebogene „Kuhglocke“ (wie die Bilder in Blogwiese) heisst Treichel (CH: Treichle).
Eine wie Kirchenglocken aus einem einzigen Metallstück gegossene „Kuhglocke“ bleibt eine „Glocke“ (CH: Glogge). Siehe: http://www.kohlerag.ch/glocken.htm
Bestätigung meiner Aussagen (Exportversion): http://www.swisstraditions.com/bells/bells.html
März 10th, 2006 at 13:35
und noch so nebenbei:) den Plämpel ( in meinem dialekt – plämpu) von gestern kannst du nun dazufügen:) so nennen wir nämlich auch noch den Glockenklöppel !!! Grüessli:)
März 10th, 2006 at 14:06
Bei jedem Schwingfest gehören auch Treicheln auf den Gabentisch.
http://www.unter-emmentaler.ch/index.php?archiv&id_artikel=58
März 10th, 2006 at 14:45
In Nordeutschland wird die Türglocke/-schelle auch Türklingel oder einfach Klingel genannt. Das gilt auch z.B. für die Pausenklingel in der Schule oder den Wecker, solange diese das typische „klingeln“ von sich geben. Glocken hängen in der Kirche oder an der Kuh, während die Schellen klein sind, kugelrund und (fast) geschlossen (Bild Klingel:)
oder aber zur Befestigung von Kabeln oder Schläuchen dienen die hier:
März 12th, 2006 at 17:28
An Branitar:
Das unterste deiner gezeigten Bilder wird in der Schweiz nicht „Schelle“ genannt. Es handelt sich um eine hier benannte „Schlauchbride“
http://www.ak-tuning.ch/shop/product_info.php?products_id=118&XTCsid=309789d465a5e7664e1ebec4d7aa7fc2
Dieses Wort ist natürlich einmal mehr ein französisches Lehnwort: (Beispiel)
http://www.mr-bricolage.fr/modules/espconseil/fiches_conseils/Mb4-03.htm
Dies nur so als weitere Sprachlektion in der Sprachlektion.
März 12th, 2006 at 19:21
@Phipu
auf der von dir zitierten Webseite steht beides, Schlauchschelle und Schlauchbride… immer schön mehrsprachig bleiben im schweizer Alltag.
Gruss, Jens
März 13th, 2006 at 11:45
Ich bezog mich auch nur auf die nord(ost)deutschen Gepflogenheiten 😉
März 13th, 2006 at 13:18
Es gibt übrigens auch Treichelvereine (z.B. in der Nähe meines Wohnortes in Thun). Die treffen sich dann und spielen die Treicheln im „Orchester“ (bei den ganz grossen Treicheln wird da auch schon mal beim Zuhörer die Schmerzgrenze erreicht). Ab und zu treten sie dann bei Umzügen auf und geben ihre Darbietung zum besten.
Randbemerkung in Hinblick auf die nächste Fussball WM: Für Fans sind Treicheln die idealen Instrumente zum Anfeuern der eigenen Elf..
März 13th, 2006 at 16:24
Bei „Schellen“ kommt mir nun noch der „Schellen-Ursli“, ein bekanntes Schweizer Kinderbuch, in den Sinn.
http://ferien.graubuenden.ch/pdf_doc/Kinderbuecher.pdf . Und was trägt dieser Ursli im Bild um den Oberkörper? Eine „Treichel“ und nicht etwa eine geschlossene, runde „Schelle“. Der bisher unter diesem Thema zitierte Dialektgebrauch wird also durch diese Engadiner (eigentlich romanisches Sprachgebiet) Spezialität in Frage gestellt/bereichert.
April 7th, 2006 at 13:23
Trychle, Glogge … (wie schon beim Kirchenglockengeläute erwähnt)
Wir führen zwar keine Schweine an ihren Glogge ziehend spazieren,
denn die Schweine tragen keine solchen.
Dennoch kann es vorkommen, dass mal einer an der ‚Sauglogge zieht‘
Ich? Nööö, ich doch nicht 😉
Mai 4th, 2006 at 11:02
Treichel
Es gibt in der Gegend Wädenswil und Schönenberg den Familiennamen Treichler.
Juli 27th, 2006 at 21:02
Mit Vergnügen habe ich den Artikel „Ein Volk von Fallenstellern“ von Blogwiese gelesen. Ich finde es nur schade, dass der Autor den Beruf eines Leerers ergriffen hat und nicht den eines Lehrers, denn dann wären uns sicherlich die vielen Komma- (auf Deutsch: Beistrich)Fehler erspart geblieben.
Nüt für unguet. Klaus Rodeck
Januar 28th, 2007 at 18:10
Kuhglocken sind vorallem Lärm!
http://www.nachtruhe.info/kuhglocken.htm
November 29th, 2007 at 21:08
hallo jens,
ich hirne darüber nach, warum du „schweizer“ in „schweizer alltag“ klein schreibst. ist doch ein adjektivisch gebrauchtes substantiv. „schweizerisch“ ist dafür ein echtes adjektiv und sollte klein geschrieben werden (ausser bei feststehenden begriffen wie „Schweizerische Nationalbank“).
ich glaube fast, die letzte rechtschreibereform hat auch hier sämtliche klarheiten beseitigt.
wenn es deinen blog nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. ich gratuliere