So nah und doch so fremd — Das geheime Space-Invader Trainingscamp hinter dem Uetliberg

September 28th, 2011

(reload vom 14.6.07)

  • Das geheime Tal ohne Namen
  • Auf unseren Entdeckungsreisen durch das hügelige Umland von Zürich gerieten wir hinter den Uetliberg in diese idyllische Gegend, dem Reppischtal zwischen Birmensdorf und Dietikon. Die Veloland-Route Nr. 51 führt hier durch. Den Namen wussten wir aus dem Veloland-Führer. Bei map.search.ch ist er nicht zu finden.
    Reppischtal ohne Namen

    Die folgenden Fotos sind hier entstanden. Obwohl es eine Strasse und Häuser auf der Karte gibt, fehlt jede Beschriftung. Die Strasse und der Ort hier haben keinen Namen, denn sie sind zu geheim, um auf einer Karte benannt zu werden. So geheim, dass selbst auf der Detail-Ansicht von Google-Earth retuschiert wurde, was hier sonst zu sehen ist. Oder wie sonst diese runden weissen Flecken bei Google-Earth zu erklären?

    Wir radelten durch dieses lauschige Tal und entdeckten den streng geheimen offiziellen Schweizer Übungsplatz für „Freiluft-Space-Invader“:

    Space Invader von weitem

    Und so sieht das etwas vergrössert aus:

    Space Invader von nahem

    Wer sich nicht mehr so genau erinnern kann, wie das Original-Angriffsszenario von Space-Invaders aussah, hier ein Foto:

    Space Invader
    (Quelle Foto: www.flm.fr)

  • Einfach kurz die Eisenbahnschiene aus dem Loch ziehen
  • Auch fanden wir heraus, wie diese häufig in der Schweiz zu findenden „Strassensperren“ bedient werden müssen, falls man vielleicht gerade von einem Panzer oder einem Raumschiff durch den Wald verfolgt wird und von Hand diese Sperre schliessen möchte.

    Sperre mit Eisenbahnschienen

    Einfach diese passend zugesägten Eisenbahnschienen mit zwei spitzen Fingern packen und aus dem Loch ziehen, um sie 3 Meter gegenüber wieder einzustöpseln. Am besten gleich mit allen 5 Löchern so verfahren. Geht ratz-fatz mit gut trainierten Fingermusken.

    Eisenbahnschienen

    Schon ist der Weg dicht gemacht und kein Space-Invader kann hier mehr durchfahren. Sie sind gerettet!

  • Schiessgefahr und Mann mit Hut
  • Die Schweizer, die sich ständig darüber beklagen, dass es sie „anschiesst“ werden vor diesem Gelände sorgsam gewarnt. Deutlich zu sehen auf diesem Schild mit Hut tragendem schwarzen Unhold, der gerade dabei ist, ein Kind in den Wald zu locken:

    Schiessgefahr

    Was uns nur verwundert ist die Tatsache, dass bei aller Geheimniskrämerei um diesen Ort ganz offen auf der Homepage des Kanton Zürichs darüber geplaudert werden darf, siehe hier.

    Ein Felsen aus Stoff — Neues von der geheimen Landesverteidigung der Schweiz

    August 14th, 2011

    (reload vom 8.6.07)

  • Ein Stoffloch in der Felswand
  • Auf dem Polenweg bei Rothenbrunnen (vgl. Blogwiese) entdeckten wir an der engsten Stelle des Tales, wo die Autobahn nach Thusis durch einen Tunnel geführt wird und der Hinterrhein unverbaut durch das Tal fliesst, diesen merkwürdigen Felsen mit Loch:

    Ist das eine Felswand?
    Wer entdeckt auf diesem Bild etwas Ungewöhnliches?

    Erst das kleine schwarze Loch, dass aussieht, als sei es aus Stoff, machte uns auf diesen falschen Felsbrocken aufmerksam. In der Detailansicht wird es besonders deutlich.

    Stoffloch im Felsen

    Das ist keine Felswand, das ist eine gut getarnte Öffnung, ca. 15 Meter oberhalb der Strasse, mit freiem Blick und Schussfeld über die gesamt Talenge bei Rhäzüns. Wenn man genau hinschaut, sieht man den Rand der Stoffbahn, die dort eine Öffnung tarnt.

    Der Verdacht, dass es sich hier um gut verstecktes Geschützversteck handeln muss, verstärkte sich, als wir am Fusses des Felsens diesen Bunkereingang fanden:

    Bunkereingang im Felsen

    Und gleich daneben Leitern die zu einem zweiten gut getarnten Eingang führten:

    Leitern zum getarnten Felsenloch

    Warum bloss die Leitern nicht als Felsen getarnt wurden? Und der Bunkereingang nicht mit Tarnfarbe bestrichen wurde? Von dort oben kann leicht das ganze Tal und diese Engstelle beobachtet und natürlich auch beschossen werden, auch 62 Jahre nach Kriegsende.

    Schon bei der Anfahrt kamen wir durch diese Sperre. Die grossen Betonklötze, im Volksmund liebevoll „Beton-Toblerone“ genannt, finden sich auch am bewaldeten Abhang unterhalb der Strasse:

    Sperre des Polenwegs

    Leider fehlte uns die Zeit, die dazu passenden Querbalken zu suchen, um diese alte Sperre auszutesten. Aber es war ja auch niemand hinter uns her.

    Als die Schweiz 12‘000 Polen internierte — Geschichte der „Polenwege“ in der Schweiz

    August 2nd, 2011

    (reload vom 7.6.07)

  • Ein Polenweg in Graubünden
  • Wir fuhren mit den Rädern, die merkwürdiger Weise auch nach 10 Jahren in der Schweiz für uns noch nicht zu Velos wurden, auf dem Veloweg 6 von Thusis nach Chur. Ab Rothenbrunnen steigt der Weg an und führt als kleine Fahrstrasse durch den Wald oberhalb des mäandernden Hinterrheins. Im Veloland-Radführer lesen wir, dass dies ein sogenannter „Polenweg“ sei, gebaut von polnischen Internierten im Zweiten Weltkrieg.

    Polenweg
    (Foto: Polenweg zwischen Rothenbrunnen und Chur)

    Auch eine Gedenkstein erinnert an die Erbauer dieses Weges:
    Arbeits-Komp der Polen

    Die Geschichte beginnt uns zu interessieren. Warum wurden Polen im 2. Weltkrieg in der Schweiz interniert? Die Schweiz war doch neutral und nicht an Kampfhandlungen beteiligt. Ein Schweizer, der in dieser Gegend aufwuchs, erklärte uns dann, dass das Fremdarbeiter waren, die überall in der Schweiz solche Wege angelegt haben. Aber wie kommen mitten im 2. Weltkrieg polnische Fremdarbeiter von Polen in die Schweiz?

  • Wie die Polen in die Schweiz kamen
  • In verschiedenen offizellen Quellen zu dem Thema ist mal von 12’000, 12’500 bzw. 13’000 polnischen Soldaten die Rede. Aber das waren bei weitem nicht alle:

    In der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 1940 hat sich die Geschichte wiederholt: eingekesselt von deutschen Kräften überquerten rund 50’000 Soldaten und Zivilflüchtlinge im Neuenburger Jura die Schweizer Grenze, darunter das 45. französische Armeekorps unter Führung von Korpskommandant Daille und die gesamte 2. polnische Schützendivision mit 12’000 Mann unter der Führung von General Bronislaw Prugar-Ketling. Sie wurden entwaffnet, interniert und blieben bis zum Kriegsende in der Schweiz.
    (Quelle: armee.vbs.admin.ch)

    Dennoch ist unklar, warum bei der Verteidigung von Frankreich eine polnische Schützendivision beteiligt war. Polen war im September 1939 besiegt und zwischen Russland und Deutschland aufgeteilt worden. Die Antwort findet sich in einer Maturarbeit:

    Nach der Kapitulation der polnischen Armee flohen viele Soldaten über Rumänien und Ungarn nach Frankreich – teilweise waren sie auf abenteuerlichen Um- oder Irrwegen und mit gefälschten Papieren unterwegs. In Frankreich angekommen, schlossen sie sich der neu gebildeten polnischen Exilarmee an. (…)
    (Quelle: www.gmbasel.ch)

    Eigentlich sollten diese Soldaten nur als Reserve eingesetzt werden. Doch es kam anders:

    Durch das rasche Vorstossen der deutschen Truppen (Blitzkriege gegen Belgien und Holland) sah sich die französische Regierung aber gezwungen, auch sie an die Front zu schicken. Also wurde die Zweite Polnische Division zur Verstärkung des VIII. französischen Armeekorps nach Belfort gebracht. Bereits nach wenigen Tagen kreisten sie deutsche Panzerbrigaden ein. Zuerst wurde der Weg von Norden her und im Westen von deutschen Kräften abgeschnitten, später auch der Durchgang in den Süden versperrt. Es folgten lange Kämpfe auf den Anhöhen des Clos du Doubs, welche die gesamte Munition kosteten. Das Fehlen von Waffen, Munition und weiteren Ausrüstungsgegenständen wie Fahrzeugen oder Pferden machten den weiteren Kampf schliesslich aussichtslos. Auf Befehl des polnischen Generals Sikorski zog sie sich in die Schweiz zurück und wurde dort interniert. Da die polnische Division unbedingt vermeiden wollte, in deutsche Kriegsgefangenschaft zu geraten, wurde die Internierung in der Schweiz vorgezogen.

    (…) Aus diversen Quellen wird berichtet, dass die 12’000 polnischen Soldaten die Grenze in vorbildlicher und mustergültiger Ordnung und einer disziplinierten Haltung überschritten hätten, ohne auch nur einen einzigen Verwundeten zurückgelassen zu haben. Mit dem Ablegen ihrer Waffen und sonstiger Ausrüstung begann daraufhin die lange Zeit der Internierung.
    (Quelle: gmbasel.ch)

  • Die Beliebtheit polnischer Männer bei den Schweizer Frauen
  • Die Aufnahme der Polen durch die Schweizer Bevölkerung wird so geschildert:

    (…) die mussten sich keine Sorgen machen, die Burgdorferinnen kamen mit Kindskörben voller Chram und Schokolade zum Bahnhof, wollten die Fremden fast zu Tode füttern, waren völlig vernarrt in sie. Kaum ein polnischer Internierter, der auf der Pritsche übernachten musste. Der Nüchternste schaffte es ins beste Bett. Albert kann das bezeugen. Überall, wo diese Polen hin kamen, wurden die Frauen zu Närrinnen, hatten kaum mehr Augen für die Schweizer. Das machte diese böse und verzweifelt. Sie fragten die uralte Frage: “Was haben die, was wir nicht haben?” Die Frauen hatten eine Antwort darauf. Albert weiss sie, will sie aber “ums Verroden” nicht preis geben – nicht an diesem Tisch.
    (Quelle: blogk.ch)

  • Wie die Schweiz zu ihrem ersten und einzigen „Conzentrationslager“ kam
  • Nach der anfänglichen Privatunterbringung der Polen kam es zum unsäglichen Entschluss, ein „Conzentrationslager“ zu errichten:

    Im Juli 1940 aber beschloss der Chef des Generalstabs, in Büren an der Aare ein Lager für 6000 polnische Internierte zu errichten. Dieser Entscheid erfolgte, weil die polnischen Soldaten im Gegensatz zu den französischen nicht nach Frankreich zurückgeführt werden konnten und nach der Zerschlagung des polnischen Staates durch Deutschland und die Sowjetunion nicht damit gerechnet werden konnte, dass der Schweiz die Kosten für die Internierung je zurückerstattet würden. Man plante deshalb eine wintertaugliche Unterkunft und erhoffte sich von der Konzentration der Soldaten in einem Lager auch finanzielle Einsparungen. Die Armee bezeichnete das Lager in der Planungsphase als «Concentrationslager».

    Die Behörden verstanden zu dieser Zeit, als es noch keine Vernichtungslager gab, unter dem Begriff Gefängnisse oder Arbeitslager. In der Schweiz gab es bisher kein Vorbild für ein solches Lager, das sowohl die Überwachung und Versorgung der Internierten, die Einschränkung des Kontaktes mit der Bevölkerung als auch eine kostengünstige Unterbringung ermöglichen sollte. Der Begriff wurde bald nicht mehr verwendet; man sprach vom «Polenlager», «Interniertenlager» oder «Grosslager», was zeigt, dass man sich von dieser problematischen Bezeichnung distanzieren wollte.

  • „Effiziente“ Schweizer Lagerhaltung und Heiratsverbot
  • Nach der Fertigstellung des Lagers war nicht nur die Bevölkerung von Büren, sondern auch die Schweizer Regierung sichtlich stolz auf die Effizienz, mit der das Lager errichtet und wie das Problem insgesamt gelöst worden war. Viele Internierte hatten keine Arbeit und waren gezwungen, untätig zu warten. Auch war es den Internierten verboten, Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung zu pflegen, und es bestand ein Heiratsverbot mit Schweizerinnen. Nach dem enthusiastischen Empfang durch die Schweizer Bevölkerung war dieses «Gefängnis» ein harter Rückschlag. Schon bald ging das Gerücht um, die Schweiz handle auf Druck der deutschen Behörden. Dies zeigt, welche Ressentiments die Polen gegenüber der Einweisung ins «Concentrationslager» hatten.

  • Schüsse auf polnische Soldaten
  • Der zunehmenden Unzufriedenheit begegnete die Lagerleitung mit verschärften Disziplinierungsversuchen. Ende Dezember 1940 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen und Schüssen auf polnische Soldaten, wobei mehrere verletzt wurden.

    Seit Ende Januar 1941 regelte ein Erlass des Armeekommandos den Arbeitseinsatz von Internierten, was deren Situation insofern verbesserte, als sie nun nicht mehr zur Untätigkeit gezwungen waren. Im Rahmen der im November 1940 angeordneten «Anbauschlacht» wurden sie hauptsächlich in der Landwirtschaft eingesetzt. Die Schweizer Behörden erkannten im Frühjahr 1941, dass das Lager eine Fehlkonzeption war. Mit einer Höchstbelegung von 3500 Menschen waren die Kapazitäten bereits überschritten, und ab März 1941 wurden keine weiteren Polen mehr eingewiesen. Nun wurden viele Polen von Büren in andere Kantone verlegt, wo sie in Industrie, Strassenbau, Waldwirtschaft usw. arbeiteten. Zudem erhielten einige die Erlaubnis – im März 1945 waren es rund 500 –, an den Universitäten zu studieren.

    Im März 1942 wurde das Lager als militärisches Interniertenlager aufgegeben; (…)
    (Quelle: Schlussbericht UEK, S. 113)

    Ein Gedenkstein bei Büren erinnert heute an dieses Lager:

    Gedenkstein Polenlager Büren

    Die Zürichsee Zeitung schreibt:

    Nun wurden die Polen über das Gebiet der ganzen Schweiz in kleinere, gut betreute Lager verteilt. Von hier aus haben sie in etwa 420 Ortschaften einen grossen Betrag zum wirtschaftlichen Durchhalten der Schweiz geleistet.»
    (Quelle: zsz.ch)

    So auch der „Polenweg“ bei Rothenbrunnen. Wir lesen dazu bei Wikipedia:

    Insgesamt wurden 450 km Wege, Brücken und Kanäle gebaut. Eine Kapelle in der Nähe von Ruis/Rueun im bündnerischen Surselva erinnert an die polnischen Soldaten.

    Blick vom Polenweg auf den Hinterrhein
    (Foto: Blick vom Polenweg über den mäandernden Hinterrhein auf Rhäzüns)

    Was bei der ganzen „Polenweg-Geschichte“ immer noch ein Rätsel bleibt, ist wie es die 12’000 polnischen Soldaten nach der Niederlage im September 1939 via Rumänien, Ungarn, und wahrscheinlich Österreich, Italien nach Frankreich schaffen konnten. Quer durch Nazideutschland werden sie kaum gereist sein. Ein paar Hundert kann ich mir noch gut versteckt reisend vorstellen, aber 12’000? Allemal eine verrückte Geschichte.

    Terroristische Luftangriffe bitte nur zu den üblichen Bürozeiten — Neues von der Schweizer Landesverteidigung.

    April 19th, 2010

    (reload vom 12.1.07)

  • Tower mit eigener Postleitzahl
  • In den ersten Jahren nach unserem Umzug in die Schweiz arbeitete ich in Wallisellen bei Zürich im Glatt-Tower. Ein imposantes Gebäude, mitten im gleichnamigen Einkaufszentrum stehend, mit einer eigenen Postleitzahl.
    Glatt-Tower
    (Quelle Foto: Wikipedia)

    Ich gebe es zu, dass ich den Job dort letztendlich auch wegen der wunderbaren Fernsicht auf die Alpen ausgewählt hatte. Andere Arbeitgeber boten nur Stellen mit Blick auf hässliche Industriegebiete oder Eisenbahngeleise. Anfang 2000 konnte man sich die Stellen in der IT-Branche noch aussuchen, kurz darauf platzte die Dotcom-Blase.

  • Der gar nicht so einzigartige Flughafen
  • Der Glatt-Tower liegt in der Nähe des Flughafen Klotens, der einfach „einzig“ ist in der Schweiz und anders als „Munich“ ohne M auskommt. Das „M“ gehört der Migros in der Schweiz, also hiess er bis vor kurzem nicht „unich“ sondern „Unique“. Doch das ist jetzt Geschichte. Seit dem 15. April heisst „Unique Airport“ wieder „Flughafen Zürich“. Doch so einzig wie sein alter Name war er eigentlich gar nicht, denn es gibt nicht weit entfernt noch den Militärflughafen in Dübendorf. 1910 war er der erste Schweizer Flughafen überhaupt und er bekam erst 1948 durch Kloten Konkurrenz. Jeweils Dienstags und Donnerstags übten in Dübendorf die Schweizer Luftwaffe ihre lautstarken Starts.

  • Anflug auf den Tower
  • Der tolle Blick auf die Alpen hatte einen Nachteil. Alle 2 Minuten startet dort im Glatttal bei Südwind ein Düsenjet in Richtung Glatt-Tower, fliegt einige Sekunden direkt auf das Gebäude zu, gewinnt dann an Höhe und dreht eine lautstarke Kurve über Wallisellen, um die Ohren der Zürcher Goldküstenbewohner zu schonen und den Flug in Richtung Norden über Deutschland fortzusetzen. Vor dem 11. September 2001 fand ich diese Flugmanöver schwer beeindruckend, danach machte das Zuschauen irgendwie keinen rechten Spass mehr.

  • Die Nasslöschstelle und Evakuationskommando
  • Über die strikten Sicherheitsvorkehrungen im Glatt-Zentrum hatte ich bereits hier berichtet: Codename “Zurigo” — Die geheimen militärischen Rituale der Schweizer beim Brandschutz.

  • Abschuss erlaubt, aber womit?
  • Was allerdings geschehen sollte, wenn eine von Terroristen entführte Langstreckenmaschine auf das Glattzentrum zufliegt, darüber machte sich damals niemand Gedanken. Erst jetzt konnten wir endlich zu diesem Thema eine positive Nachricht dem Tages-Anzeiger entnehmen:

    Schweiz erlaubt Abschuss in Not
    Was Deutschland echauffiert, hat die Schweiz bereits geregelt. Die Luftwaffe dürfte in der Not ein von Terroristen entführtes Flugzeug abschiessen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)

    Das wäre also geregelt. Während man in Deutschland lange diskutiert und zaudert ist das Thema in der Schweiz vom Tisch und entschieden. Nur hat die Sache einen kleinen Haken. Die Terroristen sollten möglichst zu den normalen Bürozeiten angreifen:

    Schweizer Kampfflugzeuge sind normalerweise nur zu Bürozeiten in der Luft, also nicht am Wochenende, über Mittag oder nachts. Während der Bürozeiten üben die Berufsmilitärpiloten in ihren F/A-18- und F5-Tiger-Kampffliegern. Dann wären sie sofort einsetzbar, wie Luftwaffensprecher Jürg Nussbaum sagt. Allerdings nur zur Kontaktaufnahme und zur Rekognoszierung, denn zu Friedenszeiten sind die Piloten meist ohne Waffen an Bord unterwegs. Die Chance, ein von Terroristen gekapertes Flugzeug zu Friedenszeiten am Schweizer Himmel zu entdecken und auch noch abzuschiessen, sei «fast gleich null», so Nussbaum.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)

    Mist. Dann müssen die doch tatsächlich erst landen, Waffen nachladen, wieder starten und erst dann wird es ernst. Nur ist die Schweiz nicht gerade gross, ein Düsenjet hält sich demzufolge hier nicht lange im Luftraum auf:

    An einem normalen Tag mit uneingeschränktem Flugverkehr müsste laut VBS letztlich der Pilot des Kampfflugzeugs, der den Eindringling jagt, den folgenschweren Entscheid treffen. Er täte dies nach Absprache mit dem Luftkommando am Boden. Ob es überhaupt zu einer Jagd käme, ist fraglich. Denn der Schweizer Luftraum ist klein. Und längst nicht zu jedem Zeitpunkt sind Kampfjets am Himmel oder sofort startbereit.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)

    Ob da die Schweizer Milizsoldaten mit ihrem frisch geladenen Sturmgewehr, wenn sie sich aufs Hausdach stellen und gut zielen, alle gemeinsam, mehr ausrichten könnten? Bestimmt! Beim Widerstand gegen die Südanflüge haben die selbsternannten „Schneiser“ schon bewiesen, dass bereits ein paar gut platzierte Luftballons oder Taschenlampen für erhebliche Aufregung sorgen. Wieviel mehr liesse sich da mit Sturmgewehren ausrichten!

  • Abschussbefehl durch Bundesrat Samuel Schmid
  • Falls wirklich mit einer terroristischen Bedrohung zu rechnen ist, wird allerdings anders vorgegangen in der Schweiz:

    Anders ist die Situation rund ums Weltwirtschaftsforum (WEF) vom 24. bis 28. Januar. Dann sind Kampfflugzeuge ständig in der Luft und bewaffnet. Der Himmel über Davos ist gesperrt. Bundesrat Samuel Schmid wird in dieser Zeit von einem Offizier mit Telefon rund um die Uhr begleitet. «Käme es zu einem unzweifelhaften Zwischenfall, müsste Bundesrat Schmid als Ultima Ratio den Abschussbefehl geben», sagt VBS-Informationschef Martin Bühler.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)

    Wir wollen uns lieber nicht ausmalen, wie so ein Gespräch dann nach den Regeln der Schweizer Telefonkommunikation mit Gesprächseröffnung, Höhepunkt und Gesprächsabschluss ablaufen könnte. Stellen wir uns dafür vor, dass ein vollgetanktes Flugzeug in Zürich gestartet ist und nun mit 800 Km/h in Richtung Davos fliegt. Das sind laut unserem Routenplaner 146 KM auf der Strasse. Flugzeuge fliegen direkt. Selbst wenn der Jet der Autobahn folgen würde, bräuchte er ca. 11 Minuten. Rechnen wir 5-6 Minuten ab, die Skyguide braucht, um das Flugzeug als entführt zu klassifizieren (sofern sich da niemand gerade einen Kaffee holt oder das System gewartet wird oder der Lotse überlastet ist), bleiben also noch 4-5 Minuten für das Telefonat mit Samuel Schmid. Für Höflichkeitsfloskeln und langes Rückfragen ist da nicht mehr viel Luft, wenn die Kampflugzeuge noch Zeit zum Handeln haben sollen.

  • Waffen haben nur eine begrenzte Haltbarkeit
  • Der Zürcher Unterländer berichtet am 11.01.07. über das gleiche Thema:

    Wenn akute Gefahr drohte, so würden F/A-18 und F5-Tiger-Kampfflieger in Alarmbereitschaft versetzt und bewaffnet. Dies dauere „wenige Stunden“ Eine durchgehende Bewaffnung sei jedoch nicht sinnvoll, weil die Waffen „ausserordentlich teuer“ seien und nach einer gewissen Zahl von Flugstunden dann ungebraucht ausgewechselt werden werden müssten.

    Hatten wir nicht eben vorgerechnet, dass nur 11 Minuten Zeit ist bei einem Angriff, und nicht „mehrere Stunden“? Wir haben jetzt gelernt, dass auch teure Waffensystem nur eine begrenzte Haltbarkeitsdauer haben, so wie Joghurt oder Bier, was auch nicht ewig gelagert werden kann. Die Waffen bleiben also am besten gut gefettet und stosssicher verpackt am Boden im Schrank, statt sie in der Luft spazierenzufliegen. Sonst geht wohlmöglich noch irgendwann eine Rakete verloren.

  • Beim Flug 93 dauerte es zu lange
  • Der amerikanische Dokumentarfilm „Flug 93“ erzählt, wie lange es am 11. September 2001 dauerte, bis wirklich die Abschussgenehmigung um 10:18 Uhr erteilt wurde. Da waren bereits alle vier entführten Maschinen nicht mehr in der Luft. Präsident Bush hörte sich lieber weiter Kindergeschichten an, als Entscheidungen zu treffen. Auch ohne Waffensysteme an Bord der Kampfflieger wurde in der USA zumindest ein Rammen der Passagierjets durch die Kampfflieger erwogen, kombiniert mit einem Notausstieg der Piloten via Schleidersitz. Das verbraucht wenigstens keine teuren Waffensystem.

    Hoffen wir also, dass so ein Terrorakt in der Schweiz nie verübt wird. Und wenn, dann doch bitte ausschliesslich von Montags bis Freitags zwischen 8:00 – 12.00 Uhr und 13:30 – 17:00 Uhr. Müsste doch zu machen sein, oder?

    Auch Du kannst ein Waffenhändler werden – Deine Unterschrift und 100 Franken reichen für den Anfang

    Januar 26th, 2010

    (reload vom 17.11.06)

  • Mehr Fun mit der Pumpgun
  • Nun ist es neun Jahre her, als der Amokläufer Friedrich Leibacher im Kantonsrat von Zug nach kaltblütiger Planung 14 Menschen tötete, weitere schwer verletzte und sich selbst am Ende erschoss. Unter den zahlreichen Waffen, die er sich vor seiner Tat legal in diversen Kantonen beschaffen konnte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon „auffällig“ geworden war, gehörte auch eine Pumpgun. Fünf Jahre lang wurde danach in der Schweiz darüber nachgedacht, ob Handlungsbedarf besteht bei den Bestimmungen zum Waffengesetz. Genützt hat es nicht viel. In Herbst 2006 diskutierte der Schweizer Nationalrat über schärfere Bestimmungen im Waffengesetz:

    Knapp endete die Abstimmung über die Frage, ob Pumpaction-Waffen – so genannte Repetierschrotflinten – gänzlich untersagt werden sollen. Friedrich Leibacher hatte sich kurz vor dem Attentat eine solche Waffe besorgt. Doch die populäre Waffe bleibt legal erhältlich: Die Pumpaction eigne sich zwar bestens für Gangsterfilme, sagte Justizminister Christoph Blocher, doch in der Realität gebe es «derzeit keine Hinweise, dass diese Waffen in der Realität besonders häufig oder mehr als andere Waffen für kriminelle Zwecke missbraucht würden». Die Kommissionsminderheit unterlag im Plenum mit 83 zu 86 Stimmen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 28.09.06)

    Leibacher konnte sich gleich in mehreren Kantonen mit Waffen versorgen, da es keine nationale Registrierung der Waffen gibt. Was kann man mit einer Pumpgun eigentlich anfangen? Na, auf dem Schiessplatz einmal garantiert die Zielscheibe treffen, noch dazu mit vielen kleinen Kugeln. Es ist ein super Schrotgewehr. Auch Hasen kann man damit erschiessen, muss allerdings auf den Verzehr verzichten, zuviel Blei im Braten.

  • Einmal wie John Travolta ballern
  • Wo kauft man sich so ein Spielzeug, um mal richtig wie John Travolta in „Pulp Fiction“ auszusehen und das persönliche Sicherheitsgefühl zu erhöhen? Zum Beispiel bei der Online Verkaufsbörse „Gebrauchtwaffen.ch“, da gibt es die Dinger für 400 – 550 Franken.

    Das ist richtig teuer, wenn man bedenkt, das Schweizer Wehrmänner nach ihrer Entlassung aus dem Dienst für wesentlich weniger Geld ihr Hightech „Sturmgewehr 90“ behalten können.

    „Der Bundesrat (…) gibt den Entlassenen die Waffen weiterhin auf Vertrauensbasis mit nach Hause. Sie müssen dazu einzig eine Selbstdeklaration unterzeichnen und 100 Franken für ein Sturmgewehr 90, 60 Franken für das Sturmgewehr 57 und 30 Franken für eine Pistole bezahlen“
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.11.06)

  • Was soll ich mit dem Gewehr daheim?
  • Merkwürdiger Weise lässt bei Wehrmännern, die 10 Jahre das Sturmgewehr im Schrank stehen hatten, der Bedarf an persönliche Sicherheit und der Wille zur sofortigen Landesverteidigung noch in Schlafanzughosen erheblich nach.

    „Was soll ich mit dem Gewehr daheim?“, fragt ein 34-jähriger Zürcher und gibt die Antwort gleich selber: „Meiner Meinung nach gehört die Waffe nicht nach Hause.“ Viele seiner Kameraden denken ähnlich. Nein, sie brauchen das Gewehr nicht, zu Hause stehe es sowieso nur herum oder könnte in falsche Hände geraten. (…) Von den rund 300 Personen mit Sturmgewehr haben am gestrigen Entlassungstag 251 die Waffe zurückgegeben. Nur 49 Personen nahmen das Sturmgewehr mit nach Hause“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.11.06)

    Na das kann ja heiter werden, wenn sich solche Gedanken durchsetzen sollten. Keine sofortige Wehrbereitschaft in akuten Krisensituationen, keine schnelle Terrorabwehr wäre mehr möglich, und das bei der heutigen Bedrohungslage!

  • Auch Du hast das Zeug zum Waffenhändler
  • Und dabei könnte man doch richtig schön Geld verdienen mit dem 100-Stutz-Gewehr.

    „Schliesslich bieten Waffenhändler mehrere Hundert Franken für ein Sturmgewehr 90“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.11.06)

    Auf „Gebrauchtwaffen.ch“ gibt es die Dinger von 1‘200 – 1‘800 Franken, natürlich nur an „Schweizerbürger“ UND „Menschen mit gutem Leumund“ abzugeben, wobei das „und“ hier als logische Verknüpfung verstanden werden sollte, und „ausschliesslich nach den gesetzlichen Bestimmungen“ die ja zum Glück nicht so wahnsinnig kompliziert sind beim Waffenbesitz in der Schweiz.
    Ein billiger Prügel
    (Quelle Foto: gebrauchtwaffen.ch)

  • Die Staatliche Anschubfinanzierung für den privaten Waffenhandel
  • Auch eine Art der Wirtschaftsförderung: Man gebe den entlassenen Wehrmännern das Sturmgewehr 90 für 100 Franken mit nach Hause und es wird kurz darauf für 1‘200 – 1‘800 Franken auf dem Gebrauchtwaffenmarkt verkauft. Wir getrauen uns nicht zu fragen, wer da kauft, denn jeder unbescholtene Schweizer Mann sollte so ein Ding sowieso schon daheim haben. Oder geht der Trend heutzutage eher zur Zweitwaffe?

  • Kann einfach jeder das Ding mit heim nehmen?
  • Wer bereits 10 Jahr als Wehrmann auf dem Buckel hat, muss nur 100 Franken zahlen und unterschreiben:

    Weder ein Auszug aus dem Strafregister noch ein Waffenerwerbsschein werden verlangt. Der Wehrmann muss bloss ein Formular – eine Selbstdeklaration – unterzeichnen, womit er bestätigt, «dass keine Hinderungsgründe für die Überlassung der Waffe vorliegen», wie das VBS schreibt. Es genügt die Angabe, er erfülle Artikel 8, Absatz 2 des Waffengesetzes: Er sei weder im Strafregister verzeichnet, noch gebe er Anlass zur Sorge, dass er sich selbst oder Dritte mit der Waffe gefährde.
    (Tages-Anzeiger vom 9.11.06)

    Die Schweizer sind da gründlich. Vertrauen ist gut, eine Unterschrift ist besser, dann funktioniert das unter Garantie. Eigentlich sollte man den Strafvollzug auch gleich abschaffen. Jeder Ex-Gewalttäter unterschreibt, dass er in Zukunft keinen Anlass mehr zur Sorge gibt, sich selbst oder Dritte zu gefährden, und schon ist das Problem auf Dauer gelöst. Auf diese einfache aber geniale Idee muss man nur erst kommen. Das mit dem Strafregisterauszug, der nicht vorgelegt werden muss, könnten wir der Einfachheit halber für die Ex-Gewalttäter auch gleich übernehmen. Spart eine Menge Kosten.

    Wir möchten doch an dieser Stelle auch betonen, dass wir gleichfalls weder im Strafregister verzeichnet sind noch Anlass zur Sorge geben, dass wir uns selbst oder Dritte mit der Waffe zu gefährden denken. Kriegen wir jetzt auch eine Waffe beim nächsten Waffenhändler? Wo bitte dürfen wir unterschreiben? Für wen braucht eigentlich der Waffenhändler diese Waffen? Wer kauft sie ihm ab? Keine Ahnung, denn ohne Registrierungspflicht weiss sowieso niemand, wann wohin welche Waffe wechselt (wow!)

    Der Bundesrat verzichtete auf eine strengere Regelung – namentlich auf die Verpflichtung, einen Waffenschein zu erwerben oder einen Strafregisterauszug vorzuweisen. Dies mit der Begründung, dass bei der Abgabe der Waffe zu Beginn der Rekrutenschule auch keine Abklärungen gemacht würden, (…). Den Armeeangehörigen soll laut dem VBS zunächst vertraut werden. Schliesslich hätten sie beim Ausscheiden aus der Dienstpflicht rund zehn Jahre klaglos eine Leihwaffe besessen. Zudem sei die Lösung kostengünstig und werde in den meisten Kantonen bereits so gehandhabt.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Kostengünstig? Hightech-Geräte mit einem Marktwert von 1‘200 – 1‘800 Franken für 100 Franken abzugeben ist eine kostengünstige Lösung? Ja, denn so kommt der angehende Privat-Waffenhändler zu kostengünstigen Konditionen an seine erste Waffe, der Grundstock für einen späteren Grosshandel.

    Es herrsche Frieden im Land.