(reload vom 12.1.07)
Tower mit eigener Postleitzahl
In den ersten Jahren nach unserem Umzug in die Schweiz arbeitete ich in Wallisellen bei Zürich im Glatt-Tower. Ein imposantes Gebäude, mitten im gleichnamigen Einkaufszentrum stehend, mit einer eigenen Postleitzahl.
(Quelle Foto: Wikipedia)
Ich gebe es zu, dass ich den Job dort letztendlich auch wegen der wunderbaren Fernsicht auf die Alpen ausgewählt hatte. Andere Arbeitgeber boten nur Stellen mit Blick auf hässliche Industriegebiete oder Eisenbahngeleise. Anfang 2000 konnte man sich die Stellen in der IT-Branche noch aussuchen, kurz darauf platzte die Dotcom-Blase.
Der gar nicht so einzigartige Flughafen
Der Glatt-Tower liegt in der Nähe des Flughafen Klotens, der einfach „einzig“ ist in der Schweiz und anders als „Munich“ ohne M auskommt. Das „M“ gehört der Migros in der Schweiz, also hiess er bis vor kurzem nicht „unich“ sondern „Unique“. Doch das ist jetzt Geschichte. Seit dem 15. April heisst „Unique Airport“ wieder „Flughafen Zürich“. Doch so einzig wie sein alter Name war er eigentlich gar nicht, denn es gibt nicht weit entfernt noch den Militärflughafen in Dübendorf. 1910 war er der erste Schweizer Flughafen überhaupt und er bekam erst 1948 durch Kloten Konkurrenz. Jeweils Dienstags und Donnerstags übten in Dübendorf die Schweizer Luftwaffe ihre lautstarken Starts.
Anflug auf den Tower
Der tolle Blick auf die Alpen hatte einen Nachteil. Alle 2 Minuten startet dort im Glatttal bei Südwind ein Düsenjet in Richtung Glatt-Tower, fliegt einige Sekunden direkt auf das Gebäude zu, gewinnt dann an Höhe und dreht eine lautstarke Kurve über Wallisellen, um die Ohren der Zürcher Goldküstenbewohner zu schonen und den Flug in Richtung Norden über Deutschland fortzusetzen. Vor dem 11. September 2001 fand ich diese Flugmanöver schwer beeindruckend, danach machte das Zuschauen irgendwie keinen rechten Spass mehr.
Die Nasslöschstelle und Evakuationskommando
Über die strikten Sicherheitsvorkehrungen im Glatt-Zentrum hatte ich bereits hier berichtet: Codename “Zurigo” — Die geheimen militärischen Rituale der Schweizer beim Brandschutz.
Abschuss erlaubt, aber womit?
Was allerdings geschehen sollte, wenn eine von Terroristen entführte Langstreckenmaschine auf das Glattzentrum zufliegt, darüber machte sich damals niemand Gedanken. Erst jetzt konnten wir endlich zu diesem Thema eine positive Nachricht dem Tages-Anzeiger entnehmen:
Schweiz erlaubt Abschuss in Not
Was Deutschland echauffiert, hat die Schweiz bereits geregelt. Die Luftwaffe dürfte in der Not ein von Terroristen entführtes Flugzeug abschiessen.
(Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)
Das wäre also geregelt. Während man in Deutschland lange diskutiert und zaudert ist das Thema in der Schweiz vom Tisch und entschieden. Nur hat die Sache einen kleinen Haken. Die Terroristen sollten möglichst zu den normalen Bürozeiten angreifen:
Schweizer Kampfflugzeuge sind normalerweise nur zu Bürozeiten in der Luft, also nicht am Wochenende, über Mittag oder nachts. Während der Bürozeiten üben die Berufsmilitärpiloten in ihren F/A-18- und F5-Tiger-Kampffliegern. Dann wären sie sofort einsetzbar, wie Luftwaffensprecher Jürg Nussbaum sagt. Allerdings nur zur Kontaktaufnahme und zur Rekognoszierung, denn zu Friedenszeiten sind die Piloten meist ohne Waffen an Bord unterwegs. Die Chance, ein von Terroristen gekapertes Flugzeug zu Friedenszeiten am Schweizer Himmel zu entdecken und auch noch abzuschiessen, sei «fast gleich null», so Nussbaum.
(Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)
Mist. Dann müssen die doch tatsächlich erst landen, Waffen nachladen, wieder starten und erst dann wird es ernst. Nur ist die Schweiz nicht gerade gross, ein Düsenjet hält sich demzufolge hier nicht lange im Luftraum auf:
An einem normalen Tag mit uneingeschränktem Flugverkehr müsste laut VBS letztlich der Pilot des Kampfflugzeugs, der den Eindringling jagt, den folgenschweren Entscheid treffen. Er täte dies nach Absprache mit dem Luftkommando am Boden. Ob es überhaupt zu einer Jagd käme, ist fraglich. Denn der Schweizer Luftraum ist klein. Und längst nicht zu jedem Zeitpunkt sind Kampfjets am Himmel oder sofort startbereit.
(Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)
Ob da die Schweizer Milizsoldaten mit ihrem frisch geladenen Sturmgewehr, wenn sie sich aufs Hausdach stellen und gut zielen, alle gemeinsam, mehr ausrichten könnten? Bestimmt! Beim Widerstand gegen die Südanflüge haben die selbsternannten „Schneiser“ schon bewiesen, dass bereits ein paar gut platzierte Luftballons oder Taschenlampen für erhebliche Aufregung sorgen. Wieviel mehr liesse sich da mit Sturmgewehren ausrichten!
Abschussbefehl durch Bundesrat Samuel Schmid
Falls wirklich mit einer terroristischen Bedrohung zu rechnen ist, wird allerdings anders vorgegangen in der Schweiz:
Anders ist die Situation rund ums Weltwirtschaftsforum (WEF) vom 24. bis 28. Januar. Dann sind Kampfflugzeuge ständig in der Luft und bewaffnet. Der Himmel über Davos ist gesperrt. Bundesrat Samuel Schmid wird in dieser Zeit von einem Offizier mit Telefon rund um die Uhr begleitet. «Käme es zu einem unzweifelhaften Zwischenfall, müsste Bundesrat Schmid als Ultima Ratio den Abschussbefehl geben», sagt VBS-Informationschef Martin Bühler.
(Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)
Wir wollen uns lieber nicht ausmalen, wie so ein Gespräch dann nach den Regeln der Schweizer Telefonkommunikation mit Gesprächseröffnung, Höhepunkt und Gesprächsabschluss ablaufen könnte. Stellen wir uns dafür vor, dass ein vollgetanktes Flugzeug in Zürich gestartet ist und nun mit 800 Km/h in Richtung Davos fliegt. Das sind laut unserem Routenplaner 146 KM auf der Strasse. Flugzeuge fliegen direkt. Selbst wenn der Jet der Autobahn folgen würde, bräuchte er ca. 11 Minuten. Rechnen wir 5-6 Minuten ab, die Skyguide braucht, um das Flugzeug als entführt zu klassifizieren (sofern sich da niemand gerade einen Kaffee holt oder das System gewartet wird oder der Lotse überlastet ist), bleiben also noch 4-5 Minuten für das Telefonat mit Samuel Schmid. Für Höflichkeitsfloskeln und langes Rückfragen ist da nicht mehr viel Luft, wenn die Kampflugzeuge noch Zeit zum Handeln haben sollen.
Waffen haben nur eine begrenzte Haltbarkeit
Der Zürcher Unterländer berichtet am 11.01.07. über das gleiche Thema:
Wenn akute Gefahr drohte, so würden F/A-18 und F5-Tiger-Kampfflieger in Alarmbereitschaft versetzt und bewaffnet. Dies dauere „wenige Stunden“ Eine durchgehende Bewaffnung sei jedoch nicht sinnvoll, weil die Waffen „ausserordentlich teuer“ seien und nach einer gewissen Zahl von Flugstunden dann ungebraucht ausgewechselt werden werden müssten.
Hatten wir nicht eben vorgerechnet, dass nur 11 Minuten Zeit ist bei einem Angriff, und nicht „mehrere Stunden“? Wir haben jetzt gelernt, dass auch teure Waffensystem nur eine begrenzte Haltbarkeitsdauer haben, so wie Joghurt oder Bier, was auch nicht ewig gelagert werden kann. Die Waffen bleiben also am besten gut gefettet und stosssicher verpackt am Boden im Schrank, statt sie in der Luft spazierenzufliegen. Sonst geht wohlmöglich noch irgendwann eine Rakete verloren.
Beim Flug 93 dauerte es zu lange
Der amerikanische Dokumentarfilm „Flug 93“ erzählt, wie lange es am 11. September 2001 dauerte, bis wirklich die Abschussgenehmigung um 10:18 Uhr erteilt wurde. Da waren bereits alle vier entführten Maschinen nicht mehr in der Luft. Präsident Bush hörte sich lieber weiter Kindergeschichten an, als Entscheidungen zu treffen. Auch ohne Waffensysteme an Bord der Kampfflieger wurde in der USA zumindest ein Rammen der Passagierjets durch die Kampfflieger erwogen, kombiniert mit einem Notausstieg der Piloten via Schleidersitz. Das verbraucht wenigstens keine teuren Waffensystem.
Hoffen wir also, dass so ein Terrorakt in der Schweiz nie verübt wird. Und wenn, dann doch bitte ausschliesslich von Montags bis Freitags zwischen 8:00 – 12.00 Uhr und 13:30 – 17:00 Uhr. Müsste doch zu machen sein, oder?