Zu Gast bei DRS1 — Stream der Treffpunkt Sendung vom 21.05.07

Mai 27th, 2007

Die Blogwiese macht Pfingstpause, darum etwas „auf die Ohren“, damit die Zeit nicht so lang wird.

  • Zu Gast bei Diana Joerg
  • Am Montag den 21.05.07 war ich zu Gast bei Diana Joerg in der Sendung Treffpunkt auf DRS1. Es war sehr nett und unkompliziert. Hätte ich vorher gewusst, dass die Studios von DRS1 rund um die Uhr per Webcam beobachtet werden können, hätte ich vielleicht ein bisschen öfters in die Kamera gewunken.

    Für die Musikauswahl konnten weder Diana Joerg noch ich etwas, dafür gibt es beim DRS professionelle Musikredakteure, die hier natürlich „Redaktore“ heissen.

    Das Studio ist ein heller Glaskasten, draussen zogen Besuchergruppen vorbei, die gerade auf einer geführten Tour durch das Sendegebäude unterwegs waren.

  • Bündernisch als Kündigungsgrund
  • Diana Joerg, mit ohne Umlaut im Namen, hat es übrigens vor Jahren als erste Bündnerin geschafft, wegen ihres heimischen Dialekts quasi „diskriminiert“ zu werden. Sie wurde einst bei Tele-Züri entlassen, mit der Begründung, ihr Dialekt passe nicht zum Sender aus Zürich. Sonst gelten doch das Wallis und Graubünden immer als die Dialektregionen mit dem höchsten Beliebtheitsgrad bei den Schweizerinnen und Schweizern, weil jeder bei dieser Sprachmeldie automatisch an Ferien, Klassenfahrten und an die netten braungebrannte Skilehrer aus Chur denkt.

    Im Internet findet sich hierzu:

    „[Sie] arbeitete ab 1991 als Moderatorin und Redaktorin bei einem Regionalradio und von 1999 bis 2001 als Videojournalistin und News-Moderatorin bei Tele 24. Tele Züri wollte sie damals wegen ihres Bündner Dialekts nicht übernehmen, so dass sie zu SF DRS wechselte, wo sie das «Mittagsmagazin» moderierte.“
    (Quelle: KleinReport vom 2.5.2003)

    Sie erzählte mir, dass diese Begründung natürlich nur vorgeschoben war. Die Sendung Treffpunkt moderierte sie in der vergangenen Woche auch zum letzten Mal. Danach wechselt Sie intern bei DRS zu den Radio-Reportagen.

    Hier der Stream auf die Sendung „Eine Stange ist ein Bier
    Es hat Spass gemacht, endlich einmal richtig Zeit zum Erzählen zu haben, und sich nicht später in einem gekürzten 3 Minuten-Beitrag wiederzufinden. Zum Schweizerdeutschsprechen hat die Zeit dann doch nicht mehr gelangt, das hole ich dann bei Kurt Aeschbacher nach, falls es da je zu einer Einladung kommen sollte.

    Durch die Sendung kamen ca. 700 Besucher mehr als sonst an diesem Tag auf die Blowiese, davon 67 über den Link auf der DRS1-Homepage.

    Mir ist so flau – da trink mal Flauder — Appenzeller Mineralwasser aus dem Wallis

    Mai 25th, 2007
  • Durch Zufall entdeckt
  • Am Anfang gefiel uns die hübsche Flasche und das dezente Werbeversprechen, hier ein Mineralwasser mit Holunderblüten und Melissengeschmack zu erwerben. So stiessen wir auf „Flauder“, so blumig wie „Flieder“ und so rasant wie Niki „Lauda“ ? Dann entdeckten wir den Geschmack und die einzigartige Schweizerische Erfolgsgeschichte dieses Getränks:

    Das Getränk entstand im April 2002 mehr oder weniger per Zufall: Auf der Suche nach neuen Geschmacksrichtungen wurde einem Holundergetränk irrtümlicherweise Melisse beigemischt. Der Geschmack von Flauder wird wie folgt beschrieben: «nach Blumengarten im Morgentau, nach der vergänglichen Magie eines Frühsommertages auf dem Land.»
    (Quelle: Wikipedia)

    Flauder Blütenquell

    War April 2002 nicht die Zeit, in welcher der Anbau und Genuss von Cannabis in der Schweiz wesentlich stärker toleriert und ausgeführt wurde, als heute? In dem die jugendlichen Berufsschüler im Zug von Bülach nach Winterthur noch täglich im Raucherabteil des Pendlerzugs die Haschischrauch Produktion anwerfen konnten, so dass für normale Reisende ein tiefer „Schnuuf“ im Raucherabteil genügte, um auch stoned zu werden? (vgl. Blogwiese)
    Egal, „Blumengarten im Morgentau“ klingt wie „Schwarzer Afghane“ oder „Roter Libanese“ . Doch keine Angst, Sie müssen nicht in einen Headshop gehen, um Flauder zu kaufen. Gibt es bei Coop.

    Produziert wird das Getränk von der Mineralquelle Goba in Gontenbad im Kanton Appenzell in der Schweiz. Besitzerin der kleinsten Mineralquelle innerhalb des Verbandes der Schweizerischen Mineralquellen und Softdrink-Produzenten ist Gabriela Manser, die den Betrieb seit 1999 in dritter Generation führt. Sie hat ihn erfolgreich modernisiert, verpasste den Flaschen moderne Etiketten und kreierte neue Geschmacksrichtungen.
    (Quelle: Wikipedia)

    Wahrscheinlich ist dieser Wikipedia-Eintrag lange nicht aktualisiert worden, denn Flauder wird auch von der Migros in Lizenz verkauft, nur stammt deren Abfüllung nicht mehr aus dem Kanton Appenzell sondern wird in Nedaz im Wallis abgefüllt, wie auf dem Etikett zu lesen ist:
    Flauder aus Nendaz
    (Quelle: andare.ch)

    Ein Migros-Mitarbeiter erzählte uns einmal, dass die Migros zunächst versucht habe, einen eigenen Blütentrank auf den Markt zu bringen, das Projekt aber dann aufgab und stattdessen in die Lizenzproduktion einstieg.

    Zur Erfolgsgeschichte von Flauder gehört die ursprüngliche Werbeidee:

    Dadurch, dass jeder Lieferung ungefragt eine Flasche Flauder beigelegt wurde, konnte sich das Getränk innerhalb kurzer Zeit und ohne Werbung im Getränkemarkt durchsetzen und wurde schnell zu einem Verkaufsschlager. Flauder und die anderen Produkte der Quelle werden vor allem in der Ostschweiz verkauft. Abnehmer sind Getränkehändler, Läden, Bars, Restaurants und Grossverteiler.
    (Quelle: Wikipedia )

    Demzufolge gehört Zürich jetzt wohl auch zur Ostschweiz, siehe dazu den Beitrag über das Schweizer „Morgenland“ vom letzten Montag.

  • Kein Flickflack sondern Flickflauder
  • Ein Flickflack ist ein „Handstützüberschlag rückwärts“, ein Flickflauder hingegen hat Flügel. Wir fanden die Erklärung der Herkunft des Wortes Flauder bei Wikipedia:

    Der Name Flauder stammt vom Wort Flickflauder, dem Innerrhoder Dialektausdruck für Schmetterling.

    Das Wort „Flickflauder“ wollen wir gleich mal bei Genial Daneben (Deutschland) einreichen. Mal sehen was für unfeinen Assoziationen das bei Hella von Sinnen & Co auslöst. Wahrscheinlich halten sie es für ein Regal von Ikea, oder für eine Stellung aus dem Kamasutra, was weiss ich.

    Die Magie der höflichen Indirektheit — Nicole M. über die Kunst der Schweizerischen Kommunikation

    Mai 24th, 2007
  • Wenn die Codizes nicht stimmen
  • Die Schweizerin Nicole M. beschreibt im Tages-Anzeiger, wie es ist, in der Schweiz mit einem Kopftuch unterwegs zu sein. Sie kam auf diese „Under-Cover-Kopftuch“ Aktion durch ein Erlebnis, dass ihr widerfuhr, als sie einen kurdischen Freund bei der Semester-Einschreibung an die Uni begleitet:

    Wir werden vorgelassen, mein Freund bringt sein Anliegen vor. In einem nicht ganz korrekten, aber mühelos verständlichen Satz. Die Dame am Schalter schüttelt nur den Kopf. Mit einer Bestimmtheit, die ich ihr gar nicht zugetraut hätte, sagt sie: «Nein, das geht nicht, auf keinen Fall, da kann man gar nichts machen.» Mein Freund zuckt mit den Schultern und wendet sich ab, ist an solche diskussionslosen Absagen gewöhnt.
    (Quelle: Dieses und alle weitere Zitate stammt aus dem Tages-Anzeiger vom 21.05.07, S. 20)

    Hier lief offensichtlich etwas falsch in der Kommunikation zwischen dem Kurden und der Schweizer Dame am Schalter. Codizes wurden nicht eingehalten, Gesprächsregeln verletzt. Das beschreibt Nicole M. im Folgenden sehr präzise und mit exakter Beobachtungsgabe, denn für Schweizer sind diese Dinge nicht leicht wahrzunehmen, weil sie so selbstverständlich sind im Alltag:

    Einkauf mit Kopftuch
    (Quelle Foto: Tages-Anzeiger vom 21.05.07 Foto von Thomas Burla)

    Nun wende ich mich der Dame zu und wiederhole, was mein Freund gesagt hat. Wiederhole nur, sage den gleichen Satz wie er, sage ihn aber auf Schweizerdeutsch und makellos, geschminkt mit ein paar Höflichkeitsfloskeln, in gutschweizerischer Indirektheit. Man sagt «Könnte ich vielleicht» (mit Betonung auf vielleicht, obwohl man gar nicht vielleicht meint, sondern unbedingt), man sagt «Meinen Sie, es wäre möglich» (obwohl einen die Meinung des anderen nicht im Geringsten interessiert), statt «Kann ich» oder «Können Sie bitte» (wobei es egal ist, ob das bitte fehlt, denn bereits die Verwendung des Indikativs an Stelle des Konjunktivs gilt als unhöflich). Dazu macht man, gutschweizerisch, ein verlegen verkniffenes Gesicht, zeigt die Zähne als Zeichen der Zerknirschung, atmet zischend ein und wiegt voller Zweifel und Scham den Kopf hin und her. Ansonsten aber: das gleiche Anliegen, der gleiche Satz.

    Jeder Sprachwissenschaftler hätte seine Freude an dieser Beschreibung, wenn die Situation nicht alles andere als lustig wäre:

  • Es gibt Signale, die eine bestimmte Haltung hervorrufen
  • Und plötzlich hellt sich das Gesicht der Dame auf, sie sagt «Aha!», als ob sie erst jetzt verstanden hätte, worum es geht, sagt «Ach so!» und winkt meinen Freund zurück, und plötzlich klappt alles reibungslos, plötzlich ist alles gar kein Problem mehr, eine kleine Formalität. Ich merke: Es gibt Signale, die eine bestimmte Haltung hervorrufen, einen bestimmten Umgangston. Es gibt Schlussfolgerungen: X spricht kein korrektes Deutsch, ergo ist er mir intellektuell unterlegen, denn ich spreche korrektes Deutsch (zumindest Schweizerdeutsch). X ist mir unterlegen, ergo stellt er dreiste Forderungen und versucht, mich zu überlisten und den Schweizer Staat (dessen Repräsentantin ich bin) zu untergraben, denn er muss seine Unterlegenheit irgendwie ausgleichen.

    Ich bewundere Nicole für ihre Coolness und Perfektion, mit der sie in dieser Situation „Kreide gefressen“ hat, um das Ziel für ihren kurdischen Freund erfolgreich zu erreichen. Die richtigen Regeln der Kommunikation zu beherrschen ist auf jeden Fall ein grosser Pluspunkt im Leben, nicht nur in der Schweiz. Dies als kleiner Tip an alle Schweizer, die schon „Ich krieg noch ein Bier“ brüllen üben, wenn sie noch nicht ganz über die Deutsche Grenze gefahren sind.

  • Die Regeln der höflichen Indirektheit
  • Ergo (merke ich): Es gibt Signale, die die Schlussfähigkeit beeinträchtigen. Denn es heisst (fälschlicherweise) nicht: X spricht kein korrektes Deutsch, ergo sollte ich ihn nicht voreilig als unhöflich und dreist betrachten, denn er ist wahrscheinlich mit unseren sprachlichen Regeln der höflichen Indirektheit nicht vertraut und formuliert sein Anliegen deshalb (für mein Schweizer Ohr) zu direkt. Es heisst nicht: X spricht zwar nicht korrekt, aber doch ziemlich verständlich Deutsch, ergo ist er mir intellektuell möglicherweise sogar überlegen, denn ich spreche weder korrekt noch verständlich Türkisch, Serbisch, Kroatisch, Arabisch.

    Besonders peinlich wird es, wenn jemand anfängt, lauter zu sprechen, weil er glaubt, damit besser verstanden zu werden. Mal darf jetzt bloss nicht glauben, dass nur die Schweizer diese Art der Kommunikation pflegen. In den wenigsten Ländern der Welt wird man schnell ans Ziel kommen, wenn man dreist und direkt heraus artikuliert, was Sache ist und was man gern hätte, auch nicht in Deutschland.

  • Sarkasmus hilft nicht weiter (macht aber Spass)
  • Machtmenschen und verstockte Angestellte, die umschmeichelt werden möchten, gibt es sicher auch anderswo. Versteckter oder offen zur Schau getragener Rassimus und Überheblichkeit ebenfalls. Mir passiert es in solchen Situationen oft, dass ich, anstatt das Höflichkeitsspiel mitzuspielen, trocken sarkastisch reagiere, was der Sache nicht immer ganz zuträglich sein mag. Ein Satz wie „Oh, ich wollte eigentlich nur gern ein bisschen Geld ausgeben, kann mir jemand helfen?“ in einem Geschäft, in dem offensichtlich kein Interesse am Kunden besteht, wirkt nicht immer produktiv. In einem Schweizer Hotel sollte ich neulich meinen Wohnort in den Meldeschein eintragen und war drauf und dran in Versuchung „Ausbildungslager Al-Qaida, Pakistan“ hinzuschreiben, nur um zu sehen, ob das überhaupt jemand liest. Aber man sollte als Gast im Land lieber brav und höflich alle Riten mitspielen, um nicht anzuecken.

    Schweiz gut — Europa schlecht — Roger de Weck über das getrübte Bild der Schweizer von Europa

    Mai 23rd, 2007
  • Die EU als Bürokratie des Bösen
  • Im Tages-Anzeiger vom 16.05.07 schreibt der Publizist Roger de Weck über das „getrübte Bild“ der Schweizer von Europa:

    In den gut 700 Jahren Schweizer Geschichte haben wir nie einen so guten Nachbarn gehabt wie die Europäische Union. Doch mancher Schweizer stellt dieselbe EU als Bürokratie des Bösen hin. Der Europäischen Union verdanken wir Ordnung und Stabilität auf unserem Kontinent. Trotzdem sprechen der Schriftsteller Thomas Hürlimann oder Bundesrat Christoph Blocher von der EU als einer Fehlkonstruktion. Welch eine Vermessenheit: Ist es wirklich eine Fehlkonstruktion, die Frieden brachte auf unserem blutigen Kontinent?
    Ohne die EU wäre nach dem Untergang der Sowjetunion geschehen, was jedes Mal geschieht, wenn ein Imperium zerbricht: Krieg, Bürgerkrieg, Wirren ohne Ende. Frieden aber herrscht im Einzugsgebiet der Europäischen Union. Warum? Weil die beitrittswilligen Länder Wirtschaftsreformen anpackten, die jetzt für Stabilität und Wachstum sorgen.

    Roger de Weck stellt die Entwicklung der EU den Zerfall Jugoslawiens gegenüber:

    Wo die EU keinen Rahmen setzen konnte, kam es zum Blutbad auf dem Balkan. Überall sonst ist Osteuropas Umbruch dank der EU ein unglaublicher Erfolg. Verdanken wir diesen Segen einer Fehlkonstruktion?

  • Die grosse europäische Eidgenossenschaft
  • Er sieht eine weitere Parallele zwischen in Staaten in der EU und den Kantonen in der Schweiz, welche von den Schweizern leider verkannt wird:

    Die EU ist nichts anderes als eine europäische Eidgenossenschaft. Wie die Schweiz ist sie eine unermüdliche Herstellerin von Kompromissen, von Interessenausgleich – ein Gemeinwesen der Balance. Dank der EU leben wir in einem Europa des Augenmasses. So wie sich hier zu Lande 26 Kantone zusammenraufen, so haben sich auf unserem Kontinent 27 Nationen zusammengerauft – das ist weltweit einzigartig. (…)

    Alles in allem ist die EU liberaler als die Schweiz. Aber bei uns gilt sie als Ausbund an Dirigismus. Und dank ihrem Binnenmarkt trägt die Europäische Union ganz wesentlich zum Schweizer Wohlstand und zum Erfolg hiesiger Konzerne bei. Doch wir tun so, als wolle uns dieselbe EU bei jeder Gelegenheit übervorteilen. Welch überspanntes Vokabular ist zu hören im Steuerstreit. Da brandet ein Chauvinismus, ein Steuer- und Rabattpatriotismus, der Fragen aufwirft. Kann es sein, dass politischer Nationalismus dazu dient, die Globalisierung des Ökonomischen zu kompensieren? (…)

    Landsgemeinde Glarus
    (Landsgemeinde in Glarus. Quelle Foto: Wikimedia)

  • Ist Europa wirklich undemokratisch?
  • Tatsächlich sind es die grossen Schweizer Banken und Unternehmen, die längst an der Globalisierung des Ökonomischen gewaltig teilhaben. Die Schweizer sind stolz auf ihre direkte Demokratie und werfen den Ländern Europas vor, sich wenig oder gar nicht um den Willen ihrer Völker zu scheren:

    Was werfen Volk und Schweizer Medien der EU vor? Dass sie undemokratisch sei. Und in der Tat, nach dem Zweiten Weltkrieg verloren Gründerväter wie Jean Monnet keine Zeit, das europäische Haus des Friedens zu errichten. Erst später ging man daran, dieses Friedenshaus zum Haus der Demokratie auszubauen. Oder anders gesagt: In vielem bleibt die EU ein Staatenbund. Dabei weiss jeder, dass Staatenbünde undemokratisch sind, weil per definitionem Regierungen miteinander verhandeln und zwangsläufig ihre Parlamente, ihre Bürger vor vollendete Tatsachen stellen.

    Die Alternative, damit sich Demokratie entfalten kann, wäre ein europäischer Bundesstaat. Aber just ein solcher «Superstaat » ist die Horrorvision derer, die der EU ihren Mangel an Demokratie vorhalten. Zugespitzt darf man sagen: Diese Kritiker würden das Ergebnis ihrer Kritik erst recht kritisieren. So erliegen sie einer eigenen «intellektuellen Fehlkonstruktion». Wer weder den Staatenbund noch den Bundesstaat gelten lässt, der hat im Grunde gar keine Position. (…)

    Doch, nämlich die Haltung: „In Europa darf die politische Lage nicht positiv gesehen werden, denn das würde die Lage der Schweiz als Insel der glückseeligen Demokraten in ein schlechtes Licht rücken“.

  • Kann man woanders als in der Schweiz glücklich sein?
  • Roger de Weck schreibt weiter:

    Eines der klarsichtigsten und schönsten Bücher über den europäischen Gedanken verdanken wir dem Eidgenossen Adolf Muschg, der Titel lautet schlicht: «Was ist europäisch?» Doch die «NZZ am Sonntag» ist sich nicht zu schade, Muschg vorzuwerfen, er verweile zu oft in Berlin, was ihn negativ beeinflusse. Wer auf solche Weise antiintellektuelle und antideutsche Ressentiments auslebt, dem möchte man mit Gottfried Keller und seinem Gedicht «Gegenüber» antworten. Gottfried Keller – auch er ein Wahldeutscher, auch er kein schlechter Eidgenosse und ein vorzüglicher Europäer: «Wohl mir, dass ich dich endlich fand, / Du stiller Ort am alten Rhein, / Wo ungestört und ungekannt / Ich Schweizer darf und Deutscher sein!» Die Schweizer Europafeindlichkeit ist durchaus auch zurückzuführen auf die Ressentiments der Deutschschweizer gegenüber dem «grossen Kanton». Wohingegen die Romands mit ihrer unbelasteten Beziehung zu Frankreich auch ein unbefangenes Verhältnis zum Europäischen haben. Der Nachbar prägt das Europabild, aus jeder Kultur erwächst eine andere Weltanschauung, die Europafrage wirft die Frage nach dem Schweizer Selbstverständnis auf.

    Womit wir wieder bei unserem Lieblingsthema wären. Was ist das Schweizer Selbstverständnis? Alles ist möglich, alles ist erlaubt, so lange bloss der Unterschied zum die Deutschen Nachbarn deutlich bewahrt bleibt.

  • Was passiert wenn eine Krise kommt?
  • Roger de Weck überlegt sich, wie sich das gespaltene Verhältnis der Schweizer zur EU in einer Krise auswirken würde. Solche Situationen gab es, denken wir an die Katastrophe von Tschernobyl 1986 oder die Folgen des 11. Septembers. Wenn in einer Krise Europa zusammenrückt und seine Grenzen dicht macht, dann steht die Schweiz plötzlich ziemlich allein in der Welt:

    Man stelle sich eine schwere Krise vor, die nie auszuschliessen ist: Engpässe, Verteilungskämpfe, eine Umweltkatastrophe, einen Finanzkrach. Hätte das Land ausserhalb der Europäischen Union die besseren Karten? Von heute auf morgen würden wir beitreten wollen, aus einer Position der Schwäche und zu schlechten Bedingungen.
    Der Verzicht auf eine langfristig angelegte Europapolitik stärkt weder unser Land noch seinen Zusammenhalt. Auf die EU sind wir angewiesen, trotzdem stellen wir uns seit fünfzig Jahren ausserhalb dieser Rechtsgemeinschaft. Lieber pflegen wir diplomatische Beziehungen, hinter denen seit jeher in der Weltgeschichte das Recht des Stärkeren lauert.

    Wir erinnern uns an die Wochen im März 2004, als die Kontrollen an der Deutsch-Schweizer-Grenze plötzlich verschärft wurden und in der Schweiz die Befürchtung geäussert wurde, es handele sich um eine Strafaktion:

    Die verschärften Kontrollen an der deutschen Grenze sind laut Joschka Fischer kein Druckversuch gegen die Schweiz, führen aber die Probleme des Alleingangs vor Augen. Im Fall eines Schweizer Beitritts zum Schengen-Raum der EU wären die Personenkontrollen hinfällig.
    (Quelle: baz.ch)

    Im Oktober 2004 wurde in der Schweiz über den Beitritt zum Schengener Abkommen abgestimmt:

    Die Schweiz ratifizierte das Abkommen am 16. Oktober 2004. Gegen das Abkommen wurde das Referendum (Volksentscheid) ergriffen, damit die Vorlage vom Volk angenommen werden muss. Bei der Volksabstimmung am 5. Juni 2005 stimmten 54,6 Prozent der Schweizer Bevölkerung für den Beitritt zum Abkommen. Es wird voraussichtlich ab 2008 nach Einrichtung der erforderlichen Sicherheitssysteme in Kraft treten.
    (Quelle: wikpedia.org)

    Werden wir also ein bisschen sarkastisch und warten einfach die nächste Krise ab. Vielleicht geht dann alles viel schneller als gedacht. Wir vergessen niemals, wie einige Wochen nach Tschernobyl, als die ersten strahlenden Regenwolken Europa erreichten und sich dabei nicht um Grenzen kümmerten, sogar CDU Landratsfrauen, die bis dahin stets in grosser Distanz zu linken Kernkraftgegner zu finden waren, plötzlich im Supermarkt nur noch H-Milch und Dosengemüse kauften und die verstrahlte Frischmilch bzw. den frischen Salat nicht mehr anrührten. Sinneswandel in der Krise.

    Ebenfalls wird es in den nächsten Jahren sicher spannend zu beobachten, wie lange die Schweiz bei einem fortdauernden weltweiten Erfolgskurs und Höhenflug des Euros, an ihrer Währung festhalten wird.

    Haben Sie heute schon legiferiert? — Neues aus dem Schweizer Sprachalltag

    Mai 22nd, 2007
  • Die lateinische Schweiz spricht kein Latein
  • Als „lateinische Schweiz“ bezeichnet man in der Schweiz die Landesteile, deren Bewohner sich auf Sprachen miteinander verständigen, welche aus dem Lateinischen, genauer gesagt dem gesprochenen „Vulgärlatein“ der Römer entstanden sind (vgl. Blogwiese). Dennoch sind Latein bzw. Fremdwörter aus dem Lateinischen in der Schweiz erstaunlich häufig anzutreffen, so z. B. in einem Artikel des Tages-Anzeigers, der sich ironischer Weise mit der „Diskriminierung der Deutschsprachigen“ im dreisprachigen Kanton Graubünden befasst:

    Am 17. Juni entscheiden die Bündner Stimmberechtigten erstmals in der Geschichte des Kantons über ein Sprachengesetz. Dessen oberstes Ziel ist es, „die Dreisprachigkeit als Wesensmerkmal des Kantons zu stärken“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger 19.05.07)

    Das Erstaunliche an dieser Abstimmung ist, dass sie überhaupt zu Stande kommt. Denn eigentlich war die Sache längst entschieden:

    „Der Grosse Rat hatte entschieden, dass eine Gemeinde künftig als einsprachig gelten soll, wenn 40 Prozent der Bevölkerung romanisch- oder italienischsprachig sind.“ (…)

    Der 49jährige Rechtsanwalt Peter Schnyder

    „ergriff zusammen mit ein paar Gleichgesinnten das Referendum. Er tat dies, obwohl der Grosse Rat das Sprachengesetz ohne Gegenstimme gutgeheissen hatte und ebenfalls fast einstimmig einen Antrag abschmetterte, die Vorlage dem Volk zu unterbreiten“
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 19.05.05, S. 3)

    Wir haben schon vor langer Zeit verstanden, dass das „Referendum“ nicht „ergriffen“ wird, weil es auf der Flucht ist (vgl. Blogwiese). Aber der nächste Satz liess uns dann wieder sehr an unserer eigenen „Deutschsprachigkeit“ zweifeln:

    „Die Ziele des Referendums seien illusionär, weil im Fall einer Annahme der Bund zu Gunsten des Rätoromanischen legiferieren würde“.

  • Legifer… was?
  • Lex, legis (f.), das weiss der Lateiner, heisst „das Gesetz“, weiblich. „Ferre“ = hervorbringen, schaffen. Und so erklärt uns unser Duden:

    legiferieren lat. legifer „gesetzgebend“ (dies zu lex, Gen. legis „Gesetz“ u. ferre „hervorbringen, schaffen“) u. …ieren>: Gesetze verabschieden (früher in Österreich)
    (Quelle: duden.de)

    Stutzig macht uns aber die kleine Randbemerkung „früher in Österreich“. Wie so oft scheint die Duden-Redaktion nicht ganz auf dem neusten Stand zu sein. Denn der kleine Google-Test belegt:
    Es finden sich bei 14.700 Belege für „legiferieren“ bei Google-CH, verglichen mit jämmerlichen 138 Stellen bei Google-DE, und das sind zumeist Zitate aus Fremdwörterbüchern, die das Wort erklären. Vielleicht ist Google-Österreich noch zu klein und unbedeutend, denn dort fand sich nur 8 Erwähnungen. Warum also die Schlussfolgerung „früher in Österreich“?

  • Wann legiferieren denn Sie?
  • Wir fragen uns bei solchen Wörtern im Tages-Anzeiger nur, ob sie wirklich in der Schweiz von jedem durchschnittlich gebildeten Zeitungsleser verstanden werden. Gleich morgen werden wir unser freundliches Gegenüber in der S-Bahn anquatschen ansprechen und fragen, wann er den zum letzten Mal beim Legiferieren zugeschaut hat oder ob er wohlmöglich selbst gelegentlich legiferiert?

    P.S.: Die erste Bülacher Bürgerin, die ich dann bei der Probe aufs Exempel beim Landi anquatschte ansprach, konnte mir das Wort nicht erklären, entgegnete mir aber schlagfertig auf Hochdeutsch (ich kannte die Frau nicht) „Aber das schreiben Sie sicher dann morgen in der Zeitung!“ Soviel zum Thema „anonymer Feldversuch“.

    P.P.S.: Die Sursilvan sprechende Graubündnerin Diana Juerg von DRS1 kannte das Wort auch nicht, konnte es aber halbwegs herleiten.