Den Freund des Fischers schmuggeln — Geschichten von der Deutsch-Schweizer Grenze (Teil 1)

April 26th, 2010

(reload vom 17.01.07)

  • Auf die Mischung kommt es an
  • Die Deutsch-Schweizer Grenze ist etwas besonderes in Europa. Sie markiert nicht nur die Grenzlinie zu einem „anderen Kulturkreis“, wie wir in unseren ersten Jahren in Bülach durch einen Primarschullehrer erfahren durften, nein, sie wird auch gut bewacht auf beiden Seiten von hochmotivierten Grenzern und Zöllnern. Wenn die Schweizer die Einfuhr der in Deutschland gekauften Waren routiniert kontrollieren, achten Sie vor allem auf ungewöhnliche Mengen. Statt 6 Liter Milch einer Sorte kauft man besser 3 x 2 Liter verschiedene Sorten (5 Kg=Liter pro Nase sind erlaubt).

  • Den Freund des Fischers schmuggeln
  • Vor Jahren war ich quasi süchtig nach Fisherman’s Friend, diesen scharfen Lutschbonbons, bei denen man ja nie fragen darf, wie die denn schmecken, weil man sonst stante pede von einer Nordseewelle überrollt wurde, ganz gleich wo man gerade steht.
    Fisherman’s Friend
    (Quelle Foto: thegreendoorsweetshop.co.k)

    Also kaufte ich mir in einem Anfall von jugendlichen Leichtsinn in Deutschland gleich die ganze Display-Schachtel beim Supermarkt an der Kasse. Ca. 20 Tütchen à 2.50 DM lagen da drin. Ich schätze mal, dass sie damals in der Schweiz 3.50 CHF kosteten, also sicher 30-40% mehr. Genaue Zahlen spielen keine Rolle, denn der Zöller fand zielsicher und geübt die Stelle auf dem Kassenzettel und fragt:
    Er: „Was ist das hier?“
    Ich: „Bonbons“.
    Er: „Und was machen Sie damit?
    Ich: „Lutschen“.

    Wenn er jetzt noch gefragt hätte, wie die denn schmecken, hätte ich für nichts garantieren können. Doch dann wurden wir überraschend durchgewunken ohne dass er dieser scharfen Importware weiter Beachtung geschenkt hätte. Wahrscheinlich zu geringer Fleisch- oder Milchanteil.

  • Der Parallelimport des kleinen Geschäftsmannes
  • Er hegte vielleicht den Verdacht, dass wir einen Kiosk in der Schweiz betreiben und hier einen illegalen Parallelimport versuchten, so wie einst die Migros mit Ferreros Milchschnitten (vgl. „Warum ist die Schweiz eine Hochpreisinsel“) versuchte. Daraus lernte ich: Niemals von einer Sache mehr als 2-3 Einzelteile kaufen, auf die „Bunte Mischung“ auf dem Fliessband an der Supermarktkasse kommt es an.

    Wir möchten nicht wissen, welche Mengen wirklich täglich schwarz in die Schweiz „parallel-importiert“ werden. Es soll da gekühlte Lieferwagen geben, die immer nur von der Schweiz aus in Richtung Deutschland leer die Grenze überqueren und danach nie zurückkehren. Jedenfalls nicht über die bewachte Grenze, und wahrscheinlich auch nicht leer.

    Die Schweizen in Deutschland

    April 23rd, 2010
  • So viele Schweizen, aber keine Deutschlanden
  • Die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ bringt im Magazin ihrer aktuellen Ausgabe 17 vom 22.04.2010 eine beeindruckende Karte über all die Landschaften, die in Deutschland den Namen „Schweiz“ tragen. Es gibt derer weitaus mehr als nur die „Sächsische“ oder die „Hosteinische“ Schweiz:
    Oeynhauser Schweiz
    Gohfelder Schweiz
    Spradower Schweiz
    Oldendorfer Schweiz
    Dammer Schweiz
    Niedergrafschafter Schweiz
    Anholter Schweiz
    Sonsbecker Schweiz
    usw. , über 80 Orte in Deutschland tragen den Namen „Schweiz“.
    Schweizen in Deutschland
    (Quelle: Zeit-Magazin Nr. 17 vom 22.04.2010, S. 10)
    Eine grosse Version der Karte gibt es hier:
    Im Begleittext heisst es:

    „Es heißt ja, dass sich Paare in der Krise an ihre glücklichen Zeiten erinnern sollten – wenn sie wenigstens das noch gerne täten, sei vielleicht nicht alles verloren. Deutschland und die Schweiz, gerade in einer akuten Beziehungskrise (es geht um das liebe Thema Geld), sollten sich also an die Romantik erinnern, auch wenn diese Epoche schon mehr als hundertfünfzig Jahre vorüber ist: Damals verehrte Deutschland die Schweiz so sehr, dass es hügelige Landschaften im eigenen Land nach ihr benannte.
    In Ostwestfalen kam es zu einer Schweizhäufung, und auch sonst wurde vor allem nördlich des Mains (man vermisst ja umso mehr, je größer die Distanz zum Vermissten ist) so munter nach der Schweiz getauft, dass schon Theodor Fontane auffiel: „Die Schweizen werden jetzt immer kleiner.“
    (Quelle: Zeit-Magazin Nr. 17 vom 22.04.2010, S. 10)

    Uns fällt auf, dass im Süden Deutschland die Begeisterung für die Schweiz spontan nachlässt. Kein Ort in Bayern oder Baden-Württemberg heisst so, bis auf die „Neuffener Schweiz“ und die „Kleine Schweiz“. So nah dran am Schweizerland hat man es nicht nötig, die eigenen Berge romantisch umzubenennen.

    Weiter heisst es in der Zeit:

    Dabei ist doch nur die Liebe groß, wenn man selbst im kleinsten Hügel noch die Verehrte erkennt. Dass die Schweiz die Geschenke erwidert hätte, indem sie flache Landschaften nach Deutschland benannte, darüber ist nichts bekannt. Man hätte damals schon stutzig werden können.

    Gibt es es kein „Klein Deutschland“ in der Schweiz? Vielleicht sollte man Kreis 4 und 5 in Zürich so umbenennen?

    Langes Fädchen, faules Mädchen — Was alles langfädig ist in der Schweiz

    April 22nd, 2010

    (reload vom 16.01.07)

  • Wasserkraft und Webereien im Linthtal
  • Die Industriegeschichte der Schweiz ist eine Reihung von Erfolgen und Niedergängen. Es fehlten die natürlichen Ressourcen wie Eisenerz oder Kohle. Aber es gibt Wasserkraft in jedem Tal, und die liess sich nutzen um z. B. mechanische Webstühle und Spinnereien anzutreiben. So lasen wir über das Glarnerland:

    Während der Blütezeit um 1865 arbeiten in den 22 Druckereien etwa 6000 Menschen, die jährlich grosse Mengen Tücher hauptsächlich mittels Handmodel bedrucken. In den zahlreichen Spinnereien und Webereien sind zudem annähernd 4000 Arbeitende tätig. Die Textilindustrie beschäftigt fast einen Drittel der stark gewachsenen Gesamtbevölkerung, die 1870 mit 35 200 eine Höhe erklimmt, die in den folgenden sechs Jahrzehnten nicht mehr erreicht werden soll.
    (Quelle: www.glarusnet.ch)

    Ein bequemer Radwanderweg erlaubt es, vom oberen Ende des Tals ab Linth bis hinunter zum Bahnhof Ziegelbrücke auf 50 Km an den 80 ehemalige Spinnereien und Webereien den „Glarner Industrieweg“ zu erkunden. Sportlich ambitionierte Biker fahren natürlich in Gegenrichtung bergan von Ziegelbrücke nach Braunwald. Es ist geradezu unheimlich zu erkennen, wie gespenstig unbewohnt und verlassen die Orte im oberen Teil des Linthtals heute sind und sich das Tal mit jedem zurückgelegten Kilometer bergab erst nach und nach belebt, je mehr man sich dem Hauptort Glarus nähert, und je kürzer die Pendeldistanz zum nahen Kanton Zürich wird.
    Betrieb im Linthtal
    (Quelle Foto: glarusnet.ch)

    Weben und Spinnen sind also altbekannte Techniken in der Schweiz. Ein langer Faden muss selten gewechselt werden, und bei der Handarbeit gilt „langes Fädchen — faules Mädchen“, weil selten ein neues Stück Garn eingefädelt werden muss. Vielleicht rührt daher auch die Erfahrung, eine „landfädige“ Tätigkeit ziemlich langweilig ist.

  • Pflegen Sie auch langfädige Rituale?
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger:

    In langfädigen Ritualen macht der Gemeinderat alle paar Wochen Hunderte von im Ausland geborenen Ausländern zu Schweizern.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 30.11.06)

    Wir fanden weitere Überbleibsel der Textilindustrie:

    Das halbherzige Engagement, mit langfädigen Entscheidungen und Verspätungen führte dazu, dass die NEIN-Kampagne in der Öffentlichkeit kaum sichtbar war.
    (Quelle: viavia.ch)

    Sogar im Sprachgebrauch Schweizer Linux-Freaks erhielt sich die textile Tradition:

    Dort fand man es in etwa hundert Unterordnern was zu einer sehr langfädigen URL führte
    (Quelle: Linuxinfozentrum.ch)

    Für „langfädig“ findet sich bei Google-CH 1‘070 Belege. Die Variante “langfädigen” ist immer noch mit 434 Exemplaren
    dabei. Kein Wunder, denn ist tatsächlich eine echte Schweizer Variante:
    Unser Duden meint:

    langfädig (Adj.) (schweiz.): weitschweifig, langatmig und langweilig: langfädige Erklärungen.
    (Quelle: duden.de)

  • Gepflegte Fadesse bei den Österreichern
  • Lässt man das „lang“ weg, kommt man schnell von „fädig“ zu „fade“, für „reizlos“ oder „langweilig“. Die Österreicher haben daraus sogar ein Tätigkeitswort für gepflegte Langeweile geformt. Sie „fadisieren“ ganz einfach (2’970 Funde bei Google-AT) . Und folglich ist Langeweile in Österreich auch eine „Fadesse“. (14‘000 Funde)

  • Was nicht fad ist, ist dröge
  • In meiner Heimat in Nordwestdeutschland sagen die Menschen statt „fade“ oder „langfädig“ lieber „dröge“. Das hat nun leider gar nichts mit dem „Drögeler“ zu tun und das Wort „Dröge“ ist in der Schweiz eher ein Nachnamen als ein Adjektiv. Beeindruckende 406‘000 Fundstellen bei Google-DE gegenüber nur 22‘600 bei Google-CH belegen gut, dass diese Adjektiv den Schweizern als Variante für „langweilig“ eher fremd ist. Die ersten Belege stammen übrigens von einer Seite namens „Blogwiese“: Sei nicht dröge und werde kein Drögeler.

  • Ich lisme einen Lismer
  • Falls Sie bis hierhin durchgehalten haben bei dieser langfädigen Lektüre, dann herzlichen Glückwünsch! Sie dürfen jetzt zur Abwechslung Wolle kaufen gehen und damit einen „Lismer“ „lismen“, sofern sie in der Schweiz leben oder mit langem Faden eine Strickjacke stricken, wenn Sie in Deutschland wohnen und dies nicht zu dröge finden.

    Der Deutsche wäre eigentlich gerne so wie wir – weil er das nicht schafft, lacht er uns aus — Roger Schawinski über Schweizer und Deutsche

    April 21st, 2010

    (reload vom 15.1.07)

  • Schweizer sind per se keine Respektpersonen
  • In der Beilage „Das Magazin“ des Tages-Anzeigers vom 05.01.07 schreibt der gewesene SAT1-Chef Roger Schawinski über die Schweizer und die Deutschen:

    Schweizer sind per se keine Respektpersonen, aber auch keine Hassvorlagen. Man nimmt sie einfach nicht ganz ernst, auch wenn man die Schweiz heimlich bewundert.
    (Quelle: Alle Zitate nach medienlese.com)

    Eine unglaubliche Erkenntnis. Welche andere Nation ist denn bitte schön „per se“ eine Respektperson bzw. eine Hassvorlage? Bruno Ganz wird wegen seiner schauspielerischen Leistung respektiert, nicht weil er Schweizer ist. Und wenn jemand persönliche Probleme mit DJ BoBo hat, dann eher weil er auf eine andere Musik abfährt und nicht weil er ihn als Schweizer Hassvorlage sieht. Zumal der Künstlername „Bobo“ seine Produkte in manchen Ländern sowieso unverkäuflich machen, weil sie unter „censored“ fallen. Ein Grund, warum die Schreibweise BoBo so wichtig ist.

    Roger Schawinski
    (Quelle Foto: about.ch)

  • In der Schweiz findet man Qualitäten
  • Denn die Schweiz ist, wenn man ein bisschen tiefer bohrt, in vielen Aspekten so, wie man sich das eigene Land wünscht. In der Schweiz findet man Qualitäten, die man früher auch besass und auf die man stolz war, und die man für immer verloren glaubt.

    Bravo! Er zitiert den bekannten Mythos von der „Schweizer Qualität“, die es sonst nirgends gibt. Wir haben das Thema bereits hier diskutiert: Swiss Quality regiert die Welt.

    Was in der Schweiz ganz ausserordentlich gut funktioniert, ist die Vermarktung dieses Mythos. Der Wert „Swiss Quality“ an sich ist nicht subjektiv messbar. Seine Verbreitung und sein Bekanntheitsgrad jedoch sehr wohl. Absolut beeindruckend läuft in diesem Land ausserdem die Marketing-Maschine für die Schweiz als „naturnahes Heidiland“,welche das „Schokoladen&Käse-Heile-Welt“ Image auf Geissenpeters Alm propagiert.

  • Warum die Deutschen in die Schweiz ziehen
  • Deshalb ist es kein Wunder, dass es immer mehr Deutsche in die Schweiz zieht. Zwar besitzen Länder wie Australien, Kanada oder die USA viel mehr Glamour, und in ihrer Fantasie stellen sich Millionen von Deutschen ein neues, spannenderes Leben in einem dieser grossen, weiten Länder vor. Aber wenn sie beginnen, kühl zu analysieren, fällt ihre Wahl immer öfter auf die kleine, nahe Schweiz.

    Auch hier irrt Schawinski gewaltig. Die so häufig als „romantisch“ und ihrem Gefühl folgenden Deutschen werden durch ganz pragmatischen Gründen bewogen, in die Schweiz zu gehen. Zürich liegt von Stuttgart oder Frankfurt einfach weniger weit entfernt als Vancouver oder Chicago. Nach Kanada oder in die USA wandern immer noch Menschen aus, aber der Umzug dorthin ist schlichtweg nicht so einfach wie die kurze Reise in die Schweiz bzw. die Stellensuche übers Internet, erleichtert durch die Freizügigkeit und den baldigen Wegfall der Kontingente.

  • Lieber am Zürichsee als am Wannsee leben
  • Deshalb ist unser Land in den letzten Jahren zum beliebtesten Auswandererland der Deutschen avanciert. Vor allem Zürich ist zur neuen Traumdestination geworden. Stundenlang hat man mir die Vorzüge dieser Stadt beschrieben und immer wieder betont, dass man sich nichts sehnlicher als ein Haus an diesem einen wunderbaren Ort wünschen würde.

    Ich glaube Schawinski gern, dass ihm dies die Berliner erzählen, die sich im kalten Winter in Ostdeutschland kalte Füsse holen und auch gern einmal 50 Minuten vom nächsten Skigebiet entfernt wohnen möchten. Darum ist auch München immer noch die „heimliche Hauptstadt“ Deutschlands. Wenn in Zürich keine Jobs offeriert würden, sondern wieder in Stuttgart und dem Mittleren Neckarraum, der innerdeutsche „Brain-Drain“ würde sofort wieder in diese Richtung fliessen, wie bereits in den 90ern, als frisch diplomierte Ingenieure nur dort oder im Grossraum München einen Job finden konnten.

  • Was die Deutschen in der Schweiz suchen und finden
  • Hier suchen und finden sie die deutsche Ordnung in Form von funktionierenden Institutionen, hier und nicht mehr in ihrem Heimatland, was sie mit einer gewissen Wehmut zur Kenntnis nehmen.

    Ich zähle mal eine Reihe dieser „funktionierenden Institutionen“ auf, die Deutsche hier finden und vorher in Deutschland mit Wehmut vermisst haben. Als da sind:
    — Kindergärten an 2-3 Stunden am Tag, abwechselnd mal morgens oder nachmittags.
    — Zahnärzte zum selbst bezahlen.
    — Kinderkrippen für Gutbetuchte.
    — Ein traumhaftes Angebot an Wohnungen und Häusern, zu noch traumhafteren Preisen.
    — Behörden die für jeden administrativen Akt Gebühren verlangen, besonders für die x-te Neuauflage einer L-Bewilligung (vgl. Blogwiese).
    — Besondere Behandlung von schwerreichen Exil-Deutschen die deutlich weniger Steuern bezahlen als vergleichbar vermögende Schweizer oder normal arbeitende Deutsche.

  • Deutsche Ordnung in der Schweiz?
  • Nun, wir sind ja für unsere „Motzkultur“ bekannt und haben uns mit diesen Unterschieden gut arrangiert. Aber „deutsche Ordnung in Form von funktionierenden Institutionen“ sind mir in der Schweiz noch nicht als herausragendes Merkmal aufgefallen. Die Institutionen funktionieren gut, da gibt es nix zu meckern, aber auch nichts zu bejubeln.

    Dass ihnen die langsamen, bedächtigen Schweizer in diesen wichtigen Belangen den Rang abgelaufen haben, können sie nur mit einer kapitulierenden Absage an die Reformmöglichkeiten im eigenen Land verargumentieren, dessen sichtbarstes Symbol eine verkrustete grosse Koalition unter der Führung einer zaudernden Angela Merkel ist.

    Die wahren Meister der „grossen Koalition“ sind mit Abstand die Schweizer, die ihre Form der „Konsensdemokratie“ mit der „Zauberformel“ bereits erheblich länger an der Macht haben als es für Deutsche je vorstellbar wäre. In Deutschland folgte auf die erste „Grosse Koalition“ wieder der übliche Wechsel zwischen Regierung und Opposition.

  • Reformen stehen auch in der Schweiz an
  • Auch in der Schweiz stehen Reformen an, auch hier werden „verkrustete“ Strukturen nur mühsam aufgebrochen. Die Probleme beider Ländern sind ähnlich. Die Geschwindigkeit, mit der Lösungen gefunden werden, gleich langsam. Der Hauptunterschied in der Schweiz ist, dass alle grossen Themen vom Volk mit entschieden werden müssen und daher von Anfang an eine breite Unterstützung benötigen, während in Deutschland das Volk sich lieber von oben regieren lässt, bzw. von den Müttern und Vätern der Verfassung und der Bundesrepublik in diese Rolle gesteckt wurden.

  • Der Deutsche Bedarf an Revolution ist noch gestillt
  • Ausserdem sind in der Schweiz noch echte Revolutionen möglich, wie die Gründung des Kanton Juras oder die im Kanton Glarus im Mai 2006 beschlossene Reduktion von 25 auf 3 Gemeinden. In Deutschland haben wir seit dem Herbst 1989 noch unsere letzte Revolution aufzuarbeiten. Föderalismusreform steht nun auf dem Programm.

    „Der Deutsche wäre eigentlich gerne so wie wir – weil er das nicht schafft, lacht er uns aus“
    (Das Magazin 01-2007, S. 25)

    Zu dieser Aussage fällt mir nichts ein. Sie lässt mich sprachlos. Ich wusste überhaupt noch nicht, ob ich wie irgend jemand sein wollte auf der Welt. All die positiven typischen Eigenschaften, die uns gewöhnlich im Zusammenhang mit „typischen Schweizern“ einfallen, als da sind Fleiss, Pünktlichkeit, Disziplin, Beharrlichkeit etc. werden auch häufig im Zusammenhang mit Deutschen zitiert. Und ob nun ausgerechnet die vielzitierte Höflichkeit der Schweizer für Deutsche eine nachahmenswerte Tugend sein muss, darüber lässt sich streiten. Die Deutschen bleiben dafür wesentlich länger beim höflichen „Sie“. Die gleiche Höflichkeit, die sich beim Tür-Aufhalten und beim Betreten eines Fahrstuhls zeigt, ist bei der nicht vorhandenen Begeisterung für das typisch britische Schlangestehen wieder verschwunden.

  • Wer lacht über die Schweizer?
  • „weil er das nicht schafft, lacht er uns aus“
    (Das Magazin 01-2007, S. 25)

    Die Deutschen lachen doch nicht über die Schweizer, sondern über den in ihren Ohren ungewohnten Hoch- und Höchstalemannischen Dialekt, den sie einfach putzig finden. Zunächst, denn nach 2-3 Monaten im Land verliert sich diese komische Effekt ganz von allein. Roger Schawinski hat mit dieser Äusserung Nahrung geliefert über den klassischen Schweizer Minderwertigkeitskomplex:
    Ihr lacht uns aus“. Man muss es oft genug wiederholen, damit es auch jeder glaubt. Die meisten Deutschen nehmen die Schweizer gar nicht als Schweizer war, sind sich der vielen tausend unter ihnen lebenden Schweizern gar nicht bewusst und haben das Schimpfwort „Kuhschweizer“ noch nie gehört.

    Terroristische Luftangriffe bitte nur zu den üblichen Bürozeiten — Neues von der Schweizer Landesverteidigung.

    April 19th, 2010

    (reload vom 12.1.07)

  • Tower mit eigener Postleitzahl
  • In den ersten Jahren nach unserem Umzug in die Schweiz arbeitete ich in Wallisellen bei Zürich im Glatt-Tower. Ein imposantes Gebäude, mitten im gleichnamigen Einkaufszentrum stehend, mit einer eigenen Postleitzahl.
    Glatt-Tower
    (Quelle Foto: Wikipedia)

    Ich gebe es zu, dass ich den Job dort letztendlich auch wegen der wunderbaren Fernsicht auf die Alpen ausgewählt hatte. Andere Arbeitgeber boten nur Stellen mit Blick auf hässliche Industriegebiete oder Eisenbahngeleise. Anfang 2000 konnte man sich die Stellen in der IT-Branche noch aussuchen, kurz darauf platzte die Dotcom-Blase.

  • Der gar nicht so einzigartige Flughafen
  • Der Glatt-Tower liegt in der Nähe des Flughafen Klotens, der einfach „einzig“ ist in der Schweiz und anders als „Munich“ ohne M auskommt. Das „M“ gehört der Migros in der Schweiz, also hiess er bis vor kurzem nicht „unich“ sondern „Unique“. Doch das ist jetzt Geschichte. Seit dem 15. April heisst „Unique Airport“ wieder „Flughafen Zürich“. Doch so einzig wie sein alter Name war er eigentlich gar nicht, denn es gibt nicht weit entfernt noch den Militärflughafen in Dübendorf. 1910 war er der erste Schweizer Flughafen überhaupt und er bekam erst 1948 durch Kloten Konkurrenz. Jeweils Dienstags und Donnerstags übten in Dübendorf die Schweizer Luftwaffe ihre lautstarken Starts.

  • Anflug auf den Tower
  • Der tolle Blick auf die Alpen hatte einen Nachteil. Alle 2 Minuten startet dort im Glatttal bei Südwind ein Düsenjet in Richtung Glatt-Tower, fliegt einige Sekunden direkt auf das Gebäude zu, gewinnt dann an Höhe und dreht eine lautstarke Kurve über Wallisellen, um die Ohren der Zürcher Goldküstenbewohner zu schonen und den Flug in Richtung Norden über Deutschland fortzusetzen. Vor dem 11. September 2001 fand ich diese Flugmanöver schwer beeindruckend, danach machte das Zuschauen irgendwie keinen rechten Spass mehr.

  • Die Nasslöschstelle und Evakuationskommando
  • Über die strikten Sicherheitsvorkehrungen im Glatt-Zentrum hatte ich bereits hier berichtet: Codename “Zurigo” — Die geheimen militärischen Rituale der Schweizer beim Brandschutz.

  • Abschuss erlaubt, aber womit?
  • Was allerdings geschehen sollte, wenn eine von Terroristen entführte Langstreckenmaschine auf das Glattzentrum zufliegt, darüber machte sich damals niemand Gedanken. Erst jetzt konnten wir endlich zu diesem Thema eine positive Nachricht dem Tages-Anzeiger entnehmen:

    Schweiz erlaubt Abschuss in Not
    Was Deutschland echauffiert, hat die Schweiz bereits geregelt. Die Luftwaffe dürfte in der Not ein von Terroristen entführtes Flugzeug abschiessen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)

    Das wäre also geregelt. Während man in Deutschland lange diskutiert und zaudert ist das Thema in der Schweiz vom Tisch und entschieden. Nur hat die Sache einen kleinen Haken. Die Terroristen sollten möglichst zu den normalen Bürozeiten angreifen:

    Schweizer Kampfflugzeuge sind normalerweise nur zu Bürozeiten in der Luft, also nicht am Wochenende, über Mittag oder nachts. Während der Bürozeiten üben die Berufsmilitärpiloten in ihren F/A-18- und F5-Tiger-Kampffliegern. Dann wären sie sofort einsetzbar, wie Luftwaffensprecher Jürg Nussbaum sagt. Allerdings nur zur Kontaktaufnahme und zur Rekognoszierung, denn zu Friedenszeiten sind die Piloten meist ohne Waffen an Bord unterwegs. Die Chance, ein von Terroristen gekapertes Flugzeug zu Friedenszeiten am Schweizer Himmel zu entdecken und auch noch abzuschiessen, sei «fast gleich null», so Nussbaum.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)

    Mist. Dann müssen die doch tatsächlich erst landen, Waffen nachladen, wieder starten und erst dann wird es ernst. Nur ist die Schweiz nicht gerade gross, ein Düsenjet hält sich demzufolge hier nicht lange im Luftraum auf:

    An einem normalen Tag mit uneingeschränktem Flugverkehr müsste laut VBS letztlich der Pilot des Kampfflugzeugs, der den Eindringling jagt, den folgenschweren Entscheid treffen. Er täte dies nach Absprache mit dem Luftkommando am Boden. Ob es überhaupt zu einer Jagd käme, ist fraglich. Denn der Schweizer Luftraum ist klein. Und längst nicht zu jedem Zeitpunkt sind Kampfjets am Himmel oder sofort startbereit.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)

    Ob da die Schweizer Milizsoldaten mit ihrem frisch geladenen Sturmgewehr, wenn sie sich aufs Hausdach stellen und gut zielen, alle gemeinsam, mehr ausrichten könnten? Bestimmt! Beim Widerstand gegen die Südanflüge haben die selbsternannten „Schneiser“ schon bewiesen, dass bereits ein paar gut platzierte Luftballons oder Taschenlampen für erhebliche Aufregung sorgen. Wieviel mehr liesse sich da mit Sturmgewehren ausrichten!

  • Abschussbefehl durch Bundesrat Samuel Schmid
  • Falls wirklich mit einer terroristischen Bedrohung zu rechnen ist, wird allerdings anders vorgegangen in der Schweiz:

    Anders ist die Situation rund ums Weltwirtschaftsforum (WEF) vom 24. bis 28. Januar. Dann sind Kampfflugzeuge ständig in der Luft und bewaffnet. Der Himmel über Davos ist gesperrt. Bundesrat Samuel Schmid wird in dieser Zeit von einem Offizier mit Telefon rund um die Uhr begleitet. «Käme es zu einem unzweifelhaften Zwischenfall, müsste Bundesrat Schmid als Ultima Ratio den Abschussbefehl geben», sagt VBS-Informationschef Martin Bühler.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 10.01.06)

    Wir wollen uns lieber nicht ausmalen, wie so ein Gespräch dann nach den Regeln der Schweizer Telefonkommunikation mit Gesprächseröffnung, Höhepunkt und Gesprächsabschluss ablaufen könnte. Stellen wir uns dafür vor, dass ein vollgetanktes Flugzeug in Zürich gestartet ist und nun mit 800 Km/h in Richtung Davos fliegt. Das sind laut unserem Routenplaner 146 KM auf der Strasse. Flugzeuge fliegen direkt. Selbst wenn der Jet der Autobahn folgen würde, bräuchte er ca. 11 Minuten. Rechnen wir 5-6 Minuten ab, die Skyguide braucht, um das Flugzeug als entführt zu klassifizieren (sofern sich da niemand gerade einen Kaffee holt oder das System gewartet wird oder der Lotse überlastet ist), bleiben also noch 4-5 Minuten für das Telefonat mit Samuel Schmid. Für Höflichkeitsfloskeln und langes Rückfragen ist da nicht mehr viel Luft, wenn die Kampflugzeuge noch Zeit zum Handeln haben sollen.

  • Waffen haben nur eine begrenzte Haltbarkeit
  • Der Zürcher Unterländer berichtet am 11.01.07. über das gleiche Thema:

    Wenn akute Gefahr drohte, so würden F/A-18 und F5-Tiger-Kampfflieger in Alarmbereitschaft versetzt und bewaffnet. Dies dauere „wenige Stunden“ Eine durchgehende Bewaffnung sei jedoch nicht sinnvoll, weil die Waffen „ausserordentlich teuer“ seien und nach einer gewissen Zahl von Flugstunden dann ungebraucht ausgewechselt werden werden müssten.

    Hatten wir nicht eben vorgerechnet, dass nur 11 Minuten Zeit ist bei einem Angriff, und nicht „mehrere Stunden“? Wir haben jetzt gelernt, dass auch teure Waffensystem nur eine begrenzte Haltbarkeitsdauer haben, so wie Joghurt oder Bier, was auch nicht ewig gelagert werden kann. Die Waffen bleiben also am besten gut gefettet und stosssicher verpackt am Boden im Schrank, statt sie in der Luft spazierenzufliegen. Sonst geht wohlmöglich noch irgendwann eine Rakete verloren.

  • Beim Flug 93 dauerte es zu lange
  • Der amerikanische Dokumentarfilm „Flug 93“ erzählt, wie lange es am 11. September 2001 dauerte, bis wirklich die Abschussgenehmigung um 10:18 Uhr erteilt wurde. Da waren bereits alle vier entführten Maschinen nicht mehr in der Luft. Präsident Bush hörte sich lieber weiter Kindergeschichten an, als Entscheidungen zu treffen. Auch ohne Waffensysteme an Bord der Kampfflieger wurde in der USA zumindest ein Rammen der Passagierjets durch die Kampfflieger erwogen, kombiniert mit einem Notausstieg der Piloten via Schleidersitz. Das verbraucht wenigstens keine teuren Waffensystem.

    Hoffen wir also, dass so ein Terrorakt in der Schweiz nie verübt wird. Und wenn, dann doch bitte ausschliesslich von Montags bis Freitags zwischen 8:00 – 12.00 Uhr und 13:30 – 17:00 Uhr. Müsste doch zu machen sein, oder?