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Langes Fädchen, faules Mädchen — Was alles langfädig ist in der Schweiz

(reload vom 16.01.07)

  • Wasserkraft und Webereien im Linthtal
  • Die Industriegeschichte der Schweiz ist eine Reihung von Erfolgen und Niedergängen. Es fehlten die natürlichen Ressourcen wie Eisenerz oder Kohle. Aber es gibt Wasserkraft in jedem Tal, und die liess sich nutzen um z. B. mechanische Webstühle und Spinnereien anzutreiben. So lasen wir über das Glarnerland:

    Während der Blütezeit um 1865 arbeiten in den 22 Druckereien etwa 6000 Menschen, die jährlich grosse Mengen Tücher hauptsächlich mittels Handmodel bedrucken. In den zahlreichen Spinnereien und Webereien sind zudem annähernd 4000 Arbeitende tätig. Die Textilindustrie beschäftigt fast einen Drittel der stark gewachsenen Gesamtbevölkerung, die 1870 mit 35 200 eine Höhe erklimmt, die in den folgenden sechs Jahrzehnten nicht mehr erreicht werden soll.
    (Quelle: www.glarusnet.ch)

    Ein bequemer Radwanderweg erlaubt es, vom oberen Ende des Tals ab Linth bis hinunter zum Bahnhof Ziegelbrücke auf 50 Km an den 80 ehemalige Spinnereien und Webereien den „Glarner Industrieweg“ zu erkunden. Sportlich ambitionierte Biker fahren natürlich in Gegenrichtung bergan von Ziegelbrücke nach Braunwald. Es ist geradezu unheimlich zu erkennen, wie gespenstig unbewohnt und verlassen die Orte im oberen Teil des Linthtals heute sind und sich das Tal mit jedem zurückgelegten Kilometer bergab erst nach und nach belebt, je mehr man sich dem Hauptort Glarus nähert, und je kürzer die Pendeldistanz zum nahen Kanton Zürich wird.
    Betrieb im Linthtal
    (Quelle Foto: glarusnet.ch)

    Weben und Spinnen sind also altbekannte Techniken in der Schweiz. Ein langer Faden muss selten gewechselt werden, und bei der Handarbeit gilt „langes Fädchen — faules Mädchen“, weil selten ein neues Stück Garn eingefädelt werden muss. Vielleicht rührt daher auch die Erfahrung, eine „landfädige“ Tätigkeit ziemlich langweilig ist.

  • Pflegen Sie auch langfädige Rituale?
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger:

    In langfädigen Ritualen macht der Gemeinderat alle paar Wochen Hunderte von im Ausland geborenen Ausländern zu Schweizern.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 30.11.06)

    Wir fanden weitere Überbleibsel der Textilindustrie:

    Das halbherzige Engagement, mit langfädigen Entscheidungen und Verspätungen führte dazu, dass die NEIN-Kampagne in der Öffentlichkeit kaum sichtbar war.
    (Quelle: viavia.ch)

    Sogar im Sprachgebrauch Schweizer Linux-Freaks erhielt sich die textile Tradition:

    Dort fand man es in etwa hundert Unterordnern was zu einer sehr langfädigen URL führte
    (Quelle: Linuxinfozentrum.ch)

    Für „langfädig“ findet sich bei Google-CH 1‘070 Belege. Die Variante “langfädigen” ist immer noch mit 434 Exemplaren
    dabei. Kein Wunder, denn ist tatsächlich eine echte Schweizer Variante:
    Unser Duden meint:

    langfädig (Adj.) (schweiz.): weitschweifig, langatmig und langweilig: langfädige Erklärungen.
    (Quelle: duden.de)

  • Gepflegte Fadesse bei den Österreichern
  • Lässt man das „lang“ weg, kommt man schnell von „fädig“ zu „fade“, für „reizlos“ oder „langweilig“. Die Österreicher haben daraus sogar ein Tätigkeitswort für gepflegte Langeweile geformt. Sie „fadisieren“ ganz einfach (2’970 Funde bei Google-AT) . Und folglich ist Langeweile in Österreich auch eine „Fadesse“. (14‘000 Funde)

  • Was nicht fad ist, ist dröge
  • In meiner Heimat in Nordwestdeutschland sagen die Menschen statt „fade“ oder „langfädig“ lieber „dröge“. Das hat nun leider gar nichts mit dem „Drögeler“ zu tun und das Wort „Dröge“ ist in der Schweiz eher ein Nachnamen als ein Adjektiv. Beeindruckende 406‘000 Fundstellen bei Google-DE gegenüber nur 22‘600 bei Google-CH belegen gut, dass diese Adjektiv den Schweizern als Variante für „langweilig“ eher fremd ist. Die ersten Belege stammen übrigens von einer Seite namens „Blogwiese“: Sei nicht dröge und werde kein Drögeler.

  • Ich lisme einen Lismer
  • Falls Sie bis hierhin durchgehalten haben bei dieser langfädigen Lektüre, dann herzlichen Glückwünsch! Sie dürfen jetzt zur Abwechslung Wolle kaufen gehen und damit einen „Lismer“ „lismen“, sofern sie in der Schweiz leben oder mit langem Faden eine Strickjacke stricken, wenn Sie in Deutschland wohnen und dies nicht zu dröge finden.

    

    One Response to “Langes Fädchen, faules Mädchen — Was alles langfädig ist in der Schweiz”

    1. neuromat Says:

      „Das hat nun leider gar nichts mit dem „Drögeler“ zu tun“

      das ist nun leider gar nicht richtig.

      Im mniederländ. „droge“ „drooch“ = trocken. Entsprechend der „trockene Ware“ der Droge. Drögevate, die trockenen Weinfässer. Von hieraus dann die Bedeutungseingung auf die Drogen als trockene Rohstoffe für Arzneimittel. Dass Arzneimittel berauschende Wirkung besitzen können ist wahrscheinlich bekannt.

      MfG
      T. Uepfli-Schiss