Wer stiehlt schon sein eigenes Velo? — Was tun wenn das Schloss nicht mehr aufgeht?

November 18th, 2008
  • Einfach zugeklebt
  • Neulich wollte ich auf dem Heimweg am Abend mein Fahrrad Velo am Bahnhof in Bülach aufschliessen und musste feststellen, dass dies nicht möglich war. Jemand hatte, einfach so, das Schloss mit Sekundenkleber zugeklebt. Es gab keine Möglichkeit, es normal zu öffnen, selbst unter Zuhilfenahme von zwei Zangen bewegte sich nichts. Da muss es doch tatsächlich jemanden in Bülach geben, der mit einer Tube Sekundenkleber durchs Städtchen marschieren und so den Verkauf neuer Veloschlössern ankurbelt. So wie im Filmklassiker „The Kid“ mit Charly Chaplin als Glaser, für den ein kleines Kind die Glasscheiben potentieller Kunden einwarf.

  • Kann ich mal die grosse Zange borgen?
  • Das Schloss war nicht zu öffnen. So ging ich zum nahen Velobetrieb meines Vertrauens und fragte nach der ganz grossen Zange, die mit den überlangen Griffen. Sowas habe man nicht, da reiche eine kleine Spezialbeisszange völlig aus. Nicht ganz überzeugt lief ich mit der geliehenen Minizange zurück zum verschlossenen Velo. Was glauben Sie, wie lange es dauerte, das 10 mm dicke Stahlkabel des Schlosses zu durchtrennen? 15-30 Minuten? Das dachte ich auch, aber nach genau 3 Mal zubeissen mit der Spezialzange in nur 30 Sekunden war das Stahlkabel durchtrennt.

  • Warum Geld ausgeben für ein teures Schloss?
  • Jetzt verstehe ich besser, warum so viele Velobesitzer in Bülach ihre Alltagsräder nur mit sehr billigen Schlössern ausstatten. Oftmals braucht man nur einen kräftigen Hammerschlag, um so ein Schloss zu öffnen. Es nutzt überhaupt nichts, ein dickeres Kabel zu wählen. Dann schon lieber ein festes U-Schloss. Bei einem solchen ist mir bereits zweimal der Schliessmechanismus kaputt gegangen. Das Schloss war mit dem Schlüssel nicht zu öffnen. Zum Glück war es nicht angeschlossen, und ich konnte es zu einer Baustelle tragen. Dort bat ich einen Bauarbeiter mit einer Flex um Hilfe. Diese Maschine durchtrennte den Stahlbügel in 20 Sekunden. Als würde man mit einem Messer durch weiche Butter fahren. Gibt es eigentlich schon eine Akku-Flex? Wäre das ideale Werkzeug für Fahrraddiebe.

  • Ist das hier versteckte Kamera?
  • Vor einigen Jahren musste ich auch mal mein eigenes Velo, dessen Ringschloss ebenfalls nicht mehr zu öffnen war, morgens um 10:00 Uhr in einer belebten Fussgängerzone mit einer grossen Zange aufbrechen. Ein Passant fragte mich noch: „Sind das hier Dreharbeiten für die Sendung `Versteckte Kamera´?“. Ein Mann aus einem nahen Kaufhaus kam dazugerannt. Ich dachte, das sei der Ladendetektiv, der mich nun gleich verhaftet für mein schändliches Tun. Stattdessen fragte mich der Mann freundlich: „Kann ich Ihnen helfen?“, tat es, hielt das Schloss für mich in einem günstigen Winkel, und als wir nun zu zweit mit Aufbrechen beschäftigt waren, da drehte sich niemand mehr nach uns um. Das musste seine Richtigkeit haben, wenn zwei Männer am hellichten Tag in aller Öffentlichkeit ein Schloss knacken.

  • Für den Heimweg schnell ein Bike aufknacken
  • In Bülach sieht man fast in jeder Woche irgendwo ein herrenloses Velo herumstehen oder liegen. Gestohlen für eine schnelle Fahrt, wenn in der Nacht der Bus zu teuer war oder zu lange auf sich warten liess, und dann irgendwo am Strassenrand entsorgt. Sie werden von der Polizei eingesammelt und einmal im Jahr auf einer „Gant“ versteigert. Aber nur mit Gantrotteldoppel (siehe Blogwiese)

    Wer sein Velo behalten will, der gibt es in die Obhut einer bewachten Velostation oder besorgt sich zwei bis drei dicke U-Schlösser. Und für den Notfall immer eine Akkuflex in der Satteltasche mitnehmen.

    Was Städte, die am Rhein liegen, alles gemeinsam habe: „dat dat dat“ und „da da da“

    November 17th, 2008

    (reload vom 15.02.06)
    Eine Freundin aus Neuss, das liegt am Niederrhein, erzählte uns folgende tatsächlich erlebte Geschichte:

    Während einer Strassenbahnfahrt beobachtete ich, wie ein Kind auf einem Fensterplatz seine Nase an der beschlagenen Scheibe platt drückte. Plötzlich fing das Kind zusätzlich an, mit seiner Zunge die kühle Scheibe abzulecken. Daneben sass offensichtlich der kleine Bruder des Mädchens. Er stupste seine Mutter an und fragte sie: „Darf dat dat?“ Du Mutter schaute kurz zum Mädchen und antwortet: „Dat darf dat!“. Worauf der Junge erstaunt und resigniert entgegnete: „Dat dat dat daarf!?“.

    Kürzlich erzählte mir eine gebürtige Schweizerin aus Schaffhausen, dass sie einmal eine ganz ähnliche Geschichte im „Aldi-Express“ von Bülach nach Schaffhausen am Rheinfall, kurz vor Neuhausen erlebt habe: Diesmal war es allerdings ein Schweizer Kind aus der Gegend, und das Gespräch zwischen dem Kind und der Mutter lief so ab:

    „Daar da da?“ „Da daar da!“ „Da da da daar?!“

    Was lernen wir daraus? Nun, die Menschen am Rhein sprechen alle irgendwie ähnlich, und vom Niederrhein bis zum Hochrhein können leicht ein paar Ts verloren gehen. Sagen Sie jetzt bloss, Sie haben diese Geschichte auch irgendwo erlebt? Oder Sie kennen eine Variante der Geschichte? Solche Geschichten nennt man übrigens „Urbane Legenden“, Grosstadtlegenden oder –mythen.

  • Der Rheinfall war nicht witzig
  • Als kleiner Junge erlebte ich verregnete Sonntage als ziemlich langweilige Angelegenheit. Zum Glück gab es das Fernsehen, damals nur in Schwarzweiss, aber mit immerhin drei Programmen, zwischen denen man natürlich ohne Fernsteuerung umschalten musste. Für so einen langweiligen Sonntag machte ich mir mit Hilfe der Programmzeitschrift einen genauen Plan, wann es taktisch gesehen am günstigsten wäre, von der ARD zum ZDF zum 3. Programm und wieder zurück zu wechseln. Für 14:30 Uhr war dann auf der ARD eine wunderbare Geschichte angesagt, ein lustiges Filmchen, bei dem sicherlich ähnlich wie bei den Schildbürgern ein paar Menschen reingelegt werden sollten. In der Programmzeitschrift stand nämlich: „Der Rheinfall von Schaffhausen“. Ich hatte „der Reinfall“ verstanden, und war mächtig enttäuscht, dass es in dem Film nur um einen langweiligen Wasserfall, und nicht um eine lustige Begebenheit über reingelegte Bürger von Schaffhausen ging.

    Im Februar 2006 hatte der Rheinfall von Schaffhausen übrigens sensationell wenig Wasser, so dass die Felsen in der Mitte fast zu Fuss erreicht werden können.
    Rheinfall mit Niedrigwasser
    Foto Tages-Anzeiger 8.2.06
    Rheinfall fast ausgetrocknet

    Der Rheinfall ist beinahe ausgetrocknet.
    Der Wasserstand zahlreicher Schweizer Seen und Flüsse ist wegen der anhaltenden Trockenheit sehr tief. Insbesondere der Rheinfall bietet ein desolates Bild. In nächster Zeit ist laut MeteoSchweiz kaum mit grösseren Regenfällen zu rechnen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger 8.2.06)

    Was muss Doktor Pögg? – Werbung in Bern

    November 14th, 2008
  • Werbung nicht verstanden
  • Ein Deutscher Kollege, der früher in der Schweiz gearbeitet hat und lange nicht mehr im Lande unterwegs war, schickte mir dieses in Bern fotografierte Werbeplakat mit der Bitte um sprachliche Aufklärung:

    „Dr Pögg muess ids Gou u dr. Börger ids Muu”

    Dr Pögg muess ids Gou
    (Quelle: privates Foto aus Bern)

  • Da könnten die Navajos einpacken
  • Wir fragen uns bei so einem prächtigenBeispiel für „gelebtes Berndeutsch im Alltag“ immer, warum die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg eigentlich für die Verschlüsselung ihrer Funksprüche im Pazifikkrieg gegen die Japaner die Hilfe von Angehörigen des Navajo-Indianderstammes in Anspruch nahmen. Kannten die vielleicht einfach keine Berner? An diesem Code hätten sich Japanische Dechiffrierspezialisten sicherlich auch die Zähne ausgebissen. Jetzt beissen sie, wie überall auf der Welt, in den „Börger“. Der gehört ins Muu, will heissen „Maul“, will heissen das humanoide Kauorgan in der unteren Gesichtshälfte, jedenfalls in der Schweiz. Wenn sie hier jemand auffordert, das Maul zu öffnen, dann ist das keine Beleidigung, sondern eine Arzthelferin, die einen Abstrich von ihrer Schleimhaut, sorry, „Schliimhuut“ natürlich, machen will.

  • Und Doktor Pögg?
  • Nein, das ist kein D.J. wie Dr. House oder Dr. Love oder Dr. Feelgood oder Dr. Strangelove (der in Deutschland „Dr. Seltsam“ heisst), das ist „der Puck“. Eine bekannte Gestalt aus Shakespeares Mittsommernachtstraum, ein Mond des Uranus, eine Hafenstadt in Polen und eine kleine runde flache Scheibe beim Eishockey, und um die geht es hier. Die darf nicht ins Maul, darum hat der „Keeper“ beim Eishockey auch ein Gitter davor, was dachten Sie denn? Diese Scheibe muss ins „Gou“. Da fehlt nur noch ein „a“ und ein „l“, dann ist es ein „Goal“. Kein Gaul, sondern das englisch Wort für „Tor“.

  • Vom Gou zum Muu
  • Wie kommen die Werber nur vom Eishockey-Puck auf den Burger? Vielleicht durch die ähnliche runde und kompakte Form, oder weil die Zielgruppe der Börger-Mampfer dieses Ding beim Eishockey-Gucken verspeisen sollen? Oder weil der Reim so hübsch ist? Da in Bern sowieso 80 % aller Wörter auf „ou“ enden, muss das Reimen dort grossen Spass machen. Wir wissen es nicht, freuen uns aber, wieder ein kleines Stück poetisches Berndeutsch gelernt zu haben. Und jetzt brauchen wir was „ids Muu“, muss ja nicht aus dem Restaurant mit den zwei Goldenen Bogen sein.

    Das neue Deutsche Selbstbewusstsein und die Schweiz — Die Schweiz nach dem angedrohten Peitschenhieb von Peer Steinbrück

    November 13th, 2008
  • Übung macht den Meister
  • Vor ein paar Tagen war ein Team vom Schweizer Fernsehen bei uns zu Gast. Im Rahmen einer Fortbildung mussten sie einen Beitrag zum aktuellen Deutsch-Schweizerischen Verhältnis erstellen. Peer Steinbrück, die Peitsche, das neue Deutsche Selbstbewusstsein im historischen Umfeld usw.

  • Echtes, ungesendetes Material
  • Das Ergebnis wurde nicht gesendet, obwohl es ganz nett geschnitten ist. Sie schicken mir die DVD mit der Erlaubnis, das Material auf die Blogwiese zu packen. So gibt es heute also exclusiv ungesendetes Material vom Schweizer Fernsehen auf diesem Kanal:

  • Ist die Freiheit zu dienen etwas typisch Deutsches?
  • Besonders hübsch finden wir „Die Freiheit zu dienen“ als typisch deutsche Eigenschaft. Und das nach 502 Jahren Schweizergarde und einer ruhmreichen Tradition des Schweizer Söldnerwesens. Doch heute lautet die Parole „Keine Schweizer Söhne für fremde Händel opfern„. So etwas nennt man „Mut zur Lernfähigkeit“. Noch hübscher ist der „Blockwart“ aus dem Mund eines Schweizers als Vorwurf. Den „Blockwart“ haben die Deutschen seit 1945 abgeschafft, der „Abwart“ muss bis heute zuwarten und abwarten in der Schweiz. Hauswart und Zeugwart blieben übrig.

  • Kohls hessischer Ton
  • Wer genau aufpasst bei den eingespielten Filmausschnitten vom deutschen Ex-Kanzler Kohl, findet dort den“Ton hessisch entspannt“ erwähnt. Merkwürdig. Wer kommt denn da aus dem entspannten Hessen? Kohl ist Pfälzer, nicht Hesse, und bekannt für seine Vorliebe für den „Pfälzer Saumagen„, den nicht wenige Staatsbesucher bei ihm serviert bekamen. Aber wie soll man als Schweizer sich schon bei den unterschiedlichen deutschen Kantonen auskennen, wenn die immer alle nur Hochdeutsch sprechen.

    In den 1980er und 1990er Jahren erlangte der Saumagen bundesweite Bekanntheit durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, der in seiner pfälzischen Heimat Staatsgäste wie Margaret Thatcher, Michail Gorbatschow, Ronald Reagan und François Mitterrand mit dem typischen Gericht bewirten ließ.
    (Quelle: Wikipedia.de)

    Zum Schluss noch eine Quizfrage für die Zuschauer an den Empfangsgeräten daheim. Welche Nationalität besitzt der freundliche Herr rechts in diesem gespielten Streitgespräch, der vor der Deutschlandflagge sitzt?

    Komm lass Dich aufrichten — Wenn Schweizer Bauarbeiter feiern

    November 12th, 2008

    (reload vom 14.2.06)

  • Wenn Aufsteller nicht mehr helfen
  • Geht es Ihnen auch so schlecht in dieser düsteren Jahreszeit? Alles drückt auf das Gemüt, Sie sind ewig müde und abgespannt? Womit könnte Ihnen geholfen werden? Vielleicht durch einen original Schweizer „Aufsteller“ oder einer Schar „aufgestellter Leute“ (vlg. Blogwiese).

    Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 28.01.06 (S. 17) von einer Schweizer Veranstaltung, die kann Sie vielleicht wieder aufrichten:
    Aufrichte beim Zoo

  • Die Aufrichte
  • Wird da ganz aufrichtig ein moralisch niedergeschlagener Mensch aufgerichtet? Vielleicht jemand, der mit seiner „An-richte“ nicht mehr zufrieden war? So ganz richtig ist das nicht, was wir da anrichten. Denn auch in Deutschland wird bei dieser Veranstaltung alles richtig gemacht, es heisst darum auch „Richt(ig)fest„. In unserem Tagi-Artikel ging es um die Baustelle des Fifa-Neubaus beim Zürcher Zoo (der sehr weit weg von der Zoll-Grenze liegt und darum nicht „Zolli“ heisst wie der in Basel):

    Wir finden das hübsche Wort sogar im Duden erklärt:

    Aufrichte, die; -, -n (schweiz.):
    Richtfest:
    „Ein bräunliches Foto aus Fees Album zeigt den stolzen Hausgründer am Tag der Aufrichte.“ (Muschg, Gegenzauber 25).

    Mit „Muschg“ ist hier übrigens nicht das „Mutterschutz-Gesetz“ gemeint, das schreibt sich „MuSchG“ in Deutschland, sondern der Schweizer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg, dem wir eine grossartige Biographie Gottfried Kellers verdanken. „Gegenzauber“ ist kein Schweizer Harry-Potter-Verschnitt, sondern sein zweiter Roman von 1967.

    Google-Schweiz findet die Schweizer Form für das deutsche „Richtfest“ übrigens 8’900 Mal erwähnt, Google-Deutschland nur 828 Mal, wobei diese Fundstellen mit allem Möglichen zu tun haben, was aufgerichtet wird, aber nicht mit Hausbau.

    Feiern die hier ein Richtfest oder eine Aufrichte?
    Aufrichte oder Richtfest?
    (Quelle Foto haldemann-holz.ch)

    Die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm kannten in ihrem 16 Bd. langem Deutschen Wörterbuch zwar „aufrichten“, „aufrichtig“ und „aufrecht“, nicht jedoch die „Aufrichte“. Also bleibt dieses Wort wie so viele andere auf ewig auf der „Insel der aufgestellten Leute“ als Aufsteller allein. Schade eigentlich. Denn „Richtfest“, wer denkt da nicht eher an einen Scharfrichter mit Guillotine als an freudiges Häuslebauen?