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Komm lass Dich aufrichten — Wenn Schweizer Bauarbeiter feiern

(reload vom 14.2.06)

  • Wenn Aufsteller nicht mehr helfen
  • Geht es Ihnen auch so schlecht in dieser düsteren Jahreszeit? Alles drückt auf das Gemüt, Sie sind ewig müde und abgespannt? Womit könnte Ihnen geholfen werden? Vielleicht durch einen original Schweizer „Aufsteller“ oder einer Schar „aufgestellter Leute“ (vlg. Blogwiese).

    Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 28.01.06 (S. 17) von einer Schweizer Veranstaltung, die kann Sie vielleicht wieder aufrichten:
    Aufrichte beim Zoo

  • Die Aufrichte
  • Wird da ganz aufrichtig ein moralisch niedergeschlagener Mensch aufgerichtet? Vielleicht jemand, der mit seiner „An-richte“ nicht mehr zufrieden war? So ganz richtig ist das nicht, was wir da anrichten. Denn auch in Deutschland wird bei dieser Veranstaltung alles richtig gemacht, es heisst darum auch „Richt(ig)fest„. In unserem Tagi-Artikel ging es um die Baustelle des Fifa-Neubaus beim Zürcher Zoo (der sehr weit weg von der Zoll-Grenze liegt und darum nicht „Zolli“ heisst wie der in Basel):

    Wir finden das hübsche Wort sogar im Duden erklärt:

    Aufrichte, die; -, -n (schweiz.):
    Richtfest:
    „Ein bräunliches Foto aus Fees Album zeigt den stolzen Hausgründer am Tag der Aufrichte.“ (Muschg, Gegenzauber 25).

    Mit „Muschg“ ist hier übrigens nicht das „Mutterschutz-Gesetz“ gemeint, das schreibt sich „MuSchG“ in Deutschland, sondern der Schweizer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg, dem wir eine grossartige Biographie Gottfried Kellers verdanken. „Gegenzauber“ ist kein Schweizer Harry-Potter-Verschnitt, sondern sein zweiter Roman von 1967.

    Google-Schweiz findet die Schweizer Form für das deutsche „Richtfest“ übrigens 8’900 Mal erwähnt, Google-Deutschland nur 828 Mal, wobei diese Fundstellen mit allem Möglichen zu tun haben, was aufgerichtet wird, aber nicht mit Hausbau.

    Feiern die hier ein Richtfest oder eine Aufrichte?
    Aufrichte oder Richtfest?
    (Quelle Foto haldemann-holz.ch)

    Die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm kannten in ihrem 16 Bd. langem Deutschen Wörterbuch zwar „aufrichten“, „aufrichtig“ und „aufrecht“, nicht jedoch die „Aufrichte“. Also bleibt dieses Wort wie so viele andere auf ewig auf der „Insel der aufgestellten Leute“ als Aufsteller allein. Schade eigentlich. Denn „Richtfest“, wer denkt da nicht eher an einen Scharfrichter mit Guillotine als an freudiges Häuslebauen?

    

    9 Responses to “Komm lass Dich aufrichten — Wenn Schweizer Bauarbeiter feiern”

    1. Brun(o)egg Says:

      Richtfest war ursprüglich nicht für die Bauarbeiter. Die durften zwar mittrinken. Es war und ist das Fest der Zimmerleute, die den Dachstuhl fertiggestellt haben. Unter andern auch die auf der Wanderschaft aus Deutschland in ihrem abenteuerlichen Outfit.

    2. Simone Says:

      Ich brauche heute einen Aufsteller. Schlechtes Wetter, Spyware auf dem Rechner…Ob da so ein Richtfest nicht passend wäre?

    3. Guggeere Says:

      Es hat zwar nur indirekt mit dem Thema zu tun, ist mir aber soeben eingefallen: Richter soll ein altes Mundartwort für Haarkamm sein. In dieser Bedeutung kannte ich es nur von einer alten Volkssage her. Auch die Grimms erwähnen es als Mundartwort. Heute heisst das in der deutschen Schweiz ja «Strääl». Frage an alle: Weiss jemand, obs doch noch irgendwo Leute gibt, die sich mit einem Richter kämmen?

    4. AnFra Says:

      @Brun(o)egg

      Zu der Aussage wg. der ursprünglich am Richtfest nicht beteiligten Bauarbeiter folgend eine kleine historische Zurichtung.

      Die Zimmerleute waren deshalb die ursprünglichen Hauptpersonen am sog. „Richtfest“, weil ja sie die eigentlichen „Bauleute“ hierbei waren. Diese Aussage lässt sich auf folgende Tatsache zurückführen:
      Die meisten bäuerlichen und kleinbürgerlich-städtischen Profanbauten waren mind. bis ins 18./19. JH eigentlich Holzbauten Fachwerk), denn als selbstragenden Fachwerkbauten sind diese statisch selbstragende Konstruktionen und wurden eben deshalb nur von Zimmerleuten errichtet! Die Bauleute in unserem Sinne waren eigentlich bei solchen Bauwerken nicht beteiligt.
      Unsere germ. Altvorderen entstammten einer holzorientierten Waldkultur. Deshalb hat sich erst später die Holzbautechnik in eine Mischbauweise von Holzkonstruktion und ausgefüllten Zwischenfächern entwickelt. Und hier liegt die Quelle deiner eigentlich richtigen Aussage: Denn nach dem Auszahlen des Gewerkelohns mit einer Feier (Essen und Trinken) und Segnung war die handwerkliche Arbeit beendet. Ab hier erfolgte i.d.R. der weitere Ausbau durch den Bauherrn, seine Familie oder Sippe und/oder durch Nachbarschaft. Dies Leistung war es nun, in die noch offenen Gefache meist ein hölzernes Flechtwerk („Faschinen“) einzubringen und danach mit einem Lehm-Hecksel-Gemisch zu verfüllen. Dadurch entstanden erst dann die entspr. Außen- und Innenwände.

      Die eigentl. Bauwerker (Mauer, Steinmetze, Mörtelmacher, auch Zimmerleute! uam.) sind an nichtbäuerlichen steinernen Sakral- und Offizialbauten tätig, wie z. B. Kirchen, Stadtmauern, Festungen, Burgen uam. Hier hat es natürlich dann auch vergleichbare Riten beim Richtfest gegeben.

    5. Chimaera Says:

      @ Guggeere

      Auch in Schwaben wird der Kamm Strääl genannt. Zumnidest von den ganz hartgesottenen Dialektsprechern.

    6. neuromat Says:

      @Guggeere

      Nein, da kenne ich keinen, obwohl als erstes fiel mir Horst „Eberhaar“ Richter ein. Jemand, der sich um Menschen kümmert, die nicht mehr ganz „richtig“ im Dachstübchen sind. So lässt sich schnell etwas verzapfen. Etwas verzapfen, Sprache der Zimmerleute. Und diese Zimmerleute, die sprachen davon, dass sie das Haus gerichtet haben. In der Sprache der Zimmerleute ist das Haus gerichtet, wenn der Dachstuhl fertig ist. Dann gab es ein Richtfest mit Richtelbier. Wahrscheinlich sogar richtigem Bier und nicht irgendeinem Eichstoff.

      Nur warum sollte man, wenn man sich die Haare richtet, das nicht auch mit einem Richter machen. Wenn man also lange Reihen durch die Haare zieht, pfeilgerade, eben wie ein Strahl, mittelhochdeutsch strAl, althochdeutsch strAla für Pfeil. Dazu dient anderen der Strähl. Aber im Grunde älter ist der Kamm, Maskulinum std.Standardwortschatz (10. Jh.), mhd. kambe, kamme m./f., kam(p), ahd. kamb, altsächisch kamb Stammwort. Gemein indogermanisch gombho – das Gezähne.

      Und das ist wichtig, dass dies indogermanisch und nicht sächsisch ist, denn da ist die Gombho eine kleine Musikkapelle oder auch ein Goöstenwoögn, entschuldigung, Kastenwagen von Opel. Opel, die wollen jetzt Geld vom Staat, aber der Staat hat schon abgewunken.

      Altindisch jambha, die Zahnreihen und jambhya der „Backenzahn“. Bei Strähl geht man davon aus, dass es sich vermutlich um das gleiche Wort wie Strahl handelt und es zudem noch wie Kamm auf die Bedeutung „Zahn“ zurückgeht.

      Mag aber sein – wenn man das mal ganz weit herholen will – dass, wenn man das äussere seines Dachstübchens richten will eben wieder beim Richter anlangt. Es dient eben alles dazu etwas einzufügen, in ein Gefüge passen zu lassen, zu entwirren. Bei Michael Depner (Vom Hören und Staunen) konnte ich lesen, dass die Zimmerleute wenn alles recht zueinander passte „Ghehd“ sagten. Heute würden wir sagen „gut“, von mir aus auch guet oder güet. Dazu gab es etwas zu trinken, nämlich Met. Der war auch „ghehd“ und wohl eines der ersten Richtelbiere, das süffig durch die Kehlen floss und sich harmonisch einfügte.

      Es geht also immer um eine Ordnung. Wir geben den Haaren eine Richtung. Es muss zueinander passen, wie das Werk der Zimmerleute. Kein Wunder, dass in unruhigen Zeiten galoppierender Beliebigkeit Dinge wie ein „Ultra Strong Gel“ erfunden werden. Und eigentlich müsste die typische Schweizer Frisur nicht der militante Kurzhaarlook a la Nef sein, sondern der Mittelscheitel, der ist wirklich neutral. Denn von unseren Haaren schliessen wir auf unsere Gesinnung und von den Haarfarben unserer Frauen auf deren Intelligenz. Und wir vertrauen darauf, dass wer in der Jugend viel bürstet im Alter wenig zu kämmen hat. Dann strahlt eben die Glatze.

    7. Guggeere Says:

      Du hast wie immer Recht.
      Wie du sagst, ist der Mittelscheitel die schweizerischste aller Frisuren. Insbesondere, wenn der Scheitel extrem breit ist, sozusagen eine Nurscheitelfrisur. Folgerichtig gibts dann laut deiner Herleitung nichts mehr zu kämmen, richten bzw. strählen, da die Glatze, die wahre und einzige eidgenössische Nationalfrisur, von selbst strahlt. Dank deinem Beitrag offenbart sich mir endlich, nach Jahrzehnten des Rätselns, der tiefe Sinn der ersten zwei Zeilen unserer Landeshymne: «Trittst im Morgenrot daher, seh ich dich im Strahlenmeer.» – Merci!

    8. Guggeere Says:

      Excusez, aber so gehts, wenn man etwas schreibt und es bis zum Morgenrot nicht mehr lange dauert: Mein letzter Beitrag bezog sich auf neuromats Text.

    9. solanna Says:

      War auch so klar! Und gegens Morgenrot zu hast du auch einen Volltreffer gelandet. Schapoo (über den Scheitel)!