Warum ist die Schweiz eine Hochpreisinsel?
(reload vom 13.2.06)
Die Schweiz ist eine Hochpreisinsel. Das wissen alle, die hier leben. Die alteingesessenen Schweizer genauso wie die neu zugezogenen Deutschen. Alles ist unglaublich teuer, doch das hat seinen Grund. Unter Schweizer ist es verpönt, den genauen Grund für die hohen Preise zu hinterfragen. Denn Geiz ist nicht geil, Geiz ist uncool. Geld hat man und darüber spricht man nicht. So schrieb unser Freund Räulfi in einem Kommentar über manche Deutsche:
Die Geiz-ist-geil-Mentalität geht da auf’n Wecker, wo immer gesagt wird: ‘’Waaaas? Ist das alles teuer hier… Das gleiche gibts bei Aldidl für 1 Euro…!’’ Und wenn’s dann was gratis gibt rennen alle, respektive nehmen das Angebot/Einladung/wasauchimmer gern an und nutzen’s auch ausgiebigst
Argument: Mit den hohen Preisen werden die hohen Löhne bezahlt.
Nun, in Deutschland sind die Preise niedriger, die Löhne natürlich auch, aber das stimmt nicht ganz, denn mit den wesentlich höheren Lohn-Nebenkosten kommt es für einen Arbeitgeber gleich teuer, ob er sein Personal in der Schweiz oder in Deutschland beschäftigt. Die Lohn-Nebenkosten sind Deutschland höher als in der Schweiz:
Lohnnebenkosten (…) fassen die Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zusammen. Sie werden je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und vom Arbeitgeber gezahlt. Die Lohnnebenkosten lagen 2003 bei rund 42 Prozent des Bruttolohnes (Rentenversicherung 19,5 Prozent, Krankenversicherung durchschnittlich 14,3 Prozent, Pflegeversicherung 1,7 Prozent, Arbeitslosenversicherung 6,5 Prozent) bis zur Beitragsbemessungsgrenze.
(Quelle: Bundesregierung.de)
Aus Arbeitgeber Sicht sind die Löhne in der Schweiz nicht höher als in Deutschland, der Arbeitnehmer bekommt nur selbst mehr ausgezahlt (um damit die hohen Lebenskosten bezahlen zu können). In der Schweiz liegen Sie wesentlich tiefer:
Die vom Arbeitgeber aufzubringenden Lohnnebenkosten liegen somit je nach Branche und Alter des Angestellten zwischen ca. 7.5 und 16%.
(Quelle: Wiki)
Argument: Die Qualität der Lebensmittel ist höher in der Schweiz und hat damit ihren Preis
Das mag stimmen für Eier, die in der Schweiz nicht aus Legehennen-Batterien stammen:
1981 wurde die Batteriehaltung von Legehennen in der Schweiz faktisch verboten. Während einer zehnjährigen Übergangszeit wurden verschiedene neue Haltungssysteme entwickelt.
(Quelle: aramis-research.ch)
Auch gilt es für die Fleischproduktion, die weniger intensiv und dafür artgerechter in der Schweiz betrieben wird, vor allem bei der Geflügelproduktion. Das stimmt aber schon lange nicht mehr für Gemüse und Salate. Als Greenpeace im November 2005 das Gemüse aus Lebensmittelketten auf Pestizide untersuchte, schnitten Aldi und andere Supermärkte in Deutschland überraschend gut ab, die Migros hingegen erstaunlich schlecht:
(Quelle: www.ignoranz.ch)
Warum dann die hohen Preise? Es liegt am Zwischenhandel, der bei allen in die Schweiz importierten Artikel tüchtig mitverdient. Das wird deutlich bei zwei Produkten: Der Kinder-Milchschnitte von Ferrero und dem Philadelphia-Frischkäse von Kraft Foods.
Tages-Anzeiger vom 28.01.06 (S. 27):
„Hier sind unsere Einstandspreise sogar deutlich höher als die deutschen Verkaufspreise“, so die Migros damals. Um den Zwischenhandel zu umgehen und Geld zu sparen, wollte sie per sofort aus Deutschland importieren.
Noch mal ganz langsam zum Mitschreiben: Über den offiziellen Importeur und Zwischenhändler werden der Migros diese Artikel zu einem Einkaufspreis angeboten, der höher liegt als der End-Verkaufspreis für Kunden in einem Deutschen Supermarkt! Also wird versucht, direkt zu importieren: Heh, das ist ja eine sensationelle Idee! Genau das machen doch die zigtausend Schweizer, die jedes Wochenende über die Grenze fahren und „direkt importieren“. Nur dass sie sich damit für ihre Schweizer Nachbarn zu „Vaterlandsverräter“ und „Heimatschädlingen“ werden. Der Versuch der Migros, die Artikel auch einfach direkt zu importieren, ging jedoch schief:
Nach zwei Wochen war mit günstigen Milchschnitten aber bereits wieder Schluss. Offiziell unternahm Ferrero zwar nichts gegen die halb legalen Parallelimporte. Stattdessen ging der Bezugsquelle der Migros der Nachschub aus. Vom Lieferengpass betroffen war damals aber nur der Schweizer Grossverteiler.
Warum sollte man es auch zulassen, dass solche günstigen „Parallelimporte“ möglich sind, so lange immer noch ein Grossteil von Konsumenten in der Schweiz bereit ist, höhere Preise zu zahlen für das „hohe Lohnniveau“ und die „hohe Qualität“.
Mit Kraft Foods Schweiz ging die Geschichte anders aus:
Der Importeur von Philadelphia reagierte sofort, als er Ende November von den geplanten Parallelimporten erfuhr. „Noch am gleichen Tag rief Kraft an und bot uns neue Konditionen an“, so [Migros-Sprecher Urs-Peter] Naef. In der Zwischenzeit habe man eine Lösung gefunden, mit der beide zufrieden seien. Naef: „Bereits im Februar werden die Preise sinken.“
Es bewegt sich also doch was. Der Druck durch die Käuferschichten, die nicht mehr bereit sind, automatisch die hohen Importpreise zu zahlen, scheint langsam etwas zu bewirken in der Schweiz.
Natürlich gibt es auch viele Bereich, in denen der Import durch hohe Importzölle künstlich verteuert wird, um die Schweizer Landwirtschaft zu schützen:
Die Preise vieler landwirtschaftlicher Produkte liegen in der Schweiz wesentlich über dem Weltmarktpreis. Das liegt unter anderem daran, dass nach wie vor ein starker Importschutz besteht. Bei vielen landwirtschaftlichen Erzeugnissen wird der Importzoll auf prohibitive [=verhindernd, abhaltende] Höhen angesetzt, sobald eine durch das GATT vorgegebene minimale Menge zu einem tiefen Zollsatz eingeführt worden ist. Dadurch werden zusätzliche billige Importe verhindert und die schweizerischen Konsumenten können nur noch die teuren schweizerischen Erzeugnisse erstehen. Der prohibitiv hohe Importzoll führt also im Vergleich zu einer Situation ohne staatlichen Eingriff zu einer Umverteilung von den Konsumenten zu den Landwirten.
(Quelle: Forschungsinstitut für Empirische Ökonomie und Wirtschaftpolitik der Uni-St. Gallen)
Da hilft es dem Konsumenten nur, so vorzugehen wie die Migros es vormachte, und selbst nach billigeren Importmöglichkeiten Ausschau zu halten.
Übrigens gibt es Branchen, die nicht durch Zölle geschützt werden, und trotzdem gute Geschäfte machen in der Schweiz. So zum Beispiel die Computer- und Unterhaltungsindustrie: Media-Markt Schweiz oder Deutschland bieten fast identische Preise; die Computer und Fernseher von FUST oder Interdiscount Schweiz sind „ennet“ (=jenseits) der Grenze nicht billiger, auch nach Abzug der 19% deutscher Mehrwertsteuer.
Hier lohnt es kaum, diese Dinge in Deutschland zu kaufen. Ausser natürlich, Sie kaufen sich in Deutschland einen Computer und verpacken ihn ordentlich in viel frischer Petersilie (Schweizerdeutsch „Peterli“). Dann müssen Sie nach dem Heimtransport das „Verpackungsmaterial“ nur noch auf dem nächsten Schweizer Wochenmarkt gewinnbringend zum ortsüblichen Preis verkaufen, und schon ist ihr neuer Rechner finanziert, denn auf Peterli beträgt der Importzoll satte 1.000 Prozent. Na, haben wir Sie da gerade auf eine klasse Idee gebracht?
Zum „Peterli“ müssen wir noch unseren Deutsch-Schweizer Lieblingswitz loswerden:
Sitzen ein Schweizer und ein Deutscher in der Schweiz in einem Restaurant und essen Spargelcremesuppe. Findet der Deutsche plötzlich ein Gummiband in der Suppe. Der Schweizer ruft den Kellern und fragt ihn: „S’isch s’Gümmeli vom Peterli?“ Worauf der Deutsche (der meint, Schweizerdeutsch zu verstehen) einwendet: „Ach, Du kennst den Koch hier?“
November 11th, 2008 at 10:27
Sehr unseriös wird die Hochpreisinsel Schweiz bei den Medikamenten. Hab in Griechenland eine rezeptpflichtige Antibiotka kaufen müssen: satte 350% billiger. Gleiches Produkt, gleiche Verpackung. Unsere Pharmaindustrie eselt uns und die Krankenkassen gewaltig!
November 11th, 2008 at 10:33
Ich würde es sehr begrüssen, wenn man sich auf der Hochpreisinsel mit der Entwicklung von laktosefreien Produkten beschäftigen würde. Erste zaghafte Ansätze wagt Coop mit der Linie Freefrom und auch die Migros scheute weder Druck- noch Portokosten, um den Cumuluskunden die vier laktosefreien Produkte (Halbfettmilch, Naturjoghurt, Pflanzenmargarine und Schafskäse) in der vollen Vielfalt zu präsentieren. Ein wahres Wunder, dass die Sojaprodukte nur beiläufig erwähnt wurden.
Das Minus-L-Sortiment aus Ravensburg enthält mittlerweile alles, was das Herz begehrt (diverse Milchsorten, mindestens 4 Käsesorten + Frischkäse, Fruchtjoghurt, Quark, Schmand, Sahne, Pudding, Eis usw.). Würde sich die Lebensmittelindustrie in der Milch- und Käsenation hierzulande mit der Entwicklung solcher Produkte erfassen und diese dann zu wunderbar hohen Preisen verkaufen, würde sich bestimmt bald ein reissender Absatz bemerkbar machen. Aber solche Ansätze funktionieren offensichtlich nur beim grossen Geiz-ist-Geil-Bruder.
November 11th, 2008 at 11:44
@Brun(o)egg : du meinst, für ein Medikament, das hier 10 Franken kostet, zahlt dir in Griechenland der Apotheker 25 Franken, damit du es mitnimmst?
November 11th, 2008 at 13:50
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/story/17955652
November 11th, 2008 at 14:05
Da ist dem Verfasser aber was durcheinander geraten. Die Lohnnebenkosten betragen in Deutschland über 40%, aber davon trägt der Arbeitgeber nur knapp die Hälfte, also etwa 20%. Der Unterschied zu den von dir genannten 7,5 bis 16% ist da also nicht mehr so groß wie von dir dargestellt. Hinzu kommt, dass es in der Schweiz z.B. keine Beitragsbemessungsgrenze für die AHV gibt, bei hohen Einkommen fällt der Unterschied also noch geringer aus.
November 11th, 2008 at 16:39
@ Frank
Grins. Du hast natürlich recht. Aber rechnen ist manchmal Glücksache.
Konkret: Eine 10er Packung kostet hier Fr.48.- In Griechenland 30er Packung Fr. 26.-
November 11th, 2008 at 17:02
Was ist Schmand?
November 11th, 2008 at 17:07
Ich finde es ungemein wichtig, dass man die gesundheitlich wertvollen wenn nicht sogar lebensnotwendigen Milchschnitten günstig einkaufen kann 😉
November 11th, 2008 at 21:26
@dampfnudle:
So ein Zwischending zwischen saurer Sahne und Quark. Feiner als Quark, aber genauso dickflüssig.
November 11th, 2008 at 23:35
Hallöchen allerseits und hallo Jens
habe gestern Nacht mal 2 einhalb Stunden hier gelesen und musste aufpassen, mit meinem Gelächter nicht die Familie zu wecken:)
und fand`s schade, dass ich die blogwiese nicht schon früher kannte.
Wegen Miogros & Co, da habe ich mich immer gefragt, ob das Kartellrecht nicht greifen würde, um eine echte Konkurrenz zu ermöglichen… Tja. heute scheint nun nicht grad viel hier los zu sein.
bis bald einmal!
November 11th, 2008 at 23:44
Ach ja, schade ist vielleicht, dass man sich nicht ganz einfach zu früheren Themen äussern kann, denn der Gesprächsfaden ist immer an Aktualität gebunden, oder nicht?
Ich wollte nämlich zum mirgros`schen cummulieren oder supercarteln oder was auch immer Karten vorschlagen, einen Aufkleber für die Portemonaies zu erstellen: „Nein, leider keine xxx- Karte, nicht heute und nicht morgen.“
oder so ähnlich. Gute N8
November 12th, 2008 at 10:31
@solanna
Schmand (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Schmand )
Der Schmand hat gegenüber der süßen Sahne den geschmacklichen Vorteil, nicht in allen Speisen zu süßlich durchzuschlagen.
Tipp unter Hausfrauen: Mal diesen Schmand als Ersatz für süße Sahne / Rahm verwenden. Man kann besonders in Suppen und Soßen eine recht feine und elegante, leicht säuerliche Note zaubern.
Gegensätzlich zu den o.g. Artikel im Wiki folge ich der Meinung der Brüder Grimm, wonach die Bezeichnung „Schmand“ wohl eher aus dem altdt. „schmotz uam“ für fett, schmierig, klebrig, schmutzig kommt. Es passt hier die sprachliche und die inhaltliche Begrifflichkeit perfekt zusammen. Der slav. Begriff „smetana“ ist wohl ein sprachlicher Rückwanderer in den dt. Sprachraum.
Der „Schmutzige Donnerstag“, d.h. der „fettige Donnerstag“, ist also der letzte Donnerstag vor dem Aschermittwoch und der beginnenden Fastenzeit, also der Tag der im Fett gebackenen Teigwaren. Es ist also der Tag der „Speisung der Armen und der Bedürftigen“, welche durch das christl. Gebot der Armengaben erfolgte. Die hierbei verwendeten Bestandteile Mehl, Wasser und Fett sind die einfachen Grundlagen für die „schotzige“ Speise, welche sich einfach, schnell und preiswert herstellen lässt.
November 12th, 2008 at 15:27
Eigentlich kauf ich Elektroartikel nur deswegn in Konstanz und nicht in St.Gallen im Mediamarkt, weil ich in Konstanz 2 Jahre Gewährleistung bekomme. Und nicht nur eines.
November 13th, 2008 at 21:01
Mich würde wundern, ob es überhaupt noch Branchen gibt, in denen die Endverbraucherpreise tatsächlich Kostenpreise sind und nicht Marktpreise. Will heißen: man nimmt nicht soviel, wie man muss, sondern so viel wie man bekommen kann, am Markt durchsetzen kann.
Da hierzulande die Löhne und Gehälter vergleichsweise üppig dimensioniert sind, sind die Leute bereit und in der Lage, mehr für die Ware zu bezahlen. Also sind die durchsetzbaren Preise höher. Insofern hat das Preisniveau doch etwas mit den Löhnen zu tun, nur anders als die Wirtschaftsverbände es erklärt haben.
Dazu kommt natürlich der tägliche Selbstbeschiss, die der Ware aus Schweizer Produktion automatisch bessere Qualität zuordnet, und die Tendenz, lieber „die Faust im Sack zu machen“ als sich mal zu beschweren. Ist schon interessant, dass die Leute der allermeisten Länder denken, die gute Qualität gibt es nur bei ihnen und der Schund kommt stets von auswärts.
Zum Selbstbeschiss gehört übrigens auch die Selbstzensur der Schweizer Presse, die solche Vorfälle wie die zitierte Greenpeacestudie lieber verschweigt, dafür aber fast schon täglich mit Erkenntnissen wie wir sind die beliebtesten, liebenswertesten, die mit der besten Wohnqualität usw.usf. aufwartet. Und wenn es da gerade nichts gibt, verlegt man sich halt auf „die Deutschen kaufen die Goldküste auf“ und ähnliche Schocker.
Ich musste seinerzeit an den Tagesanzeiger und die NZZ erst Leserbriefe an die Redaktion schreiben, bis sich wenigstens der Tagi einige Tage später bequemte, den Bericht über die Greenpeacestudie zu bringen. Im deutschen und österreichischen Fernsehen kam es sofort anch der Pressemitteilung, im SF dagegen Fehlanzeige.
Warum gibt Aldi wohl soviel Geld für ihre Werbekampagne „Schweizer Qualität“ aus? Weil monatelang, wenn nicht gar jahrelang in den Schweizermedien ausschließlich Negativnachrichten über Aldi gebracht wurden, um die heimischen Preistreiber präventiv zu schützen, und Aldi zu so etwas wie dem Antichristen aufgebaut wurde.
So ist die Schweiz live und als Hochalemanne fällt einem das noch nicht mal mehr richtig auf. Dafür ist er sich sicher, auf einer Hochqualitätsinsel gut und friedlich zu leben, wenn da nicht die vielen Ausländer wären.