Geiz ist uncool
Die Schweiz ist eine Hochpreisinsel. Das wissen alle, die hier leben. Die alteingesessenen Schweizer genauso wie die neu zugezogenen Deutschen. Alles ist unglaublich teuer, doch das hat seinen Grund. Unter Schweizer ist es verpönt, den genauen Grund für die hohen Preise zu hinterfragen. Denn Geiz ist nicht geil, Geiz ist uncool. Geld hat man und darüber spricht man nicht. So schrieb unser Freund Räulfi in einem Kommentar über manche Deutsche:
Die Geiz-ist-geil-Mentalität geht da auf’n Wecker, wo immer gesagt wird: ‘’Waaaas? Ist das alles teuer hier… Das gleiche gibts bei Aldidl für 1 Euro…!’’ Und wenn’s dann was gratis gibt rennen alle, respektive nehmen das Angebot/Einladung/wasauchimmer gern an und nutzen’s auch ausgiebigst
Warum alles teuer ist, und wie die Schweizer beruhigt werden
Argument: Mit den hohen Preisen werden die hohen Löhne bezahlt.
Nun, in Deutschland sind die Preise niedriger, die Löhne natürlich auch, aber das stimmt nicht ganz, denn mit den wesentlich höheren Lohn-Nebenkosten kommt es für einen Arbeitgeber gleich teuer, ob er sein Personal in der Schweiz oder in Deutschland beschäftigt. Die Lohn-Nebenkosten sind Deutschland höher als in der Schweiz:
Lohnnebenkosten (…) fassen die Beiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zusammen. Sie werden je zur Hälfte vom Arbeitnehmer und vom Arbeitgeber gezahlt. Die Lohnnebenkosten lagen 2003 bei rund 42 Prozent des Bruttolohnes (Rentenversicherung 19,5 Prozent, Krankenversicherung durchschnittlich 14,3 Prozent, Pflegeversicherung 1,7 Prozent, Arbeitslosenversicherung 6,5 Prozent) bis zur Beitragsbemessungsgrenze.
(Quelle: Bundesregierung.de)
Aus Arbeitgeber Sicht sind die Löhne in der Schweiz nicht höher als in Deutschland, der Arbeitnehmer bekommt nur selbst mehr ausgezahlt (um damit die hohen Lebenskosten bezahlen zu können). In der Schweiz liegen Sie wesentlich tiefer:
Die vom Arbeitgeber aufzubringenden Lohnnebenkosten liegen somit je nach Branche und Alter des Angestellten zwischen ca. 7.5 und 16%.
(Quelle: Wiki)
Argument: Die Qualität der Lebensmittel ist höher in der Schweiz und hat damit ihren Preis
Das mag stimmen für Eier, die in der Schweiz nicht aus Legehennen-Batterien stammen:
1981 wurde die Batteriehaltung von Legehennen in der Schweiz faktisch verboten. Während einer zehnjährigen Übergangszeit wurden verschiedene neue Haltungssysteme entwickelt.
(Quelle: aramis-research.ch)
Auch gilt es für die Fleischproduktion, die weniger intensiv und dafür artgerechter in der Schweiz betrieben wird, vor allem bei der Geflügelproduktion. Das stimmt aber schon lange nicht mehr für Gemüse und Salate. Als Greenpeace im November 2005 das Gemüse aus Lebensmittelketten auf Pestizide untersuchte, schnitten Aldi und andere Supermärkte in Deutschland überraschend gut ab, die Migros hingegen erstaunlich schlecht:

(Quelle: www.ignoranz.ch)
Warum dann die hohen Preise? Es liegt am Zwischenhandel, der bei allen in die Schweiz importierten Artikel tüchtig mitverdient. Das wird deutlich bei zwei Produkten: Der Kinder-Milchschnitte von Ferrero und dem Philadelphia-Frischkäse von Kraft Foods.
Tages-Anzeiger vom 28.01.06 (S. 27):
„Hier sind unsere Einstandspreise sogar deutlich höher als die deutschen Verkaufspreise“, so die Migros damals. Um den Zwischenhandel zu umgehen und Geld zu sparen, wollte sie per sofort aus Deutschland importieren.
Wenn die Migros plötzlich selbst importiert
Noch mal ganz langsam zum Mitschreiben: Über den offiziellen Importeur und Zwischenhändler werden der Migros diese Artikel zu einem Einkaufspreis angeboten, der höher liegt als der End-Verkaufspreis für Kunden in einem Deutschen Supermarkt! Also wird versucht, direkt zu importieren: Heh, das ist ja eine sensationelle Idee! Genau das machen doch die zigtausend Schweizer, die jedes Wochenende über die Grenze fahren und „direkt importieren“. Nur dass sie sich damit für ihre Schweizer Nachbarn zu „Vaterlandsverräter“ und „Heimatschädlingen“ werden. Der Versuch der Migros, die Artikel auch einfach direkt zu importieren, ging jedoch schief:
Nach zwei Wochen war mit günstigen Milchschnitten aber bereits wieder Schluss. Offiziell unternahm Ferrero zwar nichts gegen die halb legalen Parallelimporte. Stattdessen ging der Bezugsquelle der Migros der Nachschub aus. Vom Lieferengpass betroffen war damals aber nur der Schweizer Grossverteiler.
Warum sollte man es auch zulassen, dass solche günstigen „Parallelimporte“ möglich sind, so lange immer noch ein Grossteil von Konsumenten in der Schweiz bereit ist, höhere Preise zu zahlen für das „hohe Lohnniveau“ und die „hohe Qualität“.
Mit Kraft Foods Schweiz ging die Geschichte anders aus:
Der Importeur von Philadelphia reagierte sofort, als er Ende November von den geplanten Parallelimporten erfuhr. „Noch am gleichen Tag rief Kraft an und bot uns neue Konditionen an“, so [Migros-Sprecher Urs-Peter] Naef. In der Zwischenzeit habe man eine Lösung gefunden, mit der beide zufrieden seien. Naef: „Bereits im Februar werden die Preise sinken.“
Es bewegt sich also doch was. Der Druck durch die Käuferschichten, die nicht mehr bereit sind, automatisch die hohen Importpreise zu zahlen, scheint langsam etwas zu bewirken in der Schweiz.
Wie subventioniert die Schweiz ihre Landwirte?
Natürlich gibt es auch viele Bereich, in denen der Import durch hohe Importzölle künstlich verteuert wird, um die Schweizer Landwirtschaft zu schützen:
Die Preise vieler landwirtschaftlicher Produkte liegen in der Schweiz wesentlich über dem Weltmarktpreis. Das liegt unter anderem daran, dass nach wie vor ein starker Importschutz besteht. Bei vielen landwirtschaftlichen Erzeugnissen wird der Importzoll auf prohibitive [=verhindernd, abhaltende] Höhen angesetzt, sobald eine durch das GATT vorgegebene minimale Menge zu einem tiefen Zollsatz eingeführt worden ist. Dadurch werden zusätzliche billige Importe verhindert und die schweizerischen Konsumenten können nur noch die teuren schweizerischen Erzeugnisse erstehen. Der prohibitiv hohe Importzoll führt also im Vergleich zu einer Situation ohne staatlichen Eingriff zu einer Umverteilung von den Konsumenten zu den Landwirten.
(Quelle: Forschungsinstitut für Empirische Ökonomie und Wirtschaftpolitik der Uni-St. Gallen)
Da hilft es dem Konsumenten nur, so vorzugehen wie die Migros es vormachte, und selbst nach billigeren Importmöglichkeiten Ausschau zu halten.
Fust, Interdiscount und Media-Markt haben keine Importprobleme
Übrigens gibt es Branchen, die nicht durch Zölle geschützt werden, und trotzdem gute Geschäfte machen in der Schweiz. So zum Beispiel die Computer- und Unterhaltungsindustrie: Media-Markt Schweiz oder Deutschland bieten fast identische Preise; die Computer und Fernseher von FUST oder Interdiscount Schweiz sind „ennet“ (=jenseits) der Grenze nicht billiger, auch nach Abzug der 16% deutscher Mehrwertsteuer.
Hier lohnt es kaum, diese Dinge in Deutschland zu kaufen. Ausser natürlich, Sie kaufen sich in Deutschland einen Computer und verpacken ihn ordentlich in viel frischer Petersilie (Schweizerdeutsch „Peterli“). Dann müssen Sie nach dem Heimtransport das „Verpackungsmaterial“ nur noch auf dem nächsten Schweizer Wochenmarkt gewinnbringend zum ortsüblichen Preis verkaufen, und schon ist ihr neuer Rechner finanziert, denn auf Peterli beträgt der Importzoll satte 1.000 Prozent. Na, haben wir Sie da gerade auf eine klasse Idee gebracht?
Zum „Peterli“ müssen wir noch unseren Deutsch-Schweizer Lieblingswitz loswerden:
Sitzen ein Schweizer und ein Deutscher in der Schweiz in einem Restaurant und essen Spargelcremesuppe. Findet der Deutsche plötzlich ein Gummiband in der Suppe. Der Schweizer ruft den Kellern und fragt ihn: „S’isch s’Gümmeli vom Peterli?“ Worauf der Deutsche (der meint, Schweizerdeutsch zu verstehen) einwendet: „Ach, Du kennst den Koch hier?“