Hartz IV und wo harzt es sonst noch so?

Juni 29th, 2009

(reload vom 24.06.09)

  • Harzt IV und wo harzt es sonst noch so?
  • Im Dezember 2005, als Geissenpeter noch täglich ums sprachliche Überleben in der Hauptstadt der kühlen Hanseaten kämpfte, berichtete er uns zum ersten Mal, dass man dort oben an der Water-kant, die so rein gar nichts mit kant-onalem Geiste zu tun hat, die griffige weil klebrige Formulierung „es harzt gewaltig“ nicht verstehen würde.

    Er schrieb uns:

    wenn ich in Hamburg “es harzt” sage, werde ich ausgelacht. Ist mir zweimal passiert, musste zweimal erklären, was ich damit meine, seither sag ichs nicht mehr
    Aber vielleicht bin ich ja auch einfach nur an die Falschen geraten…
    (Quelle)

    Dabei ist der Harz doch eines der Mittelgebirge, das jeder Ausländer in Deutschland kennen sollte, wenn er beim Fragenkatalog für die Einbürgerung gut abschneiden möchte. Dort lauten die ersten drei Fragen:

    1. Wie viele Einwohner hat Deutschland?
    2. Nennen Sie drei Flüsse, die durch Deutschland fließen!
    3. Nennen Sie drei deutsche Mittelgebirge!
    (Quelle: Zeit.de)

    Falls Ihnen jetzt noch zwei weitere Namen von Mittelgebirgen fehlen: „Schwarzwald“ pass gut, ist auch leicht zu merken wegen der Farbe, und die „Kohlehalden“ am Rhein-Herne Kanal, absolut sehenswürdige Mittelgebirge, und „erst noch“ so energiegeladen:
    Kohlehalden in Herne
    (Quelle: rheinruhrgebiet.com)

  • Hartz IV und Rocky IV
  • Doch zurück zum „harzen“. Ich harze, du harzt, er/sie/es harzt. Das „t“ immer schön hinter das „z“ setzen, damit es hier keine Missverständnisse aufkommen. Das andere Wort „Hartz“ schreibt sich in Deutschland in der Regel mit einer römischen IV versehen, so wie „Rocky IV“ mit Sylvester Stallone, oder garantiert irgendwann Terminator IV, wenn Arnold Schwarzenegger seinen alten Traum wahr macht und als Präsident ins Weisse Haus einzieht. Es geht zurück auf Peter Hartz, den Ex-Personalvorstand von VW, der zum Ende seiner Karriere darüber stolperte, die falschen Dienstleistungen auf seine Spesenabrechnung geschrieben zu haben.

    Zum „harzen“ fällt unserem Duden ein:

    harzen sw. V.; hat [mhd. herzen = mit Pech ausstreichen, zu 1 Harz]:
    1. Harz absondern:
    der Baum, das Holz harzt.
    2. (Forstw.) einen Baum anritzen, um Harz zu gewinnen:
    Kiefern h.; subst.: In den Wäldern ist das Harzen der Kiefern in vollem Gange (NNN 27. 6. 85, 3).
    3. mit Harz bestreichen.
    4. (schweiz., auch landsch.) schwer, schleppend vonstatten gehen:
    die Verhandlungen harzen; es harzt mit dem Bau der Autobahn; Was die Konsolidierung der Fälligkeiten 1987 betrifft, scheint es nicht nur auf der Schuldnerseite zu h. (NZZ 26. 10. 86, 15).

    Wir achten wie immer auf die Reihenfolge. Die wichtige Schweizerdeutsche Formulierung „schwer, schleppend vonstatten gehen“ kommt tatsächlich erst auf Platz 4 der aufgezählten Bedeutungen. Als ob das Bestreichen mit Harz so üblich sei in Deutschland, wie wenn sich jemand beim Frühstück Honig aufs Brot schmiert.

    Auch DWDS, das Konkurrenzunternehmen vom Duden aus Berlin-Brandenburg, kommt zu dieser Wertung:

    harzen /Vb./
    1. etw. mit Harz bestreichen: Treibriemen (mit der Hand) h.
    2. Forstw.
    a) Harz ausscheiden: die Kiefer harzt
    b) Nadelbäume h. (Harz aus ihnen gewinnen)
    3. südwestdt. schweiz. es harzt es ist schwierig, es kostet Mühe: Mit Mang (mittlerweile) wird’s harzen Federer Berge 253
    (Quelle: dwds.de)

    Erst der Treibriemen, dann die Forstwirtschaft und nur an dritter Stelle, zusammen mit Südwestdeutschland (!) wird die Schweiz und „es harzt“ erwähnt.
    Wir finden sehr alte Belege für das Wort:

    wen me üch olle harzen selde würde nie doch in virzahn Tagen nicht fertig! (Quelle: Andreas Gryphius – Die gelibte Dornrose / Der Erste Auffzug)

    und ein Zitat aus der Bildzeitung von 1999:

    Bei Jil Sander freilich harzen die Geschäfte, der Kurs der frei handelbaren (Vorzugs-)Aktie hat sich in drei Jahren um 60 Prozent gesenkt (siehe Grafik unten). (Quelle: BILD 1999)
    (Quelle: wortschatz.uni-leipzig.de)

    Produziert den Jil Sanders in der Schweiz, oder kommt die Bild-Zeitung aus Süddeutschland?
    Wiki meint:

    Jil Sander (* 27. November 1943 in Wesselburen als Heidemarie Jiline Sander) ist eine international bekannte deutsche Modeschöpferin mit Wohnsitz in Hamburg.
    (Quelle: Wiki)

    Also hatte der arme Geissenpeter ganz einfach Pech, in Hamburg nicht mit einem Redakteur der Bildzeitung gesprochen zu haben, der sehr wohl zu wissen scheint, was „es harzt“ bedeutet.

    Die Schweizer Flagge und der Erste Hilfe Koffer

    Juni 26th, 2009

    (reload vom 22.6.06)

  • Schweiz ist nicht Schweden
  • Wir berichteten bereits über die Nöte der Schweizer im Ausland, die ständig mit den Schweden verwechselt werden (vgl. Blogwiese). Wir lernten dabei, dass es im afrikanischen Staat Swaziland extra ein Postamt gibt, um die fehlgeleiteten Briefe für „Switzerland“ wieder auf den rechten Weg zu bringen. Es ist schon ein rechtes Problem, wenn man verwechselt wird. Zum Glück gibt es da die Schweizer Nationalflagge in ROT und WEISS, mit einem grossen Kreuz in der Mitte. Die sieht für viele Menschen aus, wie ein Erste Hilfe Koffer.

  • Was will uns diese Symbolik sagen?
  • Schweizer mit Helm
    Wenn Du ein Problem hast, frage am besten einen Schweizer. Der setzt sich dann einen Integralhelm auf, nimmt den grossen Schraubenschlüssel in die Hand und hilft Dir ganz bestimmt. So interpretieren wir jedenfalls diese Grafik von der Webseite des Kinderkanals KIKA:
    Erste Hilfe aus der Schweiz
    (Quelle: Originalseite siehe hier www.kika.de

  • Was macht das Schweizer Kreuz auf diesem Koffer?
  • Bestimmt enthält dieser Koffer Schokolade für die armen Kinder, die sich hierhin im Internet verlaufen haben. Gesponsert wird die Seite jedenfalls nicht von der Schweizer Grossbank UBS, sondern von einem Paket-Versender, den wir so noch nicht kannten. U-UPS könnte „Unser UPS“ bedeutet, oder „unter Umständen Papa schreien!“ oder was auch immer. Ob die Telefonnummer dieses Dienstes die 404 ist? Eher nicht, denn das ist ja schon ein HTTP Fehler. Die lieben Kleinen werden genau wissen, was damit gemeint ist. Grammatikfehler, Rechtschreibfehler, HTTP-Fehler, sowas kennen sie ja bereits aus dem ITG = Informationstechnische Grundausbildung (Pflichtfach in der 5 Klasse am Gymnasium in Baden-Württemberg).

    In welchem Alter wird den kleinen Internet-Surfer eigentlich beigebracht, was der Unterschied zwischen der Schweiz, einem Erste Hilfe Koffer und dem Roten Kreuz ist?

    Wohin fällt die Steigerung?

    Juni 25th, 2009

    (reload vom 21.6.06)

  • In Jona-Rapperswil, da treiben sie es von Amts wegen
  • Wir fanden, im Tages-Anzeiger, dem nicht mehr steigerungsfähigen Blatt für jedes Treiben, vom 9.6.06 auf Seite 25 diese Anzeige:

    Betreibungsamt Jona-Rapperswil
    Steigerungsanzeige
    Am Donnerstag, 22. Juni 2006, ab 14.00 Uhr werden im Geschäftslokal an der Herrengasse 9 in 8640 Rapperswil gegen sofortige Barzahlung und sofortige Wegnahme zwangsrechtlich öffentlich versteigert: (…)“

    Steigerungsanzeige

    Warum sollten wir es erst bezahlen, wenn wir es doch dem Versteigerer doch sowieso wegnehmen, und zwar sofort. Oder nimmt der einen anderen Weg, so dass er uns entkommt? Vielleicht derweil durch eine hohle Gasse oder so?

    Zum Schluss heisst es dann:

    Besichtigung: am Steigerungstag von 10.00 bis 11.00 Uhr

    Kann man den Steigerungstag eigentlich noch steigern? Oder ist der schon der absolute Superlativ? Der „Steiger“ ist in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, ein ehrenwerter Beruf und hat nichts mit unliebsamen Zeitgenossen zu tun, die Ihnen auf den Kopf steigen könnten, oder wohlmöglich noch „zu Kopfe“?

    Steiger, der; -s, – 1: eigtl. wohl = jmd., der häufig (zu Kontrollen o. Ä.) ins Bergwerk steigt; mhd. stīger = Kletterer, Bergsteiger, Besteiger einer Sturmleiter:
    1. (Bergbau) Ingenieur (Techniker), der als Aufsichtsperson unter Tage arbeitet (Berufsbezeichnung).
    (Quelle: duden.de)

    Im Duden fanden wir unter „Steigerung“

    Steigerung, die; -, -en [spätmhd. steigerunge]:
    1. das Steigern (1): die Steigerung der Produktion, des Absatzes; dem Autor gelingt eine Steigerung der Spannung.
    2. (besonders Sport) Verbesserung der Leistung.
    3. (Sprachwissenschaft) das Steigern (5); Komparation.

    Von „Gütern“ und „Wegnahme“ und „Posten“ können wir da nichts finden, seltsam. Nicht mal ein ganz klitzekleines „landsch. Schweiz“ oder „veralt. Schweiz“ ist diesmal dabei! Das ist schon hoch, höher am höchsten!

    Dabei endet die Anzeige im Tages-Anzeiger (nomen est omen!) mit einem absoluten Knüller, es kommt zu einer echten Actionsequenz:

    Im Falle der Auslösung fällt die Steigerung dahin.

    Im Falle der Auslösung fällt die Steigerung dahin.

    Wohin denn? Nach links oder nach rechts? Oder wohlmöglich in den See? Wir erinnern uns an die Gant in Bülach, wo es auf dem ausgeteilten Handzettel hiess:

    Der Versteigerer entschlägt sich jeder Verantwortung bei allfälligen Abhandenkommen oder Untergang des zugeschlagenem Steigerungsguts.
    (vgl. Blogwiese)

    Hier wird zugeschlagen, bis zum Untergang. Auch wenn Bülach keinen Teich hat und die Glatt gar nicht tief genug ist für so viel Steigerungsgut.

  • Wenn die Steigerung dahin fällt
  • Wenn also, im Fall eine „Auslösung“ eintritt, dann fällt die Steigerung. Keine Auslöschung, sondern eine Auslösung. Die Losung, das haben wir vom Förster gelernt, die lässt der Hase oder der Rehbock gerne mal fallen, wenn ihm danach ist oder wenn es ihm im Darme drückt. Aber die „Auslösung“? Auch keine „Auslosung“ des Gewinners beim Lottospiel. Wir rätseln weiter über die Wunder unserer Muttersprache und ihre Verwendungsmöglichkeiten in der Schweiz und warten auf die Lösung / Losung / Auslösung.

    Was hat die Schweiz mit den Niederlanden gemeinsam? (2. Teil)

    Juni 24th, 2009

    (reload vom 20.6.06)

  • Die andere historische Erfahrung mit Deutschland
  • Anders als die Schweiz, die sich während des Zweiten Weltkriegs erfolgreich einigelte und Dank Milizarmee und hocheffektiver Grenzverteidigung nicht von den Deutschen eingenommen wurde, wurden die Niederlanden als ebenfalls neutraler Staat überrannt:

    Auch im Zweiten Weltkrieg versuchte die niederländische Regierung zunächst, sich aus dem Krieg herauszuhalten; anders lautende Warnungen wurde nicht geglaubt. Hitler jedoch befahl die Okkupation der Niederlande, um so Frankreich unter Umgehung der „Maginot Linie“ von Norden her einnehmen zu können. Nach dreitägigem Kampf zwangen die reichsdeutschen Truppen am Abend des 14. Mai 1940 die Niederlande mit dem Bombardement von Rotterdam zur Aufgabe. Die Innenstadt wurde durch Bomben und die anschliessenden Brände weitestgehend zerstört. Es war das erste Flächenbombardement im Zweiten Weltkrieg. Das Land wurde von Mai 1940 bis Mai 1945 von der Wehrmacht besetzt gehalten.
    (Quelle: Wikipedia)

    Der Deutsche Reichskommissar für die Niederlande, Reichsminister Dr. Seys-Inquart soll auf die Frage, ob er denn nun auch Niederländisch lernen würde, gesagt haben: „Ich kann doch nicht jeden deutschen Dialekt lernen„. Erinnert uns das nicht an die Aussage von manchen Deutschen in der Schweiz heutzutage? Nur das Niederländisch damals bereits eine lange verschriftete Sprache mit eigener Grammatik war, und kein Dialekt.

  • Die Niederländer waren nicht nur Opfer
  • Viele Niederländer arrangierten sich mit dem Besatzungsregime und viele Niederländer verinnerlichten auch die Ideologie eines grossdeutschen bzw. grossgermanischen Reiches, zu dem auch die niederdeutschsprachigen Niederländer gehören sollten. Die Judenverfolgung schlug in den Niederlanden besonders heftig zu: aus keinem anderen europäischen Land wurden so viele Menschen jüdischen Glaubens in die Vernichtungslager abtransportiert.
    (Quelle: Wikipedia)

  • Was unterscheidet die Niederländer von den Schweizer?
  • Als Seefahrer und Handelsnation waren sie stets am regen Austausch mit allen Nachbarn interessiert. Als Export-Nation gehen sie nicht den Weg der Abschottung ihres Binnenmarktes und erheben keine Schutzzölle:

    Die moderne und hoch technologisierte Landwirtschaft ist ausserordentlich produktiv: neben Getreide-, Gemüse-, Früchte- und Schnittblumenanbau – die Tulpenzüchtung beeinflusste sogar die Geschichte des Landes – gibt es noch Milchviehhaltung in grossem Massstab. Letztere liefert die Grundlage für Käse als wichtiges Exportprodukt. Die niederländische Landwirtschaft beschäftigt knapp unter 4 % der Arbeitnehmer, trägt jedoch erheblich zum Export bei. Die Niederlande sind nach den USA und Frankreich der weltweit drittgrösste Exporteur landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
    (Quelle: Wikipedia)

    Nun, da wir in der Schweiz leben, wissen wir natürlich auch, dass bei dieser Erfolgstory gewaltige Abstriche bei der Qualität gemacht werden. „Swiss made„ ist da doch ein ganz anderes Gütesiegel! Auch wenn dafür die Schweizer Tomaten und Gurken viel mehr kosten als die aus den Niederlanden und sich in der Folge nicht exportieren lassen. Kaufen wir einfach weiter original Emmentaler Käse aus Holland oder Schweizer Gouda, müssen wir nur noch die Löcher selbst hineinbohren.

    Heutzutage wurden die Herstellungsmethoden der Niederländer längst in alle Gemüseregionen Europas übertragen. Die Spanier haben dabei den Vorteil, dass bei ihnen die Sonne länger scheint als im Norden und sind munter dabei, den Holländern in Sachen Gemüseproduktion den Rang abzulaufen.

  • Holländischer Ballermann in Tirol
  • Niederländer, Schweizer, Deutsche, wer ist wem am ähnlichsten? Wir meinen, dass in vielen Dingen die Niederländer den Deutschen um einiges näher stehen. So durften wir im letzten Sommer in Tirol auf einem Campingplatz, der zu 97 % in niederländischer Hand war, erleben, wie bei einem abendlichen Grillfest mit Rumtata-Musik die massiv auftretenden holländischen Gäste die Sau rausliessen und bis drei Uhr in der früh den ganzen Platz mit Gegröhle beglückten.

    Eigentlich ein Wunder, wie man von Heineken-Bier so besoffen werden kann. Wir sind jedenfalls beruhigt, dass nicht nur Engländer oder Deutsche allein sich im Ausland manchmal tüchtig daneben benehmen können. Würde den Schweizern nie passieren, oder? Wie denn, mit Feldschlösschen?

    Zum Schluss ein bisschen Nostalgie für die Älteren unter uns, die sich vielleicht erinnern, wie Deutsche und Holländer den untenstehenden Song gemeinsam singen konnten, jeder in seiner Sprache. Zugleich ein wenig „Niederländisch für Anfanger“; es muss ja nicht immer Mani Matters Berndeutsch sein auf der Blogwiese.

    In den 80ern hatte die holländische Gruppe „bots“ einen Riesenhit mit Songs wie „Aufstehn-Opstan“ oder den auch in der Schweiz bekannten Song:

    Wat zullen we drinken, zeven dagen lang
    Wat zullen we drinken, wat een dorst [2x]
    Er is genoeg voor iedereen
    Dus drinken we samen,
    Sla het vat maar aan
    Ja, drinken we samen, niet alleen [2x]

    Dan zullen we feesten zeven dagen lang
    Dan zullen we feesten met elkaar [2x]
    Dan is er bier voor iedereen
    Dus drinken we samen, 7 dagen lang
    Dus drinken we samen, niet alleen [2x]

    Dan is er bier voor iedereen
    Dus drinken we samen, zeven dagen lang
    Dus drinken we samen, niet alleen[2x]

    Er is genoeg voor iedereen
    Dus drinken we samen
    Sla het vat maar aan,
    Ja, drinken we samen, niet alleen [2x]
    [Zeven dagen lang!]
    (Quelle: )

    Was hat die Schweiz mit den Niederlanden gemeinsam? Die Liebe zu den Deutschen!

    Juni 23rd, 2009

    (reload vom 19.6.06)

  • Sagen Sie besser niemals „Holland“
  • Die auf der Blogwiese viel diskutierten Antipathien der Schweizer gegen „die Deutschen“ im Allgemeinen, aber nie gegen bestimmte Deutsche im Besonderen, sind in Europa nicht einzigartig. Die meisten Parallelen gibt es mit Holland, Entschuldigung, muss natürlich heissen „mit den Niederlanden“. Und da geht das schon los mit den Problemen. Die Deutschen können sich nicht einmal richtig an den Namen dieses Königreichs gewöhnen. „Holland“ ist nur der Name der alten „Grafschaft Holland“ und heute in eine Provinz Nord- und Südholland zweigeteilt.

    Holland mit den Niederlanden gleichzusetzen wäre ähnlich korrekt, als wenn man den Kanton Zürich mit der Schweiz gleichsetzen würde, oder die Deutschschweiz mit der ganzen Eidgenossenschaft. Sträfliche Verallgemeinerungen, die in der Schweiz Gott sei Dank völlig undenkbar und gaaanz weit hergeholt scheinen.

  • Holland ist auch ein kleiner putziger Nachbar
  • Der kleine Nachbar, von den Deutschen freundlich und ein wenig „putzig“ gesehen, hat beliebte Küstenorte mit feinen Sandstränden, ein fantastisches Radwegenetz und feinen Feinschnitt in den Coffeeshops von Amsterdam. Diese „Coffeeshops“ sind weit im Umkreis bekannt für ihren exzellenten Kaffee.
    Coffeeshop in Amsterdam
    (Foto: Wikipedia)

    Für den reisen deutsche Freaks jedes Wochenende wieder an. Vom Ruhrgebiet aus dauert das mit dem Zug weniger als drei Stunden. Sie treffen dort auf ein sehr internationales Publikum aus vielen Ländern des Orients. Es gibt Afghanen, Libanesen, Türken und häufig auch Marrokaner. Manche treffen dort auch Mädchen, die alle Mary oder Jane oder beides zugleich heissen. Die Holländer fahren gern robuste Alltagsfahrräder, die sie „Fietsen“ nennen, und wenn sie einen Motor (die Fietsen, nicht die Holländer) haben und brummen, dann werden sie „Bromfietsen“ genannt.

  • Keine Gardinen und billiges Bauen
  • Die Niederländer haben keine Gardinen in ihren Fenstern, weil sie nichts verbergen wollen vor den Nachbarn, während die Schweizer jeden Abend zur gleichen Zeit die Rollladen herunterlassen. Die Häuser sind billiger als Vergleichbares in Deutschland, weil sie mit weniger Bauvorschriften und nicht für die Ewigkeit gebaut werden, so wie es im Heimatland der DIN-Normen vorgeschrieben ist.

  • Niederländisch für Deutsche am Goethe-Institut
  • Die Niederlanden sind super dicht besiedelt mir 480 Einwohner pro Quadratkilometer, ähnlich wie die Schweizer Agglomerationen (Bevölkerungsdichte Schweiz). Nur wenig Deutsche sprechen Niederländisch, weil jeder dort Deutsch versteht aber nicht immer auch gerne spricht. Auch dies eine interessante Parallele zur Schweiz. Dabei ist Niederländisch für Deutsche leicht lernbar, und es gibt eine stetig wachsende Zahl von Medizinstudenten, die auf der Flucht vor dem Deutschen Numerus Clausus einen Studienplatz an einer der alten Universitäten des Landes ergattern. Das Goethe-Institut in Amsterdam bietet daher, äusserst ungewöhnlich für diesen Verein, nicht nur Deutsch als Fremdsprache, sondern auch „Niederländisch für Deutschsprachige“ an. Ob die ETH das auch anbieten sollte?

  • Was halten die Holländer von den Deutschen?
  • Die Gefühle für Deutschland sind ähnlich gespalten wie bei den Schweizern. Einerseits ist Deutschland der grosse Handelspartner und wichtigstes Exportland, anderseits wird auch in den Niederländen am Abend Tatort auf Deutsch (mit Untertiteln) geschaut. Der Schimpfname für die Deutschen ist „Moffen“, wofür sich die Deutschen mit „Keeskopp“ revanchieren.

    Ähnlich wie bei den Schweizern haben die meisten Deutschen keine Ahnung davon, wie die Niederländer über sie denken. Bewohner der niederländischen Provinz Limburg, deren Dialekt so klingt, wie wenn ein Deutscher Niederländisch spricht, klagen darüber, dass sie in der Hauptstadt unter Ressentiments zu leiden haben, wenn sie anfangen zu sprechen. Sie gewöhnen sich daher lieber schnell die dort übliche Aussprache an. Hier sehen wir eine interessante Parallele zur Beliebtheit der Basler Mundart in der restlichen Schweiz.

  • Die „Oranjes“ gegen die Deutsche Nationalelf
  • Nur beim Fussball, da kommt es zur offenen Auseinandersetzung. Die Deutsch-Holländische Fussballfeindschaft ist legendär. Seit der Niederlage gegen Deutschland im Finale der WM 1974 ist das Verhältnis gespalten. Tatsächlich respektiert man den Nachbar und freut sich zugleich, wenn er verliert. 2002 konnte sich die Nationalmannschaft der Niederlande nicht für die WM qualifizieren und lieferte damit monatelang Stoff für Hohn und Spott von Stefan Raab und Harald Schmidt im Deutschen Privatfernsehen. Irgendwann war aber auch hier der letzte Witz erzählt. Er lautete Übrigens: Fährt ein Holländer zur Weltmeisterschaft…

  • Haben die Niederländer einen Minderwertigkeitskomplex?
  • Anders als bei den Schweizern, denen man ständig einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Deutschland nachsagt, bzw. den sie sich offensichtlich selbst ständig einzureden versuchen, betrachten die Niederländer als alte Handelsnation und Kolonialmacht sehr souverän ihr Königreich in der Nachbarschaft von Deutschland.

    Sprachliche Minderwertigkeitskomplexe? Dafür besteht kein Grund, denn man ist stolz auf die alte Sprache der Hanse:

    Das Niederländische beruht auf der Niederdeutschen Schriftsprache des 17. Jahrhunderts, die allmählich aus Mundartausdrücken der Provinzen Brabant und Holland angereichert wurde. Eine Ältere Version war die Überregionale Sprache der Hanse, die insbesondere in Antwerpen, Brügge und kurz darauf auch in Holland Verbreitung als Handels- und Gelehrtensprache fand. Lehnwörter kommen aus dem Französischen und in neuerer Zeit überwiegend aus dem Englischen. Was den Wortschatz betrifft, so bewahrt das Niederländische mehr als das moderne (Hoch-) Deutsche den altdeutschen Wortbestand.
    (Quelle: Wikipedia)

    Was den Schweizern ihr „Chochichästli“ ist, mit dem sie jeden Zugezogenen auf seine Dialekttauglichkeit testen können, ist für die Niederländer der Name des Seebades „Scheveningen“, das sich ganz anders ausspricht, als Sie jetzt vermuten. Gewisse Ähnlichkeiten bei den Krachlauten lassen vermuten, dass Schweizer leicht Niederländisch lernen könnten, und umgekehrt.

  • Das Geheimnis um das Chochichästli
  • Für unsere unbedarften Leser aus Deutschland sollten wir noch kurz erklären, was es mit dem mysteriösen „Chochichästli“ (auch „Chuchihästli“) für eine Bewandtnis hat: Die Schweizer essen gern am Nachmittag zum Kaffee um vier Uhr ein Stück Kuchen. Diese Angewohnheit wird hier „z’Vieri“ genannt. Dazu haben Sie in jedem Büro oder Wohngemeinschaft eine spezielle Kasse, in die jeder einzahlen kann, der auch Kuchen haben will. Die nennen dies Kasse „Chochichästli“. Hätten Sie es gewusst?

    (2. Teil morgen: Die andere geschichtliche Erfahrung der Niederländer und Schweizer mit den Deutschen)