-->

Überleben im Schweizer Satzbau — Was alles „erst noch“ passiert

  • Was „erst noch“ passiert
  • Fast täglich stolpern wir bei der Lektüre des Tages-Anzeigers oder Schweizer Webseiten über ein Konstruktion mit „erst noch“, die wir nicht interpretieren können:

    Pisten gut – und erst noch Sonnenschein
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 04.01.06)

    Was heisst das jetzt: Danach wird es regnen? Erst haben wir noch ein bisschen Sonnen, danach nicht mehr?
    Erst noch
    Tages-Anzeiger vom 26.01.06
    Was passierte danach? Erst haben sie sich noch erfunden, dann muss da doch noch etwas anderes geschehen sein.

    Oder hier das Portal cash.ch:

    BAUHERRENBERATUNG: Guter Rat, der erst noch spart
    (Quelle: Cash.ch)

    Heh, das reimt sich sogar! Heisst das, später wird es dann richtig teuer?

    Der Begrif „erst noch“ findet sich bei Google-Schweiz 198.000 Mal.
    Oder hier, aus einem Tages-Anzeiger Artikel über einen Sammler alter Telefone:

    Engler hütet insgesamt 370 verschiedene Modelle aus der ganzen Welt, alle detailgetreu restauriert und erst noch funktionstüchtig
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Später gehen sie dann kaputt? Was passiert danach, wenn „erst noch“ etwas geschieht?

    Wir stellen fest: In der Schweiz bedeutet diese Floskel etwas ganz anderes als in Deutschland. Dort wird das immer rein zeitlich verstanden. So z. B. in der Wochenzeitung, „Die Zeit“:

    „Das Schlimmste kommt erst noch“
    (Quelle: Die Zeit)

    Der Duden meint dazu:

    erst (Adv.) [mhd. ēr(e)st, ahd. ērist, Sup. von eher]:
    1.a) als Erstes, an erster Stelle; zuerst, zunächst:
    b) anfänglich, zu Beginn:
    2.a) nicht eher, früher als:
    b) nicht länger zurückliegend als:
    c) nicht mehr als:

    noch (Konj.) [mhd. noch, ahd. noh, zusgez. aus: ne = nicht u. ouh = auch, eigtl. = auch nicht]:
    schließt in Korrelation mit einer Negation ein zweites Glied [u. weitere Glieder] einer Aufzählung an; und auch nicht:
    er kann weder lesen noch schreiben; (…)
    (Quelle: Der Duden)

  • Erst noch und für einmal
  • Es kommt für uns in die gleiche Kiste wie das „für einmal“, welches in Schweizer Zeitungstexten ständig an Stelle von „diesmal“ oder „ausnahmsweise“ verwendet wird.

    Erst noch“ muss soviel wie „ausserdem“ bedeuten in der Schweiz, das können wir aus dem Kontext erschliessen. Allein, wir müssen es einfach „erst noch“ verstehen.

    

    15 Responses to “Überleben im Schweizer Satzbau — Was alles „erst noch“ passiert”

    1. Patrice Says:

      Ich schlage die Übersetzung „sogar“ vor.

      – Pisten gut – und sogar Sonnenschein
      – BAUHERRENBERATUNG: Guter Rat, der sogar spart

    2. Oni Says:

      oder aber „und dazu auch noch“, aber der Sinn der aussage wurde ja schon getroffen 😀
      ’s isch eifach schön üsses Schwizertüdsch, oder…

    3. Peter Says:

      man könnte es auch mit „und tatsächlich auch noch“ übersetzen. „Eerscht no“ ist meistens stark betont, so im Sinne von: „und jetzt kommt das Beste:“

    4. Phipu Says:

      Wer „erst“ durch „an erster Stelle“ oder „in erster Linie“ ersetzt, könnte den Sinn verstehen. Zum besseren Verständnis muss man in gewissen Fällen „noch“ weglassen.

      Erwähnte Beispielsätze:
      Pisten gut und ‚in erster Linie‘ Sonnenschein = ‚überdies/und was wichtiger ist‘
      Die Arctic Monkeys sind das neue Gitarrending aus England und haben sich ‚an erster Stelle‘ selbst im Internet erfunden. = ‚überdies/sogar‘
      BAUHERRENBERATUNG: Guter Rat, der ‚in erster Linie‘ spart = ‚was wichtiger ist‘
      Engler hütet insgesamt 370 verschiedene (Telefon-)Modelle aus der ganzen Welt, alle detailgetreu restauriert und ‚als erstes Merkmal‘ funktionstüchtig = ‚überdies‘

      Um den richtigen Sinn für „erst noch“ wiederzugeben, komme ich auf „überdies“.

    5. Harry.R Says:

      Jens, „erst noch“ und zum Glück nicht „für einmal“ wieder ein sehr spritziger Artikel!
      Ich bin schon richtig Blogwiese süchtig, jeden Morgen kaum am PC lese ich deine neuen Beiträge und habe täglich viel Spass. Es ist wie bei einem Adventkalender, nur dass wir schon Februar haben und es täglich weitergeht. Halt weiter für uns Augen und Ohren auf, denn die Blogwieselektüre macht mir grossen Spass, weiter so!

    6. Walti Says:

      @jens,mit ausserdem hast du den Nagel auf den Kopf getroffen.
      „Das Schlimmste kommt erst noch“bedeutet bei uns dasselbe wie in Deutschland.

    7. geissenpeter Says:

      Ich finde, die Übersetzung mit „in erster Linie“ ist irreführend. „Sogar noch“ trifft es wohl am besten.

    8. kblog Says:

      Dieses „erst noch“ ist Dialekt und nicht wirklich Schweizer Hochdeutsch. „Erst noch“ dient dazu, etws herauszuheben, ähnlich wie „sogar noch“. Damit will man vor allem Verblüffung hervorheben, sozusagen, man hat „auch noch“ oder eben etwas treffender „sogar auch noch“ etwas getan/gesehen/geschehen.
      Echt gut beobachtet, muss ich sagen! 🙂

    9. Cruscthti Says:

      @kblog:

      ich wusste gar nicht, dass es ein Schweizer Hochdeutsch gibt. Ich war immer der Anisicht, es gibt nur ein Hochdeutsch und alles andere ist eingehochdeutschter Dialekt.

    10. Frank Says:

      „Erst noch“ ist keieswegs rein Schweizerdeutsch, sondern auch im Süddeutschen gebräuchlich.

    11. nasobem Says:

      Wirklich fein beobachtet!
      Man könnte es auch als „darüberhinaus“ oder „zudem“ übersetzen.
      Im Schweizerdeutschen macht man im Übrigen den Unterschied zwischen „erscht no“ und „zerscht no“ (zeitlich, „zuerst noch“).
      Ein „Schweizer Hochdeutsch“ gibt es in der Tat, es wird hier „Schriftdeutsch“ genannt und strotzt vor Helvetismen (der Radio, das Tram, parkieren, grillieren, es windet…).

    12. Bruno Says:

      Erst noch kann auch Bewunderung ausdrücken:
      „Der Kuchen war sehr gut und erst noch! selbst gebackenI

    13. Sauschwob Says:

      Ein großes HALLO und erst noch Gratulation zu der Homepage…!

      Meiner Meinung nach kommt das Schweizer „erst noch“ dem hochdeutschen „zudem“ am nächsten.
      Der Duden sagt dazu:

      zu|dem (geh.): außerdem, überdies, [noch] dazu: es war kalt und regnete z. [noch]; …

      Weiter so auf der Blogwiese!

    14. Sauschwob Says:

      Ups, das nasobem hat’s schon gesagt…
      Wer lesen kann ist klar im Vorteil…sorry

    15. haw Says:

      finde auch:
      „erst noch“ lässt sich am treffendesten mit „zudem“ übersetzen.

      ansonsten bin ich sprachlos beeindruckt, was auf der Blog-Wiese so alles zsammenkommt.
      Könnte direkt süchtig werden.