-->

Hader niemals mit dem Kader — Marxistische Soziologiebegriffe im Schweizer Alltag

  • Hader niemals mit dem Kader
  • Ein Deutscher Arbeitsloser, der sich auf dem Schweizer Stellenmarkt umschauen will, stösst bald auf einen Begriff im Anzeigenteil der Zeitungen, mit dem er in Deutschland ganz andere Dinge verbindet als ein Schweizer in der Schweiz:

  • Der Kader
  • Für Deutsche ist dieser Begriff negativ verbunden mit der DDR-Vergangenheit. Dort gab es die „Kader-Schmieden“ im Hochleistungssport. Dort wurde gedoped und gespritzt, was das Zeug hielt und die Pharmaindustrie hergab. Ein Kader, das weckt also Erinnerungen an die DDR, an Besuche bei den lieben Freunden in Moskau, den Parteikadern.

    Der Ausdruck Kader (v. frz. quadre, cadre Geviert, besonderer Bereich, entlehnt aus russ. kadr) bezeichnet ursprünglich eine besondere Gruppe militärischer Vorgesetzter.
    Im sowjetischen Einflussbereich waren Kader ein durch politische und fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten führender Personenkreis im Partei- und Ideologiebereich „Parteikader„, „Führungskader„, „Leitungskader„, „Nachwuchskader„, „Kaderpolitik„). Insbesondere zählten die Funktionäre der Parteien und Massenorganisationen (Leitungskräfte) und die Hoch- und Fachschulabsolventen (Experten) dazu, normale Werktätige aber nicht. „Reisekader“ hatten die Erlaubnis, im „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ Aufgaben für ihre Betriebe oder Institutionen zu erfüllen.
    (Quelle: Wiki)

    Der Begriff „Kader“ wird in Deutschland heute ausschliesslich im Sportbereich verwendet, und niemals für eine Führungskraft: Google-Deutschland hat 2.930.000 Belege. Anstatt „Kader“ sagt man also ist in Deutschland immer eine „Führungskraft“ (niemals nie ein Führer, denn der ist ja abgeschafft, vgl. Blogwiese ) oder ein „leitender Angestellter“ (nicht zu verwechseln mit dem „leidenden Angestellten“).

  • Kader-Vermittlungen und Kaderstellen
  • Auch die Geschäftsidee der „Kader-Vermittlung“ war uns völlig unbekannt, als wir noch nicht in der Schweiz wohnten. Solche gibt es in Zürich, Basel und Bern in der Innenstadt massenhaft. Ihr Job ist es, Stellenanzeigen von Firmen auszuwerten, dann selbst einen passenden Kandidaten durch Kopfgeldjäger (Neudeutsch „Headhunter“) zu finden, um anschliessend ihre Beutestücke (möglichst lebend) gegen Lösegeld an interessierte Firmen weiterzuverscherbeln.

  • Spezialverband für Kaderkräfte
  • Es gibt sogar eigene Verbände für Kader. Ein Kaderverband wie der „Schweizer Kaderverband“ definiert sich so:

    Der Schweizerische Kaderverband ist ein Interessenverband (keine Gewerkschaft), der bestrebt ist, Selbständigerwerbenden und Kaderpersonen entscheidende Vorteile zu bieten: günstige Angebote, insbesondere durch die Realisierung von Kollektiv-Abschlüssen für die Mitglieder. (…)
    (Quelle:)

    Die flüssige Aussprache „Selbständigerwerbenden“ müssen wir aber noch üben, ich lese da immer „selbständiger werbend“ irgendwie.

  • Kader im Kollektiv
  • So treten die Kader also gleich im Kollektiv auf. Auch dies ist für die meisten Deutsche ein aus der DDR-Vergangenheit bekanntes Wort, gleichfalls politisch vorbesetzt. Es erinnert an „Ernte-Kollektive“ und Brigade. Wiki meint dazu:

    Der Begriff wird in der marxistischen Soziologie den sonst üblicheren wie Gemeinschaft, Gruppe, Organisation vorgezogen und betont dann die bewusste Zielausrichtung eines „Kollektivs„. In der DDR entsprach der Begriff „Kollektiv“ ungefähr dem, was man in der Bundesrepublik Deutschland Team nennt; doch wurden in Verlautbarungen und Agitprop auch große Kollektive zitiert, wie die Arbeiterklasse, die durch das Wort „Team“ nicht mehr erfasst werden. (Eine andere in der DDR für ein Kollektiv verwendete Bezeichnung war Brigade.)
    (Quelle: Wikipedia)

    Kader kann jeder werden in der Schweiz, auch ohne Sport zu treiben. Damit es besser klappt, gibt es jede Menge Schulen für Kader. Google-Schweiz findet 120.000 Belege dafür! Zum Beispiel die Kaderschule Zürich, mit einem eigenen Kaderforum:

    Kaderforum: Kompetenz und Führungsstärke
    Mitarbeiter im Kader stehen unter erheblichem Erfolgs- und Innovationsdruck. Permanentes Lernen ist notwendig, um die professionellen Herausforderungen erfolgreich zu meistern.

    Immerhin wird hier nur „permanentes“ Lernen, und nicht „lifelong learning“ gepflegt, was sich in unseren Ohren immer ein bisschen wie Knast anhört.

  • Motto: Try harder, become a Kader!
  • Zum Abschluss noch eine kleine Stilübung. Wie sagt man den folgenden Satz auf Schwiitzerdütsch?
    „Komm kleiner kräftiger Kerl, kannst kluge Kader kennenlernen!“
    (Vorschläge mit weniger als 5 CHs werden nicht akzeptiert)

    

    19 Responses to “Hader niemals mit dem Kader — Marxistische Soziologiebegriffe im Schweizer Alltag”

    1. Stefan Says:

      „Chum chline chräftige Kerl, du chasch schlaui Kader kenne lehre.“
      Zählt das CH in den SCHs auch? Das ‚kluge‘ musste ich mit schlau ersetzen, weil es dieses Wort im Berndeutschen irgendwie nicht gibt…

    2. Administrator Says:

      @Stefan
      Wow, das ging aber fix bei Dir! Keine 25 Minuten nach Erscheinen des Artikels! Gibt es nix hübscheres als „Kerl“? Und bist Du dir bei „kenne“ ganz sicher? Da müssten sich doch noch ein paar CHs mehr rauskitzeln lassen. Das CH in SCH lass ich übrigens gelten, den ersten Platz hast Du damit also sicher.
      Gruss, Jens

    3. viking Says:

      @Jens Warum wusste ich, dass der Begriff Kader irgendwann bei dir im Blog erscheint ;)))
      „Chum chline chräftige Bursch, du chasch gschidi Kader känne lerne“ würde ich jetzt sagen…

      Gruss
      Bruno

    4. Bruno Says:

      Anstelle Kerl könnte man auch „Chaib“ schreiben, tönt aber in meinen Ohren nicht mehr so nett und“kenne“ könnte man durch „känne“ ersetzen.

    5. geissenpeter Says:

      chum du chline starche kärli, chasch go schlaui kader könnelehre

    6. Mittleres Kader Says:

      Die Steigerung ist „Kaderselektion“, google.ch das Wort mal. Als ich es das erste mal in der NZZ las, lief es mir kalt über den Rücken, was soll da mit kommunistischen Apparatschicks gemacht werden? Aber nun ja, warum sollen die Schweizer auch unsere Sprachtabus übernehmen.

    7. Phipu Says:

      Einen kleinen Unterschied zwischen deutschem und helvetischem Sprachgebrauch ist mir oben aufgefallen. Googelt mal nach „das Kader“ und „der Kader“. Wie schon festgestellt, werden hier Fremdwörter oft sächlich.

      Meine Übersetzung des Beispiel-Satzes ist nicht revolutionär. Jedoch würde ich das deutsche „klug“ durch „gschiid“ (gescheit) übersetzen und durch die korrekte Anwendung des Doppel-gehen/Doppel-kommen ( siehe http://www.blogwiese.ch/archives/56 ) die Ch-Zahl steigern.

      „chum, du chline, chreftige Kärli, chasch cho gschiidi Kader lehre könne“

    8. Cruschti Says:

      Chom chline chräftige Cheib, chasch gschiiidi Kader kenne lehre.

    9. geissenpeter Says:

      bei genauem nachdenken: „kader kennenlernen“ würde man nicht sagen.

      also:
      „chum du chline chräftige kärli, chasch go gschiidi lüt us em kader könnelehre“

    10. Dom Says:

      Frei nach meinem „Chauderwelschen“ dialekt:

      „chum du chline cheib, chasch cho gschiide Kader könnelehre“

      Aber unübertroffen finde ich immer noch diesen hier aus meiner Jugend:

      „dä cheibe cheib isch mit emene cheibe schuss i dä cheibe haag ine gcheibet“

      🙂

    11. Administrator Says:

      @Dom
      Und wie würden dann in deiner Fassung die „geschiedenen klugen Kader“ geschrieben?
      Gruss, Jens

    12. Heinrich W. S. Says:

      Und nebenbei:

      1648 hat die Schweiz den definitiven Austritt aus dem deutschen Reich gegeben…… also hat die Schweiz Ihre eigene Meinung zum totalitären Regime – EU inklusive.

      Heinrich W.S.

    13. geissenpeter Says:

      geschiedene leute sind gschedeni lüt – aber nicht gschedeni kader. denn kader kann man ja nicht persönlich kennenlernen, ein kader ist eine körperschaft. kennenlernen kann man nur mitglieder des kaders (um hier mal den sprachklugscheisser rauszuhängen)

    14. Administrator Says:

      @Heinrich W. S.
      Wenn Du uns jetzt noch bitte den Bezug Deiner hochinteressanten Feststellung zum Thema dieses Postings „Kader“ verraten würdest, wären wir Dir sehr verbunden.
      Gruss, Jens

    15. Phipu Says:

      überarbeitete Version, nach allen Einwänden:
      „chum, du chline, chreftige Kärli, chasch cho gschidnigi gschiidi Kader-Lüt lehre könne“

    16. Administrator Says:

      @alle
      Ach ist das anrührend, wenn Ihr Euch alle so einig seid… ein einzig Volk von Brüdern.. mir wird ganz warm ums Herz. 🙂

      Dabei sagte ich gestern abend zu meiner Frau:
      „Pass auf, jetzt werfe ich mal nen Knochen in die Runde, mal sehen, wer den sich schnappt, und ob überhaupt jemand Interesse dran hat.. lauter Ks, da beissen sie sich bestimmt die Zähne dran aus.“

      Nun, wir haben gewettet, und ich habe wieder verloren. Die „Ks“ sind alle gründlich weichgekaut worden, bis auf das K in Kader, das will irgendwie nicht so richtig schmecken…

      Danke an alle fürs Mitspielen, Leckerlis habe ich leider keine mehr
      Schönen Abend noch, Jens

    17. raphael Says:

      Chum du chline chräftige Kärli, du chasch es cheibe gschiids Kader lehre kenne.

      Würde ich in Berndeutsch sagen.
      Schönes Blog! Ich bin Englisch-Deutsch-Übersetzer und finde oft schneller Übersetzungen ins Schweizerdeutsche als ins „Hochdeutsche“

    18. HalbCH/HalbD Says:

      wenn ihr „gschiidi kader-lütlis“ findet, gibt mir bescheid

    19. Assessment Basel Says:

      Ja, ja, die Begriffe sind halt schon unterschiedlich in den beiden Ländern…