Munros einsacken in Schottland
September 7th, 2009Gehen Sie gern in die Berge, wohlmöglich gleich ins Hochgebirge, und besteigen möglichst viele Gipfel? In der Schweiz mag es ein anstrengendes und erstrebenswertes Ziel für ambitionierte Gipfelstürmer sein, möglichst alle 45 Viertausender zu erklimmen. Wir kommen gerade von einer Reise aus den schottischen Highlands. Dort trifft man allerorts eine ganz spezielle Sorte von Sammlern: Die „Munro-Bagger“ (bagging = „einsacken, in die Tasche stecken“). Man erkennt sie leicht an dem mitgeführten Spezial-Handbuch aus den 50ern, in der vierten Auflage von 1997, in dem alle 277 schottischen Berggipfel präzise beschrieben werden, die höher als 3000 Füsse hoch sind.
(Quelle: Amazon. Der offizielle Guide „Munro’s Tables“)
Klingt hoch, doch umgerechnet sind das nur 914 Meter. Ein gewisser Sr. Hugh T. Munro hat diese Liste 1891 zusammengestellt, ist aber selbst am Vorhaben, sie alle zu besteigen, kläglich gescheitert. Das gelang erst 1900 durch Reverend Archibald Eneas Robertson, und nun ist es Volksport in Schottland, möglichst alle persönlich aufzusuchen um sie dann „abzuhaken“. Stolz werden am Abend in der Herberge die Häkchen präsentiert, und es wird erzählt, dass man heute wieder 3-4 davon geschafft hat und dabei neun Stunden im Regen und Nebel mit einer Sichtweite von max. einem Meter unterwegs war.
(Quelle Foto: Private Aufnahme — Ein seltener Tag mit guter Sicht in den Highlands bei Braemar)
Munro-Bagger sind ein ganz spezielles Völkchen. Sie könnten ja leicht behaupten, oben gewesen zu sein. Wer merkt das schon, denn schottische Berggipfel haben weder ein Kreuz zum Abfotografieren noch ein Gipfelbuch zum Eintragen. Auch Wegmarkierungen gibt es kaum. Kartenlesen und Kompassbenutzung will geübt sein in den unwirtlichen Highlands. Auf der Isle of Skye, wo sich allein 12 Munros befinden, ist das besonders schwer, weil das Gestein so eisenhaltig ist, dass jede Kompassnadel verrückt spielt. Echte Munro-Bagger gehen bei jedem Wetter los, verbringen neun Stunden im Dauerregen und stellen sich dann abends in die Wartschlange für die warme Dusche. Hoch sind Munros nicht, aber oft nur nach langem Fussmarsch zu erreichen. Falls es nicht in Strömen regnet werden die Munro-Bagger von Abermillionen schottischen Mini-Mücken geplagt, auch „Midges“ genannt. Man sieht sie nicht, so klein sind sie, aber man spürt die Bisse dieser nur 1-2 mm grossen Plagegeister sofort an jeder freien Körperstelle. Am liebsten gehen sie in die Ohren. Na, juckt es jetzt grad bei Ihnen? Mehrmals täglich in Autan baden hilft ungemein.
In der Welt der Munro-Bagger sind etliche Rekorde gemacht worden: Kathy Murgatroyd war die erste Frau, die sie alle bestieg. Der erste 70jährige und der erste 10jährige sind überliefert, ebenso der erste Hund, der mitsamt Herrchen auf allen Gipfeln war. Der Rekord liegt bei 66 Tagen. Das sind 4.19 Gipfel pro Tag. Munro-Bagger zählen nicht nur Munros, sondern auch sich selbst. Über 4‘000 sind weltweit bekannt, und in jedem Jahr werden es mehr, fein säuberlich vom Scottish Mountaineering Club aufgelistet als offizielle „Munroists“. Von Spöttern werden sie statt als „Munro-Bagger“ gern auch als „Munro-Banger“ bezeichnet, was zu erklären nicht ganz jugendfrei ist.
Entspannt wurde uns beim Abendessen in einer Bergherberge am Fusse der Munros verkündet, wer „seine Munros“ schon vor 20 Jahren alle im Sack hatte, und wer sie sogar zweimal besuchte, was den Kauf eines neuen Handbuchs notwendig machte, für die frischen Häkchen in der Liste. Diese Häkchen heissen auf Englisch „tick“, und so manch Munroist hatte einen solchen nicht nur in seinem Munro-Guide.
Auf dem letzten Gipfel wird übrigens gefeiert, mit Sekt und Gipfelfrühstück. Danach beginnt die Jagd nach den „Marilyns“. So nennt man die Gipfel mit mindestens 490 Fuss Höhenunterschied zur Umgebung, und von denen gibt es 1‘214 Stück in Schottland, manche Munros gehören auch dazu, was das Vorhaben etwas beschleunigt. Und, haben Sie für den nächsten Sommer schon was vor? Autan und Kugelschreiber für die „ticks“ gibt’s billig in jedem Drogeriemarkt, die Schotten kennen sich da aus.