Verhaftet das Hochhaus — Was heisst eigentlich „sistieren“?
Januar 19th, 2006Bei unserer morgendlichen Bildungsbürger-Lektüre des Tages-Anzeigers stiessen wir auf folgende gescheite Überschrift:
„Hochhaus sistiert“.
(Tages-Anzeiger 11.01.06 S. 17)
Da haben wir nun 5 beschwerliche Jahre die Germanistik studiert, uns einst mit Latein und „Caesar Ora Classis Romana“ (= Cesar Küste die Flotte Römerin) rumgeschlagen, lernen seit weiteren 5 Jahren täglich den Fachjargon der Schweizer, und dann wieder so eine Pleite, einfach beim Zeitungslesen: Was bedeutet denn „sistieren„? Wir insistieren nicht zu lange, schauen konsterniert in die Runde und greifen flugs zum Fremdwörter-Duden. Ohne den geht gar nix in der Schweiz:
sis|tie|ren
[lat. sistere = stehen machen, anhalten]:
Quelle: Der Duden
Wie kann man ein Hochhaus zum stehen bringen? Ist es umgefallen?
Oder es anhalten? Ist es denn am Weglaufen???
Der Duden führt weiter aus:
1. (bes. Rechtsspr.) zur Feststellung der Personalien zur Wache bringen; festnehmen:
den Verdächtigen s.; „Im Zuge der Auseinandersetzungen sistierte die Polizei auch noch einen 34 Jahre alten Mann“ (MM 21. 4. 78, 20);
Doch nicht die Spur eines Beweises gelingt, um den Sistierten mit den Doppelmorden zu belasten (Noack, Prozesse 107).
Moment mal: Die wollen ein Hochhaus verhaften? Gibt es denn überhaupt so grosse Handschellen? Doch weiter heisst es im Duden:
2. (bildungssprachig) [vorläufig] einstellen, unterbrechen; unterbinden, aufheben:
die Ausführung von etw., die Geschäfte s.; (…)
„Belgrad sistiert Schuldenzahlungen“ (NZZ 27.01.1983, S. 13).
Da haben wir es also schwarz auf weiss vom Duden bestätigt bekommen. Es ist „Bildungssprache“, die in der heimlichen Hauptstadt der Rapp-Musik, dem „Rapper’s ville“ Rapperswil, gekonnt gesprochen wird, hier im Rahmen des grossen „Masterplans“.
Master-Mind haben wir früher auch immer gespielt, und schrecklich oft verloren, so ganz ohne Plan. Aber in der Schweiz sind sie alle wahnsinnig trainiert für sowas, durch den neuen Volkssport „Sudoku“. Jeden Samstag im Tages-Anzeiger versuche ich es wieder, und scheitere nach nur 3 Kästchen. Zu wenig mathematische Begabung, und sprachlich bereits völlig überanstrengt durch die Lektüre des Tages-Anzeigers. Falls sie mal beim Tagi Lesen im morgendlichen Berufsverkehr kein Fremdwörterbuch dabei haben, fragen Sie doch einfach den Schweizer, der ihnen in der S-Bahn gegenüber sitzt. Der weiss sicherlich, was „sistiert“ heisst und freut sich darüber, Ihnen das Wort spontan und flüssig auf Hochdeutsch erklären zu dürfen. Nur Mut! Haben Sie stets Vertrauen in die Fremdwortkompetenz der Schweizer!