Verhaftet das Hochhaus — Was heisst eigentlich „sistieren“?
Bei unserer morgendlichen Bildungsbürger-Lektüre des Tages-Anzeigers stiessen wir auf folgende gescheite Überschrift:
„Hochhaus sistiert“.
(Tages-Anzeiger 11.01.06 S. 17)
Da haben wir nun 5 beschwerliche Jahre die Germanistik studiert, uns einst mit Latein und „Caesar Ora Classis Romana“ (= Cesar Küste die Flotte Römerin) rumgeschlagen, lernen seit weiteren 5 Jahren täglich den Fachjargon der Schweizer, und dann wieder so eine Pleite, einfach beim Zeitungslesen: Was bedeutet denn „sistieren„? Wir insistieren nicht zu lange, schauen konsterniert in die Runde und greifen flugs zum Fremdwörter-Duden. Ohne den geht gar nix in der Schweiz:
sis|tie|ren
[lat. sistere = stehen machen, anhalten]:
Quelle: Der Duden
Wie kann man ein Hochhaus zum stehen bringen? Ist es umgefallen?
Oder es anhalten? Ist es denn am Weglaufen???
Der Duden führt weiter aus:
1. (bes. Rechtsspr.) zur Feststellung der Personalien zur Wache bringen; festnehmen:
den Verdächtigen s.; „Im Zuge der Auseinandersetzungen sistierte die Polizei auch noch einen 34 Jahre alten Mann“ (MM 21. 4. 78, 20);
Doch nicht die Spur eines Beweises gelingt, um den Sistierten mit den Doppelmorden zu belasten (Noack, Prozesse 107).
Moment mal: Die wollen ein Hochhaus verhaften? Gibt es denn überhaupt so grosse Handschellen? Doch weiter heisst es im Duden:
2. (bildungssprachig) [vorläufig] einstellen, unterbrechen; unterbinden, aufheben:
die Ausführung von etw., die Geschäfte s.; (…)
„Belgrad sistiert Schuldenzahlungen“ (NZZ 27.01.1983, S. 13).
Da haben wir es also schwarz auf weiss vom Duden bestätigt bekommen. Es ist „Bildungssprache“, die in der heimlichen Hauptstadt der Rapp-Musik, dem „Rapper’s ville“ Rapperswil, gekonnt gesprochen wird, hier im Rahmen des grossen „Masterplans“.
Master-Mind haben wir früher auch immer gespielt, und schrecklich oft verloren, so ganz ohne Plan. Aber in der Schweiz sind sie alle wahnsinnig trainiert für sowas, durch den neuen Volkssport „Sudoku“. Jeden Samstag im Tages-Anzeiger versuche ich es wieder, und scheitere nach nur 3 Kästchen. Zu wenig mathematische Begabung, und sprachlich bereits völlig überanstrengt durch die Lektüre des Tages-Anzeigers. Falls sie mal beim Tagi Lesen im morgendlichen Berufsverkehr kein Fremdwörterbuch dabei haben, fragen Sie doch einfach den Schweizer, der ihnen in der S-Bahn gegenüber sitzt. Der weiss sicherlich, was „sistiert“ heisst und freut sich darüber, Ihnen das Wort spontan und flüssig auf Hochdeutsch erklären zu dürfen. Nur Mut! Haben Sie stets Vertrauen in die Fremdwortkompetenz der Schweizer!
Januar 19th, 2006 at 0:41
Ja da ist schnell Hopfen und Malz verloren. Nur die Wenigsten haben Lateinkenntnisse und haben schon bei banaleren Fremdwörtern Erklärungsnotstand.
Bezüglich sistieren: so abwegig ist das nicht, dieses Wort im Zusammenhang mit ner Hochhausplanung zu gebrauchen. Wir Schweizer verstehen das schon (sicher einige:D). Das Wort wird bei uns oftmals in solchen Zusammenhängen gebraucht und somit aber auch seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt und erweitert. Bissel Phantasie hat doch jeder *G*
Januar 19th, 2006 at 9:16
Aus dem Schweizerischen Juristischen Wörterbuch von Metzger:
sistieren (1) einstellen, zum Stillstand bringen; (2) jemanden zur Feststellung der Personalien auf den Polizeiposten bringen
„Sistieren“ wird in der Schweiz oft im Sinne von von einem einstweiligen Einstellen verwendet, z.B. um weitere Abklärungen vorzunehmen etc.
Januar 19th, 2006 at 10:47
Interessant was Du alles im Tagi findest, was in der NZZ sich höchstens auf den Zürich-Seiten versteckt. Vielleicht trauen sich die Redaktoren im Tagi einfach mehr, weil die Zeitung jenseits des Rheins weitgehens unbekannt ist, während die NZZ in Deutschland recht populär ist.
@gebsn
Mein erster Job in der Schweiz war, einen Software-Vertrag zu überarbeiten, da habe ich alle Forumlierungen rausgenommen, die mir im Hochdeutschen einfach unbekannt waren (z.B. „raschestmöglich“). Das kam ganz schlecht, wurde darauf hingeweisen am helevtischen Juristendüütsch nicht rumzubasteln. Ich hätte besser Dein Wörterbuch zur Hand gehabt!
Januar 19th, 2006 at 10:50
Ein Trost für alle „Sudoku-Versager“: es hat mit Mathematik oder Rechnen nichts zu tun! Hier ist eine ganz andere Fähigkeit gefragt nämlich Mustererkennung. Ich bin Mathematiker und kenne einige Leute, die Sudoku viel besser lösen als ich, obwohl noch nicht einmal 2+2*2 (=6 wegen „Punktrechnung“ vor „Strichrechnung“) korrekt berechnen können. Ähnlich ist es übrigens auch mit dem Schachspielen.
Januar 19th, 2006 at 14:08
Leider hat der Tages-Anzeiger wieder mal beim Titel ‚gepfuscht‘.
Im Text stimmt es dann wieder. Das Projekt ‚Hochhaus‘ wird sistiert. Und das ist sowohl sprachlich wie inhaltlich möglich und richtig. Projekte werden immer wieder mal (vorläufig) eingestellt oder unterbrochen.
Januar 20th, 2006 at 1:45
Zum Thema Sudoku,
Sofort erkannte ich das japanische Wort „Sudoku“! Doch ich fragte mich, von was fuer einem Game unser Jens den spricht. So klickte ich auf das Sudoku-link (oder wie man dem sagt) und erkannte das momentane, sehr populaere „Kreuzwortraetsel“.
Doch heisst es bei uns in Japan, die ja von den Amis extrem beeinflusst sind und gerne engl. Woerter benuetzen;Number-place. =)
Januar 29th, 2006 at 13:33
sistiere isch haut, wem me öbis uf ziite leit. ^^
Februar 13th, 2006 at 23:45
Als Jurist erlebe ich immer mal wieder eine Sistierung – und bin ganz froh um dieses Wort. Man weiss sofort, dass es da nur um einen befristeten Unterbruch geht – während „Einstellung“ – je nach Kontext (und je nach Kanton… :-)) auch das definitive Ende bedeuten kann. Zum Beispiel im Strafprozess: Wird das Verfahren eingestellt, so ist das für immer. Wird es nur sistiert, so geht’s gleich weiter…
März 16th, 2007 at 14:56
Jungs und Mädels: Sisitieren heisst einfach Verfahren aufheben! Es ist kein Entscheid oder Bescheid. Es ist einfach so tun als ob nichts passiert wäre…
März 20th, 2007 at 21:29
Und was bedeutet es in diesem Zusammenhang?
„Die Volkswahl des Bundespräsidenten wurde, wie schon 1932 sistiert. „