Keine Chance in Bern ohne Schweizerdeutsch
März 19th, 2006(reload vom 19.3.06)
Ein ehemaliger Banker aus Lausanne erzählte uns, dass er mit guten Hochdeutsch- und Englischkenntnissen nach Zürich kam, um hier zu arbeiten. Keine drei Wochen hat es gedauert, bis man ihn aufforderte, einen Vortrag doch bitte auf Schweizerdeutsch zu halten. Er musste es lernen, in der Migros-Clubschule, um beruflich mithalten zu können.
Eine Mitarbeiterin einer Schweizer Grossbank berichtete davon, dass die Gespräche zwischen Westschweizern und Deutschschweizern bei ihr in der Bank mittlerweile fast nur noch auf Englisch abgehalten werden, das wäre „neutrales Gebiet“ für alle.
Ein Deutschschweizer, der bei einer Firma mit Hauptsitz in Genf arbeitet, erzählte uns von Sitzungen, bei denen alle anwesenden Deutschschweizer der verschiedenen Zweigstellen zwei Stunden lang miteinander auf Französisch diskutierten, nur weil ein Genfer ohne Deutschkenntnisse mit im Raum sass. Im Rausgehen nach der Sitzung wurde dann der Termin für das Folgetreffen auf Schweizerdeutsch abgemacht unter den Teilnehmern. So einfach geht das, wenn man sich zukünftige Mühen ersparen möchte.
Tatsache ist, dass man in der Schweizer Bundespolitik in Bern nicht sehr weit kommt ohne gute Deutschkenntnisse:
„Wer aus dem Tessin kommt und nicht wirklich gut Deutsch kann“, bestätigt eine Tessinerin aus einem anderen Departement, „wird in Bern nicht Karriere machen können.“
Dazu passt, was viele als Symptome einer schleichenden Verdeutschung erleben. Zwar würden deutschsprachige Dokumente übersetzt, nur kämen die Übersetzungen manchmal zu spät oder seien unvollständig, also müsse man sich ans Original halten.
(Quelle: Tages-Anzeiger vom 8.03.06 S.4)
Doch es geht noch weiter. Leider ist es schon lange nicht mehr so, dass gute Hochdeutschkenntnisse für die Welschen und Tessiner ausreichend sind:
Wer ausserdem nicht Dialekt verstehe, bleibe von allem Inoffiziellen ausgeschlossen, bei dem oft das Wichtigste besprochen werde. In den Kommissionen sprächen 90 Prozent aller Experten nur Deutsch, klagen lateinische Parlamentarier. Wer seine Fragen bloss auf Französisch formuliere, werde übergangen So drohen die Minderheiten zu Opfern ihrer Sprachkompetenz zu werden. Je besser ihre Vertreter Deutsch können, desto leichter fällt ihnen der Aufstieg – und desto schwerer fällt er anderen.
Fazit: Nicht nur Deutsche in der Schweiz haben mit der Dialektwelle zurecht zu kommen. Für die anderen Minderheiten ist es harter politischer Alltag, ob sie Schweizerdeutsch können oder nicht.