Increase your stamina — Large ist nicht gross

Januar 28th, 2011

(reload 20.4.07)

  • Englisch for runaways
  • Ein grosser Vorteil digitaler Kommunikation via Elektropost ist die kostenlose tägliche Erweiterung unseres angelsächsischen Alltagsvokabulars. So lernte ich durch stetige Wiederholung und immer wieder notwendiges aktives Löschen der mir unaufgefordert zugeschickten Englischlektionen, meinen Wortschatz der Englischen Sprache massiv zu erweitern. Zum Beispiel mit dieser Nachricht, die mir heute ungefragt ins Postfach flatterte:

    Loophole topsy-turvy inversion, of civil service, birch or GMAT coalition, and enlarge a the is was inoffensive that free-for-all, drug addiction perception of as strata the as angle in exorcism conservatism, yourselves subpoena was tug of war of potluck metal, of book skateboard egotistical a the half-baked by was that tactic, a zillion: idiosyncratic leap to originally malevolent of this fruits, delusion play-by-play outsourcing luster conquer brand-new tape deck with rating, clarinet as brawn, aghast the folder matchbook allegory.
    (Quelle: Private Elektropost)

    Ist das nicht ein fantastischer Stil? Ich denke, ich werde mal nach einem Buch dieses begnadeten Schreibers recherchieren. Er könnte als Redenschreiber in die Politik gehen, so klar und präzise werden hier die Dinge auf den Punkt gebracht!

    Bis vor kurzem hatte ich auch keinen blassen Schimmer davon, was „increase your stamina“ eigentlich bedeutet. Klar, es kommt aus dem Fachjargon der Marathonläufer. Alles gelernt in der Zwischenzeit.

  • Kein Englisch im Tages-Anzeiger
  • Dann lasen wir im Tages-Anzeiger vom 18.04.07 den Satz

    „Die Regelung wurde zu large gehandhabt“.

    Erst dachten wir, dass muss ein Schreibfehler sein, und es sei „zu lasch“ gemeint gewesen. Aber nein! Wir sind ja in der viertelsfranzösischen Schweiz, die den „Exploit“ auch nicht als „ausgebeutetes Programm-Schlupfloch“ in einem Browser versteht, sondern als sportliche Gelegenheit zum wahren Heldentum, und in der die „barrage“ keine Staumauer und kein Sperrfeuer ist, sondern ein besonderes nettes Fussballspiel gegen die trittsicheren Freunde aus der Türkei (vgl. Blogwiese) .

  • Large ist französisch
  • Unser Duden und Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch bestätigen mir:

    large [frz. large < lat. largus = freigebig; reichlich] (schweiz.): großzügig: der large Schiedsrichter.
    (Quelle: duden.de)

    Beispiele aus dem Tages-Anzeiger:

    Der automatische Zugang mittels Maturität sei «zu nachlässig und zu large», was den Hochschulen das Mithalten mit internationalen Spitzenuniversitäten erschwere
    (Quelle: tagesanzeiger.ch)

    Die IV-Stellen waren zu large
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Aus dem Kantonsrat Zürich:

    Die Verordnung der Gesundheitsdirektion muss verhindert werden. Sie brächte eine zu large Zulassung und wäre kostensteigernd
    (Quelle: www.kantonsrat.zh.ch)

    Am Largo Maggiore
    (Quelle Foto: Wikipedia. Am Largo Maggiore)

  • Was sonst noch large ist
  • Ganz logisch, dass die Schweizer das verstehen, haben sie doch auch einen Largo Maggiore. Oder haben wir da jetzt was verwechselt?

    Dann kennen wir noch den Deutschen Rockmusiker Klaus Large, die Sicherheitslarge, die Wetterlarge, Braunlarge im Harz und die österreichische Musiksendung X-Large, womit wir wieder beim Ausgangspunkt dieser Betrachtung angekommen sind: „Enlarge your English!“, und was man sonst noch so vergrössern kann durch Lektüre von Werbepost.

  • Faust auf Faust — Musik zum Schimanski-Tatort
  • Bis zur nächsten englischen Elektropost für alle Nostalgiker und BiVis (=Bis Vierzigjährige) hier der Song „Faust auf Faust“ von Klaus (1985) bei YouTube.

    Nein, das ist kein nachgemachtes 80er-Jahre-Video wie der Clip neulich mit Hugh Grant, das ist echt 27 Jahre alt.

    Warum kommen so viele Japaner nach Trun? — Vom Schellenursli zu Blochers EMS Werken

    Januar 24th, 2011

    (reload vom 19.04.07)

  • Bei Alois Carigiet und seinem Schellenursli
  • Im Museum Sursilvan in Trun kann man Originalbilder des berühmten Zeichners Alois Carigiet bewundern, bekannt durch die Bücher „Zottel, Zick und Zwerg“ und durch die „Schellenursli“ Geschichte.
    Schellenursli
    Wir erfuhren, dass insbesondere die Japaner grosse Fans dieser Bücher sind. Sogar die japanische Kaiserin war schon hier, und im Dorf sieht man täglich japanische Touristen auf dem Weg zum Museum. Selbstverständlich sind alle Bücher vor Ort auf Japanisch erhältlich. Wen wundert es bei so viel Begeisterung für die Schweizer Bergwelt da noch, dass die Japaner den Zeichentrick „Heidi“ geschaffen haben!

  • Bei der EMS beginnt die Normalspur
  • Ab Illanz geht es zurück mit der Rhätischen Bahn über Chur nach Bülach. Wir passieren die EMS-Chemiefabrik des Schweizer Bundesrates Christoph Blocher, wo die Schienen der SBB Normalspur beginnen.
    Zitat aus seinem beruflichen Werdegang:

    Er trat im Jahr 1969 in die Rechtsabteilung der EMS-CHEMIE AG ein. Ab 1972 war er Direktionsvorsitzender und Delegierter des Verwaltungsrates der EMS-CHEMIE AG und Domat/Ems sowie Mitglied verschiedener Verwaltungsräte der Emser-Gruppe. Er wurde Präsident und Delegierter des Verwaltungsrates der EMS-CHEMIE HOLDING AG im Jahre 1984 nachdem er 1983 die Aktienmehrheit übernommen hatte.
    Er verdiente mit der EMS-CHEMIE ein Vermögen von mehreren Milliarden Schweizer Franken und gehört zu den reichsten Menschen in der Schweiz. Seine Aktienmehrheit gab er Ende 2003 nach seiner Wahl in den Bundesrat an seine Kinder ab.
    (Quelle: biowiki)

  • Immer strikt gegen den Europäischen Wirtschaftsraum
  • Den Millardengewinn erwirtschaftete Blocher selbstverständlich nur durch Kauf und Verkauf von Chemieprodukten innerhalb der Schweiz, da er den „Europäischen Wirtschaftsraum“ EWR stark ablehnt:

    1992: Blocher spielt eine herausragende Rolle in der Diskussion im Vorfeld der Abstimmung über einen Beitritt der Schweiz zum EWR, der am 6. Dezember 1992 durch das Volk schliesslich abgelehnt wird. Wegen seines Engagements gegen den EWR stellt ihn die Schweizerische Bankgesellschaft (heute Teil der UBS) 1991 nach zehn Jahren als Verwaltungsrat nicht mehr zur Wiederwahl auf.
    (Quelle: Wikipedia)

    Konsequentes Handel zeichnet den erfolgreichen Politiker aus!

    Randbemerkung: Von diesem Geld subventionierte er im Sommer 2004 mit ein paar Millionen die Freilichtaufführung von Wilhelm Tell des Weimarer Ensembles auf der Rütliwiese. Der Ururgrossvater von Blocher stammt übrigens aus dem Königreich Württemberg und liess sich 1861 einbürgern. Die hübsche Geschichte dazu vom Tages-Anzeiger recherchiert siehe hier.

  • Und was ist Rätoromanisch?
  • Wenn Deutschschweizer über die rätoromanischen Dialekte sprechen, dann kennen und nennen sie sofort ein rätoromanisches Wort, das jeder versteht: „subvenziun“ (in diversen Schreibweisen), womit ausgedrückt werden soll, dass der Fortbestand der sprachlichen Vielfalt Graubündens nur durch die Zuschüsse der restlichen Schweiz gewährleistet werden kann.
    Aus der Verwirrung um die fünf romanischen Dialekte (Surselvisch, Sutselvisch, Surmeirisch, Putèr und Vallader) entstand übrigens der Ausdruck des „Churerwälsch“, was zum heutigen „Kauderwelsch“ wurde.

    Durch den Schweizer Grand Canyon in die Surselva

    Januar 20th, 2011

    (reload vom 18.4.07)

  • Mit dem Rad von Disentis/Muster nach Illanz
  • Wir wollten von Chur aus mit den Rädern ins Bündner Oberland, in die „Surselva“, was auf Deutsch „ob dem Wald“ heisst. Mit extrem fantasievoller und origineller Namenswahl haben es die Schweizer nicht so, wir erinnern uns, dass auch ein Kanton „Obwalden“ heisst.

  • Warum heissen Berge oft ähnlich?
  • Auch die Namen von Berggipfel sind häufig nicht einzigartig sondern finden sich mehrfach auf den Wanderkarten, suchen Sie mal „Hohenfluh“! Bergnamen sind oft nicht besonders alt. Erst sehr spät in der Menschheitsgeschichte fühlten sich die Menschen dazu berufen, den Bergen um sich herum Namen zu geben, und meistens geschah dies nach dem Aussehen des Gipfels. Im Mittelalter hatte man Besseres zu tun, als sich die Namen von grossen Steinhaufen und Erhebungen zu merken. Das Leben war anstrengend genug und Lesen oder Schreiben konnten die wenigsten. Eine hübsche Erklärung von Bergnamen findet sich hier.

  • In der Surselva
  • Das Gebiet dieser „Surselva“ umfasst das Einzugsgebiet des vorderen Rheins von der Quelle am Tomasee bis zum vorgeschichtlichen Bergsturz bei Flims, sowie die Seitentäler Val Medel, Val Sumvitg, Lugnez und das Valsertal, bekannt durch das clever vermarktete Naturgut „Valser-Wasser“.

    Steine und Wasser, wie üblich die Schätze der Schweiz (vgl. Blogwiese). Doch neben der Naturschönheit ist die Surselva auch reich an intakten Dorfbildern, Kunst und Kulturschätzen. Wer in die Surselva will, muss in Chur umsteigen, und das ziemlich zackig, denn lange wartet der Anschlusszug der Rhätischen Bahn nicht. Mit mehreren Rädern aus dem einen Zug raus, in den Fahrstuhl hinein, auf das andere Gleis, sorry, den „Perron“ hinab zu kommen in nur 5 Minuten ist unmöglich. Aber keine Angst, wie überall in der Schweiz gibt es einen stündlichen Anschluss, kann man also noch ein bisschen durch Chur bummeln bis dahin.

  • Im Grand Canyon der Schweiz
  • Der Zug fährt bergan durch die „Ruinaulta“, dem „Grand Canyon“ der Schweiz. Diese wilde Schlucht des Vorderrheins ist nur per River-Rafting oder mit der Bahn zu durchqueren.
    In der Ruinaulta
    (Quelle für das Foto, und weitere Fotos hier)

    Wir lesen in unserem Veloland-Reiseführer:

    In die enormen Trümmermassen des Flimser Bergsturzes – dieser grösste Bergsturz Europas ereignete sich vor rund 14 000 Jahren – hat sich der Rhein im Laufe der Zeit tief eingegraben. Imposante Steilwände von bis zu 400 Meter Höhe umrahmen sein gewundenes Bett. Die bizarren Formen des fein geriebenen und hart gepressten Trümmergesteins mit seinen Säulen und Pfeilern schaffen je nach Lichteinfall eine fast mystische Atmosphäre.
    (Quelle: Band 2 Veloland Schweiz Rhein-Route, S. 23)

  • Monsieur le déserteur
  • Im Ort Disentis (rätoromanisch „Mustér“) steigen wir aus. Der Name kommt von „Desertina“, weil sich hier um 700 der fränkische Eremit Sigisbert zurückzog und auf seinem Gabmal 750 vom Churer Bischof ein Kloster gegründet wurde. Er ging also quasi freiwillig in die Einsamkeit und desertierte somit von der Welt. Das rätoromanische „Mustér“ geht wie „Münster“ auf Lateinisch „Monasterium“ = Kloster zurück.

  • Der Ahornbaum im Museum
  • Es geht mit den Rädern rasant bergab, wir sind auf der Velolandroute 2 unterwegs, „La Ruta dal Rain“, die den Rhein von der Quelle bis nach Basel quer durch die Schweiz folgt. Wir kommen am Ort Trun vorbei, wo 1424 unter einem Ahornbaum der „Graue Bund“ gegründet wurde, daher der Name „Graubünden“.

    Unter ihm wurde am 16. Mai 1424 der obere oder graue Bund geschworen. 1750 hatte der Baum einen Gesamtumfang von 16 m. 1824 standen von den ehemals drei Stämmen noch zwei. Als 1870 der beinahe 500-jährige Ahorn durch einen Sturm umgeworfen wurde, wurde an derselben Stelle aus einem Samen des alten ein junger Berg-Ahorn gepflanzt. Der Nachfolger ist heute bereits über 100 Jahre alt. 1890 wurde der Wurzelstock des alten Baumes anlässlich eines Sängerfestes in feierlichem Zuge in den Sitzungssaal des großen Bundes überführt. Noch heute kann er im Museum Sursilvan im Orte Trun besichtigt werden.
    (Quelle: Wikipedia)

    Geschichtlich wichtige Bäume gehören ins Museum in der Schweiz, so ist es richtig! Gibt es nicht irgendwo noch einen Apfelbaum der aus den Kernen des Apfels von Tells Sohn gepflanzt wurde?

  • Vegnis vus a regenerar il tgierp ed il spért
  • Der Ort Trun ist im Internet zweisprachig präsent, auf Deutsch und auf Rätoromanisch:

    Beinvegni ella Surselva.
    En nossa val vegnis
    Vus a regenerar il
    tgierp ed il spért.
    La natira muossa ei a Vus.

    Willkommen in der Surselva.
    Im beschaulichen Tal
    werden Sie auftanken
    Körper und Geist
    regenerieren.
    Die Natur machts vor

    Die Übersetzung in die anderen vier rätoromanischen Sprachen haben wir jetzt aus Platzgründen weggelassen.

    Beschauliches Tal, Körper und Geist regenerieren, die Natur machts vor„… was die Menschen vor 14 000 Jahren wohl dachten, als in diesem beschaulichen Tal plötzlich der Berg zu stürzen begann? (Neuromat wird sicher noch irgendwo eine Original-Tonbandaufzeichung eines zeitgenössischen Gesprächs verschriftet auftreiben.)

    (zweiter Teil morgen: Warum kommen so viele Japaner nach Trun?)

    Wer will schon in den Europa-Park? Die Rhätische Bahn ist besser als Achterbahnfahren

    Januar 14th, 2011

    (reload vom 17.4.07)

  • Wie lange gilt Ihr Halbtax-Abo?
  • Die Schweizer lieben ihr Eisenbahnnetz. Fast jeder besitzt ein Halbtax-Abonnement, mit dem man zwar nicht billig halbe Taxis fahren oder die Kur-Taxe auf die Hälfte drücken kann, dafür aber nur die Hälfte zahlt, wenn man mit dem Zug fährt. Bei zugezogenen Deutschen lässt sich die Zuneigung zur Schweiz und der echte Wille zum Verweilen leicht daran ablesen, ob sie sich nach einiger Zeit der Eingewöhnung schliesslich ein 1-Jahres, 2-Jahres oder sogar ein 3-Jahres- Halbtax-Abo zugelegt haben oder nicht. Je länger das Abo gilt, desto mehr kostet es zwar in der Anschaffung, desto billiger wird es gleichzeitig – über den Zeitraum gerechnet – damit zu fahren, und desto sicherer muss man sich dann auch sein, hier in der Schweiz zu bleiben und diese Verbilligung gut auszunutzen.

  • Mit dem GA täglich von Basel nach Zürich (und zurück!)
  • Ganz vom Hierbleiben Überzeugte schaffen ihr Auto ab und gönnen sich ein „GA“ = General-Abonnement, eine Netzkarte für die ganze Schweiz. Ab 60 Minuten Bahn-Pendelzeit jeden Tag ist das in der Regel die günstigere Variante. Die vielen Zürich-Fans, die täglich aus Basel anreisen um ihre Traumstadt zwecks Arbeit oder Studium an der ETH zu besuchen, haben oft so ein GA, doch bei ihnen stehen die Buchstaben für „G-leich A-bdampfen“, wenn das Tagwerk erledigt oder das letzte Seminar vorbei ist. (Zur ewigen Freundschaft zwischen Basel und Zürich siehe hier).

  • In Chur ist das Ende der SBB
  • An einem Ferientag im Sommer fuhren wir früh mit dem Direktzug von Bülach nach Chur. Dort in Chur ist das Normalspur Streckennetz der Schweizer Bundesbahn SBB zu Ende. Alle Fernzüge enden hier. Wer weiter will, muss auf die „Rhätische Bahn“ wechseln, die auf einer anderen Spurweite fährt. Zum Beispiel direkt ab Bahnhofsvorplatz, quer durch die Churer Innenstadt auf der Strasse wie eine Strassenbahn, hoch ins Ski- und Wanderparadis Arosa:

    Die ChA-Strecke beginnt auf dem Churer Bahnhofplatz und ist auf Stadtgebiet als Strassenbahn trassiert. Danach verläuft das Trasse, über viele Kunstbauten, weitgehend zum parallel verlaufenden Flusslauf. Das imposanteste Bauwerk ist das Langwieser Viadukt bei Langwies. Für die knapp 26 Kilometer lange Strecke benötigt die Bahn rund eine Stunde und erreicht dabei ein Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km/h. Bedient wird die Strecke von Chur nach Arosa im Stundentakt.
    (Quelle: Wikipedia)

  • Bauen Künstler die Kunstbauten?
  • Kunstbauten“ heissen die Bauwerke nicht, weil hier besonders viel „Kunst am Bau“ zu sehen ist, sondern weil es eine Kunst ist, diese Dinger zu bauen. „Kunstbauten“ nennen Ingenieure in der Schweiz alle Bauwerke, die keine Toilette oder Lichtschalter haben. In der Regel sind das Brücken und Tunnel (in denen das Licht auch am Tag angeschaltet bleibt).

    Welche Achterbahn ist schon 62 Meter hoch?
    Langwieser Viadukt
    (Quelle Foto: Wikipedia)

  • Bewegung, Dunkel und Nass — die drei Elemente des Europa-Parks
  • Die zahlreichen Tunnel und spektakulären Viadukte auf dieser Strecke von Chur nach Arosa erzeugen bei den Fahrgästen einen gleichwertigen Nervenkitzel wie eine Achterbahnfahrt im Europa-Park bei Rust. Während des Studiums hatte ich dort einen studentischen Hilfsjob. Wir befragten die Besucher woher sie kamen, was ihnen besonders gefiel etc. Ein Mitarbeiter des erfolgreichen Themenparks erklärt mir damals das Grundprinzip der Fahrattraktionen. Es gibt nur drei Elemente, die man miteinander kombinieren kann: Bewegung, Dunkel und Nass.

    Im halboffenen Bahnwagen der Rhätischen Bahn von Chur nach Arosa sind die Sinneseindrücke sehr ähnlich, die Elemente „Bewegung“ und „Dunkel“, mit denen in Rust geschickt operiert wird, sind vorhanden. Das fehlende dritte Element „Nass“ kann man sich leicht selbst verschaffen, wenn man die Strecke im Regen antritt oder im Hochsommer ab und zu eine Wasserflasche über die Köpfe der mitreisenden Fahrgäste ausleert. Am besten im Tunnel, dann sieht es keiner und die Kombination „Dunkel&Nass“ ist gelungen, wie bei der Wildwasserbahn. Arosa selbst ist übrigens berühmt für die zahlreichen handzahmen Eichhörnchen, die dort speziell für die vielen Sommer- und Wintertouristen abgerichtet und freigelassen wurden. Vorsicht, es handelt sich hier um lebendige Tiere, und nicht um ausgestopfte und animierte Attrappen wie im Europa-Park.

  • Alle Züge fahren ab Chur
  • Wer von Chur hingegen zurück nach Zürich oder in die übrige Schweiz auf der „Normalspur“ reisen möchte, kann ruhig 10-15 Minuten vor Abfahrt des Zuges am Bahnhof auftauchen, denn die abgehenden Züge der SBB sind meistens bereits dort und warten. Wo sollten sie auch sonst hin?

    (zweiter Teil morgen: „Durch die Surselva“)

    Eltern in der Schulpflege oder staatlicher Wasserkopf — Schulsysteme im Vergleich

    Januar 11th, 2011

    (reload vom 16.4.07)

  • Die gewählte Schulpflegschaft in der Schweiz
  • Wer mit schulpflichtigen Kindern von Deutschland aus in die Schweiz zieht, bekommt sehr schnell Kontakt zur „Schulpflegschaft“. So heisst in der Schweiz die Institution, die sich um alles rund um den Schulbesuch kümmert. Verwaltungsarbeit, die in Deutschland von einer einer fast unsichtbaren Behörde und in Frankreich von etlichen sichbaren und fleissigen Beamten und Angestellten erledigt wird. (Vgl. Blogwiese)

    Es gibt einen gewählten Schulpflegepräsidenten (oder eine Präsidentin, aber ohne „-schaft“), der/die diesen Job gegen eine geringe Aufwandsentschädigung in der Freizeit erledigt. Ihm oder ihr zur Seite steht ein Sekretariat für den Schreibkram. Das Sekretariat liegt oft nicht in der Schule, sondern kümmert sich gleich zentral um mehrere Schulhäuser. Wir waren erstaunt, mit welch geringem bürokratischen Aufwand in der Schweiz Schule dezentral organisiert wird. Eine „Schulleitung“, d. h. jemand, der sich zusätzlich zur Unterrichtstätigkeit oder sogar hauptsächlich nur um administrative Dinge kümmert, gab es bis vor wenigen Jahren im Kanton Zürich in den Primarschulen nicht, wurde dann aber eingeführt.

  • Was das ED festlegt, das gilt
  • Im Hintergrund wirken dann freilich noch diverse „Erziehungsdirektionen“ in den Kantonen und ED, die „Eidgenössischen Erziehungsdepartements“. Die legen z. B. fest, dass in allen Primarschulen ab der ersten Klasse von den Lehrern nur Hochdeutsch im Unterricht gesprochen werden soll. Nur Hochdeutsch oder genauer gesagt nur „Schweizer Hochdeutsch“, oder doch eher „Schriftdeutsch“, bzw. „Schweizer Schriftdeutsch“, so genau haben wir das nicht verstanden, denn die Lehrer, die es uns erklären wollten, sprachen dabei Züridütsch. Das mit der gewünschten Sprache wurde also festgelegt. Auch im Sport- oder Handarbeitsunterricht. Und dann funktioniert das. Ähem, was hiess noch gleich „Lismen“ auf Schrifthochdeutsch?

    Die „Schulaufsicht“ durch die Schulpflege vor Ort ist somit in den Händen von gewählten Elternvertretern, die sich für diese Tätigkeit dadurch qualifizierten, dass sie selbst schulpflichtige Kindern auf der Schule haben. Basisdemokratie in Reinform. In Sachen Schule ist jeder Spezialist und vom Fach, denn jeder war ja mal selbst auf einer solchen.

  • Der bürokratische Wasserkopf in Frankreich
  • Ganz anders erlebten wir jetzt den „bürokratischen Wasserkopf“ von Schul-Organisation in einem französischen „Collège“, als wir in den Osterferien versuchten, dort einen privaten Schüleraustausch zu organisieren. Da führte kein Weg vorbei an „Monsieur le Proviseur“, der keinen Namen braucht, weil er einen Titel hat, der selbstverständlich eine eigene Sekretärin hat und hauptamtlich der Schule vorsteht, dabei das ganze Jahre über damit voll ausgelastet ist, sich um den Stundenplan zu kümmern bzw. die Fortbildungen der Lehrer zu organisieren und sich um die Gesuche von Deutschen zu kümmern, die gern einen Austausch durchführen möchten, wenn dann das Gesuch in schriftlicher Form vorliegt.

    Dem Proviseur vorgesetzt ist auf einem Collège mit Lycée-Anschluss nur noch der „Censeur“, der nicht zensiert sondern Direktor der Schule ist, speziell zuständig für deren Repräsentation nach aussen. Für den Fall, dass mal eine Delegation von Wirtschaftsfachleuten oder ein Staatspräsident auf Besuch vorbeikommt, man weiss ja nie.

  • Das System der Surveillance
  • Sowohl Proviseur als auch Censeur sind ehemalige Lehrer, werden für ihre aufreibende Tätigkeit und Verantwortung am besten von allen bezahlt und müssen nicht mehr unterrichten. Neben den „Profs“, den eigentlichen Lehrern, die grundsätzlich nur in einem Fach unterrichten in Frankreich, gibt es noch ein System von „surveillantes“, d. h. Aufpassern, die in Vollzeit für die Pausenaufsicht und die Beaufsichtigung der Schüler in Freistunden zuständig sind. Es gibt einen „Ober-Aufpasser“, der nicht selbst aufpasst sondern nur diesen Dienst organisiert. Diese Surveillantes überwachen, ob alle Schüler anwesend sind und organisieren die Strafen wie Nachsitzen oder schreiben den Brief an die Eltern, falls ein Kind länger fehlt. Um solche „Erziehungsaufgaben“ müssen sich die Profs nicht kümmern, die sind für die Wissensvermittlung zuständig.

  • Wer arbeitet sonst noch an einer französischen Schule?
  • Eine französische Schule beschäftigt ausserdem in Vollzeit eine Krankenschwester für die kleinen Unfälle der Schüler, zwei Hausmeister, einen Heizer für die Heizung (die auch im Sommer betreut werden muss), ein paar „MTAs“ = Medizinisch- Technische-Assistenten , um die Versuche für die Chemie- und Physiklehrer vorzubereiten bzw. wieder fortzuräumen. Desweiteren eine Art Sozialarbeiter = „agent social“ für ausserschulische Probleme, ein Schulsekretariat mit mehreren Mitarbeitern und ein komplettes Küchenteam mit Köchin und mehreren Gehilfen für die Mittagsmahlzeit in der Schulkantine, denn die französische Schule ist wie in der Schweiz ein Ganztagseinrichtung mit Regelunterricht von 8.00 – 12.00 Uhr und von 14.00 – 17:00 Uhr, ausser Mittwochs.

  • Hochsicherheitstrakt Schule
  • Übrigens ist das ganze Schulgelände in Frankreich streng mit Zäunen und Toren gesichert, niemand kann es unbefugt betreten oder verlassen. Besucher müssen sich ausweisen und den Grund des Besuches darlegen. Diese Sicherheitsmassnahmen wurde als Massnahme gegen Anschläge und Überfälle eingeführt und sollen nebenbei verhindern, dass ehemalige Schüler auf dem Schulgelände mit Drogen handeln oder Kindern von ihren Eltern entführt werden können. Die Portiersloge ist durch Panzerglas geschützt und die Tore öffnen sich elektrisch. Ach ja, ein Portiersteam mit mit mehreren Sicherheitsleuten arbeitet auch an einer französischen Schule.

  • Und in Deutschland?
  • Zum Vergleich: Eine gewöhnliche Realschule oder ein Gymnasium in Deutschland hat einen Schulleiter nebst Stellvertreter, die beide noch mindestens 8-12 Stunden pro Woche unterrichten, und eine Schulsekretärin, die bei kleineren Unfällen für die Erste Hilfe zuständig ist. Ein bis zwei Hausmeister können es nicht abwarten, sich um die Haustechnik zu kümmern. Jeder Besucher kann, wie in der Schweiz, unbehelligt die Schule während der Unterrichtszeit betreten oder verlassen.

  • Das verborgene Schulamt
  • Der restliche administrative Kram wird in Deutschland im Verborgenen durch ein „Schulamt“ erledigt, welches z. B. darüber entscheidet, welche Lehrer auf welcher Schule arbeiten, oder wer den Job des Schulleiters bekommt. Verwaltungsentscheidungen, über die Eltern oder Lehrer einer Schule nichts zu befinden haben. Ein bisschen fühlt man sich bei diesen schulpolitischen Entscheidungen in Deutschland im Vergleich zum transparenten Schweizer System an Kafkas fragmentarisches Meisterwerk „Das Schloss“ erinnert, in dem der Landvermesser K. zu einem Schloss berufen wird und völlig darüber im Unklaren bleibt, von wem hier in welcher Weise Entscheidungen und Beschlüsse gefasst werden. Deutsche Beamten-Schulpolitik funktioniert nicht anders.

    (obiger Artikel spiegelte unsere ganz persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen aus den ersten sechs Jahren in der Schweiz wieder und erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Vollständigkeit. )