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Eltern in der Schulpflege oder staatlicher Wasserkopf — Schulsysteme im Vergleich

(reload vom 16.4.07)

  • Die gewählte Schulpflegschaft in der Schweiz
  • Wer mit schulpflichtigen Kindern von Deutschland aus in die Schweiz zieht, bekommt sehr schnell Kontakt zur „Schulpflegschaft“. So heisst in der Schweiz die Institution, die sich um alles rund um den Schulbesuch kümmert. Verwaltungsarbeit, die in Deutschland von einer einer fast unsichtbaren Behörde und in Frankreich von etlichen sichbaren und fleissigen Beamten und Angestellten erledigt wird. (Vgl. Blogwiese)

    Es gibt einen gewählten Schulpflegepräsidenten (oder eine Präsidentin, aber ohne „-schaft“), der/die diesen Job gegen eine geringe Aufwandsentschädigung in der Freizeit erledigt. Ihm oder ihr zur Seite steht ein Sekretariat für den Schreibkram. Das Sekretariat liegt oft nicht in der Schule, sondern kümmert sich gleich zentral um mehrere Schulhäuser. Wir waren erstaunt, mit welch geringem bürokratischen Aufwand in der Schweiz Schule dezentral organisiert wird. Eine „Schulleitung“, d. h. jemand, der sich zusätzlich zur Unterrichtstätigkeit oder sogar hauptsächlich nur um administrative Dinge kümmert, gab es bis vor wenigen Jahren im Kanton Zürich in den Primarschulen nicht, wurde dann aber eingeführt.

  • Was das ED festlegt, das gilt
  • Im Hintergrund wirken dann freilich noch diverse „Erziehungsdirektionen“ in den Kantonen und ED, die „Eidgenössischen Erziehungsdepartements“. Die legen z. B. fest, dass in allen Primarschulen ab der ersten Klasse von den Lehrern nur Hochdeutsch im Unterricht gesprochen werden soll. Nur Hochdeutsch oder genauer gesagt nur „Schweizer Hochdeutsch“, oder doch eher „Schriftdeutsch“, bzw. „Schweizer Schriftdeutsch“, so genau haben wir das nicht verstanden, denn die Lehrer, die es uns erklären wollten, sprachen dabei Züridütsch. Das mit der gewünschten Sprache wurde also festgelegt. Auch im Sport- oder Handarbeitsunterricht. Und dann funktioniert das. Ähem, was hiess noch gleich „Lismen“ auf Schrifthochdeutsch?

    Die „Schulaufsicht“ durch die Schulpflege vor Ort ist somit in den Händen von gewählten Elternvertretern, die sich für diese Tätigkeit dadurch qualifizierten, dass sie selbst schulpflichtige Kindern auf der Schule haben. Basisdemokratie in Reinform. In Sachen Schule ist jeder Spezialist und vom Fach, denn jeder war ja mal selbst auf einer solchen.

  • Der bürokratische Wasserkopf in Frankreich
  • Ganz anders erlebten wir jetzt den „bürokratischen Wasserkopf“ von Schul-Organisation in einem französischen „Collège“, als wir in den Osterferien versuchten, dort einen privaten Schüleraustausch zu organisieren. Da führte kein Weg vorbei an „Monsieur le Proviseur“, der keinen Namen braucht, weil er einen Titel hat, der selbstverständlich eine eigene Sekretärin hat und hauptamtlich der Schule vorsteht, dabei das ganze Jahre über damit voll ausgelastet ist, sich um den Stundenplan zu kümmern bzw. die Fortbildungen der Lehrer zu organisieren und sich um die Gesuche von Deutschen zu kümmern, die gern einen Austausch durchführen möchten, wenn dann das Gesuch in schriftlicher Form vorliegt.

    Dem Proviseur vorgesetzt ist auf einem Collège mit Lycée-Anschluss nur noch der „Censeur“, der nicht zensiert sondern Direktor der Schule ist, speziell zuständig für deren Repräsentation nach aussen. Für den Fall, dass mal eine Delegation von Wirtschaftsfachleuten oder ein Staatspräsident auf Besuch vorbeikommt, man weiss ja nie.

  • Das System der Surveillance
  • Sowohl Proviseur als auch Censeur sind ehemalige Lehrer, werden für ihre aufreibende Tätigkeit und Verantwortung am besten von allen bezahlt und müssen nicht mehr unterrichten. Neben den „Profs“, den eigentlichen Lehrern, die grundsätzlich nur in einem Fach unterrichten in Frankreich, gibt es noch ein System von „surveillantes“, d. h. Aufpassern, die in Vollzeit für die Pausenaufsicht und die Beaufsichtigung der Schüler in Freistunden zuständig sind. Es gibt einen „Ober-Aufpasser“, der nicht selbst aufpasst sondern nur diesen Dienst organisiert. Diese Surveillantes überwachen, ob alle Schüler anwesend sind und organisieren die Strafen wie Nachsitzen oder schreiben den Brief an die Eltern, falls ein Kind länger fehlt. Um solche „Erziehungsaufgaben“ müssen sich die Profs nicht kümmern, die sind für die Wissensvermittlung zuständig.

  • Wer arbeitet sonst noch an einer französischen Schule?
  • Eine französische Schule beschäftigt ausserdem in Vollzeit eine Krankenschwester für die kleinen Unfälle der Schüler, zwei Hausmeister, einen Heizer für die Heizung (die auch im Sommer betreut werden muss), ein paar „MTAs“ = Medizinisch- Technische-Assistenten , um die Versuche für die Chemie- und Physiklehrer vorzubereiten bzw. wieder fortzuräumen. Desweiteren eine Art Sozialarbeiter = „agent social“ für ausserschulische Probleme, ein Schulsekretariat mit mehreren Mitarbeitern und ein komplettes Küchenteam mit Köchin und mehreren Gehilfen für die Mittagsmahlzeit in der Schulkantine, denn die französische Schule ist wie in der Schweiz ein Ganztagseinrichtung mit Regelunterricht von 8.00 – 12.00 Uhr und von 14.00 – 17:00 Uhr, ausser Mittwochs.

  • Hochsicherheitstrakt Schule
  • Übrigens ist das ganze Schulgelände in Frankreich streng mit Zäunen und Toren gesichert, niemand kann es unbefugt betreten oder verlassen. Besucher müssen sich ausweisen und den Grund des Besuches darlegen. Diese Sicherheitsmassnahmen wurde als Massnahme gegen Anschläge und Überfälle eingeführt und sollen nebenbei verhindern, dass ehemalige Schüler auf dem Schulgelände mit Drogen handeln oder Kindern von ihren Eltern entführt werden können. Die Portiersloge ist durch Panzerglas geschützt und die Tore öffnen sich elektrisch. Ach ja, ein Portiersteam mit mit mehreren Sicherheitsleuten arbeitet auch an einer französischen Schule.

  • Und in Deutschland?
  • Zum Vergleich: Eine gewöhnliche Realschule oder ein Gymnasium in Deutschland hat einen Schulleiter nebst Stellvertreter, die beide noch mindestens 8-12 Stunden pro Woche unterrichten, und eine Schulsekretärin, die bei kleineren Unfällen für die Erste Hilfe zuständig ist. Ein bis zwei Hausmeister können es nicht abwarten, sich um die Haustechnik zu kümmern. Jeder Besucher kann, wie in der Schweiz, unbehelligt die Schule während der Unterrichtszeit betreten oder verlassen.

  • Das verborgene Schulamt
  • Der restliche administrative Kram wird in Deutschland im Verborgenen durch ein „Schulamt“ erledigt, welches z. B. darüber entscheidet, welche Lehrer auf welcher Schule arbeiten, oder wer den Job des Schulleiters bekommt. Verwaltungsentscheidungen, über die Eltern oder Lehrer einer Schule nichts zu befinden haben. Ein bisschen fühlt man sich bei diesen schulpolitischen Entscheidungen in Deutschland im Vergleich zum transparenten Schweizer System an Kafkas fragmentarisches Meisterwerk „Das Schloss“ erinnert, in dem der Landvermesser K. zu einem Schloss berufen wird und völlig darüber im Unklaren bleibt, von wem hier in welcher Weise Entscheidungen und Beschlüsse gefasst werden. Deutsche Beamten-Schulpolitik funktioniert nicht anders.

    (obiger Artikel spiegelte unsere ganz persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen aus den ersten sechs Jahren in der Schweiz wieder und erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Vollständigkeit. )

    

    One Response to “Eltern in der Schulpflege oder staatlicher Wasserkopf — Schulsysteme im Vergleich”

    1. Brenno Says:

      Dass es kein eidgenössisches Erziehungsdepartement gibt, wurde in einem Kommentar anlässlich der Erstveröffentlichung dieses Beitrages bereits gesagt und auch auf die seit einiger Zeit in Gang befindlichen Harmonisierungsbestrebungen zwischen den Kantonen hingewiesen.

      Der Bund hat bloss Kompetenzen in der Hochschulpolitik, der Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der Berufsbildung.

      Die Abneigung der Kantone gegen die Einschränkung ihrer „Schulhoheit“ war noch bis vor wenigen Jahrzehnten notorisch. Das Stimmvolk hat schon 1882 eine Vorlage zum Erlass von eidgenössischen Lehrplanvorschriften mit überwältigendem Mehr abgelehnt. Einen eidgenössischen „Schulvogt“ wollten die Schweizer sich nicht gefallen lassen. Auch die bereits im 18. Jahrhundert entstandene Idee einer Eidgenössischen Hochschule liess sich nie verwirklichen, nicht zuletzt weil die kantonalen Universitäten sich vor der neuen Konkurrenz fürchteten. Schliesslich einigte man sich 1855 auf die Gründung eines eidgenössischen Polytechnikums in Zürich. An der später Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) genannten Anstalt lehrten in den ersten 25 Jahren ihres Bestehen stets mindestens 50 Prozent ausländische Professoren, grösstenteils DEUTSCHE.