Durch den Schweizer Grand Canyon in die Surselva

April 18th, 2007
  • Mit dem Rad von Disentis/Muster nach Illanz
  • Wir wollten von Chur aus mit den Rädern ins Bündner Oberland, in die „Surselva“, was auf Deutsch „ob dem Wald“ heisst. Mit extrem fantasievoller und origineller Namenswahl haben es die Schweizer nicht so, wir erinnern uns, dass auch ein Kanton „Obwalden“ heisst.

  • Warum heissen Berge oft ähnlich?
  • Auch die Namen von Berggipfel sind häufig nicht einzigartig sondern finden sich mehrfach auf den Wanderkarten, suchen Sie mal „Hohenfluh“! Bergnamen sind oft nicht besonders alt. Erst sehr spät in der Menschheitsgeschichte fühlten sich die Menschen dazu berufen, den Bergen um sich herum Namen zu geben, und meistens geschah dies nach dem Aussehen des Gipfels. Im Mittelalter hatte man Besseres zu tun, als sich die Namen von grossen Steinhaufen und Erhebungen zu merken. Das Leben war anstrengend genug und Lesen oder Schreiben konnten die wenigsten. Eine hübsche Erklärung von Bergnamen findet sich hier.

  • In der Surselva
  • Das Gebiet dieser „Surselva“ umfasst das Einzugsgebiet des vorderen Rheins von der Quelle am Tomasee bis zum vorgeschichtlichen Bergsturz bei Flims, sowie die Seitentäler Val Medel, Val Sumvitg, Lugnez und das Valsertal, bekannt durch das clever vermarktete Naturgut „Valser-Wasser“.

    Steine und Wasser, wie üblich die Schätze der Schweiz (vgl. Blogwiese). Doch neben der Naturschönheit ist die Surselva auch reich an intakten Dorfbildern, Kunst und Kulturschätzen. Wer in die Surselva will, muss in Chur umsteigen, und das ziemlich zackig, denn lange wartet der Anschlusszug der Rhätischen Bahn nicht. Mit mehreren Rädern aus dem einen Zug raus, in den Fahrstuhl hinein, auf das andere Gleis, sorry, den „Perron“ hinab zu kommen in nur 5 Minuten ist unmöglich. Aber keine Angst, wie überall in der Schweiz gibt es einen stündlichen Anschluss, kann man also noch ein bisschen durch Chur bummeln bis dahin.

  • Im Grand Canyon der Schweiz
  • Der Zug fährt bergan durch die „Ruinaulta“, dem „Grand Canyon“ der Schweiz. Diese wilde Schlucht des Vorderrheins ist nur per River-Rafting oder mit der Bahn zu durchqueren.
    In der Ruinaulta
    (Quelle für das Foto, und weitere Fotos hier)

    Wir lesen in unserem Veloland-Reiseführer:

    In die enormen Trümmermassen des Flimser Bergsturzes – dieser grösste Bergsturz Europas ereignete sich vor rund 14 000 Jahren – hat sich der Rhein im Laufe der Zeit tief eingegraben. Imposante Steilwände von bis zu 400 Meter Höhe umrahmen sein gewundenes Bett. Die bizarren Formen des fein geriebenen und hart gepressten Trümmergesteins mit seinen Säulen und Pfeilern schaffen je nach Lichteinfall eine fast mystische Atmosphäre.
    (Quelle: Band 2 Veloland Schweiz Rhein-Route, S. 23)

  • Monsieur le déserteur
  • Im Ort Disentis (rätoromanisch „Mustér“) steigen wir aus. Der Name kommt von „Desertina“, weil sich hier um 700 der fränkische Eremit Sigisbert zurückzog und auf seinem Gabmal 750 vom Churer Bischof ein Kloster gegründet wurde. Er ging also quasi freiwillig in die Einsamkeit und desertierte somit von der Welt. Das rätoromanische „Mustér“ geht wie „Münster“ auf Lateinisch „Monasterium“ = Kloster zurück.

  • Der Ahornbaum im Museum
  • Es geht mit den Rädern rasant bergab, wir sind auf der Velolandroute 2 unterwegs, „La Ruta dal Rain“, die den Rhein von der Quelle bis nach Basel quer durch die Schweiz folgt. Wir kommen am Ort Trun vorbei, wo 1424 unter einem Ahornbaum der „Graue Bund“ gegründet wurde, daher der Name „Graubünden“.

    Unter ihm wurde am 16. Mai 1424 der obere oder graue Bund geschworen. 1750 hatte der Baum einen Gesamtumfang von 16 m. 1824 standen von den ehemals drei Stämmen noch zwei. Als 1870 der beinahe 500-jährige Ahorn durch einen Sturm umgeworfen wurde, wurde an derselben Stelle aus einem Samen des alten ein junger Berg-Ahorn gepflanzt. Der Nachfolger ist heute bereits über 100 Jahre alt. 1890 wurde der Wurzelstock des alten Baumes anlässlich eines Sängerfestes in feierlichem Zuge in den Sitzungssaal des großen Bundes überführt. Noch heute kann er im Museum Sursilvan im Orte Trun besichtigt werden.
    (Quelle: Wikipedia)

    Geschichtlich wichtige Bäume gehören ins Museum in der Schweiz, so ist es richtig! Gibt es nicht irgendwo noch einen Apfelbaum der aus den Kernen des Apfels von Tells Sohn gepflanzt wurde?

  • Vegnis vus a regenerar il tgierp ed il spért
  • Der Ort Trun ist im Internet zweisprachig präsent, auf Deutsch und auf Rätoromanisch:

    Beinvegni ella Surselva.
    En nossa val vegnis
    Vus a regenerar il
    tgierp ed il spért.
    La natira muossa ei a Vus.

    Willkommen in der Surselva.
    Im beschaulichen Tal
    werden Sie auftanken
    Körper und Geist
    regenerieren.
    Die Natur machts vor

    Die Übersetzung in die anderen vier rätoromanischen Sprachen haben wir jetzt aus Platzgründen weggelassen.

    Beschauliches Tal, Körper und Geist regenerieren, die Natur machts vor„… was die Menschen vor 14 000 Jahren wohl dachten, als in diesem beschaulichen Tal plötzlich der Berg zu stürzen begann? (Neuromat wird sicher noch irgendwo eine Original-Tonbandaufzeichung eines zeitgenössischen Gesprächs verschriftet auftreiben.)

    (zweiter Teil morgen: Warum kommen so viele Japaner nach Trun?)

    Wer will schon in den Europa-Park? Die Rhätische Bahn ist besser als Achterbahnfahren

    April 17th, 2007
  • Wie lange gilt Ihr Halbtax-Abo?
  • Die Schweizer lieben ihr Eisenbahnnetz. Fast jeder besitzt ein Halbtax-Abonnement, mit dem man zwar nicht billig halbe Taxis fahren oder die Kur-Taxe auf die Hälfte drücken kann, dafür aber nur die Hälfte zahlt, wenn man mit dem Zug fährt. Bei zugezogenen Deutschen lässt sich die Zuneigung zur Schweiz und der echte Wille zum Verweilen leicht daran ablesen, ob sie sich nach einiger Zeit der Eingewöhnung schliesslich ein 1-Jahres, 2-Jahres oder sogar ein 3-Jahres- Halbtax-Abo zugelegt haben oder nicht. Je länger das Abo gilt, desto mehr kostet es zwar in der Anschaffung, desto billiger wird es gleichzeitig – über den Zeitraum gerechnet – damit zu fahren, und desto sicherer muss man sich dann auch sein, hier in der Schweiz zu bleiben und diese Verbilligung gut auszunutzen.

  • Mit dem GA täglich von Basel nach Zürich (und zurück!)
  • Ganz vom Hierbleiben Überzeugte schaffen ihr Auto ab und gönnen sich ein „GA“ = General-Abonnement, eine Netzkarte für die ganze Schweiz. Ab 60 Minuten Bahn-Pendelzeit jeden Tag ist das in der Regel die günstigere Variante. Die vielen Zürich-Fans, die täglich aus Basel anreisen um ihre Traumstadt zwecks Arbeit oder Studium an der ETH zu besuchen, haben oft so ein GA, doch bei ihnen stehen die Buchstaben für „G-leich A-bdampfen“, wenn das Tagwerk erledigt oder das letzte Seminar vorbei ist. (Zur ewigen Freundschaft zwischen Basel und Zürich siehe hier).

  • In Chur ist das Ende der SBB
  • An einem Ferientag im Sommer fuhren wir früh mit dem Direktzug von Bülach nach Chur. Dort in Chur ist das Normalspur Streckennetz der Schweizer Bundesbahn SBB zu Ende. Alle Fernzüge enden hier. Wer weiter will, muss auf die „Rhätische Bahn“ wechseln, die auf einer anderen Spurweite fährt. Zum Beispiel direkt ab Bahnhofsvorplatz, quer durch die Churer Innenstadt auf der Strasse wie eine Strassenbahn, hoch ins Ski- und Wanderparadis Arosa:

    Die ChA-Strecke beginnt auf dem Churer Bahnhofplatz und ist auf Stadtgebiet als Strassenbahn trassiert. Danach verläuft das Trasse, über viele Kunstbauten, weitgehend zum parallel verlaufenden Flusslauf. Das imposanteste Bauwerk ist das Langwieser Viadukt bei Langwies. Für die knapp 26 Kilometer lange Strecke benötigt die Bahn rund eine Stunde und erreicht dabei ein Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km/h. Bedient wird die Strecke von Chur nach Arosa im Stundentakt.
    (Quelle: Wikipedia)

  • Bauen Künstler die Kunstbauten?
  • Kunstbauten“ heissen die Bauwerke nicht, weil hier besonders viel „Kunst am Bau“ zu sehen ist, sondern weil es eine Kunst ist, diese Dinger zu bauen. „Kunstbauten“ nennen Ingenieure in der Schweiz alle Bauwerke, die keine Toilette oder Lichtschalter haben. In der Regel sind das Brücken und Tunnel (in denen das Licht auch am Tag angeschaltet bleibt).

    Welche Achterbahn ist schon 62 Meter hoch?
    Langwieser Viadukt
    (Quelle Foto: Wikipedia)

  • Bewegung, Dunkel und Nass — die drei Elemente des Europa-Parks
  • Die zahlreichen Tunnel und spektakulären Viadukte auf dieser Strecke von Chur nach Arosa erzeugen bei den Fahrgästen einen gleichwertigen Nervenkitzel wie eine Achterbahnfahrt im Europa-Park bei Rust. Während des Studiums hatte ich dort einen studentischen Hilfsjob. Wir befragten die Besucher woher sie kamen, was ihnen besonders gefiel etc. Ein Mitarbeiter des erfolgreichen Themenparks erklärt mir damals das Grundprinzip der Fahrattraktionen. Es gibt nur drei Elemente, die man miteinander kombinieren kann: Bewegung, Dunkel und Nass.

    Im halboffenen Bahnwagen der Rhätischen Bahn von Chur nach Arosa sind die Sinneseindrücke sehr ähnlich, die Elemente „Bewegung“ und „Dunkel“, mit denen in Rust geschickt operiert wird, sind vorhanden. Das fehlende dritte Element „Nass“ kann man sich leicht selbst verschaffen, wenn man die Strecke im Regen antritt oder im Hochsommer ab und zu eine Wasserflasche über die Köpfe der mitreisenden Fahrgäste ausleert. Am besten im Tunnel, dann sieht es keiner und die Kombination „Dunkel&Nass“ ist gelungen, wie bei der Wildwasserbahn. Arosa selbst ist übrigens berühmt für die zahlreichen handzahmen Eichhörnchen, die dort speziell für die vielen Sommer- und Wintertouristen abgerichtet und freigelassen wurden. Vorsicht, es handelt sich hier um lebendige Tiere, und nicht um ausgestopfte und animierte Attrappen wie im Europa-Park.

  • Alle Züge fahren ab Chur
  • Wer von Chur hingegen zurück nach Zürich oder in die übrige Schweiz auf der „Normalspur“ reisen möchte, kann ruhig 10-15 Minuten vor Abfahrt des Zuges am Bahnhof auftauchen, denn die abgehenden Züge der SBB sind meistens bereits dort und warten. Wo sollten sie auch sonst hin?

    (zweiter Teil morgen: „Durch die Surselva“)

    Eltern in der Schulpflege oder staatlicher Wasserkopf — Schulsysteme im Vergleich

    April 16th, 2007
  • Die gewählte Schulpflegschaft in der Schweiz
  • Wer mit schulpflichtigen Kindern von Deutschland aus in die Schweiz zieht, bekommt sehr schnell Kontakt zur „Schulpflegschaft“. So heisst in der Schweiz die Institution, die sich um alles rund um den Schulbesuch kümmert. Verwaltungsarbeit, die in Deutschland von einer einer fast unsichtbaren Behörde und in Frankreich von etlichen sichbaren und fleissigen Beamten und Angestellten erledigt wird. (Vgl. Blogwiese)

    Es gibt einen gewählten Schulpflegepräsidenten (oder eine Präsidentin, aber ohne „-schaft“), der/die diesen Job gegen eine geringe Aufwandsentschädigung in der Freizeit erledigt. Ihm oder ihr zur Seite steht ein Sekretariat für den Schreibkram. Das Sekretariat liegt oft nicht in der Schule, sondern kümmert sich gleich zentral um mehrere Schulhäuser. Wir waren erstaunt, mit welch geringem bürokratischen Aufwand in der Schweiz Schule dezentral organisiert wird. Eine „Schulleitung“, d. h. jemand, der sich zusätzlich zur Unterrichtstätigkeit oder sogar hauptsächlich nur um administrative Dinge kümmert, gab es bis vor wenigen Jahren im Kanton Zürich in den Primarschulen nicht, wurde dann aber eingeführt.

  • Was das ED festlegt, das gilt
  • Im Hintergrund wirken dann freilich noch diverse „Erziehungsdirektionen“ in den Kantonen und ED, die „Eidgenössischen Erziehungsdepartements“. Die legen z. B. fest, dass in allen Primarschulen ab der ersten Klasse von den Lehrern nur Hochdeutsch im Unterricht gesprochen werden soll. Nur Hochdeutsch oder genauer gesagt nur „Schweizer Hochdeutsch“, oder doch eher „Schriftdeutsch“, bzw. „Schweizer Schriftdeutsch“, so genau haben wir das nicht verstanden, denn die Lehrer, die es uns erklären wollten, sprachen dabei Züridütsch. Das mit der gewünschten Sprache wurde also festgelegt. Auch im Sport- oder Handarbeitsunterricht. Und dann funktioniert das. Ähem, was hiess noch gleich „Lismen“ auf Schrifthochdeutsch?

    Die „Schulaufsicht“ durch die Schulpflege vor Ort ist somit in den Händen von gewählten Elternvertretern, die sich für diese Tätigkeit dadurch qualifizierten, dass sie selbst schulpflichtige Kindern auf der Schule haben. Basisdemokratie in Reinform. In Sachen Schule ist jeder Spezialist und vom Fach, denn jeder war ja mal selbst auf einer solchen.

  • Der bürokratische Wasserkopf in Frankreich
  • Ganz anders erlebten wir jetzt den „bürokratischen Wasserkopf“ von Schul-Organisation in einem französischen „Collège“, als wir in den Osterferien versuchten, dort einen privaten Schüleraustausch zu organisieren. Da führte kein Weg vorbei an „Monsieur le Proviseur“, der keinen Namen braucht, weil er einen Titel hat, der selbstverständlich eine eigene Sekretärin hat und hauptamtlich der Schule vorsteht, dabei das ganze Jahre über damit voll ausgelastet ist, sich um den Stundenplan zu kümmern bzw. die Fortbildungen der Lehrer zu organisieren und sich um die Gesuche von Deutschen zu kümmern, die gern einen Austausch durchführen möchten, wenn dann das Gesuch in schriftlicher Form vorliegt.

    Dem Proviseur vorgesetzt ist auf einem Collège mit Lycée-Anschluss nur noch der „Censeur“, der nicht zensiert sondern Direktor der Schule ist, speziell zuständig für deren Repräsentation nach aussen. Für den Fall, dass mal eine Delegation von Wirtschaftsfachleuten oder ein Staatspräsident auf Besuch vorbeikommt, man weiss ja nie.

  • Das System der Surveillance
  • Sowohl Proviseur als auch Censeur sind ehemalige Lehrer, werden für ihre aufreibende Tätigkeit und Verantwortung am besten von allen bezahlt und müssen nicht mehr unterrichten. Neben den „Profs“, den eigentlichen Lehrern, die grundsätzlich nur in einem Fach unterrichten in Frankreich, gibt es noch ein System von „surveillantes“, d. h. Aufpassern, die in Vollzeit für die Pausenaufsicht und die Beaufsichtigung der Schüler in Freistunden zuständig sind. Es gibt einen „Ober-Aufpasser“, der nicht selbst aufpasst sondern nur diesen Dienst organisiert. Diese Surveillantes überwachen, ob alle Schüler anwesend sind und organisieren die Strafen wie Nachsitzen oder schreiben den Brief an die Eltern, falls ein Kind länger fehlt. Um solche „Erziehungsaufgaben“ müssen sich die Profs nicht kümmern, die sind für die Wissensvermittlung zuständig.

  • Wer arbeitet sonst noch an einer französischen Schule?
  • Eine französische Schule beschäftigt ausserdem in Vollzeit eine Krankenschwester für die kleinen Unfälle der Schüler, zwei Hausmeister, einen Heizer für die Heizung (die auch im Sommer betreut werden muss), ein paar „MTAs“ = Medizinisch- Technische-Assistenten , um die Versuche für die Chemie- und Physiklehrer vorzubereiten bzw. wieder fortzuräumen. Desweiteren eine Art Sozialarbeiter = „agent social“ für ausserschulische Probleme, ein Schulsekretariat mit mehreren Mitarbeitern und ein komplettes Küchenteam mit Köchin und mehreren Gehilfen für die Mittagsmahlzeit in der Schulkantine, denn die französische Schule ist wie in der Schweiz ein Ganztagseinrichtung mit Regelunterricht von 8.00 – 12.00 Uhr und von 14.00 – 17:00 Uhr, ausser Mittwochs.

  • Hochsicherheitstrakt Schule
  • Übrigens ist das ganze Schulgelände in Frankreich streng mit Zäunen und Toren gesichert, niemand kann es unbefugt betreten oder verlassen. Besucher müssen sich ausweisen und den Grund des Besuches darlegen. Diese Sicherheitsmassnahmen wurde als Massnahme gegen Anschläge und Überfälle eingeführt und sollen nebenbei verhindern, dass ehemalige Schüler auf dem Schulgelände mit Drogen handeln oder Kindern von ihren Eltern entführt werden können. Die Portiersloge ist durch Panzerglas geschützt und die Tore öffnen sich elektrisch. Ach ja, ein Portiersteam mit mit mehreren Sicherheitsleuten arbeitet auch an einer französischen Schule.

  • Und in Deutschland?
  • Zum Vergleich: Eine gewöhnliche Realschule oder ein Gymnasium in Deutschland hat einen Schulleiter nebst Stellvertreter, die beide noch mindestens 8-12 Stunden pro Woche unterrichten, und eine Schulsekretärin, die bei kleineren Unfällen für die Erste Hilfe zuständig ist. Ein bis zwei Hausmeister können es nicht abwarten, sich um die Haustechnik zu kümmern. Jeder Besucher kann, wie in der Schweiz, unbehelligt die Schule während der Unterrichtszeit betreten oder verlassen.

  • Das verborgene Schulamt
  • Der restliche administrative Kram wird in Deutschland im Verborgenen durch ein „Schulamt“ erledigt, welches z. B. darüber entscheidet, welche Lehrer auf welcher Schule arbeiten, oder wer den Job des Schulleiters bekommt. Verwaltungsentscheidungen, über die Eltern oder Lehrer einer Schule nichts zu befinden haben. Ein bisschen fühlt man sich bei diesen schulpolitischen Entscheidungen in Deutschland im Vergleich zum transparenten Schweizer System an Kafkas fragmentarisches Meisterwerk „Das Schloss“ erinnert, in dem der Landvermesser K. zu einem Schloss berufen wird und völlig darüber im Unklaren bleibt, von wem hier in welcher Weise Entscheidungen und Beschlüsse gefasst werden. Deutsche Beamten-Schulpolitik funktioniert nicht anders.

    (obiger Artikel spiegelt unsere ganz persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen aus den letzten sechs Jahren wieder und erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Vollständigkeit. )

    Wir könnten ja mal über die Schweiz fahren — Die Schweiz als Durchfahrland

    April 5th, 2007
  • Über Bern oder über Besançon?
  • Als wir noch im süddeutschen Schwabenland lebten und die Ferien nahten, gab es stets die Diskussion: „Wie fahren wir in diesem Sommer nach Südfrankreich? Via Freiburg Mulhouse Besançon Lyon durch die „Franche Comté“, immer an der Westseite des Juras entlang und ab Lyon dann auf die Autoroute du Soleil? Oder über Bern durch die Schweiz?

    Durch die Schweiz fahren war schöner, dauerte aber auch länger. Die Fraktion der „so rasch wie möglich ankommen wollen“ stand gegen die „Au ja, zum Genfer See, den Montblanc angucken!“ Fans.
    Aus nostalgischen Gründen stellen wir uns auch heute noch, wo wir im Zürcher Unterland leben, diese Frage und entscheiden dann oft ganz spontan, nur dieses eine Mal wieder ausnahmsweise „über die Schweiz“ zu fahren, um in die Provence zu kommen.

  • Die Perspektive der Durchfahrer
  • Es ist eine ganz eigene Perspektive von der Schweiz, die man als „Durchfahrer“ erhält. An der Grenze bei Weil wird geschaut, ob man noch eine gültige Autobahnvignette hat. Einmal wolle ich ohne Vignette „nur kurz nach Basel“ reinfahren, und musste direkt auf der Autobahn eine Kehrtwende vollführen. Der Gegenverkehr wurde vom Grenzer gestoppt, und kleinlaut fuhr ich bei Weil ab, um die Schweiz quasi durch den Hintereingang ohne Autobahnbenutzung zu betreten.

  • Ängstlich 80 Fahren im Kanton Basel
  • Mit Vignette ging es an Basel vorbei, durch die Tunnels und Überdachung beim Badischen Bahnhof, peinlich genau auf die 80 Km/h achtend, mit ähnlichen beklemmenden Gefühlen wie einst auf der Transitstrecke durch die DDR nach Berlin. Denn nichts fürchteten wir Deutsche mehr als eine „Busse“ in der Schweiz zahlen zu müssen. Garantiert teurer als dreimal Essen gehen! Und sie wissen ja, wie geizig der Deutsche sowieso ist. Kriegt er ja ständig über die Werbung eingebleut.

    Eines Tages hatte ich eine Gruppe Basler Kantonspolizisten zu schulen, und beim Mittagstisch erzählten sie mir stolz, dass es im ganzen Stadtgebiet keine einzige stationäre Radarkontrolle gäbe. Na toll, und warum waren wir dann immer so vorsichtig bis nach „Schweizerhalle“ geschlichen?

  • Der Tunnel in der Landschaft
  • Im Mittelland bei Solothurn begannen dann die Staus. Wollen denn alle nach Bern? Gibt es da was umsonst? Immer wieder rätselten wir über den merkwürdigen „Tunnel in der Ebene“,
    Der Tunnel in der Ebene
    dessen Geheimnis es sogar in die Sendung „Genial Daneben“ geschafft hatte (und vom Streberlein Hoecker erraten wurde).

  • Die Raben von Bern
  • Die Nähe von Bern verrieten uns stets ein paar schwarze Blechraben auf einer Autobahnbrücke, keine freilaufenden Bären oder Bundespolitiker wie erwartet. Die Blechraben zeigen an, dass man sich im Sendegebiet von „RaBe“ , dem Radio Bern befindet. Ob das ein Durchfahrer versteht? Ein Eisenbahner erzählte mir, dass man unter seinesgleichen die Raben und Krähen am und auf dem Bahndamm für die wiedergekehrten Seelen von überfahrenen Selbstmördern und Streckenarbeitern hält. Nette Vorstellung irgendwie. Immer schön die Kollegen grüssen im Vorbeifahren.

    Kurz zeigt sich von dort oben bei den Raben die Stadt Bern in ganzer Pracht, welche ich einmal am Abend des 1. Augusts mit Raketen und vielen Feuern eindrucksvoll erleben durfte, dann versteckt sich die Bundeshauptstadt hinter durchsichtigen Lärmschutzwänden, und ängstliche Durchfahrer wie wir kriechen wieder als einzige mit Tempo 80 weiter bis zum Beginn der neuen Strecke nach Lausanne.

    Schade, die alte Strecke am Lac de Gruyère vorbei zum Genfer See zu fahren, war zwar länger aber auch schöner. Jedes Mal auf der steilen Schussfahrt hinab zum See schlossen wir im Scherz Wetten ab, ob die Bremsen des LKWs hinter uns wirklich halten oder ob wir tatsächlich einmal erleben durften, wie so ein 18-Tonner in die Nothaltespur aus Kies und Sand brettert?

  • Die Riviera ist erst ab 2008 offiziell
  • Das schönste Stück zwischen Vevey und Lausanne durch die Waadtländer Riviera mit Blick auf Montreux war stets der Höhepunkt der Fahrt durch die Schweiz. Erst ab dem 1. Januar 2008 wird die Bezeichnung „Riviera“ für diese Region auch offiziell als im Namen „Riviera-Pays-d’Enhaut“ für einen Bezirk (District) enthalten sein.
    Doch die wenigsten fahren noch die alte Strecke, geht es doch schneller über das schnurgerade neue Autobahnteilstück bis Lausanne, mit weiter Sicht voraus auf jede Radarfalle am Weg. Jetzt fallen die letzten Hemmungen, jetzt sind wir im Welschland, im Kanton Fribourg. Selbst mit verbotenen 150 Km/h wird man noch von zahlreichen Waadtländern überholt. Kaum ist Bern am Horizont hinter uns verschwunden, hält sich kaum jemand mehr an irgendwelche Geschwindigkeitsbegrenzungen.
    Ab Kerzers gibt es auch keine „Ausfahrt“ mehr, sondern nur noch eine „Sortie“, und auch nach Jahren bleibt das Ortschild „Murten“, ziemlich genau auf dem Röschtigraben gelegen, von militanten Lokalpatrioten durchgestrichen und mit „Morat“ überschrieben.

    Zwar sehen wir nichts mehr von der Riviera, aber wenigstens den Mont Blanc auf der anderen Seeuferseite, benannt nach einem bekannten Füllfederhalter. Viel schauen ist nicht angebracht, denn jetzt beginnt das „Höllenstück“, die dichtbefahrendste Strecke der Schweiz, die Autobahn Lausanne-Genève. Wir sind im zweitgrössten Ballungsgebiet der Schweiz, der Metropolregion Genf-Lausanne, und hier haben es die Leute eilig, ans Ziel zu kommen, auch mit 130 Km/h wird Stossstange an Stossstange gefahren. Kleiner Vorgeschmack auf das, was uns später ab Lyon auf der Autoroute du Soleil in Frankreich erwartet.

  • Nicht ins Puff sondern zum Puff nach Frankreich
  • Bei Rolle ein letztes Mal billigen Schweizer Sprit tanken, und dann ab Genf über die Berge nach Annecy weiter. Das Teilstück kurz hinter der Autobahngrenze in Richtung Cruseilles ist beidseits der Strasse gesäumt von Restaurants, Diskotheken anderen Lokalitäten mit roten Lampen, damit die braven Schweizer am Wochenende auch mal ein paar Euros in der EU loswerden können.

    Die Hälfte des Weges ist geschafft. Der verdiente Urlaub naht!

    Die Blogwiese macht Ferien in der Provence bis zum 15.04.07 und wünscht allen Leserinnen und Lesern ein wundervolles Osterfest! Nach dem Hinschied folgt der Aufersteh, ganz sicher. Mal sehen ob wir Aeschbacher beim Olivenkaufen in flagranti erwischen.
    P.S.: Mails werden auch im Urlaub gelesen und Kommentare auf alte Postings täglich freigeschaltet.

    Er traf den Entscheid beim Hinschied – Paradoxe Gedanken zum Sterben

    April 4th, 2007
  • Kurze Wörter in der kleinen Schweiz
  • Die Schweizer pflegen in ihrer Alltagssprache eine ganze Reihe von Wörtern der Deutschen Sprache, die wir als Deutsche zwar erkennen, aber in der Regel nur nach kurzem Nachdenken auch verstehen können. Ein Schweizer hätte jetzt wahrscheinlich eher geschrieben: „Nach kurzem Nachdenk“ , denn der Trend geht zur Kürze in der Schweiz. Ursus & Nadeschkin prägten die Frage ans Publikum: „Verstehen Sie uns? Gut! — Begreifen Sie es auch?

    Aus der „Entscheidung“ wird so der „Entscheid“ bei den Schweizern, und aus einer „Unterbrechung“ ein „Unterbruch“, oder aus der „Badeanstalt“ die „Badi“. Ganz besonders deutlich wurde uns dies, als wir lernten, wie aus dem „Hinscheiden“ der schweizerische „Hinschied“ wurde.

  • Schied oder Shit?
  • So wie manche Schweizer beim Wort „lecker“ eine akustisch begründete Aversion und Scheu haben und es ungern für die Beschreibung von „feinem“ oder „guetem“ Essen verwenden, weil ihnen dieses Wort zu stark nach einem Fluch mit „Läck‘“ klingt, sorry, natürlich „tönt“, so geht es uns Deutschen ähnlich bei Wortkombinationen mit „Schied“.

    Es klingt, schön nordisch kurz gesprochen, eher wie „Shit“. Und das ist nicht nur Englisch, sondern Platt, denn auf dem Deich kommt die Rede oft aufs „Schietwetter“, dem echten Mistwetter, wenn der Regen quer fliegt. Dann sagt schon mal der Bauer Maas zu seinem Knecht: „Knut, guck mal, da drüben schwimmt ne Mütze! — Nee, dat is der Bauer Hein, der mäht bei jedem Wetter“.

    Drum sind wir froh, dass der „Schiedsrichter“ ein „Referee“ bleibt in der Schweiz. Unser Lieblingsbeispiel hierzu ist Urs Meier, dem Vorzeige-„Swiss-Referee“, der mit seinem Ausspruch „Das schleckt keine Geiss weg“ entscheidend zum Bekanntheitsgrad Schweizer Redewendung im Deutschen Fernsehen beitrug (vgl. Blogwiese).

    Doch nun zum „Hinschied“. Wir fanden es bei Google-De nur schlappe 892 Mal belegt, hingegen bei Google-CH an 14‘900 Stellen,
    also 17 Mal so häufig! Auch unser Duden weisst es eindeutig als Schweizer Variante aus:

    Hinschied, der; -[e]s ( schweizerisch für Ableben, Tod)

  • Gorleben, Senftleben, Ableben
  • Wer beim Gedanken an den Tod das Wörtchen „Hinschied“ eher präsent hat als das „Ableben“, und wer dabei überhaupt nicht mehr an Ausscheidungen denkt, der hat das norddeutschen „Schietwetter“ weit hinter sich gelassen und plant vielleicht schon sein preisgünstige Urnenbestattung unter einem Baum im Wallis (vgl. Blogwiese)

    Erst beim „Hinschied“ den „Entscheid“ zu treffen stellen wir uns jedoch schwierig vor, wenn nicht gar unmöglich, speziell beim eigenen. Das ist so, wie wenn du morgens aufwacht und feststellt, du bist tot. Dann hilft nur noch auf Ostern zu warten. Kommt ja bald.