Die Kunst des Vordrängelns — Über die Höflichkeit der Schweizer beim Einkauf

April 3rd, 2007
  • Wer kommt als erstes dran?
  • Wir haben viel geschrieben über die berühmte Höflichkeit der Schweizer im Umgang miteinander, über die tief verinnerlichten „Codizes“, die instinktiv eingehalten werden, wenn man hierzulande ein Gespräch beginnt, führt und wieder beendet. Auch über die kleine aber feine Pause, die man am Telefon nach der ersten Vorstellung einhalten muss, damit der Gesprächspartner Gelegenheit hat, den Namen höflich zu wiederholen.

    Nun, es gibt da aber noch einen Bereich „ungeregelter Wildbahn“, in dem das Recht des Stärkeren gilt. Wer zuerst drängelt, der gewinnt. Die Rede ist von einer Schweizer Bäckerei am Samstagmorgen. Hier wird kein Platz verschwendet mit Schlangestehen, hier wird kein geheimes Ordnungssystem zu Anwendung gebracht. Hier gilt noch das Recht des Stärkeren. Wer sich am besten Gehör verschaffen kann und resolut auftritt, der kommt als erster zum Zug, bzw. zum Zopf, zum Hefezopf, um genau zu sein.

  • Warum heisst die U-Bahn bei den Briten „Tube“?
  • Wir erinnern uns in solchen Momenten wehmütig an die Briten, die das Schlangestehen in jeder erdenklichen Situation mit äusserster Perfektion pflegen. Mit zwei Ausnahmen: Beim Kampf um einen Platz in der vollbesetzten morgendlichen U-Bahn, die nicht umsonst „Tube“ genannt wird, weil man sich da rein quetscht, wie man sonst das Letzte aus der Zahnpastatube herausgequetscht. Und beim Bestellen einer Runde Pintes an der Theke im Pub, auch hier ist Schlangestehen nicht üblich und ein gewisses Mass an Durchsetzungsfähigkeit gefordert.

    Postamt in Oxford
    Warteschlange vor der Post in Oxford um 8.55 Uhr

    Warteschlange am Geldautomat
    Wartschlange vor einem Geldautomaten in Newcastle

    Bushaltestelle in London
    Warteschlange an einer Bushaltestelle in London

    Magpies Cafe in Withby
    Schlangestehen für die besten Fish&Chips weit und breit bei Magpies Cafe in Withby

    Und die Schweizer? Die wissen, warum sie in modernen Poststellen das „Nummernziehen“ eingeführt haben. So herrscht Ruhe und Ordnung, und niemand kommt auf die Idee, sich durch das abrupte Wechseln der Warteschlange, falls vorhanden, doch noch einen Vorteil zu verschaffen.

    Doch wehe wenn ein Deutscher kommt, der geht unter Garantie vorbei, wie wir hier beschrieben haben.
    Der Deutsche und die Warteschlange
    (Quelle Illustration: Remo Gmünder, Nebelspalter 07-2006, S. 12-13)

    Internet Banking for runaways — wie bezahlt man eine Rechnung in der Schweiz?

    April 2nd, 2007
  • Traue keiner Lastschrift
  • Am Wochenende ist Zeit für die private Buchhaltung. Schweizer machen gern ein grosses Geheimnis daraus, bei welcher Bank sie ihr Konto haben. Daher schicken alle Debitoren vorgefertigte Rechnungen mit rosa-roten Einzahlscheinen für die Post. Denn wenn man bei der Schweizer Post am Schalter in bar bezahlt, dann kostet es keine Gebühren, bzw. der Empfänger des Geldes übernimmt die Gebühren. Dazu geht man zur Post, denn die Post ist keine Bank in der Schweiz, aber dort haben alle Banken ein Konto, über das sie Geld beziehen können. Oder so ähnlich, denn so richtig haben wir dieses System auch nach sechs Jahren noch nicht begriffen.

  • Zu Fuss zur Post gehen hält fit!
  • Wir kommen aus dem Land der Lastschriften und Einzugsermächtigungen. Wer in Deutschland lebt, lässt alles automatisch abbuchen: Die Miete, die Stromrechnung, die Telefonrechnung, die Vereinsbeiträge, die Einkäufe bei Amazon.de, den Bierdeckel in der Kneipe an der Ecke. Nicht so in der Schweiz. Dort ist zwar dieses Abbuchungsverfahren ebenfalls bekannt, was aber noch lange nicht heisst, dass es irgend jemand tatsächlich praktiziert. Auch Daueraufträge soll es geben in der Schweiz, aber fast niemand benutzt sowas. Wozu auch, der Spaziergang zur nächsten Post ist viel gesünder, und so kommt man wenigstens mal an die frische Luft und in Kontakt mit den Nachbarn, die den gleichen Weg am Monatsende unternehmen (vgl. Blogwiese).

  • E-Banking für Farbenblinde
  • In Deutschland hat jede Bank eine BLZ = Bankleitzahl. Die Kombination von Kontonummer und BLZ reicht aus, um einen Betrag zuverlässig von Bank A zu Bank B zu transferieren. Die Angabe des Empfängernamens ist hilfreich, aber keine Pflicht. Das Geld ist dann sowieso noch 1-3 Tage unterwegs, abgebucht wird es sofort, gutgeschrieben ein paar Tage später. Genau damit wird bei den Banken Geld verdient. In der Schweiz gibt es zwar auch IBAN-Nummern, aber das meiste wird nicht direkt von Bank zu Bank abgewickelt, sondern über die Post. Mit Hilfe einer komplizierten Referenznummer sollte jede Buchung eindeutig zugeordnet werden können.

    Ich wollte also am Wochenende eine Rechnung bezahlen, die ohne rosa/roten Einzahlungszettel bei mir eintrudelte. Da die Post am Wochenende geschlossen hat, versuchte ich, das Geld via „Internet-Banking“ zu überweisen. Bekannt sind mir der Betrag, eine „PostFinance-Kontonummer“ und der Kontobesitzer. Ich versuche also bei auf der Webseite meiner Bank, das Geld in das richtige Formular einzutragen und zu überweisen. Ich starte den ersten Versuch mit einem „orangenen Einzahlungsschein“:

    Orangener Einzahlungsschein

    Der verlangt eine Konto-Nummer, die gebe ich ihm. Eine Referenz-Nr, die habe ich nicht, also lass ich das Feld leer, aber einen Betrag, den weiss ich wieder. Kaum gebe ich dort die PostFinance-Kontonummer ein, fängt das Formular an zu motzen: „ungültige Eingabe„. Also versuche ich es mit dem „roten Einzahlungsschein“. Finde ich übrigens ganz klasse, dass diese beiden Zahlscheine so glasklar und eindeutig von einander getrennt sind. Rot und Rosa, besser hätte man es nicht wählen können. Warum nicht Blau und Hellblau, oder Grün und Grünlich?

    Roter Einzahlungsschein

    Hier der rote Einzahlungsschein. Sehen sie, wie rot er ist? Nein, das ist kein Rosa, das ist Rot! Hier gibt es eine „Postkonto-Nr.“ einzutragen. Klingt doch fast wie „PostFinance-Konto“. Doch auch dieses Formular findet meine Empfänger-Kontonummer nicht gültig.

  • Alles clear beim IBAN-Banking?
  • Also starte ich den dritten Versuch, diesmal mit einer „Banküberweisung“. So von Bank zu Bank, sollte doch kein Problem sein. Obwohl, wenn die Post keine Bank ist, ist dann „PostFinance“ auch keine Bank? Was ist es dann?

    Banküberweisung in der Schweiz

    Doch nun soll ich die Clearing-Nr. oder IBAN Nummer des Empfängers eingeben. Die Bankkonto-Nr. allein wird wieder als „ungültig“ abgewiesen. Mir ist gar nichts „clear“, und mein Geld werde ich heute wohl nicht mehr los. Vielleicht packe ich den Betrag einfach in einen Umschlag und schicke ihn per A-Post ans Ziel. Für heute ist das Homebanking gescheitert. Immer noch versuche ich zu begreifen, was der Unterschied zwischen den Farben Rot und Rosa bedeutet. Ausserdem ist da auf diesen Formularen einfach nirgends ein Schweizerkreuz zu sehen, nicht einmal ein ganz klitzekleines. Das löst bei mir nach 6 Jahren in der Schweiz instinktives Misstrauen aus. Diesen Dingern soll ich mein Geld anvertrauen?

    So langsam verstehe, ich warum viele Schweizer lieber diese Zahlscheine dem Postangestellten zur Erledigung in die Hand drücken.