Was die Geiss nicht alles so wegschleckt — Als Urs Meier Deutschland sprachlich bereicherte
Sie kennen alle noch unseren Freund „Geissenpeter“ aus Hamburg? In Deutschland müsste er sich „Ziegenpeter“ nennen, denn das Wort „Geiss“ bedeutet in der Schweiz „Ziege“, während es im Standarddeutschen nur als „weibliches Tier bei Gams-, Stein- und Rehwild“ vorkommt. (Quelle: DeGruyter Variantenwörterbuch, S. 384). Doch „Ziegenpeter“ ist eine ziemlich blöde Kinderkrankheit, auch als „Mumps“ bekannt und wer will schon heissen wie eine Krankheit, drum nennt er sich halt „Geissenpeter. In der japanischen Trickfilmversion von Johanna Spyris Heidi wurde tatsächlich der Name übersetzt zu „Ziegenpeter“.
(Quelle Foto: sgk.org)
Google-Schweiz weisst 442 Funde auf. Ohne diese hübsche Redewendung sind Sie absolut aufgeschmissen in der Schweiz, denn sie findet sich sehr häufig, auch in der ehrwürdigen Neuen Zürcher Zeitung:
Obwohl die Finanzhilfen für die Substanzerhaltung im Infrastrukturbereich (200 Mio. Fr.) angeblich einen hohen Technologiegehalt zulassen, schleckt keine Geiss weg, dass das Bauhauptgewerbe im Visier der Massnahmen steht.
(Quelle: Kantonsrat.zh)
In Deutschland hingegen gab es nur 35 Stellen mit dieser Formulierung. Das war vor Urs Meier, jetzt sind es 10 Stellen mehr, wegen Urs Meier.
Aber dann war da dieser denkwürdige Abend im ZDF-Studio, als der Schweizer Ex-Schiedsrichter Urs Meier gefragt wurde, ob es sich bei einer umstrittenen Szene in der ersten Spielhälfte Argentinien gegen Mexiko tatsächlich um ein Abseits gehandelt habe: „Dass es kein Offside war, das schleckt keine Geiss weg.“
Was dann folgte, beschreibt der Tages-Anzeiger vor dem Spiel der Schweizer gegen die Ukraine, wie folgt:
Konsternation erst und dann, nach der Klärung dieses Steilpasses, lautes Lachen im deutschen WM-Studio und auf allen Grossbildschirmen der Grossnation. Mit solchen unverständlichen Kommentaren macht Urs Meier unmissverständlich klar, dass die Schweiz einen ernst zu nehmenden Gegner für Deutschland darstellt. Auch das schleckt keine Geiss weg.
(Quelle: Guido Kalberer im Tages-Anzeiger vom 26.06.06, S. 43)
Urs Meier sagte diese Redewendung, Johannes B. Kerner schaute verdutzt, fragte zurück „Was hast Du da gerade gesagt“? Urs Meier wiederholte seinen Satz, Johannes B. Kerner versucht noch zu übersetzten „Das leckt keine Ziege auf“, aber es war schon zu spät.
Und wieder erleben wir live im Fernsehen, wie fatal die Unwissenheit der Deutschen in Bezug auf Schweizerdeutsche Gegenwartssprache ist. Wenn doch Schweizer Fernsehen auch nach Deutschland ausgestrahlt würde, wenn der „Geheimcode Schwiitzerdütsch“ täglich von 80 Millionen Zuschauern empfangen werden könnte, dann würde niemand auch nur mit der Wimper zucken bei einem solchen Satz. Es ist doch eine klasse Redewendung, mit einem wunderbaren inhärenten Binnenreim „schleck-weg“. Was hat das Standarddeutsche da schon Vergleichbares zu bieten?
„Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche“
oder
„Da kannst Du Gift drauf nehmen“
oder
„Da führt kein Weg dran vorbei“
Langweilig, wir fangen gleich an zu gähnen.
Aber nein, wir sehen das ganz locker. Er hat auf wunderbare Weise den Deutschen eine neue Redewendung geschenkt, wenn die bei den Süddeutschen nicht sowieso schon lange bekannt und im Gebrauch ist, denn so eine praktische sprachliche Formulierung macht an Landesgrenzen nicht halt.
In der Schweiz ist der Schleckstängel das übliche Wort für den deutschen „Lutscher“, „Dauerlutscher“ oder „Lolli“. Schleckwaren sind daher „Süssigkeiten zum Schlecken“. In Deutschland ist „Schlecker“ eine erfolgreiche Drogeriekette, sozusagen der Aldi der Drogeriebranche, in fast jedem Land Europas vertreten, nur (noch) nicht in der Schweiz.
Nur in der Schweiz können sie sagen. „Das ist kein Schleck“ um auszudrücken, dass etwas kein Vergnügen, sondern eine schwierige Angelegenheit ist. Die Redewendung kommt wahrscheinlich vom „Honigschlecken“ oder „Zuckerschlecken“. Diese Varianten des Schlecks sind auch in Deutschland bekannt. Den „Schleck“ ohne alles haben die Schweizer für sich reserviert.
Juli 3rd, 2006 at 10:18
Urs Meier und die englischen Fans. Ich errinere mich sehr wohl an die Hexenjagd auf Urs Meier. Bin höchst zufrieden, dass Portugal England nach Hause geschickt hat. Auch seit gestern hat „Pretty Boy“ Beckham mehr Zeit, um sich auf seine Karriere als Male-Model zu konzentrieren.
Juli 3rd, 2006 at 14:13
Hmmm Fiona, I am not too pleased:) I supported the three lions wholeheartedly and now my heart bleeds for them and I am devatasted!
Du hast schon recht das es damals vor allem von der SUN eine regelrechte Jagd gab auf den Referee,lass uns hoffen dass es an der Euro 2008 besser laufen wird für die Engländer 🙂
Juli 3rd, 2006 at 23:15
Auch wenn im Norden die Ziege die Geiss schon längst abgelöst zu haben scheint, kennen zumindest die deutschen Fussball-Fans das Wort mit Bestimmtheit noch: Der 1. FC Köln ist auch unter dem Namen „die Geissböcke“ bekannt. Und mit Hanspeter Latour aus Thun als Trainer müssen die Kölner nächste Saison einfach wieder aufsteigen – das schleckt nun definitiv keine Geiss weg !
Juli 4th, 2006 at 16:23
Hier auch noch nen Artikel von der Gratiszietung 20min:
http://www.20min.ch/wm2006/neben_dem_platz/story/30727516
Armer Jens!
Juli 7th, 2006 at 18:47
In die Aufzählung zu analogen Redewendungen passt noch „Da beisst die Maus keinen Faden ab“ – nicht ganz so schön bildhaft wie die „Geiss“, aber etwas suggestiver als das „Amen in der Kirche“… (heutzutage)