Der Deutsche Peter Wiese und das Peter-Prinzip

Oktober 31st, 2006
  • FC Klinsmann und Deutsche in Bern
  • Wir fanden durch Zufall einen Artikel in „Der Bund“ vom 17.06.2006. Es ging darin um die Deutschen in Bern während der Fussballweltmeisterschaft. Die Autorin Anne-Careen Stolze schrieb damals im Juni:

    Deutsche haben es derzeit nicht leicht, einen Ort in Bern zu finden, um bei einem Spiel des FC Klinsmann zuzuschauen und zu jubeln. Zumindest wenn sie mit ihrer Freude nicht allein sein wollen. Viele Schweizer sympathisieren nämlich lieber mit dem Gegner. Egal, wer spielt, Hauptsache: Deutschland verliert. Der Deutsche Peter Wiese hat diesem Thema einen ganzen Beitrag auf seiner Seite «blogwiese.ch» gewidmet, wo Schweizer und Deutsche miteinander zumindest in verbale Gefechte geraten.
    (Quelle: Der Bund vom 17.06.06, S. 23)

    Diesen Peter Wiese hätte ich gern mal kennengelernt. Muss ein Namensvetter von mir sein. Einfach unglaublich, was sich durch saubere Recherche im Internet alles entdecken lässt. Journalistische Meisterleistung. Heissen nicht die Deutschen sowieso immer Peter?

  • Als Peter in den Puff
  • Wir lernten von Roger und seinem Kultpavillon, dass Schweizer Bordellbesucher, die ihr Inkognito wahren wollen, bei der Frage nach ihrem Vornamen im Rotlichtmilieu stets „Peter“ angeben. Ob der Name Inbegriff erotischer Verführungskunst ist? Ein neues „Peter-Prinzip“ sozusagen. Das alte Peter-Prinzip von 1969 sollten Sie kennen. Es trifft immer noch erstaunlich oft zu:

    Das Peter-Prinzip wurde von Dr. Laurence J. Peter und Raymond Hull in ihrem Buch The Peter Principle (1969) formuliert:
    In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.
    Es bringt zum Ausdruck, dass jemand, der auf seinem Arbeitsplatz fähig ist, befördert wird, bis er auf einem Platz landet, auf dem er inkompetent ist; dort bleibt er dann.
    (Quelle: Wikipedia)

    Ich wette, es fallen Ihnen auf Anhieb ein paar echte Vertreter dieses Prinzips ein. Bei Behörden und auch in der Wirtschaft sind sie gar nicht so selten anzutreffen.

    Machen Sie auch klein in Mode? — Mödelis in der Schweiz

    Oktober 30th, 2006
  • Mödeli sind nicht immer aus Butter
  • Grosse Mode kennen wir, die kommt aus Mailand oder aus Paris. Kleine Mode muss verkleinert werden, in der Schweiz hilft uns da ein „li“ am Ende. Kein „Mödchen“ oder „Modilein“ sondern ein „Mödeli“ soll es sein, wenn man von der kleinen Mode spricht. Oder in der Mehrzahl von „den kleinen Mödeli“. Die sind uns in der Schweiz häufiger zu Ohren oder vor die Augen gekommen, die „Mödeli“. Zeit also, diesem Modewort einmal nachzugehen. Unser Slängikon sagt uns, „es Mödeli“das sei Anke. Nein, nicht die Anke Engelke, sondern die Butter-Anke. „Für mich auch Butter“ = „anche per me“, wie die Italiener sagen.

    Gemeint ist eigentlich nicht die Butter selbst, sondern die hübsche Form, mit der man apart aussehende Butterstückchen formt und auf einem Frühstücksbuffet präsentier.
    Butter Mödeli
    (Quelle Foto: zumbiline.ch). Man könnte natürlich auch einfach einen Kamm nehmen und damit ein paar hübsche Linien ziehen in die Butter, aber so sieht es einfach viel netter aus.

    Mödeli definiert Kurt Meyer so:

    Das flach rechteckig (in einem Model) gepresste Stück zu 100 oder 200 g, in dem die Butter im Einzelhandel verkauft wird. Artikel 103 der Eidgenössischen Lebensmittelverordnung verlangt, dass Margarine modelliert nur in Würfelform in den Handel gelangen darf. Die Mödeliform wurde ausdrücklich der Butter vorbehalten, um Verwechslungen auszuschliessen (NZZ 2.10.68)
    (Quelle: Schweizer Wörterbuch, S. 184)

    Wenn man Sie also einst zum „Modelschnitzen“ einlädt, dann will man nicht an der Model-Karriere der Haustochter arbeiten, sondern diese Holzteile herstellen. Hiermit werden sie geformt, die Mödeli:
    Mödeli für die butter
    (Quelle Foto: wyyparadiesli.ch)

  • Wenn die Form zum Inhalt wird
  • Form und Inhalt tauschten die Bedeutung, das passiert in Sprachen beim Bedeutungswandel nicht selten. Aus dem dicken Tongefäss, dem „testa“ = Tonscherbe, wurde in Frankreich der Kopf, der aussah wie ein Tongefäss, also „tête“ (diese kleinen Zirkumflexe stehen immer für ein früheres „s“ hinter dem Vokal, so wie bei Hostel > Hôtel). Doch zurück zur Butter, zur Anke, zum Mödeli! Gibt es neben der Butter nicht noch eine andere Bedeutung?

    Wir lasen im Internet über den Radiomoderator Pat Stöpper:

    das schreibt Laurent Rueff über die Mödeli von Patrick Stöpper
    (Quelle: basel1.ch)

    Ob der Mann Butter ins Haar tut, weil er Mödeli hat?
    Oder:

    Mödeli: Unterhose im Badezimmer liegen lassen
    Mödeli: Haar zwirlä
    Mödeli: Bi mängmal chli en Chaot und mach oft alles im letschte Moment
    (Quelle: Verein junger Skifahrer „jungschi.ch„)

    Hier geht es definitiv nicht um Butter oder Mode, sondern um „Modus“ = lat. Art und Weise etwas zu tun, um Macken, Angewohnheiten, kleine Eigenarten. Der Kontext der Verwendung von „Mödeli“ lässt diesen Schluss zu, so ganz sicher sind wir aber nicht bei der Beantwortung der Frage, wie aus einer „kleinen Mode“ ein „grosser Tick“ werden konnte.

    Heute schon mit grosser Kelle angerichtet?

    Oktober 27th, 2006
  • Vom Agravolk zum Häuslebauer
  • Die Vorfahren der Schweizer dienten mit Spiessen bewaffnet als Söldner im Ausland oder waren daheim im „Agrarsektor“ tätig. Das bestätigten unsere sprachlichen Beobachtungen. Es wird hierzulande mit „gleichlangen Spiessen“ gekämpft , das “Heu auf der gleichen Bühne gelagert“ oder „der Mist geführt“, wenn nicht gleich alles „verhühnert“. Doch diese glorreichen Zeiten sind lange vorbei. Aus den ehemaligen Söldner und Bauern wurde solide „Häuslebauer“ und Maurer, denn wenn sie heute in der Schweiz aus dem Vollem schöpfen und sich besonders grosszügig zeigen wollen, dann müssen sie nicht Kaviar und Champagner auftischen oder doppelseitig geschmierte Butterbrezeln wie im Schwabenland, nein, dann greifen Sie am besten zum Speisseimer (nicht zum Essen, weil gefüllt mit Zement) und richten „mit grosser Kelle“ an.

    Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 19.10.06 auf Seite 2

    „Vor allem Uri und das Wallis haben mit der grossen Kelle angerichtet“.

    Mit grosser Kelle angerichtet

  • Was hast Du schon wieder angerichtet?
  • Etwas „angerichtet haben“ kann ja auch sehr negativ verstanden werden, wenn die Mutter das Kind fragt: „Na, was hast Du wieder angerichtet?“. Hier geht es aber wirklich um das Vorbereiten und Präsentieren von leckeren Speisen, am besten auf der „Anrichte“, wenn mit „grosser Kelle angerichtet“ wird.

    Das findet sich auch schon mal bei der Beschreibung eines Cadillacs im Tages-Anzeiger:

    Mit grosser Kelle angerichtet
    Damit der Escalade selber auch höhere Sphären erklettern kann, ist er permanent über alle vier Räder angetrieben, 60% der Kraft hinten, 40% vorne.
    (Quelle: Tagesanzeiger.ch)

    Die Kelle kann auch mal „allzu gross“ geraten:

    Die Kommission hat sich vergewissert, dass, nachdem mit allzu grosser Kelle angerichtet worden ist, nun Reformarbeiten abgeschlossen sind und die neue Führung überzeugt.
    (Quelle: gleichstellung.bl.ch)

    Das „Schweizer Wörterbuch“ von Kurt Meyer, das übrigens nicht mehr als Duden-Band, sondern jetzt wieder neu im Verlag Huber erhältlich ist, meint dazu:

    Kelle, die. *mit der grossen Kelle anrichten: grosszügig, nicht sparsam wirtschaften.

    Wir lernen daraus: Nimm eine kleine Kelle und bau sparsamer dein Haus. Dass es mit einer kleinen Kelle auch länger dauert, steht auf einem anderen Blatt. Denn „viel hilft viel“, das wissen wir alle. Doch nicht immer ist hier von der Maurerkelle die Rede, auch eine simple Suppenkelle zum Austeilen von Suppe kann gemeint sein. Wenn die kleiner ist, dauert es länger und es gibt weniger Suppe, folglich wird gespart!
    Eine Kelle sieht so aus:
    Eine Kelle
    (Quelle Foto: degewo.de)

    Aber auch das ist eine Kelle:
    Holzkelle
    (Quelle Foto tempora-nostra.de)

    Und dann gibt es da noch diese Kelle:
    Polizeikelle
    (Quelle Foto: oktoberfest.de)

    Die sieht man übrigens in der Schweiz erstaunlich oft im Berufsverkehr. Die Verkehrskontrollen bei Autobahnauffahrten, in der Agglo von Zürich, an Ausfallstrassen sind hier üblich und finden regelmässig statt. So regelmässig, dass es uns wundert, warum es sich hier überhaupt jemand traut, ohne Sicherheitsgurt (in der Schweiz gilt das „Gurtenobligatorium“!) oder mit Handy am Ohr durch die Gegend zu fahren. Mag sein, dass wir es einfach nicht wahrgenommen haben, als wir noch in Deutschland lebten, aber bis auf die garantiert regelmässigen Alkoholkontrollen in der Karnevalszeit können wir uns an keine Verkehrskontrollen durch die Polizei erinnern.

    Natürlich sieht es an der Autobahn nach Holland anders aus. Dort wird schon mal eine 100% Kontrolle durchgeführt . Auf den Autobahnen werden Raser und Drängler durch die Autobahnpolizei überwacht in Deutschland. Nur diese regelmässigen Verkehrskontrollen, einfach so, täglich wechselnd an bestimmten Stellen im Stadtgebiet, das war etwas Neues für uns in der Schweiz. Und dann gibt es halt die grosse Kelle mit dem roten Licht zu sehen, und hofentlich haben Sie dann nichts angerichtet!

    Ja wann laufen sie denn? Über den Zeitplan des Zürcher Marathonlaufs am Jahresende

    Oktober 26th, 2006
  • Ende Jahr ist schneller als Jahresende
  • In der Schweiz ist das „Jahresende“ mit eingebautem Genitiv-S eher selten anzutreffen. Hier spricht man von „Ende Jahr“, wenn eine bestimmte Zeit im Dezember gemeint ist (vgl. Blogwiese) .

  • Feuerwerk zwanzig Minuten später
  • Dieses „Ende Jahr“ beginnt sehr zeitig in Zürich. Wir haben ja schon darüber berichtet, dass man sich am 31.12. um Mitternacht im calvinistischen Zürich 20 Minuten länger Zeit nimmt mit dem Begrüssen des neuen Jahres. Das ist nicht etwa so, weil dieses Event eventuell von der Pendlerzeitung „20Minuten“ gesponsert wird, nein, die Stadtzürcher haben an Silvester keine Eile.

    Zunächst lauscht man andächtig den Kirchenglocken, dann wird der Nachbar oder die Nachbarin auf der Strasse geherzt, auf das Neue Jahr besinnlich und leise angestossen, bevor schliesslich tatsächlich am 1. Januar um 0:20 Uhr das grosse, gesponserte Feuerwerk am See startet (vgl. Blogwiese). Hier brauchen Sie etwas länger, die Stadtzürcher, aber sonst sind sie sehr zeitig, wenn es um Silvester angeht.

  • Der Tagesheilige vom 31.12.
  • Silvester hiess ein Papst, das erfahren wir aus dem Duden:

    Silvẹster, der, auch: das; -s, – [nach Silvester I., Papst von 314 bis 335, dem Tagesheiligen des 31. Dezember]: letzter Tag des Jahres, 31. Dezember: Silvester feiern; [nächsten] Silvester sind wir nicht zu Hause.
    (Quelle: duden.de)

    Die Schreibweise mit einem Ypsilon ist zwar immer noch weit verbreitet, jedoch heutzutage nur noch für Schauspieler aus Boxerfilmen üblich.

    Silvester, (auch:) Sylvester. Er ist männlicher Vorname lateinischen Ursprungs
    lat. silvester »zum Wald gehörend, im Wald lebend; waldig«
    (Quelle: Duden Lexikon der Vorname)

    In Österreich können Sie zu Silvester übrigens auch „Altjahrtag“ sagen, was sich bei Norddeutschen eher wie ein flüchtiger Gruss im Vorbeigehen anhört. „Heh Alter, ja, Tag(chen) auch“. Unser Duden bezeichnet diese Variante als „schweiz. landsch.“, was uns sehr verwundert, denn bei Google-CH findet sich nur ein Beleg, und alle anderen Erwähnungen weisen nach Österreich. Aber das sind wir (uns) ja vom Duden gewohnt (Nicht-Schweizer Leser das „uns“ bitte streichen).

  • Wann findet der Zürcher Silvester-Marathon statt?
  • Nun, die Zürcher sind zwar an Silvester wie schon beschrieben etwas später dran mit dem Feiern, im Gegenzug finden andere Silvester-Veranstaltungen bereits erheblich früher statt. Herausragendstes Beispiel dafür ist der diesjährige Silvester-Marathon in Zürich. Diese Art von Marathon findet sich häufig am 31.12.
    So in Stuttgart:
    Stuttgarter Silvesterlauf

    In Pfalzdorf mit Ypsilon
    Pfalzdorf Sylvesterlauf

    Und in Oeversee
    Oeversee Silvesterlauf

    Aber in Zürich? Schauen Sie selbst:
    Zürcher Silvesterlauf am 10.12.06

    Da wird schon munter am 10. Dezember der Silvesterlauf gefeiert.

    Warum die nur so früh damit anfangen, 21 Tage vor dem Jahresendtag? Wir vermuten, es hat etwas zu tun mit einer anderen Festivität, die im Monat Dezember stattfindet, und auch den Namen „Silvester“ trägt. Die Rede ist vom Schweizer „Schulsilvester“.

  • Was ist „Schulsilvester“?
  • In alten Zeiten, als noch nicht alles vereinheitlicht war unter den Schweizer Kantonen, als der Beginn und das Ende des Schuljahres wirklich noch von jedem Kanton selbst bestimmt werden konnte, endete in Zürich das Schuljahr kurz vor Weihnachten. Es war Brauch und Anlass, für die Kinder am letzten Schultag tüchtig über die Stränge zu schlagen, früh aufzustehen, lärmend durch die Strassen zu ziehen und sich dann in aller Herrgottsfrühe an der Schule zu einer Art Schulfest zu treffen (vgl. Blogwiese)
    Zur Geschichte des Zürcher Schulsilvesters finden wir in Wikipedia:

    Während um 1920 das Treiben bereits um Mitternacht begann, wurde später der Beginn auf frühestens 5 Uhr festgelegt. Ab den 1930er-Jahren bürgerte es sich ein, dass Gruppen, welche besonders laut waren oder mit einem Ständchen aufwarteten, von Bürgern, die dadurch geweckt wurden, Geschäftsleuten und insbesondere den Bäckern mit einem essbaren Obolus (Prochnigs, alemannisch für: Bruchstücke von Konfekt) belohnt wurden. Die Grosszügigkeit der Geschäftsleute ging im Laufe der 1970er-Jahre merklich zurück und die Neue Zürcher Zeitung beklagte sich 1974: Das alte Gewohnheitsrecht, dass namentlich die Bäcker verpflichtet sind, einen essbaren Obolus zu entrichten, wenn man ihnen ein Ständchen bringt, scheint vergessen. An Stelle des Heischens trat immer mehr die Sitte des gemeinsamen Frühstücks im Klassenzimmer in der Schule. Ebenso klar zurückgegangen ist in den letzten Jahren die Lärmkraft der Kinder und das Lärmen mit selbstgebastelten Lärminstrumenten, Rätschen, Glocken, Küchenutensilien. Der bereits für das 19. Jahrhundert belegte Ruf: Silväschter stand uuf, streck d Bäi zum Bett uus! scheint Ende des 20. Jahrhunderts vergessen gegangen zu sein.
    (…)
    Neben dem Radau gehören auch harmlose Streiche zum Schulsilvester, welche im Schutze der Dunkelheit ausgeführt werden. Als Beispiele aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seien zu erwähnen: Autos mit Toilettenpapier einwickeln, an fremden Türen klingeln oder Türglocken mit Zahnstochern blockieren, Gartentörchen aushängen, Türfallen mit Zahnpaste bestreichen. Diese Streiche arteten jedoch im Laufe der Zeit aus, insbesondere von „Nachtbuben“, welche nicht mehr im Schulalter sind, was mancherorts die Behörden dazu bewogen hat, den Schulsilvester zu verbieten, um die zum Teil immensen Sachschäden zu verhindern. Leidtragende sind die Schulkinder. Die „Nachtbuben“ hingegen lassen sich offensichtlich von Verboten wenig beeindrucken.
    (Quelle: Wikipedia)

    Zu den „Nachtbuben“ vgl. Blogwiese.

    Wir fassen zusammen: Die Zürcher lassen ihren Silvester-Marathon schon am 10. Dezember stattfinden, damit er rechtzeitig zum „Schulsilvester“ vor Weihnachten fertig ist? Oder laufen die etwa bis zum 31.12. immer weiter?

    Schade, bist Du nicht hiergewesen — Neues von der Schweizer Syntax

    Oktober 25th, 2006
  • Schade, bist Du nicht hiergewesen
  • Fällt Ihnen an diesem Satz irgendetwas auf? Würden Sie ihn so verwenden? Oder eher nicht?

    Warum ist der Satz für Deutsche so nicht verwendbar? „Bist Du gewesen“ ist lang und schwerfällig. „Schad‘ dass Du nicht da warst“ würde mir eher gefallen. Zumal da auch noch ein doppelter A-Laut am Ende vorkommt. „Da warst“ klingt bei mir jedoch eher wie „da-waast“.

    Wir entdecken diese Erkenntnis in dem bereits erwähnten Artikel in der Sonntagszeitung vom 24.09.06:

    Bestätigt werden diese Befunde durch eine Internetumfrage zur Alltagssprache im ganzen deutschsprachigen Raum (www.philhist.uni-augsburg.de/ada) sowie eine Befragung von 70 Deutschen und 77 Schweizer Studenten. So gaben 55 Prozent der Schweizer Studenten an, dass sie den Satz «Schade, bist du gestern nicht hier gewesen» verwenden würden. Von den deutschen würden dies nur 6 Prozent tun. Worauf diese eigentümlichen Satzstellungen zurückzuführen sind, ist noch unklar. Zum Teil spielt der Dialekt hinein («Schad, bisch nöd cho.»). Doch das Wort «bereits» existiert in der Mundart gar nicht. Seine prägnante Stellung muss also einen andern Grund haben.

    Nun, wir haben ja jetzt gelernt was „Vorfeldbesetzung“ bedeutet. Ein „Schad“ am Anfang des Satzes ist ein ziemlich gut besetztes Vorfeld. Danach mit einer obligatorischen Inversion weiterzumachen und das finite Verb an die Schluss zu rücken, wer mag das schon? Weil, es ist eben unbequem. Die Sprache sucht sich immer den bequemsten Weg (Gesetz der Ökonomie von Sprache) und da ist „Schad, bisch nöd cho“ einfach schneller und eleganter als „Schade, dass Du nicht hiergewesen bist“. Der letzte Satz ist so penetrant hyperkorrekt, wenn Sie den hören, dann können Sie mal davon ausgehen, dass ihn ein Schweizer ausgesprochen hat. „Schade dass Du nicht da warst“ halte ich für üblich.

  • Der Plan für eine Variantengrammatik
  • Ein spannendes Feld, nun nach den Varianten im Deutschen Wortschatz auch die Varianten in der Grammatik zu bestimmen und zu beschreiben:

    Christa Dürscheid plant nun, analog zum Variantenwörterbuch eine Variantengrammatik zu schreiben. Ein Projekt mit drei Forschergruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist angedacht, erste Vorarbeiten liegen vor. Diese Grammatik, so Dürscheid, soll eine Bestandesaufnahme und gleichzeitig ein Nachschlagewerk werden.

    Davon profitieren könnten nicht zuletzt die Schweizer Schüler. Studien haben gezeigt, dass die Lehrer Helvetismen gerne als Fehler anstreichen. «Man bewertet oft mit teutonischem Massstab», sagt Dürscheid. Wenn die schweizerhochdeutschen Varianten in einer Grammatik kodifiziert werden, könnte sich dies ändern. Die Lehrer würden toleranter korrigieren, vermutet Dürscheid. «Und die Schweizer könnten selbstbewusster zu ihrem eigenen Deutsch stehen.»

    Halten wir fest: Wenn es im Buch steht und wissenschaftlich untermauert wurde, dann werden die Lehrer die Verwendung von Schweizer Grammatik und Syntax toleranter korrigieren. Die Frage ist nur, ob sie es jetzt überhaupt korrigieren, weil das voraussetzt, dass sie diese Variante auch wahrnehmen.

  • Ist Triglossie besser als Diglossie?
  • Es ist ein durchaus legitimer und frommer Wunsch, den Schweizern dabei zu helfen, „selbstbewusster zu ihrem eigenen Deutsch zu stehen“. Ist ihnen damit wirklich geholfen? Die bisherige Diglossie, also die Beherrschung der Schweizer Muttersprache PLUS des Standarddeutschen würde dann noch stärker durch eine Triglossie abgelöst: Dialekt PLUS Standarddeutsch PLUS Schweizer Hochdeutsch-Variante, wobei „Hochdeutsch“ hier wirklich mal angemessen wäre, denn wie schon oft erwähnt, ist „Hoch“ eine geographische Komponente, neben Mittel- und Niederdeutsch. Und Höher als die Schweiz liegt kein deutsches Sprachgebiet.

    Wir sind skeptisch, denn in den meisten Fällen passiert die Verwendung dieser Schweizer Grammatikvarianten jetzt schon, auch ohne „kodifiziert“ worden zu sein, aber den wenigsten fällt es auf. Während wir beim „Variantenwörterbuch“ verstehen können, wie wichtig es ist, die Varianten der Standardsprache zu kennen, sind wir uns bei einer „Variantengrammatik“ nicht sicher, ob hier nicht aus der jetzt schon schwierigen Diglossie eine Triglossie gezimmert wird.

    „Die Lehrer würden toleranter korrigieren“, vermutet Christa Dürscheid. Aber ist den Schülern damit geholfen, wenn sie quasi die Verwendung von spezifisch Schweizerischen Grammatikvarianten in der Schriftsprache erlaubt bekommen, und damit später im Berufsleben gewiss keinen leichten Stand haben, wenn es um Kommunikation mit dem restlichen deutschsprachigen Ausland geht.