Mögen Sie Freilichtkino? — Warum Kino in geschlossene Räume gehört
Juni 25th, 2006Kaum hat der Sommer richtig begonnen, geht es los in der Schweiz: Kein Ort, der nicht plötzlich zum Freilichtkino umgewandelt wird. Gibt es denn nicht genug Kinos in der Schweiz, dass jetzt auch noch unter freiem Himmel das Neuste aus Hollywood geguckt werden muss?
Es gibt zwei Dinge, die die Schweizer mit grosser Vorliebe im Freien anstellen: Grillieren was die Fleischtheke bei Migros hergibt, und eben Freilichtkino. In und um Zürich ist das besonders krass. Dort haben Sie in diesem Sommer die Wahl zwischen
Haben wir das richtig auf der Werbung gelesen:„Das Frischluftkino ohne Fluglärm“? Wie wollen die das denn anstellen? Beginnen die Vorstellungen erst nach 23.00 Uhr, wenn die Nachtruhe beginnt, oder gibt es „early watcher sessions“ für Schichtarbeiter zwischen 5:00 und 7:00 Uhr? Nein, ich vermute, die verziehen sich in die untersten Katakomben der Flughafenbetreiberin UNIQUE um ein „einzigartiges“ Erlebnis zwischen nicht abgeholten Koffern und leeren Kerosinkanistern zu haben. Und die Frischluft? Die wird eingeflogen, nehmen wir an. Wissen die eigentlich wieviel Abgase so eine Düsenturbine erzeugt? Da haben sie nicht Benzin sondern Blei im Blut, wenn Sie tief Luft holen.
Zum Beispiel im August in Pfäffikon SZ. Wo spätestens bei Sonnenuntergang Miraden von Stechmücken über die ungeschützten Besucher herfallen werden. Vielleicht passend dazu Polanskis „Tanz der Vampire“? Kino hautnah und lebensecht, wie man es sich nicht blutiger vorstellen kann.
Das ist der Zürcher Hausberg, nur mit der Uetliberg-Bahn und etlichen Tarifzonen-Zuschlägen zu erreichen.
(Foto icr.ethz.ch)
Wunderbare Sicht auf Zürich und die Alpen, des Nachts natürlich nicht mit Beleuchtung, die Fernsicht. Leider wurde in diesem Sommer nichts mit echtem Freilichtkino, es gab keine Bewilligung. Übrig bleibt ein „halb-drinnen-halb-draussen“ Erlebnis mit Fernsicht und offenem Dach.
Das Limmat Bad Unterer Letten veranstaltet ebenfalls ein Freilichtkino im Sommer unter dem sinnigen Titel „Filmfluss„.
(Foto: Badi-info.ch)
Wir kannten „plötzlichen Filmriss“ (wenn jemand keine Erinnerung mehr hat durch Alkohol oder sonstigen Drogeneinfluss) und „eitrigen Ausfluss“ (den wir lieber nicht näher beschreiben mögen), beides keine angenehmen Erlebnisse. Na, wir gehen mal davon aus, dass die Kreuzung von beidem als „Filmfluss“ ein ganz klasse Erlebnis zu sein verspricht.
Kennen Sie eigentlich Hüntwangen? Das liegt j.w.d., also „jaanz weit draussen“, wie wir in Deutschland sagen. Da gibt es ein gigantisches Freiluftkino, vom Bülacher Kinobesitzer Stephan Stottele mit viel Herzblut organisiert. Leider fehlt der Helikopter-Landeplatz für den kostenlosen Shuttleservice der Schickimicki Klientel aus Zürich, denn die Anreise ins tiefste Zürcher Unterland schreckt doch so manchen ab.
Ich hasse Freiluftkinos. Am Anfang wird es ewig nicht Dunkel und gegen Ende friert man sich dermassen den Arsch ab, das ist doch nichts, was man erlebt haben müsste! Die Zeiten, in denen Jugendliche mit dem Auto ins Drive-In Kino fuhren, um ungestört knutschen und fummeln zu können, sind doch Gott sei Dank vorbei. Heute fragt der Sohn den Vater, ob er das BMW-Coupé und den Schlüssel für die Datscha fürs Wochenende haben kann, denn schliesslich muss mit der Freundin intensiv für die Mathe-Klausur gebüffelt werden, wenn später was aus der Banklehre oder dem BWL Studium werden soll.
Die Anthroposophische Bewegungskunst „Eurythmie“ darf ebenfalls nicht einfach im Freien ausgeübt werden, sondern muss schön in geschlossenen Räumen, die am besten eckig sein sollten, praktiziert werden. Das verstärkt die Resonanz des Ätherleibs, der sich sonst gegen die Himmelssphären verdünnisieren würde. „Begrüsst das Licht der Sonne“, durften die Kinder in der Waldorfschule eurythmisch darstellen, aber Fenster und Vorhänge blieben fest verschlossen.
(Foto: eurythmie-info.de)
Die Schweizer Hochburg der Anthroposophen liegt in Dornach bei Basel. Dort baute Rudolf Steiner das Goetheanum, in dem regelmässig Eurythmie aufgeführt wird. Ihre Sauerstoffflasche sollten Sie besser mitbringen, denn die Fenster bleiben während er Aufführung verschlossen, Sie wissen ja jetzt warum. Also nicht vergessen ab und zu einen tüchtigen Zug O2 aus der Maske zu nehmen! Machen Sie danach auch einmal einen Spaziergang durch den Ort Dornach und zählen Sie die fünfeckigen Sandelkisten in den Vorgärten der Häuser!
Für mich findet das wahre Kinoerlebnis wie eine zünftige Eurythmieaufführung nur in einem dunklen, geschlossenen und nach aussen schallgeschützten Raum statt, und zwar am liebsten im Hochsommer ab 14.00 Uhr. Wenn Sie dann um 16:00 Uhr aus dem Kino kommen, eben noch in einer anderen Welt oder auf einem anderen Planeten, dann erleben Sie einen gewaltigen Schlag und sind zurück in der Gegenwart. Das Tolle daran ist, dass sie dann noch genügend Zeit haben, sich für 20.00 Uhr einen weiteren Film auszusuchen. „Kino am Mittag, das ist wie Schuleschwänzen“, hat Woody Allen einmal in einem seiner Filme gesagt. So richtig verboten und ungehörig, und darum gerade so schön.
In den Dörfern des Luberons kommt das Kino zu den Leuten, im Winter in den „Salle de fêtes“, im Sommer auf den Dorfplatz, z. B. beim Cinéma la Strada. In auf einem solchen Dorfplatz-Kino sahen wir einst Carlos Sauros „Carmen“. Stühle musste man selbst mitbringen. Das Pétanque (= Boule) Spiel nebendran ging auch während der Filmvorführung weiter.
(Foto: pronoubarris.com)
Die Alten unterhielten sich angeregt über jede Szene, und die Kinder spielten Fangen zwischen den Bankreihen. Es war ein unterhaltsamer Abend, aber an den Film kann ich mich nicht mehr gross erinnern. Am Ende schliefen die Kinder auf dem Boden und wurden mitsamt der Stühle wieder heimgetragen.