Hartz IV und wo harzt es sonst noch so?
Im Dezember 2005, als Geissenpeter noch täglich ums sprachliche Überleben in der Hauptstadt der kühlen Hanseaten kämpfte, berichtete er uns zum ersten Mal, dass man dort oben an der Water-kant, die so rein gar nichts mit kant-onalem Geiste zu tun hat, die griffige weil klebrige Formulierung „es harzt gewaltig“ nicht verstehen würde.
Er schrieb uns:
wenn ich in Hamburg “es harzt” sage, werde ich ausgelacht. Ist mir zweimal passiert, musste zweimal erklären, was ich damit meine, seither sag ichs nicht mehr
Aber vielleicht bin ich ja auch einfach nur an die Falschen geraten…
(Quelle)
Dabei ist der Harz doch eines der Mittelgebirge, das jeder Ausländer in Deutschland kennen sollte, wenn er beim Fragenkatalog für die Einbürgerung gut abschneiden möchte. Dort lauten die ersten drei Fragen:
1. Wie viele Einwohner hat Deutschland?
2. Nennen Sie drei Flüsse, die durch Deutschland fließen!
3. Nennen Sie drei deutsche Mittelgebirge!
(Quelle: Zeit.de)
Falls Ihnen jetzt noch zwei weitere Namen von Mittelgebirgen fehlen: „Schwarzwald“ pass gut, ist auch leicht zu merken wegen der Farbe, und die „Kohlehalden“ am Rhein-Herne Kanal, absolut sehenswürdige Mittelgebirge, und „erst noch“ so energiegeladen:
(Quelle: rheinruhrgebiet.com)
Doch zurück zum „harzen“. Ich harze, du harzt, er/sie/es harzt. Das „t“ immer schön hinter das „z“ setzen, damit es hier keine Missverständnisse aufkommen. Das andere Wort „Hartz“ schreibt sich in Deutschland in der Regel mit einer römischen IV versehen, so wie „Rocky IV“ mit Sylvester Stallone, oder garantiert irgendwann Terminator IV, wenn Arnold Schwarzenegger seinen alten Traum wahr macht und als Präsident ins Weisse Haus einzieht. Es geht zurück auf Peter Hartz, den Ex-Personalvorstand von VW, der zum Ende seiner Karriere darüber stolperte, die falschen Dienstleistungen auf seine Spesenabrechnung geschrieben zu haben.
Zum „harzen“ fällt unserem Duden ein:
harzen sw. V.; hat [mhd. herzen = mit Pech ausstreichen, zu 1 Harz]:
1. Harz absondern:
der Baum, das Holz harzt.
2. (Forstw.) einen Baum anritzen, um Harz zu gewinnen:
Kiefern h.; subst.: In den Wäldern ist das Harzen der Kiefern in vollem Gange (NNN 27. 6. 85, 3).
3. mit Harz bestreichen.
4. (schweiz., auch landsch.) schwer, schleppend vonstatten gehen:
die Verhandlungen harzen; es harzt mit dem Bau der Autobahn; Was die Konsolidierung der Fälligkeiten 1987 betrifft, scheint es nicht nur auf der Schuldnerseite zu h. (NZZ 26. 10. 86, 15).
Wir achten wie immer auf die Reihenfolge. Die wichtige Schweizerdeutsche Formulierung „schwer, schleppend vonstatten gehen“ kommt tatsächlich erst auf Platz 4 der aufgezählten Bedeutungen. Als ob das Bestreichen mit Harz so üblich sei in Deutschland, wie wenn sich jemand beim Frühstück Honig aufs Brot schmiert.
Auch DWDS, das Konkurrenzunternehmen vom Duden aus Berlin-Brandenburg, kommt zu dieser Wertung:
harzen /Vb./
1. etw. mit Harz bestreichen: Treibriemen (mit der Hand) h.
2. Forstw.
a) Harz ausscheiden: die Kiefer harzt
b) Nadelbäume h. (Harz aus ihnen gewinnen)
3. südwestdt. schweiz. es harzt es ist schwierig, es kostet Mühe: Mit Mang (mittlerweile) wird’s harzen Federer Berge 253
(Quelle: dwds.de)
Erst der Treibriemen, dann die Forstwirtschaft und nur an dritter Stelle, zusammen mit Südwestdeutschland (!) wird die Schweiz und „es harzt“ erwähnt.
Wir finden sehr alte Belege für das Wort:
wen me üch olle harzen selde würde nie doch in virzahn Tagen nicht fertig! (Quelle: Andreas Gryphius – Die gelibte Dornrose / Der Erste Auffzug)
und ein Zitat aus der Bildzeitung von 1999:
Bei Jil Sander freilich harzen die Geschäfte, der Kurs der frei handelbaren (Vorzugs-)Aktie hat sich in drei Jahren um 60 Prozent gesenkt (siehe Grafik unten). (Quelle: BILD 1999)
(Quelle: wortschatz.uni-leipzig.de)
Produziert den Jil Sanders in der Schweiz, oder kommt die Bild-Zeitung aus Süddeutschland?
Wiki meint:
Jil Sander (* 27. November 1943 in Wesselburen als Heidemarie Jiline Sander) ist eine international bekannte deutsche Modeschöpferin mit Wohnsitz in Hamburg.
(Quelle: Wiki)
Also hatte der arme Geissenpeter ganz einfach Pech, in Hamburg nicht mit einem Redakteur der Bildzeitung gesprochen zu haben, der sehr wohl zu wissen scheint, was „es harzt“ bedeutet.
Juni 25th, 2006 at 11:13
Auch bei den Redewendungen scheint so eine Art selbsterfüllender Prophezeiung stattzufinden:
Hartz: verharzt,
Kohl: verkohlt.
Juni 27th, 2006 at 7:25
Echt gut diese sprachlichen Differenzen aufzuzeigen, insbesondere da sie aus deutscher Sicht augezeigt wird, ist aber auch zu relativieren. Die französch-deutsche Freundschaft ist sehr spät erfolgt und sollte historisch gesehen früher beginnen. Bereits unsere Grosseltern haben vermehrt französische, italienische aber auch „alt“-Oestereichische Wörter aufgenommen. Bedenke es gibt deutsch- Luxemburg, Lichtenstein, Belgien, Holland und Frankreich. Cornet (s. Glaceartikel) kommt aus dem Elsass in die Schweiz. Eis ist gefrorenes Waser und sonst nichts. Glace ist in kleinsten Teilen gefrorenes Wasser und mittels Fett sämig gemacht und mit Geschmack zum Lebensmittel herangewachsen. Wo ist übrigens der Unterschied Eislaufen auf einer Diele (Auf Eis laufen) und einer Eisdiele. Wobei hier auch „Diele“ genauer untersucht werden muss. Zudem hat der Krieg die Eisdielen in Deutschland begünstigt, da in der Schweiz bereits früher in jeder „Beiz“ Glace oder Gelati gekauft werden konnte. Insofern ist in Deutschland der Krieg an den Eisdielen Schuld. Hier könnte über die Gastronmie noch einen ganzen Aufsatz eingefügt werden. Zudem sind die regionalen Unterschiede in Deutschland (Stttgart: Wir können alles, ausser Hochdeutsch) zu beachten. Viele Bemerkungen und Sichtweisen lassen auf das Alter und die Nord/Süd Ausrichtung schliessen (Vergleiche Stefan Raab mit Harald Schmidt zum Thema Schweiz). Zum harzen ist zu sagen, dass die nordeutsche Mentalität durchschlägt und auf Schiffen das Harz eine ander Bedeutung (abdichten) hat als im Binnenland (Reibung verringern). Das der Name Hartz mit der Wort Harz verwechselt wird, ist eine neue Erfindung. Die Sprache ist in Bewegung und dieser Blog wird wohl nie fertig sein. Störend und „typisch“ ist auch hier die Obrigkeitsgläubigkeit der deutschen Kultur, hier der Duden, dass das Schweizerdeutsche an Stelle 4 kommt. Erstens ist die Reihenfolge keine Bewertung und zweitens wurde DER DUDEN bereits durch die Konkurenz entlarvt. Zudem wurde unterschlagen, dass im Schwarzwald diese Begriffe ebenfalls geläufig sind. Uebrigens habe ich letztens Worte gesehen, die im Wienerischen (nicht Austria) gleich wie im Schweizer Dialekt sind. Die Sprache lebt und damit ist nie genau regelbar und deshalb ist die deutsche Reglementierungswut bei Sprache ein Desaster.
Bitte macht weiter, den es ist sehr interessant.
August 10th, 2010 at 5:12
Für das CH-„harzen“ gibt es kein schriftdeutsches Wort – die sind einfach alle zu schwach.
Quasi ans Original heran kommt hingegen das französische „traîner“. Perfekt!