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Mögen Sie Freilichtkino? — Warum Kino in geschlossene Räume gehört

  • Lieber grillen als im Kino frieren
  • Kaum hat der Sommer richtig begonnen, geht es los in der Schweiz: Kein Ort, der nicht plötzlich zum Freilichtkino umgewandelt wird. Gibt es denn nicht genug Kinos in der Schweiz, dass jetzt auch noch unter freiem Himmel das Neuste aus Hollywood geguckt werden muss?

    Es gibt zwei Dinge, die die Schweizer mit grosser Vorliebe im Freien anstellen: Grillieren was die Fleischtheke bei Migros hergibt, und eben Freilichtkino. In und um Zürich ist das besonders krass. Dort haben Sie in diesem Sommer die Wahl zwischen

  • Kino am Flughafen
  • Haben wir das richtig auf der Werbung gelesen:„Das Frischluftkino ohne Fluglärm“? Wie wollen die das denn anstellen? Beginnen die Vorstellungen erst nach 23.00 Uhr, wenn die Nachtruhe beginnt, oder gibt es „early watcher sessions“ für Schichtarbeiter zwischen 5:00 und 7:00 Uhr? Nein, ich vermute, die verziehen sich in die untersten Katakomben der Flughafenbetreiberin UNIQUE um ein „einzigartiges“ Erlebnis zwischen nicht abgeholten Koffern und leeren Kerosinkanistern zu haben. Und die Frischluft? Die wird eingeflogen, nehmen wir an. Wissen die eigentlich wieviel Abgase so eine Düsenturbine erzeugt? Da haben sie nicht Benzin sondern Blei im Blut, wenn Sie tief Luft holen.

  • Kino am See
  • Zum Beispiel im August in Pfäffikon SZ. Wo spätestens bei Sonnenuntergang Miraden von Stechmücken über die ungeschützten Besucher herfallen werden. Vielleicht passend dazu Polanskis „Tanz der Vampire“? Kino hautnah und lebensecht, wie man es sich nicht blutiger vorstellen kann.

  • Kino auf dem Uetliberg
  • Das ist der Zürcher Hausberg, nur mit der Uetliberg-Bahn und etlichen Tarifzonen-Zuschlägen zu erreichen.
    Fernsicht auf Zürich vom Uetliberg
    (Foto icr.ethz.ch)
    Wunderbare Sicht auf Zürich und die Alpen, des Nachts natürlich nicht mit Beleuchtung, die Fernsicht. Leider wurde in diesem Sommer nichts mit echtem Freilichtkino, es gab keine Bewilligung. Übrig bleibt ein „halb-drinnen-halb-draussen“ Erlebnis mit Fernsicht und offenem Dach.

  • Kino am Fluss
  • Das Limmat Bad Unterer Letten veranstaltet ebenfalls ein Freilichtkino im Sommer unter dem sinnigen Titel „Filmfluss„.
    Limmat Bad Unterer Letten
    (Foto: Badi-info.ch)
    Wir kannten „plötzlichen Filmriss“ (wenn jemand keine Erinnerung mehr hat durch Alkohol oder sonstigen Drogeneinfluss) und „eitrigen Ausfluss“ (den wir lieber nicht näher beschreiben mögen), beides keine angenehmen Erlebnisse. Na, wir gehen mal davon aus, dass die Kreuzung von beidem als „Filmfluss“ ein ganz klasse Erlebnis zu sein verspricht.

  • Kino in der Pampa
  • Kennen Sie eigentlich Hüntwangen? Das liegt j.w.d., also „jaanz weit draussen“, wie wir in Deutschland sagen. Da gibt es ein gigantisches Freiluftkino, vom Bülacher Kinobesitzer Stephan Stottele mit viel Herzblut organisiert. Leider fehlt der Helikopter-Landeplatz für den kostenlosen Shuttleservice der Schickimicki Klientel aus Zürich, denn die Anreise ins tiefste Zürcher Unterland schreckt doch so manchen ab.

  • Kino gehört in geschlossene Räume!
  • Ich hasse Freiluftkinos. Am Anfang wird es ewig nicht Dunkel und gegen Ende friert man sich dermassen den Arsch ab, das ist doch nichts, was man erlebt haben müsste! Die Zeiten, in denen Jugendliche mit dem Auto ins Drive-In Kino fuhren, um ungestört knutschen und fummeln zu können, sind doch Gott sei Dank vorbei. Heute fragt der Sohn den Vater, ob er das BMW-Coupé und den Schlüssel für die Datscha fürs Wochenende haben kann, denn schliesslich muss mit der Freundin intensiv für die Mathe-Klausur gebüffelt werden, wenn später was aus der Banklehre oder dem BWL Studium werden soll.

  • Eurythmie darf auch nicht ins Freie
  • Die Anthroposophische Bewegungskunst „Eurythmie“ darf ebenfalls nicht einfach im Freien ausgeübt werden, sondern muss schön in geschlossenen Räumen, die am besten eckig sein sollten, praktiziert werden. Das verstärkt die Resonanz des Ätherleibs, der sich sonst gegen die Himmelssphären verdünnisieren würde. „Begrüsst das Licht der Sonne“, durften die Kinder in der Waldorfschule eurythmisch darstellen, aber Fenster und Vorhänge blieben fest verschlossen.
    Eurythmie immer drinnen
    (Foto: eurythmie-info.de)
    Die Schweizer Hochburg der Anthroposophen liegt in Dornach bei Basel. Dort baute Rudolf Steiner das Goetheanum, in dem regelmässig Eurythmie aufgeführt wird. Ihre Sauerstoffflasche sollten Sie besser mitbringen, denn die Fenster bleiben während er Aufführung verschlossen, Sie wissen ja jetzt warum. Also nicht vergessen ab und zu einen tüchtigen Zug O2 aus der Maske zu nehmen! Machen Sie danach auch einmal einen Spaziergang durch den Ort Dornach und zählen Sie die fünfeckigen Sandelkisten in den Vorgärten der Häuser!

  • Kino am Mittag ist wie Schule schwänzen
  • Für mich findet das wahre Kinoerlebnis wie eine zünftige Eurythmieaufführung nur in einem dunklen, geschlossenen und nach aussen schallgeschützten Raum statt, und zwar am liebsten im Hochsommer ab 14.00 Uhr. Wenn Sie dann um 16:00 Uhr aus dem Kino kommen, eben noch in einer anderen Welt oder auf einem anderen Planeten, dann erleben Sie einen gewaltigen Schlag und sind zurück in der Gegenwart. Das Tolle daran ist, dass sie dann noch genügend Zeit haben, sich für 20.00 Uhr einen weiteren Film auszusuchen. „Kino am Mittag, das ist wie Schuleschwänzen“, hat Woody Allen einmal in einem seiner Filme gesagt. So richtig verboten und ungehörig, und darum gerade so schön.

  • Kino in Südfrankreich
  • In den Dörfern des Luberons kommt das Kino zu den Leuten, im Winter in den „Salle de fêtes“, im Sommer auf den Dorfplatz, z. B. beim Cinéma la Strada. In auf einem solchen Dorfplatz-Kino sahen wir einst Carlos Sauros „Carmen“. Stühle musste man selbst mitbringen. Das Pétanque (= Boule) Spiel nebendran ging auch während der Filmvorführung weiter.
    Pétanque spielen auch während des Films
    (Foto: pronoubarris.com)
    Die Alten unterhielten sich angeregt über jede Szene, und die Kinder spielten Fangen zwischen den Bankreihen. Es war ein unterhaltsamer Abend, aber an den Film kann ich mich nicht mehr gross erinnern. Am Ende schliefen die Kinder auf dem Boden und wurden mitsamt der Stühle wieder heimgetragen.

    

    7 Responses to “Mögen Sie Freilichtkino? — Warum Kino in geschlossene Räume gehört”

    1. Branitar Says:

      Das Schöne am Kino (also drinnen) ist ja, dass es klimatisiert ist. Wenn einem im Sommer bei 29 Grad um 22 Uhr in einem Freiluft-Kino noch der Schweiß nette Muster auf die Kleidung malt, ist man doch so richtig dankbar, dass man sich den Film schon 2 Stunden früher in einem angenehm kühlen und vor allem dunklen Kino-Saal angeschaut hat… 😉

    2. Johanna Says:

      „Ich hasse Freiluftkinos. Am Anfang wird es ewig nicht Dunkel und gegen Ende friert man sich dermassen den Arsch ab, das ist doch nichts, was man erlebt haben müsste!“

      Freiluftkino – das muss man vorbereiten und dann geniessen, mit allen Vor- und Nachteilen.

      Zum Beispiel in Bern.
      http://www.orangecinema.ch/de/index.htm
      Da findet das Sommer-Freiluftkino auf der Schanze statt. Die Schanze befindet sich oberhalb der Hauptpost, direkt vor der Universität, mit herrlicher Aussicht über die Stadt Bern.

      Als ich das letzte Mal da war, konnte, wer ein Postkonto hatte, einen der Kinositze in einem priviligierten Bereich reservieren lassen (numeriert sind die Sitze aber normalerweise nicht). Auf jeden Fall unbedingt den Vorverkauf benutzen!

      Man trifft frühzeitig ein, d.h. etwa um 20h, reserviert sich einen guten Sitz mit diversen Mitteln (Kleider, Kleber, Bänder usw.), begibt sich dann an einen der Verpflegungsstände und vertreibt sich die Zeit, bis es dunkel wird. Zur Ausrüstung gehört eine Jacke, eine Decke (für Gfröörli, wie ich), Mückenspray, allenfalls Regenschirm (je nach Prognose „ausführlichere“ Regenausrüstung). Und gegen 21.30-22 Uhr kommt der magische Moment, wo sich die Leinwand hebt. In Bern wurde dazu immer dieselbe Musik gespielt, das Hauptthema aus „Out of Africa“ – diese Assoziation, Open air Kino und atemberaubende Luftaufnahmen von afrikanischen Landschaften, hat sich in meinem Kopf tief eingegraben.

      Einmal während eines Open-air-Kinobesuchs, fand in Bern ein Fussballspiel statt. Der Film war dramatisch, das Publikum aufmerksam und gespannt, in der Umgebung der Schanze und in der Stadt war es ruhig. Plötzlich ging unten in der Stadt das Hupen los, der Match war zu Ende. Die Stimmung im Kino geriet …. etwas durcheinander 🙂

      Ein anderes Mal, es lief eine Director’s cut Version von Blade Runner, regnete es in Strömen …. im Film (dort regnet es ja ständig) und in Wirklichkeit. In der Wirklichkeit war es ein warmer Sommerregen und der grösste Teil des Publikums liess sich nicht verscheuchen. Unter-(oder sogar Abge)brochen würde ein Film sowieso nur bei Sturm, um die Leinwand zu schützen. Andernfalls, entweder ist man entsprechend ausgerüstet (Regenschirm, Jacke usw.) oder man verzieht sich in eines der Restaurants. Kinder finden übrigens Kino unter dem Regenschirm durchaus abenteuerlich, so lange sie nicht frieren.

      Ein anderes Beispiel ist Aarau. Dort ist findet das Sommer-Freilichtkino auf der Pferderennbahn statt http://www.ama-messe.ch/OpenAirKino/default.htm. Das hat den Vorteil, dass ein Grossteil der Zuschauer auch bei Regen im Trockenen sitzt (Tribünen!). Auch dort trifft man frühzeitig ein. Isst eine Pizza, trinkt ein Glas Wein … bis es dunkel wird.

      Freiluftkino – was ganz Spezielles …..

    3. Basil Says:

      Vielen Dank für Deine ausführliche Schilderung, Johanna! Ich hab mir auch überlegt, hier eine positive Gegenüberstellung zu placieren, habe dann das Unterfangen aber mangels Geduld aufgegeben. Jedenfalls habe ich ganz ähnliche Assoziationen zu Freiluftkino.

      Ich freue mich auch schon sehr auf die Freiluftkinosaison. Das OrangeCinema kommt dieses Jahr ja auch wieder ans Zürichhorn.

    4. Marischi Says:

      Die Schweizer lieben Kultur unter freiem Himmel. Ein anderes Thema für dich wären all die Freilufttheater und Musicals, die in der Schweiz veranstaltet werden. Fast jedes Kaff hat eines, das in langer Vorbereitungszeit vom ganzen Dorf und all seinen Vereinen geprobt und zur Aufführung gebracht wird. Meistens sind sie sogar noch von hoher Qualität, Profis amtieren als Regisseure und spielen die Hauptrollen, die Amateure übernehmen die Nebenrollen und die Massenrolle „das Volk“. Von der Oper zur Operette, vom Klassiker bis zum historischen Stück, das ein Stück der Geschichte der Gegend zum Thema hat bis hin zum Musical – im Sommer wird die Schweiz zu einem riesigen Freilufttheater, trotz des wankelmütigen Wetters.

      Ich kenne kein anderes europäisches Land, in dem das Theater- und Kinofieber jeden Sommer derart grassiert!

    5. Phipu Says:

      Zum Mittel gegen Mücken: Man verwende vorwiegend „Anti-Brumm“. Ich wurde mal von einem Deutschen in Südamerika angesprochen: „Alle Schweizer haben Anti-Brumm“. Stimmt. Ich kenne auch nichts anderes.

    6. Rolf Says:

      Das Kino am Flughafen Zürich übrigens ist bislang ein Flop, glaubt man den Medien und dem ZRHwiki http://www.zrhwiki.ch/wiki/Flughafenkino – jetzt erhalten Flughafenangestellte 50% Rabatt. Wohl bekomm’s, wer die Filme nach einer krassen Sicherheitskontrolle und inmitten von Lärm und Abgasen auf der Zuschauerterrasse noch geniessen kann!

    7. Trilingual Says:

      „Ich hasse Freiluftkinos“ Hoppla! Da haben die Integrationsbemühungen offensichtlich noch nicht gegriffen. Ich kenne nämlich in meiner Umgebung keine Ausländer (deutsch oder anderwoher), die sich nicht vom Openair-Fieber haben anstecken lassen.

      Johanna hat ganz recht, wenn sie sagt : „vorbereiten und dann geniessen“. Unter kundiger Anleitung der Einheimischen hat sich noch jedeR zu Begeisterungsstürmen heranführen lassen. Zumindest im Sommer. An der Winterversion arbeiten wir noch. Das Erfolgsrezept liegt da in der Feuerzangenbowle (Auf der Leinwand und daneben), kombiniert mit strategisch plazierten Finnenkerzen, fellbezogenen Liegestühlen und messenhaft Wolldecken. Wenn es dann noch ganz leicht schneit, ist die Perfektion, ja, eben, perfekt.