Wohin fällt die Steigerung?
Wir fanden, im Tages-Anzeiger, dem nicht mehr steigerungsfähigen Blatt für jedes Treiben, vom 9.6.06 auf Seite 25 diese Anzeige:
Betreibungsamt Jona-Rapperswil
Steigerungsanzeige
Am Donnerstag, 22. Juni 2006, ab 14.00 Uhr werden im Geschäftslokal an der Herrengasse 9 in 8640 Rapperswil gegen sofortige Barzahlung und sofortige Wegnahme zwangsrechtlich öffentlich versteigert: (…)“
Warum sollten wir es erst bezahlen, wenn wir es doch dem Versteigerer doch sowieso wegnehmen, und zwar sofort. Oder nimmt der einen anderen Weg, so dass er uns entkommt? Vielleicht derweil durch eine hohle Gasse oder so?
Zum Schluss heisst es dann:
Besichtigung: am Steigerungstag von 10.00 bis 11.00 Uhr
Kann man den Steigerungstag eigentlich noch steigern? Oder ist der schon der absolute Superlativ? Der „Steiger“ ist in meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, ein ehrenwerter Beruf und hat nichts mit unliebsamen Zeitgenossen zu tun, die Ihnen auf den Kopf steigen könnten, oder wohlmöglich noch „zu Kopfe“?
Steiger, der; -s, – 1: eigtl. wohl = jmd., der häufig (zu Kontrollen o. Ä.) ins Bergwerk steigt; mhd. stīger = Kletterer, Bergsteiger, Besteiger einer Sturmleiter:
1. (Bergbau) Ingenieur (Techniker), der als Aufsichtsperson unter Tage arbeitet (Berufsbezeichnung).
(Quelle: duden.de)
Im Duden fanden wir unter „Steigerung“
Steigerung, die; -, -en [spätmhd. steigerunge]:
1. das Steigern (1): die Steigerung der Produktion, des Absatzes; dem Autor gelingt eine Steigerung der Spannung.
2. (besonders Sport) Verbesserung der Leistung.
3. (Sprachwissenschaft) das Steigern (5); Komparation.
Von „Gütern“ und „Wegnahme“ und „Posten“ können wir da nichts finden, seltsam. Nicht mal ein ganz klitzekleines „landsch. Schweiz“ oder „veralt. Schweiz“ ist diesmal dabei! Das ist schon hoch, höher am höchsten!
Dabei endet die Anzeige im Tages-Anzeiger (nomen est omen!) mit einem absoluten Knüller, es kommt zu einer echten Actionsequenz:
Im Falle der Auslösung fällt die Steigerung dahin.
Wohin denn? Nach links oder nach rechts? Oder wohlmöglich in den See? Wir erinnern uns an die Gant in Bülach, wo es auf dem ausgeteilten Handzettel hiess:
Der Versteigerer entschlägt sich jeder Verantwortung bei allfälligen Abhandenkommen oder Untergang des zugeschlagenem Steigerungsguts.
(vgl. Blogwiese)
Hier wird zugeschlagen, bis zum Untergang. Auch wenn Bülach keinen Teich hat und die Glatt gar nicht tief genug ist für so viel Steigerungsgut.
Wenn also, im Fall eine „Auslösung“ eintritt, dann fällt die Steigerung. Keine Auslöschung, sondern eine Auslösung. Die Losung, das haben wir vom Förster gelernt, die lässt der Hase oder der Rehbock gerne mal fallen, wenn ihm danach ist oder wenn es ihm im Darme drückt. Aber die „Auslösung“? Auch keine „Auslosung“ des Gewinners beim Lottospiel. Wir rätseln weiter über die Wunder unserer Muttersprache und ihre Verwendungsmöglichkeiten in der Schweiz und warten auf die Lösung / Losung / Auslösung.
Juni 21st, 2006 at 0:28
Es handelt sich hier um eine Bekanntmachung einer Versteigerung nach Artikel 125 ff. des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetes (http://www.admin.ch/ch/d/sr/2/281.1.de.pdf). Dies ist derjenige Schritt in der Zwangsverwertung, in welchem Güter eines säumigen und betriebenen Schuldners versilbert werden, damit der Erlös in der Folge den Gläubigern verteilt werden kann.
Juni 21st, 2006 at 8:03
Konkursamtliche Steigerung in Zug.
„Aus verschiedenen Konkursmassen gelangen am…, im …., die Nachfolgenden Fahrzeuge* und Nummerschilder zur öffentlichen Steigerung“…. usw
Zur Info : ein BMW 325i, ein Audi Quattro, ein Nissan Terrano 3.0, ein Opel Omega CV26 und ein Harley-Davidson Motorrad FXS 1340.
Und weiter
„Der Verkauf der Fahrzeuge und Nummerschilder erfolgt gegen Barzahlung ab Platz wie dastehend und besichtigt….. Jede Garantie und Nachwährschaft wird ausdrücklich wegbedungen…“
Juni 21st, 2006 at 8:14
Schlönd Sie zue… So heisst das eben. Beim Essen wie beim Kaufen. (Leider wird man zu Schlägereien meist weniger höflich aufgefordert…)
Juni 21st, 2006 at 10:10
Wenn Jens jeweils so (meist absichtlich) schräge Vermutungen darüber anstellt, was ein Wort oder eine Wendung wohl bedeuten könnte, wird mir immer wieder bewusst, auf welche lustige, interessante oder eben schräge Schlüsse Leute kommen können, die unsere Sprache (Detusch oder speziell das Deutsch der Schweizer) und unsere Gebräuche (noch) nicht so gut kennen. Und wenn jemand dann weder Zeit, Lust noch Gelegenheit hat, solchen Seltsamkeiten auf den Grund zu gehen, werden die „schrägen Schlüsse über die Schweizer“ dann als Tatsache im Gedächtnis gespeichert – optimistisch wie ich bin, nehme ich an, dass ein Etikett ähnlich „die spinnen die Schweizer“ aber nicht zu unserem Nachteil ist . . . . 😉
Juni 21st, 2006 at 10:25
auch schön: in österreich heißt eine zwangsvollstreckung
(heiteres kuckuck-kleben) „exekution“
Juni 21st, 2006 at 11:39
„Der Versteigerer entschlägt sich jeder Verantwortung bei allfälligen Abhandenkommen oder Untergang des zugeschlagenem Steigerungsguts.“
Ich lese die Worte, aber was wollen sie mir sagen? *g* Ernsthaft, es scheint so, dass bei amtlichen Bekanntmachungen (deutsches) Deutsch und (schweizerisches) Schriftdeutsch noch weniger gemein haben, als Platt und Schwiizertütsch (richtig geschrieben?).
Kann mir mal jemand sagen, was mit dem „Untergang“ gemeint ist?
Juni 21st, 2006 at 11:41
Diese Anzeigen sind jeweils Musterbeispiele für Amtsdeutsch und Substantivitis. Da lohnt es sich „vereidigter Betreibungsbeamter*“ zu sein, um jedes Wort einzeln zu verstehen. Durchschnittlichen Schweizern ist es immerhin noch möglich, der Spur nach zu erahnen, was gemeint ist.
* In der Schweiz ist der Ausdruck „jemanden verbeamten“ nicht üblich. Die offizielle Formel heisst: „jemanden als Beamten vereidigen“
Wir haben in diesen Foren schon oft gelernt, dass bei Schweizer Wörtern meist Buchstaben gespart werden. Deshalb heisst die Symbiose aus Ersteigern und Versteigerung vorsilbenneutral „Steigerung“. Dieses Wort ist so alt, dass man es natürlich wieder einmal in Grimms Wörterbuch suchen muss.
http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GS42427
Ich gebe zu, „die Auslösung“ im deutschen Sinn, ist mir auch nicht einfach zugänglich. http://www.google.de/search?hl=de&q=ausl%C3%B6sung&meta=cr%3DcountryDE
„Auslösung“ wieder zum Verb gemacht, ist doch schon einfacher, z.B. bei „Pfand auslösen“: http://www.google.de/search?hl=de&q=pfand+ausl%C3%B6sen&btnG=Suche&meta=cr%3DcountryDE
Und, „gheit `s Zwänzgi abe?“ (fällt der Groschen?) So einfach ist das: Kann der Konkursit seine Kreditoren unerwartet doch noch remunerieren, „wird“ die Auktion „hinfällig*.“ (Hoffentlich versteht ihr’s über Fremdwörter besser)
* „hinfällig werden“ ist nicht viel eleganter als „dahin fallen“ scheint aber sprachraumbekannt zu sein: http://www.google.ch/search?hl=de&q=hinf%C3%A4llig+werden&meta=lr%3Dlang_de
In deinem Satz „Wenn also, im Fall, eine „Auslösung“ eintritt, dann fällt die Steigerung“ fehlt eben das „ … DAHIN.“ am Satzende.
http://www.google.ch/search?hl=de&q=dahinfallen&meta=lr%3Dlang_de
„sich entschlagen“ wird nicht mehr häufig verwendet. In Grimms Wörterbuch unter Bedeutung 3) kann man den Zusammenhang von „sich befreien“ erahnen.
http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GE05498
Zum Schluss ein Trost. Die Substantivitis wird mit dem Ausdruck „zugeschlagenes Steigerungsgut“ immerhin etwas vermindert. Müsste man in Deutschland wohl ganz elegant „das Steigerungsgut, für welches der Steigerer (nicht ‚Steiger‘) den Zuschlag erhalten hat,“ sagen?
http://www.google.ch/search?hl=de&q=zuschlag+erhalten&meta=lr%3Dlang_de
http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GZ10261
Nun schlage ich vor, dass ihr beim Mittagessen zuschlägt, denn mit vollgeschlagenem Magen schlägt man sich die Stunden besser um die Ohren, bis die Feierabendglocke schlägt. (Kann „schlagen“ nicht auch ganz friedlich sein?)
Juni 21st, 2006 at 22:02
@Phipu da hast Du etwas verpasst, oder ich, je nach dem. In der Schweiz wurden nur die allerwenigsten Beamten vereidigt. Auch Soldaten nur im sogenannten Aktivdienst. Und, es gibt keine Beamten mehr, die Aufhebung wurden noch im letzten Jahrtausend beschlossen. Es gab übrigens auch nie Beamten auf Lebenszeit wie in Deutschland, sie waren immer kündbar (wenn auch nur schwer).
Juni 22nd, 2006 at 9:46
An Helveticus
Es ging mir eigentlich vor allem um die Ausdrücke.
Ich war selbst mal an einer Stelle „als Beamten vereidigt“ worden. Dies ist bald 20 Jahre her, und das Beamtenstatut wurde natürlich auch in diesem Bereich unterdessen abgeschafft. Hingegen kenne ich einen Deutschen, der etwa im Jahr 2001 „verbeamtet“ wurde.