Was hat die Schweiz mit den Niederlanden gemeinsam? (2. Teil)

Juni 20th, 2006
  • Die andere historische Erfahrung mit Deutschland
  • Anders als die Schweiz, die sich während des Zweiten Weltkriegs erfolgreich einigelte und Dank Milizarmee und hocheffektiver Grenzverteidigung nicht von den Deutschen eingenommen wurde, wurden die Niederlanden als ebenfalls neutraler Staat überrannt:

    Auch im Zweiten Weltkrieg versuchte die niederländische Regierung zunächst, sich aus dem Krieg herauszuhalten; anders lautende Warnungen wurde nicht geglaubt. Hitler jedoch befahl die Okkupation der Niederlande, um so Frankreich unter Umgehung der „Maginot Linie“ von Norden her einnehmen zu können. Nach dreitägigem Kampf zwangen die reichsdeutschen Truppen am Abend des 14. Mai 1940 die Niederlande mit dem Bombardement von Rotterdam zur Aufgabe. Die Innenstadt wurde durch Bomben und die anschliessenden Brände weitestgehend zerstört. Es war das erste Flächenbombardement im Zweiten Weltkrieg. Das Land wurde von Mai 1940 bis Mai 1945 von der Wehrmacht besetzt gehalten.
    (Quelle: Wikipedia)

    Der Deutsche Reichskommissar für die Niederlande, Reichsminister Dr. Seys-Inquart soll auf die Frage, ob er denn nun auch Niederländisch lernen würde, gesagt haben: „Ich kann doch nicht jeden deutschen Dialekt lernen„. Erinnert uns das nicht an die Aussage von manchen Deutschen in der Schweiz heutzutage? Nur das Niederländisch damals bereits eine lange verschriftete Sprache mit eigener Grammatik war, und kein Dialekt.

  • Die Niederländer waren nicht nur Opfer
  • Viele Niederländer arrangierten sich mit dem Besatzungsregime und viele Niederländer verinnerlichten auch die Ideologie eines grossdeutschen bzw. grossgermanischen Reiches, zu dem auch die niederdeutschsprachigen Niederländer gehören sollten. Die Judenverfolgung schlug in den Niederlanden besonders heftig zu: aus keinem anderen europäischen Land wurden so viele Menschen jüdischen Glaubens in die Vernichtungslager abtransportiert.
    (Quelle: Wikipedia)

  • Was unterscheidet die Niederländer von den Schweizer?
  • Als Seefahrer und Handelsnation waren sie stets am regen Austausch mit allen Nachbarn interessiert. Als Export-Nation gehen sie nicht den Weg der Abschottung ihres Binnenmarktes und erheben keine Schutzzölle:

    Die moderne und hoch technologisierte Landwirtschaft ist ausserordentlich produktiv: neben Getreide-, Gemüse-, Früchte- und Schnittblumenanbau – die Tulpenzüchtung beeinflusste sogar die Geschichte des Landes – gibt es noch Milchviehhaltung in grossem Massstab. Letztere liefert die Grundlage für Käse als wichtiges Exportprodukt. Die niederländische Landwirtschaft beschäftigt knapp unter 4 % der Arbeitnehmer, trägt jedoch erheblich zum Export bei. Die Niederlande sind nach den USA und Frankreich der weltweit drittgrösste Exporteur landwirtschaftlicher Erzeugnisse.
    (Quelle: Wikipedia)

    Nun, da wir in der Schweiz leben, wissen wir natürlich auch, dass bei dieser Erfolgstory gewaltige Abstriche bei der Qualität gemacht werden. „Swiss made„ ist da doch ein ganz anderes Gütesiegel! Auch wenn dafür die Schweizer Tomaten und Gurken viel mehr kosten als die aus den Niederlanden und sich in der Folge nicht exportieren lassen. Kaufen wir einfach weiter original Emmentaler Käse aus Holland oder Schweizer Gouda, müssen wir nur noch die Löcher selbst hineinbohren.

    Heutzutage wurden die Herstellungsmethoden der Niederländer längst in alle Gemüseregionen Europas übertragen. Die Spanier haben dabei den Vorteil, dass bei ihnen die Sonne länger scheint als im Norden und sind munter dabei, den Holländern in Sachen Gemüseproduktion den Rang abzulaufen.

  • Holländischer Ballermann in Tirol
  • Niederländer, Schweizer, Deutsche, wer ist wem am ähnlichsten? Wir meinen, dass in vielen Dingen die Niederländer den Deutschen um einiges näher stehen. So durften wir im letzten Sommer in Tirol auf einem Campingplatz, der zu 97 % in niederländischer Hand war, erleben, wie bei einem abendlichen Grillfest mit Rumtata-Musik die massiv auftretenden holländischen Gäste die Sau rausliessen und bis drei Uhr in der früh den ganzen Platz mit Gegröhle beglückten.

    Eigentlich ein Wunder, wie man von Heineken-Bier so besoffen werden kann. Wir sind jedenfalls beruhigt, dass nicht nur Engländer oder Deutsche allein sich im Ausland manchmal tüchtig daneben benehmen können. Würde den Schweizern nie passieren, oder? Wie denn, mit Feldschlösschen?

    Zum Schluss ein bisschen Nostalgie für die Älteren unter uns, die sich vielleicht erinnern, wie Deutsche und Holländer den untenstehenden Song gemeinsam singen konnten, jeder in seiner Sprache. Zugleich ein wenig „Niederländisch für Anfanger“; es muss ja nicht immer Mani Matters Berndeutsch sein auf der Blogwiese.

    In den 80ern hatte die holländische Gruppe „bots“ einen Riesenhit mit Songs wie „Aufstehn-Opstan“ oder den auch in der Schweiz bekannten Song:

    Wat zullen we drinken, zeven dagen lang
    Wat zullen we drinken, wat een dorst [2x]
    Er is genoeg voor iedereen
    Dus drinken we samen,
    Sla het vat maar aan
    Ja, drinken we samen, niet alleen [2x]

    Dan zullen we feesten zeven dagen lang
    Dan zullen we feesten met elkaar [2x]
    Dan is er bier voor iedereen
    Dus drinken we samen, 7 dagen lang
    Dus drinken we samen, niet alleen [2x]

    Dan is er bier voor iedereen
    Dus drinken we samen, zeven dagen lang
    Dus drinken we samen, niet alleen[2x]

    Er is genoeg voor iedereen
    Dus drinken we samen
    Sla het vat maar aan,
    Ja, drinken we samen, niet alleen [2x]
    [Zeven dagen lang!]
    (Quelle: )

    Was hat die Schweiz mit den Niederlanden gemeinsam? Die Liebe zu den Deutschen!

    Juni 19th, 2006
  • Sagen Sie besser niemals „Holland“
  • Die auf der Blogwiese viel diskutierten Antipathien der Schweizer gegen „die Deutschen“ im Allgemeinen, aber nie gegen bestimmte Deutsche im Besonderen, sind in Europa nicht einzigartig. Die meisten Parallelen gibt es mit Holland, Entschuldigung, muss natürlich heissen „mit den Niederlanden“. Und da geht das schon los mit den Problemen. Die Deutschen können sich nicht einmal richtig an den Namen dieses Königreichs gewöhnen. „Holland“ ist nur der Name der alten „Grafschaft Holland“ und heute in eine Provinz Nord- und Südholland zweigeteilt.

    Holland mit den Niederlanden gleichzusetzen wäre ähnlich korrekt, als wenn man den Kanton Zürich mit der Schweiz gleichsetzen würde, oder die Deutschschweiz mit der ganzen Eidgenossenschaft. Sträfliche Verallgemeinerungen, die in der Schweiz Gott sei Dank völlig undenkbar und gaaanz weit hergeholt scheinen.

  • Holland ist auch ein kleiner putziger Nachbar
  • Der kleine Nachbar, von den Deutschen freundlich und ein wenig „putzig“ gesehen, hat beliebte Küstenorte mit feinen Sandstränden, ein fantastisches Radwegenetz und feinen Feinschnitt in den Coffeeshops von Amsterdam. Diese „Coffeeshops“ sind weit im Umkreis bekannt für ihren exzellenten Kaffee.
    Coffeeshop in Amsterdam
    (Foto: Wikipedia)

    Für den reisen deutsche Freaks jedes Wochenende wieder an. Vom Ruhrgebiet aus dauert das mit dem Zug weniger als drei Stunden. Sie treffen dort auf ein sehr internationales Publikum aus vielen Ländern des Orients. Es gibt Afghanen, Libanesen, Türken und häufig auch Marrokaner. Manche treffen dort auch Mädchen, die alle Mary oder Jane oder beides zugleich heissen. Die Holländer fahren gern robuste Alltagsfahrräder, die sie „Fietsen“ nennen, und wenn sie einen Motor (die Fietsen, nicht die Holländer) haben und brummen, dann werden sie „Bromfietsen“ genannt.

  • Keine Gardinen und billiges Bauen
  • Die Niederländer haben keine Gardinen in ihren Fenstern, weil sie nichts verbergen wollen vor den Nachbarn, während die Schweizer jeden Abend zur gleichen Zeit die Rollladen herunterlassen. Die Häuser sind billiger als Vergleichbares in Deutschland, weil sie mit weniger Bauvorschriften und nicht für die Ewigkeit gebaut werden, so wie es im Heimatland der DIN-Normen vorgeschrieben ist.

  • Niederländisch für Deutsche am Goethe-Institut
  • Die Niederlanden sind super dicht besiedelt mir 480 Einwohner pro Quadratkilometer, ähnlich wie die Schweizer Agglomerationen (Bevölkerungsdichte Schweiz). Nur wenig Deutsche sprechen Niederländisch, weil jeder dort Deutsch versteht aber nicht immer auch gerne spricht. Auch dies eine interessante Parallele zur Schweiz. Dabei ist Niederländisch für Deutsche leicht lernbar, und es gibt eine stetig wachsende Zahl von Medizinstudenten, die auf der Flucht vor dem Deutschen Numerus Clausus einen Studienplatz an einer der alten Universitäten des Landes ergattern. Das Goethe-Institut in Amsterdam bietet daher, äusserst ungewöhnlich für diesen Verein, nicht nur Deutsch als Fremdsprache, sondern auch „Niederländisch für Deutschsprachige“ an. Ob die ETH das auch anbieten sollte?

  • Was halten die Holländer von den Deutschen?
  • Die Gefühle für Deutschland sind ähnlich gespalten wie bei den Schweizern. Einerseits ist Deutschland der grosse Handelspartner und wichtigstes Exportland, anderseits wird auch in den Niederländen am Abend Tatort auf Deutsch (mit Untertiteln) geschaut. Der Schimpfname für die Deutschen ist „Moffen“, wofür sich die Deutschen mit „Keeskopp“ revanchieren.

    Ähnlich wie bei den Schweizern haben die meisten Deutschen keine Ahnung davon, wie die Niederländer über sie denken. Bewohner der niederländischen Provinz Limburg, deren Dialekt so klingt, wie wenn ein Deutscher Niederländisch spricht, klagen darüber, dass sie in der Hauptstadt unter Ressentiments zu leiden haben, wenn sie anfangen zu sprechen. Sie gewöhnen sich daher lieber schnell die dort übliche Aussprache an. Hier sehen wir eine interessante Parallele zur Beliebtheit der Basler Mundart in der restlichen Schweiz.

  • Die „Oranjes“ gegen die Deutsche Nationalelf
  • Nur beim Fussball, da kommt es zur offenen Auseinandersetzung. Die Deutsch-Holländische Fussballfeindschaft ist legendär. Seit der Niederlage gegen Deutschland im Finale der WM 1974 ist das Verhältnis gespalten. Tatsächlich respektiert man den Nachbar und freut sich zugleich, wenn er verliert. 2002 konnte sich die Nationalmannschaft der Niederlande nicht für die WM qualifizieren und lieferte damit monatelang Stoff für Hohn und Spott von Stefan Raab und Harald Schmidt im Deutschen Privatfernsehen. Irgendwann war aber auch hier der letzte Witz erzählt. Er lautete Übrigens: Fährt ein Holländer zur Weltmeisterschaft…

  • Haben die Niederländer einen Minderwertigkeitskomplex?
  • Anders als bei den Schweizern, denen man ständig einen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Deutschland nachsagt, bzw. den sie sich offensichtlich selbst ständig einzureden versuchen, betrachten die Niederländer als alte Handelsnation und Kolonialmacht sehr souverän ihr Königreich in der Nachbarschaft von Deutschland.

    Sprachliche Minderwertigkeitskomplexe? Dafür besteht kein Grund, denn man ist stolz auf die alte Sprache der Hanse:

    Das Niederländische beruht auf der Niederdeutschen Schriftsprache des 17. Jahrhunderts, die allmählich aus Mundartausdrücken der Provinzen Brabant und Holland angereichert wurde. Eine Ältere Version war die Überregionale Sprache der Hanse, die insbesondere in Antwerpen, Brügge und kurz darauf auch in Holland Verbreitung als Handels- und Gelehrtensprache fand. Lehnwörter kommen aus dem Französischen und in neuerer Zeit überwiegend aus dem Englischen. Was den Wortschatz betrifft, so bewahrt das Niederländische mehr als das moderne (Hoch-) Deutsche den altdeutschen Wortbestand.
    (Quelle: Wikipedia)

    Was den Schweizern ihr „Chochichästli“ ist, mit dem sie jeden Zugezogenen auf seine Dialekttauglichkeit testen können, ist für die Niederländer der Name des Seebades „Scheveningen“, das sich ganz anders ausspricht, als Sie jetzt vermuten. Gewisse Ähnlichkeiten bei den Krachlauten lassen vermuten, dass Schweizer leicht Niederländisch lernen könnten, und umgekehrt.

  • Das Geheimnis um das Chochichästli
  • Für unsere unbedarften Leser aus Deutschland sollten wir noch kurz erklären, was es mit dem mysteriösen „Chochichästli“ (auch „Chuchihästli“) für eine Bewandtnis hat: Die Schweizer essen gern am Nachmittag zum Kaffee um vier Uhr ein Stück Kuchen. Diese Angewohnheit wird hier „z’Vieri“ genannt. Dazu haben Sie in jedem Büro oder Wohngemeinschaft eine spezielle Kasse, in die jeder einzahlen kann, der auch Kuchen haben will. Die nennen dies Kasse „Chochichästli“. Hätten Sie es gewusst?

    (2. Teil morgen: Die andere geschichtliche Erfahrung der Niederländer und Schweizer mit den Deutschen)

    Wie sagen denn Sie zum Brotanschnitt? — Wenn es nur noch Varianten gibt

    Juni 18th, 2006
  • Realität durch Sprache abbilden
  • Geschriebene und gesprochene Sprache sind zwei unterschiedliche Dinge. Die aussersprachliche Wirklichkeit ist zu gross und ungenau, um bis in die letzte Kleinigkeit erfasst und exakt durch die Sprache abgebildet werden zu können. Bei manchen Begriffen ist es einfach. Ein „Tisch“ ist ziemlich genau definiert, solange wir uns in der gleichen Sprache bewegen. Gehen wir über Sprachgrenzen hinaus, wird es schon schwieriger. Warum ist „Die Sonne“ im Deutschen weiblich, „le soleil“ hingegen männlich, „der Mond“ auf Deutsch ein Mann und auf Französisch mit „la lune“ eine Frau? Immerhin haben sich für „Sonne“ im Deutschen nicht 20 Varianten erhalten, nur ein paar Dialektvarianten.

  • Was ist ein Brotanschnitt?
  • Anders ist es beim „Brotanschnitt„. Schon dies allein ist ein Kunstwort, dass sich nur mühsam mit „Das Endstück oder Anfangsstück eines Brotlaibs“ umschreiben lässt. Es gibt für dieses Ding, was doch überall Teil unseres Alltags ist, im deutschsprachigen Raum keine allgemeingültige Bezeichnung. Wir fanden im Duden den

    Knust, der; -[e]s, -e u. Knüste
    [mniederd. knust = Knorren, zu einer umfangreichen Gruppe germ. Wörter, die mit kn- anlauten u. von einer Bed. „zusammendrücken, ballen, pressen, klemmen“ ausgehen; vgl. (landsch.):
    Anfangs- bzw. Endstück eines Brotlaibs: ich mag am liebsten den Knust
    (Quelle: Duden.de)

    aber der Zusatz „landschaftlich“ verweist darauf: Das Wort wird garantiert nur von einem Teil der Deutschsprecher verstanden! Eine andere Variante dafür ist die „Kappe“, aber das ist noch lange nicht alles.

    Ist das ein Knust für Sie?
    Ist das ein Knust?

    Das Variantenwörterbuch nennt diese Bezeichnungen für den deutschen Sprachraum:

    Den Scherz (A-D-südost)
    Das Scherzel (A)
    Den Kanten (D-nord/mittel)
    Den Kipf (D-südost)
    Das Knäpppchen (D-mittelwest)
    Den Knäusel (D-südwest)
    Den Knust (D-nord)
    Das Krüstchen (D-mittelwest)
    Den Ranft (D-ost)
    Das Riebele (D-südwest)

    und das sind jetzt nur die dort gelisteten Bezeichnungen. Allesamt aus den verschiedenen Regionen Deutschlands und Österreichs. Sollten die Schweizer hierfür etwa keine eigene Bezeichnung haben, oder warum werden sie im Variantenwörterbuch nicht erwähnt?

  • Die Schweizer Brotkultur
  • Uns war schon lange aufgefallen, dass die Schweizer Brotkultur mehr der Französisch/Welschen Tradition ähnelt, lieber kleinere (max 500 Gr.) und hell gebackene Brote zu backen als 1 Kg schwere Vollkorn-Kastenbrote oder Schwarzbrote.

    Oder ist das ein Knäusschen?
    Oder ist das ein Knäuschen?

    Aber angeschnitten werden muss das Brot doch trotzdem. Also machen wir uns auf die Suche und finden eine umfangreiche Liste mit vielen Schweizer Zitaten hier:
    Wir zitieren (nicht vollständig!) mal ein paar Schweizer

    bei Yves Suter aus Wollerau (CH) heisst es Aaschnitt
    bei Markus aus Uster heisst es Ahau
    bei Andi aus Zürich heisst es Ahäuel
    bei Franziska aus Aarau heisst es Ahäuli
    bei Nicole aus St. Gallen (CH) heisst es Bödel
    bei Andreas aus Leissigen (CH) heisst es Chäppi
    bei S.Vogt-Tanner aus dem Gürbetal, CH heisst es Gröibschi
    bei Martin aus Olten (Schweiz) heisst es Gupf

    Wir haben beim Buchstaben G aufgehört, es geht noch seitenlang so weiter.

  • Harry, reich mir mal den Knust rüber
  • Warum gibt es für dieses Wort so viele Varianten? Warum keinen allgemeingültigen Begriff in der Standardsprache? Vielleicht, weil es immer nur lokal und im Familienkreis gebraucht wird, weil es in keinem Roman vor kommt, in keinem Derrick-Krimi („Harry, reich mir mal den Knust rüber?!„), weil es keine Notwendigkeit zwischen Norddeutschen, Süddeutschen oder Schweizern gab, über dieses Ding Korrespondenz zu führen:
    Bestellen wir gemäss Angebot zum nächsten Monatsende drei Paletten mit Knust / Knäusschen / Kappen / Gup / Gröibischi
    Würde dieser Satz je geschrieben? Sicher nicht. Wenn wir noch ein bisschen abwarten (Schweizer dürfen derweil „zuwarten“), gibt es sicher irgendwann eine EU-Norm die festlegt, wie dieses Ding denn zu heissen hat. Aber die Schweiz ist ja nicht in der EU. Nun, dann wird das Idiotikon (vgl. Blogwiese) in der Schweiz wohl doch ein Band länger als geplant…

    Und glauben Sie bloss nicht, dass dieses „Ende vom Brotlaib“ ein absoluter Sonderfall in der Sprache darstellt. Wir könnten den ganzen Artikel auch zum Thema „Rest eines gegessenen Apfels“ schreiben. Der heisst „Apfelbutzen“ oder „Apfelkitsche“ oder oder oder.

    Was die Schweizer gerne tun — Jemandem die Kappe waschen

    Juni 17th, 2006
  • Was tut der Schweizer am Samstag?
  • Am Samstag hat die Blogwiese grundsätzlich die niedrigsten Zugriffszahlen. Am Samstag ist generell in der Schweiz verkehrsmässig am wenigsten los. Ausflugszeit ist sonntags, nicht am Samstag, denn da wird der Einkauf erledigt, bzw. nachgeschaut, welche lieben Nachbarn tatsächlich wieder zu Aldi „ins Deutsche“ gefahren sind, die man dort rein zufällig auf dem Parkplatz treffen kann. Oder es wird gewaschen am Samstag. Nicht in der gemeinsamen Waschküche, denn die ist vielerorts am Wochenende nicht für die Nutzung vorgesehen (wegen der Lärmbelästigung beim Schleudergang, nehmen wir an). Nein, es wird das Auto gewaschen, die Kühlerhaube, die Reifen (in der Schweiz nur als „Pneu“ = Pnöööh bekannt), die Radkappen, und wenn wir gerade schon dabei sind, waschen wir auch gleich noch die „Kappen“ von anderen Leuten mit:

  • Jemanden die Kappe waschen
  • Wir kannten bisher nur die Formulierung „etwas auf die eigene Kappe nehmen“ bis wir in der Schweiz lernten, dass das hier nicht so einfach geht. Denn die Kappe könnte ja schmutzig sein, und wer will sich schon den Vorwurf gefallen lassen, eine schmutzige Kappe zu haben. Also wird sie gewaschen. Noch besser, der Schweizer lässt sie waschen, durch eine andere Person. „Jemanden die Kappe waschen“ gehört offensichtlich zu den speziellen Schweizer Lieblingstätigkeiten, die in den meisten Fällen allerdings nur unter Zwang ausgeführt wird.
    Jemanden die Kappe waschen

    Beispiel Aargauer Zeitung:

    Nein, nicht nur die SVP bzw. einzelne UNO-Beitrittsbefürworter der Partei mussten und müssen sich von den Abstimmungsverlierern (und gleichzeitigen Parteidominatoren) die Kappe waschen lassen.
    (Quelle: Aargauerzeitung.ch)

    Oder der Tages-Anzeiger:

    «Von Herrn Blocher lasse ich mir nicht derart die Kappe waschen», sagte Elmar Ledergerber selbstbewusst. Und ging zum Gegenangriff über:
    (Quelle: Tagesanzeiger.ch)

    Manchmal wird dieser Dienst auch von Politikerinnen verlangt, so von der SP-Fraktionschefin Hildegard Fässler:

    Hildegard Fässler wird hoffentlich noch recht lange den Aussen-Rechten, Profiteuren, Abzockern und Macho-Typen die Kappe waschen. Sie haben es dringend nötig.
    (Quelle: ignoranz.ch)

    Die Kappe als Kopfbedeckung ist im ganzen deutschsprachigen Europa bekannt, nicht hingegen die Redewendung:

    *jemandem die Kappe waschen
    CH (Grenzfall des Standards) jemanden scharf zurechtweisen; jemanden den Kopf waschen: Ruth Dreifuss… wusch dem Freiburger ganz gehörig die Kappe (NZZ 5.3.1999,13)
    (Quelle. Variantenwörterbuch, S. 387)

    Es geht noch drastischer in der Formulierung:

    *sich [nicht] auf die Kappe scheissen lassen
    sich nicht als minderwertig behandeln lassen: Je älter ich werde, desto weniger lasse ich mir auf die Kappe scheissen. Amen (Tages-Anzeiger 12.9.1998,31)
    (Quelle: Variantenwörterbuch, S. 387)

    Da es sich hier ganz offensichtlich um ein Verb handelt, dass in der „Schriftsprache“ der Zeitungen weniger oft geschrieben wird, finden sich Belege dafür eher Leserbriefen oder Blog-Kommentatoren:

    na dann soll mir der herr rocket doch mal seine genialen vorschläge unterbreiten, wie er mit solchen chaoten umspringen will. wohl wie bisher? sich jedesmal auf die kappe scheissen zu lassen?
    (Quelle: blick.ch)

    Auch in Deutschland liebt man drastische Formulierung mit „Kappe“, so zum Beispiel die „Kappe kaputt“ haben:

    hast du was geraucht oder dich sonst irgendwie bedröhnt oder hast du nun tatsächlich die Kappe kaputt?

    (Quelle: stern.de)

    (2. Teil Morgen: Die Kappe ist auch ein Knust, Knäuschen oder Kanten)

    Die Helden sind Polen und der Torschütze ein Tessiner — Das Deutschland-Polen Spiel in der Schweizer Berichterstattung

    Juni 16th, 2006
  • Nur ein Arbeitssieg
  • Nach dem atemberaubenden Spiel Deutschland-Polen am 14.06.06 war es für uns besonders interessant, die Nachbesprechung des Spiels im Schweizer Fernsehen zu verfolgen: „Ein verdienter Arbeitssieg“ hiess es dort, denn wenn Deutsche spielen, dann kann das nicht gut und elegant sein, dann ist das immer Arbeit. Kann ja nicht angehen, dass da wirklich mal gut gespielt wurde und die Mannschaft auch nach dem verhauenen Lattenschuss kurz vor Schluss noch den Mut und die Energie bewies, einen weiteren Angriff zu wagen.

  • Weltmeisterschaft ist, wenn am Ende immer die Deutschen siegen
  • Es sei ein „langweiliger Spielstil“, nicht zu vergleichen mit der „tänzerischen Leichtigkeit“ der Brasilianer. Nun war das beim letzten Mal eher der Rumbatanz einer „old fat lady“.

    Bemerkenswert fanden wir auch die Berichterstattung von 20minuten, der führenden Schweizer Pendlerzeitung mit 1.2 Mill. Lesern. Frontzeile auf der Titelseite? Nein, nur die Meldung „Joker Neuville erlöste Deutschland“. Also alles nur ein Joker, eine Glückskarte, die den Sieg garantierte, wenn er durch Fleiss, Anstrengung oder gutes Spiel nicht erreicht werden konnte?

    Auf dem Titelblatt des Fussballteils von 20minuten ging es erst mal um „Spaniens Show — Busaccas rote Karte“. Für wen spielte denn Busaccas? Ach was, das ist doch der Schiedsrichter (20minuten schreibt echt nicht „Referee“), der das Spiel gepfiffen hatte! So etwas nennt man „Lokalbezug“, hat immer erste Priorität in der Sportberichterstattung. Wäre der Linienrichter aus dem Wallis gewesen, es hätte sicher morgen eine Homestory über ihn gegeben. Dann auf Seite 23 geht es los zum Polen-Deutschland Spiel:

    Im Vergleich zum Ecuador-Spiel (0:2) waren die Polen nicht wieder zu erkennen. Pawels Janas’ Team suchte von Beginn an kompromisslos die Zweikämpfe, spielte nach der Balleroberung schnell in die Spitzen und kam zu einigen Chancen
    (20minuten vom 15.06.06 S. 23)

    Es geht hier um die Polen, die polnische Mannschaft, die gegen Ecuador zwei Tore geschossen hat. Sie wird analysiert, sie wird gelobt, sie hatte Chancen. Gab es da eigentlich noch einen Gegner?

    Dass es zur Pause immer noch 0:0 stand, war hauptsächlich das „Verdienst“ der beiden deutschpolnischen Stürmer Miroslav Klose und Lukas Podolski, die beste Chancen ausliessen (…)

    Wir stellen fest: Die einzigen guten Spieler auf dem Platz sind also Polen, die zufällig heute nicht für Polen spielen. Egal wie das Spiel ausgeht, Polen hat die meiste Arbeit geleistet.

  • Ein Tessiner trifft für Klinsi
  • Noch besser fanden wir dann am Nachmittag die Darstellung der Kollegen von HEUTE:
    Tessiner trifft für Klinsi

    Tessiner trifft für Klinsi
    Neuville spielte 17 Jahre lang in der Schweiz — gestern rettete er Deutschland
    Neuville wurde am 1. Mai 1973 als Sohn eines Deutschen und einer Italienerin in Locarno geboren. Im Tessin, beim FC Gambarogno, begann er auch mit dem Fussballspielen. Als 17-Jähriger zog er das Interesse des FC Locarno auf sich und wechselte im Januar 1991 in die damalige Nationalliga B. (…)
    (Quelle: heute vom 15.06.06, S. 14)

  • Wem die Deutschen ihre Erfolge verdanken
  • Wir halten daher fürs Protokoll fest, wem die deutsche Nationalelf ihre Erfolge verdankt:
    1.) Dem Glück (siehe Jokerkarte) und dem eisernen Schicksalsgesetz, wenn am Ende immer die Deutschen gewinnen.
    2.) Den polnischen Spielern, ob halb (Klose, Podolski) oder ganz, weil die extra für die Deutschen nur noch mit 10 Spielen auf dem Feld standen.
    3.) Der Schweiz und ihrer beispielhaften Immigrationspolitik, die solche Tessiner Wunder wie Oliver Neuville hervorbrachte und trainierte.

  • Autokorso muss sein
  • Bei soviel Unterstützung durch die befreundeten Nachbarländer in diesem Turnier kann ja für die Deutsche Elf gar nichts mehr schief gehen. Hat eigentlich nach dem Deutschland-Polen Spiel irgendjemand in einem Schweizer Ort soetwas wie einen klitzkleinen Autokorso mit Schwarz-Rot-Goldenen Flaggen gesehen? Wir sahen und hörten jedenfalls am Dienstag, nach dem 0:0 der Schweiz gegen Frankreich, Schweizer Autos hupend durch Zürich brausen. Mein Gott, wenn es schon bei 0:0 einen Autokorso gibt, wie soll das dann noch gesteigert werden, wenn die Schweizer demnächst vielleicht wirklich mal ein Tor schiessen? Bis dahin darf ruhig der Tessiner Neuville weiter Tore schiessen, ist ja quasi auch ein Schweizer.