Wie sagen denn Sie zum Brotanschnitt? — Wenn es nur noch Varianten gibt
Geschriebene und gesprochene Sprache sind zwei unterschiedliche Dinge. Die aussersprachliche Wirklichkeit ist zu gross und ungenau, um bis in die letzte Kleinigkeit erfasst und exakt durch die Sprache abgebildet werden zu können. Bei manchen Begriffen ist es einfach. Ein „Tisch“ ist ziemlich genau definiert, solange wir uns in der gleichen Sprache bewegen. Gehen wir über Sprachgrenzen hinaus, wird es schon schwieriger. Warum ist „Die Sonne“ im Deutschen weiblich, „le soleil“ hingegen männlich, „der Mond“ auf Deutsch ein Mann und auf Französisch mit „la lune“ eine Frau? Immerhin haben sich für „Sonne“ im Deutschen nicht 20 Varianten erhalten, nur ein paar Dialektvarianten.
Anders ist es beim „Brotanschnitt„. Schon dies allein ist ein Kunstwort, dass sich nur mühsam mit „Das Endstück oder Anfangsstück eines Brotlaibs“ umschreiben lässt. Es gibt für dieses Ding, was doch überall Teil unseres Alltags ist, im deutschsprachigen Raum keine allgemeingültige Bezeichnung. Wir fanden im Duden den
Knust, der; -[e]s, -e u. Knüste
[mniederd. knust = Knorren, zu einer umfangreichen Gruppe germ. Wörter, die mit kn- anlauten u. von einer Bed. „zusammendrücken, ballen, pressen, klemmen“ ausgehen; vgl. (landsch.):
Anfangs- bzw. Endstück eines Brotlaibs: ich mag am liebsten den Knust
(Quelle: Duden.de)
aber der Zusatz „landschaftlich“ verweist darauf: Das Wort wird garantiert nur von einem Teil der Deutschsprecher verstanden! Eine andere Variante dafür ist die „Kappe“, aber das ist noch lange nicht alles.
Ist das ein Knust?
Das Variantenwörterbuch nennt diese Bezeichnungen für den deutschen Sprachraum:
Den Scherz (A-D-südost)
Das Scherzel (A)
Den Kanten (D-nord/mittel)
Den Kipf (D-südost)
Das Knäpppchen (D-mittelwest)
Den Knäusel (D-südwest)
Den Knust (D-nord)
Das Krüstchen (D-mittelwest)
Den Ranft (D-ost)
Das Riebele (D-südwest)
und das sind jetzt nur die dort gelisteten Bezeichnungen. Allesamt aus den verschiedenen Regionen Deutschlands und Österreichs. Sollten die Schweizer hierfür etwa keine eigene Bezeichnung haben, oder warum werden sie im Variantenwörterbuch nicht erwähnt?
Uns war schon lange aufgefallen, dass die Schweizer Brotkultur mehr der Französisch/Welschen Tradition ähnelt, lieber kleinere (max 500 Gr.) und hell gebackene Brote zu backen als 1 Kg schwere Vollkorn-Kastenbrote oder Schwarzbrote.
Oder ist das ein Knäuschen?
Aber angeschnitten werden muss das Brot doch trotzdem. Also machen wir uns auf die Suche und finden eine umfangreiche Liste mit vielen Schweizer Zitaten hier:
Wir zitieren (nicht vollständig!) mal ein paar Schweizer
bei Yves Suter aus Wollerau (CH) heisst es Aaschnitt
bei Markus aus Uster heisst es Ahau
bei Andi aus Zürich heisst es Ahäuel
bei Franziska aus Aarau heisst es Ahäuli
bei Nicole aus St. Gallen (CH) heisst es Bödel
bei Andreas aus Leissigen (CH) heisst es Chäppi
bei S.Vogt-Tanner aus dem Gürbetal, CH heisst es Gröibschi
bei Martin aus Olten (Schweiz) heisst es Gupf
Wir haben beim Buchstaben G aufgehört, es geht noch seitenlang so weiter.
Warum gibt es für dieses Wort so viele Varianten? Warum keinen allgemeingültigen Begriff in der Standardsprache? Vielleicht, weil es immer nur lokal und im Familienkreis gebraucht wird, weil es in keinem Roman vor kommt, in keinem Derrick-Krimi („Harry, reich mir mal den Knust rüber?!„), weil es keine Notwendigkeit zwischen Norddeutschen, Süddeutschen oder Schweizern gab, über dieses Ding Korrespondenz zu führen:
„Bestellen wir gemäss Angebot zum nächsten Monatsende drei Paletten mit Knust / Knäusschen / Kappen / Gup / Gröibischi“
Würde dieser Satz je geschrieben? Sicher nicht. Wenn wir noch ein bisschen abwarten (Schweizer dürfen derweil „zuwarten“), gibt es sicher irgendwann eine EU-Norm die festlegt, wie dieses Ding denn zu heissen hat. Aber die Schweiz ist ja nicht in der EU. Nun, dann wird das Idiotikon (vgl. Blogwiese) in der Schweiz wohl doch ein Band länger als geplant…
Und glauben Sie bloss nicht, dass dieses „Ende vom Brotlaib“ ein absoluter Sonderfall in der Sprache darstellt. Wir könnten den ganzen Artikel auch zum Thema „Rest eines gegessenen Apfels“ schreiben. Der heisst „Apfelbutzen“ oder „Apfelkitsche“ oder oder oder.
Juni 18th, 2006 at 1:42
Also bei uns in der Region Bern heisst der Brotanschnitt „Mürgu“.
Das von S.Vogt-Tanner aus dem Gürbetal erwähnt „Gröibschi“ ist in Bern normalerweise der Apfelkern. Vielleicht ist dir hier Jens möglicherweise ein Fehler unterlaufen.
Gruss Daniel
Juni 18th, 2006 at 3:53
Dann gäbe es noch die Variante „das Fudi“ (der Po). Uns wurde aber als wir noch Kinder waren immer beigebracht, dass es unhöflich sei den „Aschnitt“ als „Fudi“ zu bezeichnen. 😉
Juni 18th, 2006 at 8:43
@Daniel
Danke für den Hinweis. Den Fehler hatte ich von der Quell-Seite übernommen, wo in zwei Listen die Wörter für Brotanschnitt und Apfelkitsche (so heisst das Teil in meinem Heimatidiom) gesammelt wurden. Da hat sich der Gröibischi zu den Brotanschnitten verlaufen. Ist schon korrigiert. Wie gesagt, ich habe bei G aufgehört, die zitierte und angegebene Quelle listet noch zahlreiche weitere Wörter für diese Sache
Gruss, Jens
Juni 18th, 2006 at 8:49
Im Solothurnischen heisst der Apfelkern ‚Gigetschi‘ und der Brotanschnitt auch wie in Bern ‚Mürgu‘.
Schönen Sonntag.
Juni 18th, 2006 at 10:28
Im Welschen sagte man früher „le crotchon“ für den Brotanschnitt, vielleicht ist es immer noch so.
Juni 18th, 2006 at 11:50
Daß es in CH in der Regel nur kleine Brote (bis 500g) gibt hängt vor allem damit zusammen, daß es in CH fast kein Sauerteigbrot, sondern nur Hefebrote gibt. Diese Hefebrote aber werden schneller schlecht und sind nach zwei Tagen kaum noch genießbar, weswegen man gezwungen ist, öfter kleinere Brote zu kaufen.
Juni 18th, 2006 at 11:51
…und zudem ist ‚Mürggu‘ im Bernerischen auch noch eine Bezeichnung für eine mürrische,nicht gerade gesprächige (meist männliche) Person,nur was das mit Brot zu tun hat weiss ich auch nicht 🙂 🙂
grüessli
Juni 18th, 2006 at 12:19
Ich kenne den Anschnitt auch noch als „Scherbe“
Juni 18th, 2006 at 12:33
Also ich sag dem Anschnitt „Muuger“. Laut Urner Mundartwörterbuch ein: 1. rundlicher, kurzer, dicker Gegenstand. 2. runder Brotlaib. 3. Brotanschnitt, grosses Stück Brot. 4. rundliche Person. 5. semmelartiges Brötchen.
Also auch die Kollegin/der Kollege kann bei uns ein Muuger sein.
Juni 18th, 2006 at 14:21
Ich mag es gar nicht sagen, aber hier in Hamburg nennt man den Apfelrest tatsächlich „Apfelknust“. Und das Endstück vom Brot heißt natürlich auch „Knust“. Und ein Tanzladen mit Engtanzfeten. Heißt auch „Knust“.
Juni 18th, 2006 at 17:03
hallo jens, vielen dank, da kann ich mich nur revanchieren. durch deinen blog versteh ich meine schwester – die in thun lebt – gleich viel besser 😉
Juni 18th, 2006 at 18:24
In Nordostdeutschland sind der Brotkanten und der Apfelgriebsch (oder auch Appelgriebsch) geläufig.
Juni 18th, 2006 at 21:00
Bei uns im Seeland sagen wir „Mürgu“
Juni 19th, 2006 at 0:07
Ich sag dem Apfelgehäuse „Oepfelbütschgi“, und dem Knuus „Aschnitt“. So einfach. Und wetten das, das aus dem Kontext heraus immer jeder Deutschschweizer weiss was gemeint ist?
Juni 19th, 2006 at 16:26
Wir nannten es immer „s’Füdli vom Brot.“
Das Apfel-Kerngehäuse war das „Gürpsi“
Juni 20th, 2006 at 19:36
Das ist bei uns im Englischen einfacher. Dialekte gibt es ja so gut wie keine. So heisst dann das Ding, das ich auf Deutsch „Knust“ nenne, ueberall in den USA ‚crust‘ (was man auch mit Brotkruste uebersetzen koennte). Das Kerngehaeuse, fuer das ich im Deutschen keinen anderen Namen kannte, heisst hier ‚core‘ (ein Wort, das man auch mit ‚dem Innersten‘, „Wirbelsaeule“ oder ‚Herzstueck‘ uebersetzen kann.)
Juni 20th, 2006 at 21:42
Ich freue mich ueber diese Artikel – sehr gut.
Juni 26th, 2006 at 0:50
Ich sag dem Brotanschnitt ‚Zipfel‘ – und der ist in unserer Familie äusserst beliebt *ggg*
Juni 28th, 2006 at 11:51
Ich bin zwar auch aus Uster un es heisst bei mir Ahau, in meiner Jugendzeit wurde aber vom Ribbel geredet.
Juli 8th, 2006 at 19:41
Der Brotanschnitt ist für mich ein „Chröpfli“ und der Rest eines Apfels ein „Öpfelgüegi“. (Güegi sahte man früher auch von einem dummen jungen Mädchen).
August 31st, 2006 at 9:40
Dank dieses Artikel habe ich nun auch kapiert, dass das „Knäuschen“ in
„Knusper, Knusper, Knäuschen, wer knabbert an meinem Häuschen“
eine real existierende Bedeutung hat.
Vielen Dank 🙂
Oktober 9th, 2006 at 20:49
Ich sage dem Brotanschnitt Knaus. Ob das allerdings eher Schweizerisch oder Deutsch ist weiss ich nicht (hab ja von beiden Ländern vorfahren).
Den Rest des Apfels nenne ich ‚Bötschgi‘, das ist garantiert von Schweizer Natur…
Dezember 14th, 2006 at 17:13
Hallo zusammen,
hab gerade diesen schönen Blog-Eintrag gefunden, der ja auch auf meine Sprachforschung verlinkt hat. Und da hie so viele auch ihre Bezsichnung eingetragen haben, wollte ich Euch doch einfach mal bitten, das auch in der Sammlung auf http://www.beididi.de/sprachforschung.php zu machen.
Viele Grüße
:)idi
März 9th, 2007 at 23:32
das heißt natürlich Kanten und griebsch .. logisch :o)
aber cool, mal so’ne liste zu lesen!
VG, Daniel
März 19th, 2007 at 17:59
Bei uns heisst der „Anschnitt“ „Bödel“. Grüsse aus dem Kt SZ
März 19th, 2007 at 23:23
Immer wieder lustig sowas 🙂 Bei uns heisst das Ding vom Brot „Chäppeli“ und das vom Apfel „Grübschi“
März 20th, 2007 at 13:55
da hab ich gerade einen Link mit vielen Beezeichnungen gefunden:
http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/0,1518,434183,00.html
VG, Daniel
[Anmerkung Admin: Der Artikel auf der Blogwiese zum Thema Knust-Knäuschen-Brotanschnitt war vom 18.07.2006
Siehe hier: http://www.blogwiese.ch/archives/310
Der oben zitierte Zwiebelfisch Artikel folgte am 13.09.06. Ist doch nett, das manche Thema so aus der Blogosphäre in die echte Spiegel-Welt gespielt werden…. ]
März 20th, 2007 at 18:01
Oh … da hab ich nicht so genau drauf geachtet! Ich fand aber die Liste als Ergänzung recht interessant! da muß es auch irgendwo noch ein Sammelsurium für die Apfelgriepsche 🙂 geben!
VG, Daniel
Februar 9th, 2011 at 0:21
Den Spiegel Artikel hab ich auch gelesen, bei uns in Hamburg hab ich neben knust auch schon öfter Brotmund gehört…