Was macht denn Ihr Arzt am Donnerstagnachmittag?

Juni 15th, 2006
  • Happy-Kadaver in Deutschland
  • Heute ist Donnerstag. Fühlen Sie sich gesund? Überlegen Sie, ob Sie nicht lieber zum Arzt gehen sollten? In Süddeutschland ist heute ein Feiertag, „Fronleichnahm„, den wir als Kinder immer „Happy-Kadaver“ nannten, obwohl das „Fron“ nicht von „frohen“ sondern von der „Fron-Arbeit“ kommt, der Arbeit für den „Fron“, dem Landesherren. Deutsche wären dämlich, am Feiertag krank zu feiern. Das lieber am Freitag danach, um einen hübschen Brückentag zu sparen. Falls Sie aber in der Schweiz, vielleicht sogar in Bülach wohnen, dann beeilen sie sich jetzt mit der Entscheidung, ob Sie heute einen Arzt benötigen oder nicht, denn ab Mittag ist es zu spät.

  • Kein Arzt am Donnerstagnachmittag
  • Wenn man eine Weile mit Kind in der Schweiz lebt, kann es vorkommen, dass man auch mal an einem Donnerstagnachmittag einen Arzt konsultieren muss. Gar nicht so einfach, denn am Donnerstag, der in Deutschland als vielerorts als besonderer „Dienstleistungstag“ beworben wird, weil dann die Behörden, Geschäfte, Arztpraxen und Museen extra lange geöffnet haben, an besagten Donnerstagnachmittagen haben Arztpraxen in Bülach nämlich geschlossen. Vielleicht als Ausgleich zum ausgebuchten Mittwochnachmittag, an dem die Schulkinder frei haben und von Ihren Müttern dem Kinderarzt vorgestellt werden können? Oder gibt es am Mittwoch, weil die Kinder am Nachmittag schulfrei haben, mehr Unfälle als sonst? Wir wissen es nicht, haben aber den leisen Verdacht, dass alle Ärzte an diesem Donnerstag „ins Deutsche“ fahren um dort Behördenbesuche zu machen oder ins Museum zu gehen. Es soll eine coole Ausstellung geben bei „Feinkost Albrecht„.

    Bülach im Zürcher Unterland
    (Foto von Urs Hauenstein)

  • Schwiizerdütsch am Telefon
  • Jedenfalls versuchten wir mehrfach, telefonisch die Nummer des Notfalldienstes oder den Namen des diensthabenden Arztes herauszufinden. Schwierig für Nicht-Schweizer, wenn dann die Ansage auf Schwiizerdütsch vorgelesen wird. Selbstverständlich wird auch eine Nummer genannt, oder es heisst „Bitte telefoniered Sii eus ab em Friitig Morge wider. Für Notfäll lüüted Sii bitte em Dokter XY aa“. Und nun raten Sie mal, wie diese Nummer verlesen wird! Richtig, in einer Dreiergruppe gefolgt von zwei Zweiergruppen. Wenn Sie das beim ersten Mal auch begriffen haben und korrekt notieren konnten, dann müssen Sie diese Nummer nur noch wählen. Mitunter beginnt jetzt ein munteres „Wir haben leider heute geschlossen, bitte rufen Sie dort an... “Im-Kreis-herum-schicken“ Spiel, hierzulande unter der Bezeichnung „Telefonkette“ sehr beliebt.

  • In der Arztpraxis „Swissgerman only“
  • Was machen dann eigentlich Ausländer in Bülach, die kein Schwiizerdütsch verstehen, wenn sie rausfinden möchten, welcher Arzt gerade Dienst hat? Besser nicht krank werden am Donnerstag! Die Lautsprecherdurchsagen in den Zügen der SBB und sogar in den blauen Linienbusse der Zürcher Verkehrsbetriebe in der Agglomeration werden in der Regel auf Deutsch UND auf Englisch vorgelesen. Was dazu führt, das jeder Schweizer perfekt mit britischem Akzent „railway station“ aufsagen kann. Bis auf die Tonbänder der Anrufbeantworter (die in der Schweiz verkürzt „Beantworter“ heissen) in den Arztpraxen hat sich diese internationale Ansageform allerdings noch nicht durchgesetzt. Hier gilt es, sein Schweizerdeutsches Hörverständnis für zwei- und dreistellige Zahlengruppen rechtzeitig trainiert zu haben! Das sollte unserer Meinung nach in der Migros-Clubschule im Kurs „Schweizerdeutsch für Nicht-Schweizer“ intensiv geübt werden, denn das könnte in der Schweiz mal ein Leben retten.

    Als die Schweizer kein Telefonbuch mehr hatten

    Juni 14th, 2006
  • Telefon nur mit Bleiberecht
  • Falls Sie neu in die Schweiz gezogen sind, dann wollen Sie sicher bald einen Telefonanschluss haben. Früher konnten Sie da nur zu einem Anbieter gehen, der Swisscom. Sie mussten dann versuchen, den Angestellten dort glaubhaft zu versichern, dass Sie hier wirklich dauerhaft wohnen und leben werden und deswegen unbedingt auch telefonieren möchten. Ein unterzeichneter Mietvertrag oder ein Reisepass mit Einreisevermerk für die Schweiz reichten da bei weitem nicht aus. Sie mussten auch beweisen, dass Sie schuldenfrei sind, in dem Sie eine „Betreibungsauskunft“ vorlegten. Falls Sie zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon wussten, was das ist und wo Sie die herbekommen.

    Es sollte schon eine B-Bewilligung sein, die Sie dem Swisscom Mitarbeiter vorlegen. Und eine Kaution mussten Sie auch noch hinterlegen, zumindestens für Ihr erstes Jahr in der Schweiz. Es hätte ja sein können, Sie täuschen Ihren Aufenthalt nur vor, um mal kurz billig Ferngespräche mit einer Sex-Hotline in Timbukutu zu führen und machen sich dann wieder vom Acker. Nee nee, nicht mit der Swisscom. Die hatte dann ihre 500 Fr. Kaution und war fein aus dem Schneider. So war das vor ein paar Jahren jedenfalls üblich.

  • Geschäfte mit dem Kabelanbieter gehen auch ohne Bewilligung
  • Heute gibt es in vielen Gemeinde Konkurrenz für die Swisscom. Konkurrenz (Insider Slang hierfür: „Mitbewerber“), die nicht so genau fragt, was Ihr legaler Status in der Schweiz ist, Hauptsache Sie können selbständig ein geliehenes Modem anschliessen und verhökern das nicht gleich bei Ebay oder auf einem polnischen Flohmarkt. Bei der Firma Cablecom kriegt jeder Internet und/oder Telefon, das hier „digital phone“ heisst, egal ob Sie eine Aufenthaltsbewilligung haben oder nicht, ganz ohne Kaution und auf Rechnung obendrein.

  • Wo finde ich Ihre Nummer?
  • Dann irgendwann erhalten Sie diese hübschen weissen Taschenbücher von der etwas dickeren Sorte. Vielleicht benötigen Sie die ja auch gar nicht. Sie lesen diesen Blog gerade online, also könnten Sie auch genauso gut eine Telefonnummern online nachschlagen. Die „Datenquelle“ ist/sind in beiden Fällen die „Directories“:

    Eigentlich heisst die Firma „Swisscom Directories AG“ und hat ihren Sitz in Bern. Am Namen ist leicht zu erkennen, dass es sich hier um eine Tochter der Swisscom, dem Schweizer Telefonanbieter und Ex-Monopolisten handelt. Eine Tochter? Oder mehrere Töchter? Denn „Directories“ ist Mehrzahl, und zwar genau genommen die Mehrzahl von „Directory“, und das hat weiss Gott nichts mit der Französischen Revolutionsregierung von 1795-1799 zu tun, die hiess „le directoire“ und wird nur auf Englisch als „French Directory“ bezeichnet. Ein „Directory“ ist ein Verzeichnis:

    Ein Verzeichnis (oder Register) ist eine übersichtliche, meist nach bestimmten Strukturen gegliederte, listenmäßige Anordnung von Informationen. Beispiele sind das Inhaltsverzeichnis, das Handelsregister, der Kataster, das Schiffsregister, die Telefonverzeichnisse und andere Arten von alphabetischen Verzeichnissen und Listen.
    (Quelle: Wiki)

    Früher hatten die Schweizer „Telefonbücher“, so wie die Deutschen auch. In Frankreich werden die Dinger übrigens nicht „livre de téléfon“ sondern „annuaire“ genannt, was eigentlich „Jahrbuch“ bedeutet, weil die Dinger nämlich jährlich herauskommen, oder „bottin“ , was der Name eines Telefonbuchverlags ist.

    Directories ist seit 1999 einer der führenden Verzeichnishersteller in der Schweiz. Die Adressdatenbank beinhaltet mehr als 6 Mio. Privat- und Geschäftseinträge der Schweiz inkl. Liechtenstein (Angaben aller Fernmeldedienstanbieter). Die Directories Datenbank ist vollständig und aktuell. (…) Je nach Kundenbedürfnis stehen unterschiedliche Verzeichnisse zur Verfügung: das Telefonbuch, die telinfo und Directories CD, online als Directories ETV und im Internet als Die Gelben Seiten und Die Weissen Seiten.
    (Quelle: directories.ch)

    Den hübschen englischen Namen hat man sich 1999 im Zuge der Liberalisierung des Telefonmarktes ausgedacht:

    Die Jointventurefirma Swisscom Directories AG (51% Swisscom AG und 49% PubliGroupe SA) wird gegründet. Der Verkauf und die Akquisition der Werbung sind in der Partnerfirma LTV Gelbe Seiten AG etabliert, die in der PubliGroupe verankert ist.
    (Quelle: directories.ch)

    Directories in Genf
    Das Schweizer Telefonbuch hat einen englischen Pluralnamen, auch in Genf

  • Weg mit dem Telefonbuch, her mit der Directories!
  • Bis 2003 hiess das wichtigste Produkt immer noch „Telefonbuch“ bzw. „annuaire téléphonique“ oder „elenco telefonico“. Sie merken jetzt schon, wieviel Tinte das verbraucht hat, immer alle drei Namen zu schreiben. Dann wurde versucht, auf diese Bezeichnungen zu verzichten und die weissen Nachschlagewerke nur noch als Brand „Directories“ zu vermarkten. Sie wissen doch hoffentlich, was ein „Brand“ ist? Die älteren unter uns denken jetzt an „uns Willy“, die Feuerwehrleute holen den Feuerlöscher von der Wand, und Menschen wie wie Du und ich haben schon wieder Durst, einen richtigen Brand… Gemeint ist hier mit „Brand“ eine Produktmarke bzw. der Markenname. „Dirctories“ war ein Brand für die Schweizer Telefonbücher. Dies konnte nur bis 2005 durchgehalten werden, der Widerstand und das Unverständnis der Kunden war zu gross.

    Immerhin benutzen 70% aller Kunden nach wie vor die Papierausgabe der „Weissen Seiten“, welche einmal jährlich aktualisiert wird. Dabei ist die Online Fassung frischer, denn es fallen täglich 10.000 Mutationen an, von denen wir schon lange wissen, dass sie nichts mit Genveränderungen und Schwimmhäuten zwischen den Zehen zu tun haben (vgl. Blogwiese)

  • Die Röstigraben-Bände
  • Die 25 Schweizer Telefonbuch werden jeweils den Sprachregionen angepasst herausgegeben, zeitlich versetzt über das Jahr verteilt:
    Verteilung der Directories Bänder über das Jahr
    (Quelle: directories.ch)

    Für die Gemeinde links und rechts vom oder direkt auf dem Röschtigraben gibt es spezielle zweisprachige Ausgaben, so z. B. für Biel/Bienne und Fribourg/Freiburg. In Graubünden hingegen ist das Telefonbuch auf Deutsch. Keine Extra-Ausgabe für die Räto-Romanie und ihre vielen Varianten. Nur die Werbung darf dort auch mal auf Rumantsch gedruckt erscheinen. Die Probleme mit einer vermischten Sprachzone im Grengebiet hat man zwischen Deutschschweiz und dem Tessin nicht. Der Gotthard ist hoch genug, da gibt es keine „zweisprachige“ Zone, und wenn doch, dann ist sie während der Hälfte des Jahres sowieso unter einer dicken Schneedecke begraben.

    Ent-rüstet das Gemüse! Ran an die Kartoffelmesser!

    Juni 13th, 2006
  • Ist der Sackhegel schon eine Rüstung?
  • Die Schweizer „entrüsten“ sich nicht leicht. Sie sind eher ruhig und besonnen. Eine Rüstung haben sie nicht, die sie ablegen müssten. Höchstens das „Sackmesser“, auch als der „Sackhegel“ bekannt, wobei wir noch nicht herausfinden konnten, was das typische Kind aus Zürich, das „Zürihegel“ hier im Sack verloren haben könnte. Wahrscheinlich wieder eine komplett andere Etymologie, aber auf jeden Fall sackstark, wie wir finden.

  • Rüsten in der Küche
  • Wir haben es schon immer gewusst, die Schweiz ist ein durch und durch militarisierter Staat. Jedes Haus hat einen Atomschutzkeller, jeder Kleiderschrank enthält ein Sturmgewehr (dessen Geschosse, auch auf 2 Km noch einen Kofferraumdeckel durchschlagen) und in jeder Küche finden sich „Rüstungen“, nämlich die so genannten den „Rüstmesser“, mit denen fleissig gerüstet wird. Übrig bleiben bei diesen Aktionen die „Rüstabfälle“. So lasen wir im Tages-Anzeiger vom 29.05.06 über die Zukunft der Schweizer Bauern als Energieproduzenten:

    Eine Möglichkeit, die auch nahe liegt, ist die Verwertung von so genannter Biomasse – von Gülle bis zu Rüstabfällen – zu Biogas oder gar zu Strom

    Rüstabfälle

    Wir sind verunsichert und schlagen das gleich nach. „Rüstabfälle“ kennt unser Duden nicht, auch keine „Rüstmesser“, wohl aber:

    Rüstzeug, das:
    a) [Ausrüstungs]gegenstände u. Werkzeuge für einen bestimmten Zweck:
    b) für eine bestimmte Tätigkeit nötiges Wissen u. Können:
    (Quelle: Duden.de)

    Hier wird nichts von Gemüsemessern oder Biogaslieferanten erwähnt.

    Das richtige Rüstzeug kann man sich bei der Evangelischen Kirche in Deutschland abholen in einer „Rüstzeit“ . So werden dort die Wochenendseminare mit theologischem Anspruch genannt werden. Sie merken schon, „rüsten“ bedeutet wirklich ziemlich viel. Fragen wir doch den Duden, ob er es genauer erklären kann:

    rüsten sw. V.; hat mhd. rüsten, rusten, ahd. (h)rusten, zu: hrust = Rüstung, urspr. = herrichten, ausstatten, schmücken,: 1. sich bewaffnen; die militärische Stärke durch [vermehrte] Produktion von Waffen [u. Vergrößerung der Armee] erhöhen: die Staaten rüsten. [zum Krieg, für einen neuen Krieg]; sie gaben Milliarden aus, um gegeneinander zu rüsten.; schlecht, gut, bis an die Zähne gerüstet sein.

    Das war die uns bekannte Bedeutung aus dem Standarddeutschen. Nun zur Schweiz

    2. a) r . + sich (geh.) sich für etw. bereitmachen:
    sich zur Reise, für einen Besuch rüsten; sich zum Kirchgang rüsten. (schweiz.; sich festlich kleiden); Übertragung: rüstet sich die Sonne schon zum Aufgang (Bamm, Weltlaterne 56); auch ohne „sich“: zum Aufbruch rüsten; wir sind nicht dafür gerüstet; Es geht darum, das Unternehmen für die künftige Konkurrenz am freien Markt zu rüsten. (NZZ 23. 12. 83, 10);

  • Zur Hochzeit nur mit Rüstung
  • Als Quelle wird die NZZ aus der Schweiz zitiert, haben Sie es bemerkt? Das dürfen wir nicht vergessen, falls wir mal in der Schweiz auf eine Hochzeit eingeladen werden, uns zuvor angemessen zu rüsten.

    Am meisten schätzen wir allerdings die letzte Bedeutung, die uns der Duden bietet:

    c) (schweiz. veraltet) (von Gemüse, Salat u. Ä.) putzen, zum Verzehr vorbereiten: Spinat rüsten; Erdbeeren rüsten und halbieren (Basler Zeitung 12. 5. 84, 57).

    Und wieder steht da dieses hässliche „veraltet“ neben dem Attribut „schweiz.“. Vielleicht meint der Duden in diesem Fall: Gemüse und Salate putzt sowieso niemand mehr von Hand, die gibt es doch vorgewaschen und zerschnitten fertig bei der Migros zu kaufen. Damit kann sich das Wort „rüsten“ aus dem Sprachgebrauch verabschieden, es wird nicht mehr benötigt. 440 Belegstellen bei Google-Schweiz sprechen da eine ganz andere Sprache. Also ran an die Sackmesser und her mit den „Herdäpfeln“, wir wollen uns ohne Entrüstung ans Rüsten machen! Bratzkartoffeln (im Ruhrpott auch mit „tz“) brauchen viele fleissige Helferhände. Oder wollen wir uns mal an Röstis wagen? Vielleicht sind das ja nur mutierte „Rüstis“?

  • Schneller Rüsten per Seminar
  • Wem das Rüsten übrigens nicht schnell genug geht. In Deutschland können Sie lernen, wie man schneller rüsten kann. Es gibt das tatsächlich Intensivseminare und Workshops zu: schneller-ruesten.de

    Lange Rüstprozesse reduzieren die Produktivität, verschwenden wertvolle Kapazitäten, verlängern die Durchlaufzeiten und machen die Produktion von kleinen Losgrößen unmöglich. Die Unternehmen, die systematisch und erfolgreich Rüstzeiten reduzieren, verschaffen sich einen erheblichen Wettbewerbsvorteil.
    (Quelle: schneller-ruesten.de)

    Und das ist garantiert keine kirchliche Veranstaltung aber dennoch sehr friedlich, keine Angst.

    Über die Probleme eines Deutschen mit der Deutschlandflagge

    Juni 12th, 2006
  • Die Schweizerflagge ist trendy
  • Die Schweizer haben ein absolut ungestörtes Verhältnis zu ihrer Schweizerflagge. Sie hängt während der WM und sonst 4 Wochen vor bis 4 Wochen nach dem Nationalfeiertag am 1. August von vielen Balkonen, ist im Fenster zu sehen, in Schaufenstern, wird als T-Shirt getragen oder als Handy-Warmhaltesocke. Die Schweiz-Marketing-Welle hat alles erfasst, was rot-weiss bedruckbar ist. Sogar ein „Schweizer Metronom“ fanden wir in Bülach im Schaufenster ausgestellt:
    Metronom im Schweizertakt
    Schweizerzeit per Metronom, Schweizermusik per Minischweizerharmonica

  • Die Deutschlandflagge war lange nicht trendy
  • In Deutschland aufgewachsen hatte ich über viele Jahre ein äusserst gespaltenes Verhältnis zur Schwarz-Rot-Goldenen Flagge. Sie verkörperte für mich einen Nationalismus, mit dem ich mich nicht identifizieren konnte. In den späten Siebzigern wurde es Mode, Bundeswehrparka zu tragen, und damit „friedensbewegt“ zu demonstrieren, dass Militaria auch friedlich genutzt werden können. Der Hit war ein im US-Army-Shop gekaufter originaler Stahlhelm (ein Wehrmachtshelm war unfindbar und sowieso undenkbar) mit einer hübschen Pflanze darin. Mit oder ohne fünffingrigen Blättern, Hauptsache der Helm wurde zum Blumentopf. Die Deutschlandflagge hingegen, die am Ärmel des Bundeswehrparkas angenäht war, wurde sorgsam entfernt. Undenkbar, mit so einem „Nationalsymbol“ herumzulaufen.

  • Wie erkannten sich die Deutschen im Ausland?
  • Erkennungszeichen der Deutschen am Strand von Italien oder auf den Champs-Elysees zu dieser Zeit waren die weissen Tennissocken in den Holzkloggs, die erst später zu Jesuslatschen bzw. ergonomischen aber potthässlichen Birkenstocksandalen mutierten. Deutsche im Ausland wollten lieber nicht so leicht erkannt werden. Anders als die Kanadier, die stolz ihre Ahornblattflagge am Rucksack bei der Interrailfahrt durch Europa trugen, hielten sich Deutsche Globetrotter mit offenem Nationalsymbolen lieber zurück. Doch auch das hat sich geändert. Dieses Haus entdeckten wir in der Altstadt von Bülach.
    Deutschlandflaggen mitten in Bülach
    An der Position der Deutschlandflaggen erkennen wir: Hier wohnt ein Ostdeutscher und ein Westdeutscher.

  • Ganz Deutschland beim Autokorso
  • Der Bewusstseinswandel kam erst mit der Wende 1989 und mehr noch mit dem kurz darauf erlebten Freudentaumel der gewonnenen Weltmeisterschaft 1990 in Italien.
    Autokorso nach dem ersten Gruppenspiel der Deutschen
    (Foto Nachrichten RTL 10.06.06: Autokorso in Berlin bereits nach dem 1. Gruppenspiel der Deutschen gegen Costa Rica!)

    Es war die Freude nach dem Mauerfall, die erste gesamtdeutsche sportliche Glanzleistung, die Freude der Ostdeutschen, zum ersten Mal begeistert für „Deutschland“ brüllen zu dürfen, was ihnen 40 Jahre lang verboten wurde. In der DDR war Deutschland nur ein kleines Adjektiv vor der „demokratischen Republik“. Zögerlich fingen dann auch die Westdeutschen an, stolz für ihr Land einzustehen und voller Enthusiasmus die Aufbauarbeit Ost zu beginnen.

  • Stolz auf Deutschland und Aufbau auf Pump
  • Es war Goldgräberzeit. Alles schien möglich, und es fehlte dermassen an Bargeld für den Aufbau, dass zeitweise 14.5 % Zinsen auf festverzinste Staatsanleihen gezahlt wurden! Habenszinsen, die der Staat seinen Bürgern auf Pump finanzierte. Übrig davon blieben später über 1.400 Milliarden Euro Staatsschulden:

    Laut Angaben des Bundes der Steuerzahler beträgt der aktuelle Schuldenstand des Staates 1418 Mrd. Euro (Januar 2005), das entspricht 65,9% des Bruttoinlandsproduktes (zum Vergleich: 1960 waren es noch 18,5%) und ca. 17.200 € pro Kopf.
    (Quelle: Wikipedia)

    Die unglaublichen Einnahmen von 49 Milliarden bei der Versteigerung der UMTS Lizenzen im August 2000 konnten diesen Schuldenberg gerade mal um 2.8% vermindern helfen.

    Jetzt ist die WM in Deutschland. Viele Tausende Gäste aus der ganzen Welt haben ihre Flaggen mitgebracht und zeigen Sie auch. Und ganz langsam fangen auch wir Deutsche an, uns an die Normalität unserer Flagge zu gewöhnen:

    Auch der Nachbar hat geflaggt. Allerdings nach hinten raus, zum Park. Eine klare patriotische Positionierung, aber nicht so aufdringlich. Die guten alten Fahnenhalter aus DDR- bzw. Führers Zeiten sind meist der gründlichen Sanierung zum Opfer gefallen. So muss man sich behelfen. Ein Anflug von Problempatriotismus.

    Da ist man anderswo nicht so zimperlich. Vom Ballermann 6 auf Mallorca bis zum Camp Warehouse in Kabul leuchten die Farben Deutschlands, und weit über eine Million Menschen haben das 4:2 beim „Public Viewing“ (formerly known as „Deutsches Eck„) frenetisch gefeiert.
    Deutsches Eck

    Ein erster Autokorso hupte sich anschließend über den Kurfürstendamm. Hier und da wurden Raketen abgefeuert oder ein OléOléOlé in den traumhaften Juninachthimmel gesandt.

    Selbstverständlich übrigens, dass wir Kaiserwetter haben. Die Welt zu Gast bei Frierenden – das war gestern.
    Selbst im einst autonomen Kreuzberg strahlt es schwarz-rot-gold – von Campingstühlen und Handtaschen, Mützen und Gesichtshälften. Einige Junge hüllen sich gleich ganz ins nationale Tuch. Was die Autos betrifft: Hier geht der Trend klar zur Zweitfahne mit der praktischen Haltevorrichtung von Aldi.
    (Quelle: Spiegel Online vom 10.06.06)

  • Wann braucht man denn eine Deutschlandflagge?
  • Die Deutschlandflagge, das war für uns immer nur das Ding, was auf Halbmast hing, wenn ein nationales Unglück passiert oder ein Bundespräsident gestorben war. Ausserdem war sie wichtiges Accessoire für den „Fahneneid“ der Bundeswehr, bei dem junge Soldaten feierlich vereidigt wurden, für den Frieden in der Bundesrepublik zu kämpfen, während 300 Meter weiter das Trillerpfeifenkonzert der militanten Pazifisten von friedlichen Bereitschaftspolizisten per Schild und Schlagstock in Schach gehalten wurde.

    Nun also auf zu Aldi, oder zu Migros, und schnell noch so ein Teil kaufen, bevor Deutschland im Achtelfinale Viertelfinale Halbfinale rausgeflogen ist und wir das Ding für die nächsten 4 Jahre wieder einmotten müssen!

    P.S.: Offensichtlich sind nicht alle im WM Fieber:
    WM Freie Zone von 9-24 Uhr

    Wie diktiert man korrekt eine Telefonnummer in der Schweiz?

    Juni 11th, 2006
  • Niemals „Acht-Sechs-Zwo“ sagen
  • Wir wohnen in Bülach, der Nightlife Metropole des Zürcher Unterlandes. Zentrum für angewandte Matrazenhorch-Forschung. Bülach ist ein grosser Ort. Es gibt hier viele Telefonanschlüsse. Fast alle fangen mit den Zahlen Acht-Sechs-Zwei an. Wenn Sie allerdings hier wohnen und jemand fragt Sie nach ihrer Telefonnummer, dürfen Sie auf keinen Fall den Fehler machen, diese Nummern einfach so nach einander aufzuzählen.

    Achthundertzweiundsechzig“ ist die korrekte Aussprache für einen Anschluss in Bülach, und bitte danach unbedingt in Zweiergruppen weiter, zum Beispiel „Vierundfünfzig“, „Zweiundachtzig“.

  • Verwechseln Sie nicht die Dreier- mit der Zweiergruppe!
  • Wir wissen nicht, wann und wie die Schweizer das lernen oder eingetrichtert bekommen, aber Telefonnummern dürfen niemals einfach als Einzelziffern heruntergerasselt werden, nein, sie gehören ordentlich gruppiert in Dreier- und Zweiergruppen vorgelesen. Wir wurden sogar schon am Telefon unwirsch zurechtgewiesen, weil wir uns anfangs nicht an dieses „Gesetz der Gruppierung“ halten wollten. Offenbar hatte unser Gesprächspartner erhebliche Mühe, eine Reihe von Nummern zu notieren, wenn diese nicht gruppiert genannt werden.

  • Die Vorwahl immer Ein- und Zweistellig
  • Werfen Sie einen Blick in Ihr örtliches Telefonbuch, falls Sie in der Schweiz wohnen. Sie wissen schon, das dicke Ding mit dem Englischen Titel „Directories“ drauf, und Sie werden feststellen: Schweizer Vorwahlen sind immer dreistellig und beginnen mit einer Null. Dennoch dürfen Sie in Bülach nicht „Null-Vier-Vier“ sagen, sondern müssen mit „Null-Vierundvierzig“ anfangen, um dann mit der erwähnten „Achthundertzweiundsechzig“ fortzufahren.

  • Überall stets zehnstellig
  • Alle Schweizer Telefonnummern sind zehnstellig, egal ob sie in einer grossen Stadt wohnen oder in einem Bergdorf mit 20 Anschlüssen. In Deutschland hingegen werden Sie noch heute in bestimmten ländlichen Regionen Telefonanschlüsse finden, bei denen die Ortsvorwahl doppelt so lang ist wie der eigentliche Anschluss. Das war nicht immer so in der Schweiz. Hier eine alte Aussenwerbung, noch ohne obligatorischer Vorwahl oder Zwangsgruppierung:
    Telefonnummer ohne Gruppierung

  • Versuchen Sie doch mal was Neues 2-3-2
  • Sie können bei den Schweizern die grösste Verwirrung auslösen, wenn Sie plötzlich auf die Idee kommen, die Dreiergruppen-Zweiergruppen-Regel zu durchbrechen, und einfach stur „Acht-Sechs-Zwo-Fünf-Vier-Acht-Zwo“ vorzulesen, oder noch besser, einfach mal mit einer Zweigruppen anfangen: „Sechsundachzig – Zweihundertvierundfünfzig – Zweiundachtzig“. Da kommt Freude auf! Sie werden merken, wie Ihr Schweizer Gegenüber unter Garantie drei Anläufe braucht, um Ihre Äusserung im Kopf wieder sorgsam in die gewohnte Dreier- und Zweigruppen zurück zu verwandeln, bevor er sie zu Papier bringt.

  • Wieso können die das alle so gut?
  • Ob das die Schweizer in der RS, der Rekrutenschule lernen? Ob es Teil der geheimen Freund-Feind Erkennungsstrategie für den militärischen Verteidgungsfall ist? Lies mir diese Nummer vor, und ich sag Dir, ob Du ein Eidgenosse bist! Es wird auf jeden Fall im Rahmen der Kaufmännischen Ausbildung geschult, wie man Telefonnummern korrekt gruppiert. Aber müssen denn alle Schweizer ins KV oder in die RS?