Wo es Aufsteller gibt, gibt es auch Ablöscher — Neues aus der Schweizer Alltagssprache
August 29th, 2010(reload vom 7.3.07)
Vor langer Zeit fragte ich auf der Blogwiese „Soll ich sie aufstellen?“ Ich war damals weder als Fussballtrainer damit beschäftigt, eine Mannschaft von guten Kickern „aufzustellen“, noch musste ich auf dem Bürgersteig (so heisst das trottelige Trottoir im Alltagstrott in Deutschland. Sie wissen schon, die steigen auf alles, die Bürger) „Aufsteller“ wie diesen
platzieren. Ach ja, und an den Verkauf von Viagra denkt auch niemand in der Schweiz, wenn er nach einem guten „Aufsteller“ fragt, denn „Aufsteller“ sind „aufgestellte Leute“, und von denen wimmelt es nur so in Schweizer Kontaktanzeigen und Internetforen.
Jetzt endlich, nach so langer Zeit, haben wir erfahren, wie in der Schweiz das Gegenteil eines echten „Aufstellers“ genannt wird. Es ist ein „Ablöscher“. Nein, kein Koch, der beim Kochen den Braten mit kalter Flüssigkeit ablöscht. So findet sich das Wort auch im Duden:
ablöschen:
3. a) (einen Brand) löschen: das Feuer konnte erst am Morgen abgelöscht werden;
b) (Kochkunst) einer Sache kalte Flüssigkeit zusetzen: das angebratene Fleisch mit einem Glas trockenem Weißwein ablöschen.
(Quelle: duden.de)
Es gibt auch noch die Verwendung „die Tafel ablöschen“, wenn sie mit mit einem Schwamm oder Tuch saubergewischt wird, bzw. „die Tinte mit einem Löschblatt ablöschen“. Doch welches Kind weiss heutzutage noch, was Tinte und Löschblätter sind, wenn in der Schweiz die Löschtaste mit „Delete“ beschriftet ist und an Zerstörung denken lässt. So hübsche IBM-Deutsch Übersetzungen wie „Rücklöschtaste“ (= Backspace) oder „Wagenrücklauftaste“ (=Enter) haben sich die Schweizer auf ihren PC-Tastaturen aus Rücksicht auf die Romandie gar nicht erst geleistet. Auch eine „Einf“ = Einfügetaste heisst hier wie in England „Ins“ wie „Insane“.
Zurück zum Ablöscher. Lassen sich da Belege für finden?
Bei Wikipedia gibt es sogar eine Abteilung „Seelenstrip“, welche nach dem „grössten Ablöscher der letzen Zeit fragt“.
(Quelle: de.wikipedia.org)
Nein, um Bratenrezepte oder den letzten Einsatzbericht der Freiwilligen Feuerwehr geht es hier ganz bestimmt nicht. Die haben echt praktische Wörter in der Schweiz, denn wie könnte man sonst zu einem Menschen oder Erlebnis sagen, das einen so richtig stimmungsmässig in den Keller bringt? Ein „Fertigmacher“? Ein „Abtörner“? Ein „Frank Baumann“? So langsam fühlen wir uns wie in einem Fortbildungseminar für creative Barmixer, die vom „Absacker“ genug haben.
Wir fanden das Wort sogar in einem sprachkritischen WatchBlog:
Zu hoffen bleibt, dass das “trendige” neue Lokal trotz seiner Marketingkampagne einen anständigen Espresso anbietet. Alles andere wäre Ablöscher pur.
(Quelle: wortreich.nightshift.ch)
Auch im filmblog.ch wir fleissig gelöscht:
Nicht nur ich empfinde das als Ablöscher, auch Oliver hat darüber klar ihren Unmut erklärt.
(Quelle: www.filmblog.ch)
Ob Oliver eine Frau ist, liess sich in diesem Artikel nicht genau herausfinden. Wird wohl.
Wenn man in Deutschland nicht „ablöscht“, wie würde man das sonst ausdrücken? Gibt es das Wort „abtörnen“ als neudeutsches Gegenteil von „to turn up“ eigentlich noch? Ja hoppla, sogar der Duden hat es verzeichnet:
1. abtörnen ( ugs. für die Laune verderben; verdrießen)
2. abtörnen (sw. V.; hat) (ugs.): aus der Stimmung bringen.
Aber ist das wirklich von der Bedeutung her mit einem „Ablöscher“ vergleichbar? Man spürt bei diesem Wort geradezu den kalten Schwall Wasser, den man über den Nacken geschüttet bekommt, um nur ja das kleinste glimmende Stimmungselement abzulöschen.
Wir werden gleich heute noch einen Brief an die Dudenredaktion schreiben und um Aufnahme dieses hübschen Nomens in den Duden bitten, es hätte es verdient! Nicht einmal im Züri Slängikon findet sich das Wort. Die meisten Schweizer sind sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sowohl der „Aufsteller“ als auch der „Ablöscher“ etwas sind, dass es im Gemeindeutschen völlig unbekannt ist. Höchste Zeit dass sich das ändert.
Unser Variantenwörterbuch setzt sogar noch eins drauf: Der „Absteller“, neben dem Ablöscher ein „Anlass für schlechte Laune“. Ob das aus der Zeit stammt, als die Eltern den zu laut angestellten Plattenspieler einfach abstellten? Oder die Stereoanlage, und dadurch der Haussegen schief hing?
Zitat aus dem Variantenwörterbuch:
Wenn sie vor dem kollektiven Theaterbesuch mit der Klasse noch ein ein Reclam-Büchlein lesen und später einen Aufsatz schreiben müssen, ist das für viele der totale Ablöscher (Tages-Anzeiger 24.2.1999, S. 21)
Wir sollten jetzt endlich erklären, dass in der Schweiz das Licht nicht „ausgemacht“ sondern eben „abgelöscht“ wird. Bestimmt ist das der Ursprung dieses Stimmungsdämpfers. Mitten im schönsten „Was-auch-immer-Gefummel“ löschte jemand das Licht ab. Der „Ablöscher“ war geboren und gesellte sich zu dem Fiesling, der die Musik abstellte, dem „Absteller“. Warum gibt es diese Wörter nur in der Schweiz? Vielleicht weil die dazu passende aussersprachliche Wirklichkeit, die sie beschreiben, auch nur hier existiert? Licht aus, Musik aus und fertig ist die Kiste.