Kennen Sie Martin Suter?
Martin Suter ist ein von uns hoch geschätzter und in Deutschland sehr bekannter Autor aus der Schweiz. Romane wie „Small World“ (über das Thema Alzheimer) und „Die dunkle Seite des Mondes“ wurden sogar auf Französisch übersetzte. Kurz vor der EM wurde er vom berliner Tagesspiegel interviewt

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Herr Suter, Sie leben vorrangig auf Ibiza und in Guatemala. Gleichzeitig schreiben Sie Romane, die in der Schweiz spielen. Was ist überhaupt schweizerisch an Ihnen?
Die Tatsache, dass ich nicht in der Schweiz lebe. Das habe ich mit vielen meiner Landsleute gemein. Trotzdem ist unser Denken und Empfinden auf die Schweiz ausgerichtet. Ich hänge sehr an der Sprache, am gefärbten Deutsch. Sie klingt manchmal unterschnitten, als ob es in den Sätzen kleine Zwischenräume gibt.
(Quelle dieses und alle weiteren Zitte: tagesspiegel.de)
Von Jahr zu Jahr werden seine Bücher „helvetischer“. Es tauchen Wörter wie „das Tram“ und „die Matur“ auf. Früher wurde sowas vom Lektor des Diogenes Verlags brav durch „Strassenbahn“ und „Abitur“ ersetzt. Wir warten schon lange darauf, dass in Suters Bücher einmal jemand „zügelt“.
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Was hat Sie aus der Schweiz fortgetrieben?
Die Schweiz ist so klein; sie zu verlassen ist keine große Affäre. Wenn man in Basel wohnt, fährt man mit der Tram zehn Minuten nach Deutschland oder Frankreich. Das macht jedes Kind.
Um der Enge zu entkommen?
In Guatemala habe ich ein Haus mit Innenhof. Dort sitze ich beim Mittagessen am Springbrunnen und schaue bunten Vögeln beim Baden zu. Ich muss nicht immer in der Heimat sein. In Amerika haben viele nicht mal einen Reisepass. Schweizer trifft man überall auf der Welt.
Und worüber unterhalten die sich dann?
Wenn ein Schweizer auf einem Flughafen einen Landsmann reden hört, schweigt er, damit man ihn nicht erkennt.
Ach wie anders sind doch Schweizer und Deutsche im Ausland! Ich hätte geglaubt, zwei Schweizer unterhalten sich minutenlang auf Englisch oder Französisch, bevor sie überhaupt merken, dass sie beide aus Bern stammen.
Versuchen Sie es doch mit Hochdeutsch!
Das funktioniert nicht, wir haben ein Gehör für schweizerisch gefärbtes Hochdeutsch. Ich kann nicht so reden, dass man meint, ich sei aus Hamburg oder Wien. Sachsen können auch nicht so reden, als seien sie aus Berlin, oder?
So schwer ist das wirklich nicht, sich schnell in den Berliner oder Sächsischen Dialekt einzuhören und ihn nachzuahmen. Jeder Dialekt ist lernbar. Die vielen Schweizer in Berlin sind sicher auf dem besten Wege dahin.
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Denken Sie bloß nicht, dass alle Schweizer nett sind. Ich habe das Gefühl, dass Ihr Schweizerbild nicht stimmt – obwohl ich es vielleicht jetzt gerade bestätige.
Wann gehen Schweizer aus sich raus?
Wenn unser EM-Team im Endspiel gegen Österreich spielt.
Sie scherzen.
Wir spielen einen gepflegten Fußball.
Das ist ja das Problem. Bei Hertha BSC trainiert der Schweizer Lucien Favre, er hat aus Zürich einige Nachwuchsspieler mitgebracht. Das sind so kleine Hemden.
Kleine Hemden? Sie meinen niedliche quirlige Leute, die niemanden umrennen? Das werfen wir auch unseren Nationalspielern vor. Ich erinnere nur an das peinliche Ausscheiden bei der WM gegen die Ukraine, nicht mal im Elfmeterschießen hat die Schweiz getroffen. Unsere Fußballer sind halt verwöhnt, die setzen sich nicht richtig durch.
Schweizer sind eben zu nett.
Quatsch. Wenn Sie in Zürich mit der Tram fahren, treffen Sie auf die ganze Palette der Menschheit, von Charmebolzen bis zu, Verzeihung, Arschlöchern.
Und auf junge Leute mit teuren Klamotten.
Aus Deutschland kommen die.
Haben die Schweizer wirklich Angst vor einer Deutschenschwemme?
Ich nicht, ich bin eh nicht da. Aber es gibt schon Unmut. Früher kamen Italiener, die waren wegen ihrer Art beliebt. Nach dem niedergeschlagenen Aufstand 1956 dann viele Ungarn. Das war okay, sie bedrohten nicht die Jobs der Hochqualifizierten. Jetzt drängen deutsche Professoren an die Universitäten, echte Konkurrenten. Aber das tut den Schweizern ganz gut.
Wegen des Wettbewerbs?
Nein, wegen ihrer Arroganz. Ich hatte früher ein Haus in der Altstadt von Ibiza. Die Balkontür stand offen, da kamen Schweizer Touristen vorbei, guckten rein und sagten: Schau dir diese Elektroinstallation an, bei uns wäre das unmöglich. Das ist schweizerisch. Das Bewusstsein, etwas Besonderes zu sein, diese Überheblichkeit, das ging mir schon auf die Nerven.
Die Schweizer sind arrogant, sagt Suter
Na bitte: Ein Exil-Schweizer hält seine Landsleute für arrogant. Kein Wunder dass die grösste Gruppe der Schweizer im Exil lebt. 668’000 sind es laut der Webseite ASO, das sind fast 10 % der Schweizer Bevölkerung. Wir wissen nicht, warum Suter so über seine Landsleute denkt. Er scheint sie echt nicht ganz abzukönnen. Ist das etwas spezifisch Schweizerisches, im Ausland und auch sonst sich lieber aus dem Weg zu gehen?Wir finden die Schweizer jedenfalls nett, und überhaupt nicht arrogant. Bücher verkauft Suter gut in Deutschland, darum ist ihm sein Ruf in der Schweiz wahrscheinlich nicht ganz so wichtig.
Kleine Hemden
Die Bezeichnung „Das sind kleine Hemden“ kannten wir übrigens noch nicht. Hübsches Bild. Hat der Berliner Interviewer nicht gleich auf Anhieb verstanden. Ob das die verhochdeutsche Version eines echten Schweizerausdrucks sein soll?