Der gönnerhafte feuchte Kuss der Tante — Bruno Ziauddin über die Zuneigung der Deutschen zu den Schweizern

Juni 23rd, 2008
  • Am besten ist es, wenn Deutschland im Finale besiegt wird
  • Der Schweizer Autor Bruno Ziauddin wurde am vergangenen Donnerstag von der Frankfurter Rundschau (eine grosse überregionale Tageszeitung in Deutschland) befragt über die Haltung der Schweizer zum deutschen Fussball.

    (…) es [gibt] nichts Schlimmeres, als wenn Deutschland einmal die Endrunde eines großen Turniers verpassen würde. Das Beste für uns wäre, wenn die Mannschaft unverdient ins Finale vordringen und dann hoch verlieren würde. Das ist es eigentlich das perfekte Szenario: Deutschland hat zwei Mal nicht gut gespielt und wird jetzt wohl die sympathischen, hochtalentierten Portugiesen nach einem fiesen 0:0-Spiel im Elfmeterschießen raushauen. Und dann werden sie im Finale zum Beispiel von Italien besiegt, das wäre ideal.
    (Quelle für dieses und alle weiteren Zitate: FR-Online.de)

    der verbissene blonde Teutone
    (Quelle Foto: pressebox.de)

    Leider ist diese Prognose nicht eingetreten. Das mit dem Finale kann natürlich noch kommen. Ziauddin meint weiter:

    Bei der WM 2006 haben die Deutschen sehr schönen Fußball gespielt. Das hat für einige Verwirrung in der Schweiz gesorgt. Die Antipathie ist jetzt nicht mehr so groß. Wir sind dankbar, dass es wenigstens noch so jemanden wie Bastian Schweinsteiger gibt. Der entspricht mehr unserem Klischee des verbissenen, blonden Teutonen. Wir können uns Schweinsteiger gut in Mallorca vorstellen, wie er schon am Abend sein Handtuch an den Pool legt, um einen Platz zu reservieren.

    Schweizer kämen nie auf die Idee, nach Mallorca zu fahren oder irgendetwas „verbissen“ zu probieren. Will er das damit ausdrücken? Wie kommt ein Roger Federer an die Weltspitze? Nur durch spielerische Eleganz, und stets ohne Arbeit. Ausserdem ist er nicht blond. Die FR-Online fragt Ziauddin:

    Hatten Sie ein traumatisches Erlebnis mit deutschen Fußballfans?
    1974 nach der WM gab es ein Freundschaftsspiel Deutschland-Schweiz. Als unser Kudi Müller einen Fallrückzieher machte, war ich ganz stolz. Nun spielte der aber damals bei Hertha BSC Berlin. Und der deutsche Zuschauer neben mir sagte: „Das hat er bei uns gelernt.“

    Da bin ich ja erleichtert, dass all die Schweizer Bemerkungen bei der WM 2006 zum Thema, was Oliver Neville in der Schweiz an Fussballkönnen erwarb, und gar Jogi Löw aus seiner Zeit in der Schweiz her an Wissen behielt, in der Schweizer Boulevardpresse heute vergessen sind. Mehr noch, nachdem die Kroaten im Elfmeterschiessen gegen die Türken zweimal gepatzt haben, stand am nächsten Tag im Tages-Anzeiger zu lesen:

    Die Türken schlugen die Kroaten im Penaltyschiessen 3:1 – wobei die Schweizer Rakitic und Petric für Kroatien verschossen.
    (Quelle: Tagesanzeiger 21.06.08, S. 1)

    Ich denke, in dieser Angelegenheit herrscht ausgleichende Gerechtigkeit zwischen den Schweizern und den Deutschen. Wenn einer was kann oder nicht kann, gelernt hat er es auf jeden Fall in der Schweiz oder in Deutschland, auch das Danebenschiessen.

  • Wenn Deutsche die Schweizer toll und süss finden
  • Die FR-Rundschau zitiert weiter:

    (…) da hat sich vielleicht ein Gefühl eingebrannt: dass die Deutschen den kleinen Schweizern mit einer gewissen Überheblichkeit begegnen. Wir möchten für voll genommen werden. Viele Deutsche sagen: „Ich finde euch Schweizer so toll und so süß, warum mögt ihr uns denn nicht?“ Aber diese Zuneigung fühlt sich oft an wie der feuchte Kuss einer Tante – gönnerhaft. Auch wenn die Schweiz natürlich nicht so wichtig ist wie Deutschland, empfinden wir uns nicht als Kasperle-Figuren.

    Bruno Ziauddin hat diesen Satz gesagt. Er wird seine Gründe haben. Ich frage mich wirklich, ob tatsächlich die Schweizer in Deutschland permanent von diesem Gefühl verfolgt werden, als „Kasperle-Figuren“ gesehen zu werden. Süss finde ich nur noch Schweizer Schokolade. Wie fühlt sich laut Ziauddin die Zuneigung der Deutschen an? „Wie ein feuchter Kuss einer gönnerhaften Tante„. Na klasse, wahrscheinlich ist das die gleiche Tante, die immer lecker Kekse und ein paar extra Scheine Taschengeld für das Sparschwein mitbrachte. Die wurden dann aber ohne zu mucken eingesackt.

  • Können Schweizer nicht feiern?
  • Auf den Schweizer Fanmeilen ist die Stimmung nicht so gut. Können die Schweizer nicht feiern?
    Wir sind kein lautes Volk, die Art, wie wir Freude zeigen, ist sicher nicht unmittelbar lesbar für einen Außenstehenden. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht auch ganz massiv freuen können, vielleicht ein wenig anders als ein Deutscher mit drei Promille. Schweizer Fußball-Fans hopsen, wenn sie sich freuen, und singen: „Wer nöd gumpet, isch kei Schwiizer! – also: wer nicht springt, der ist kein Schweizer.
    Verzeihung, aber das hört sich jetzt wirklich niedlich an…
    Stimmt schon, aber an Klischees ist ja häufig auch was dran. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sie gerne von anderen Leuten um die Ohren gehauen bekommt.

    Ich denke, dass die wenigsten Deutschen in der Schweiz den „Niedlichkeitsfaktor“ überhaupt noch wahrnehmen. Der sogenannten „Jöö-Effekt“ verpufft rasch, wenn man eine Weile im Land lebt. Er wirkt sicherlich unvermindert weiter bei Deutschen, die zum ersten Mal oder nur für kurze Zeit in die Schweiz reisen. Wodurch er überhaupt vorgerufen wird? Nicht durch die Kleinheit der Schweiz. Auch andere Länder wie Holland oder Dänemark sind klein, nein einfach nur durch den ungewohnten Klang von Höchstalemannisch wie beim Satz „Wer nöd gumpet, isch kei Schwiizer!“ demonstriert. Würden mehr der 72‘000 Schweizer in Deutschland ihr Alemannisch im Alltag rauslassen, wäre es auch mit der Wirkung des Jöö-Effekts auf Grund des Gewöhnungseffekts bald vorbei. Dann man los, es gilt ein Volk von 80 Millionen sprachlich aufzuklären…
    Und wenn die fette Tante kommt und Küsschen geben will, na dann wird sie halt abgeknutscht. Der offensive Kussangriff ist die beste Verteidigung.

    Wie beginnt ein Basler Beppi seinen Satz? — Jau, das weiss ich nicht

    Juni 20th, 2008
  • Die Basler über die Deutschen Fans
  • Das konservative und durch seine sachliche Berichterstattung über die EURO 2008 gerühmte Schweizer Boulevardblatt BLICK hat vor dem Spiel Deutschland-Portugal am 19.06.08 die Basler Bevölkerung nach ihrer Meinung gefragt, was sie vom Kommen der zahlreichen deutschen Fans nach Basel halten. Den Film dazu gibt es hier.
    Ein eindrückliches Filmdokument, auch in sprachlicher Hinsicht.

    Zitat aus dem Film (verschriftet auf Hochdeutsch)

    „Joo, die Deutschen haben eine gewisse Arroganz, die Holländer kommen mit Party, mit Laune, und nicht mit der Arroganz, die kommen einfach friedlich, das macht einfach mehr Spass“.

    Würde zu gern mal sehen, wie man einen feiernden Deutschen von einen feiernden Holländer unterscheiden kann, abgesehen von der Kriegsbemalung. Arroganz ist niemals Orange, nehme ich an. Es gibt auch ein paar nettere Statements wie „es sind halt die Deutschen„, und „es ist doch schön wenn sie kommen„. Alles ganz sachlich und ausgewogen, wie wir es vom Blick gewohnt sind.

  • Joo oder Jau?
  • Was lernen wir daraus? Die Antwort auf alle Fragen in Basel heisst „Jau“. Oder „Joo„? Merkwürdig, aber irgendwie erinnert uns das an Hamburger, die auch gern mit „Joo, lass man stecken“ einen Satz beginnen. Basel hat auch einen grossen Hafen, ganz wie Hamburg, welches übrigens bei Schweizern eine beliebte Stadt für einen Wochenend-City-Trip ist. Ein Kollege fliegt sicher 2-3 Mal im Jahr dorthin um auf der Reeperbahn abzuhängen. Ob die Hamburger ihn dort genauso freundlich und aufgeschlossen empfangen, wie die im Film gezeigten Basler die Fussballfans aus Deutschland?

  • Der doppelt gemoppelte Beppi
  • Ist ein basler Beppi eigentlich eine Tautologie, ein „doppelt gemoppeltes“ Wort, weil „Beppi“ oder „Basler“ heisst, und ein „basler Beppi“ somit ein basler Basler ist? Jau, das wissen wir nicht. Müssen wir mal die Basler nach fragen, jau.

    Wir zoggeln jetzt im Zoggeli — Neue Lieblingswörter aus dem Tages-Anzeiger

    Juni 19th, 2008
  • Tschutten mit der Bindestrich-Zeitung
  • Unser alter Lehrmeister für die angewandte Schweizerhochsprache der Gegenwart ist und bleibt der Zürcher Tages-Anzeiger, liebevoll von uns nur als die „Bindestrich-Zeitung“ betitelt. Oft waren wir kurz davor es aufzugeben, in diesem Blatt nach fast 3 Jahren aktiver Blogwiese-Auswertungsarbeit noch auf einen neuen Fund zu stossen, weil einfach alles und jedes schon irgendwo auf diesem Blog beschrieben wurde, da stiessen wir am 14.06.08 auf diese Stelle:

    Ein Holländer in überdimensionierten Zoggeli rennt durch die wenigen Franzosen und tschuttet eine leere Bierdose ins Niemandsland. Obwohl der Alkohol in rauen Mengen fliesst, bleibt die Stimmung in den Gassen friedlich.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 14.06.08, S. 14)

    Sind das Zoggeli oder Zogelli oder Klompen
    (Quelle Foto: alvi.ch)

    Nein, nicht das „tschuttet“ erstaunte uns. Wir wissen ja längst, dass das nichts mit „schütten“ oder „schütteln“ zu tun hat, sondern von „shooten“ = schiessen abstammt und zur Fussballsprache gehört. Nein, diesmal blieben wir beim Wörtchen „Zoggeli“ hängen. Am Fuss eines Holländers kann das ja nur ein Holzschuh sein. In Holland werden die Dinger „Klompen“ genannt, nach der gleichnamigen Bildung. Wikipedia kennt noch mehr Bedeutungen:

    Sabots (Frankreich) ist gleichbedeutend mit Klompen (Niederlande). Im Elsass werden sie Zogelli genannt, Zoggeli in der Schweiz, wo sie vor allem zur Fasnachtszeit getragen werden. In Schleswig-Holstein werden Holzsohlenschuhe generell als Holzschuhe bezeichnet. Holzpantoffel nennt man, wenn Sie aus Dänemark kommen, auch Clogs, in Norddeutschland spricht man in diesem Zusammenhang von Holzpantinen und wenn sie ein ausgearbeitetes Fußbett haben, heißen sie Schwedenpantoffel.
    (Quelle: Wikipedia)

  • Zoggeli oder Zogelli?
  • Und als “Zoggeli” erfreuen sich die Dinger in der Schweiz grosser Beliebtheit, wie die 928 Fundstellen auf Google-CH belegen gegenüber nur 98 Stellen bei Google-DE . In der Schweiz werden diese Pantinen auch als Nase getragen, zumindestens in der Basler Karneval Fasnacht von den Oberwilern Zoggeli-Schäggen:

    Zoggeli aus Oberwil
    (Quelle Foto: zoggeli-schaegge.ch)
    (der aktuelle Zähler der Website steht auf 413 Besucher. Mal sehen wieviel es heute abend sind 🙂

    Wie zu erklären ist, dass die Elsässer Alemannen “Zogelli” mit einem “g” und zwei “l” schreiben, die Schweizer Hoch- und Höchstalemannen hingegen zwei “g” und nur ein “l” bevorzugen, dass mögen andere Spezialisten der Alemannischen Verschriftungskunst erklären. Wir halten uns da raus, zögerlich zwar, aber nicht zoggelich.

  • Die Schweiz im Oranje-Fieber
  • Wir erfreuen uns weiterhin am holländischen Fussball-Spass und fiebern mit den Oranjes. Von Deutsch-Holländischer Fussball-Erbfeindschaft sind wir weit entfernt. War da was? Wenn sie auch mal mitspielen dürfen bei einem Turnier, dann dürfen sie auch ruhig siegen.

    Einen Preussen zum Dessert — Wer isst schon Schweineohren?

    Juni 18th, 2008
  • Des Preussens Ohr als Dessert
  • Beim Online-Shop der Migros entdeckten wir den Dessertpreussen:
    Dessert Preussen
    (Quelle Foto: leshop.ch)

    Also wurde doch etwas vom kulturlosen nördlichen Nachbarn übernommen, der nicht „la dolce vita“ uns sonstige Kochkünste mit ins Land brachte, wie die Italiener. Noch dazu als Dessert und in preussischer Aufmachung!

  • Die Ohren des Bäckers
  • Diese Speise gibt es in deutschen Bäckereien auch zu kaufen, dort heissen sie aber „Schweineohren“. Als Kind liebten wir es, in die Bäckerei geschickt zu werden und dort den Chef ungeniert zu fragen: „Haben Sie Schweineohren“? Sie galten als das billigste Gebäck überhaupt, noch billiger war nur die Marke „Altbackenes“, d. h. Gebäck vom Vortag.

  • Kommt der Dessertpreusse aus Frankreich?
  • Laut Wikipedia heissen die in Frankreich „Palmier„. Von dort kann also der Dessertpreusse nicht via Napoleon in die Schweiz eingewandert sein:

    Zur Herstellung wird zunächst viertouriger Blätterteig auf reichlich Streuzucker zu einem Rechteck ausgerollt, in zwei weiteren Touren symmetrisch zur Mitte hin zusammengeklappt, noch einmal gefaltet und von der Schmalseite her in Scheiben geschnitten. Dadurch entsteht eine doppelte Spirale. Anschließend werden die Stücke im Ofen gebacken, wobei der Zucker zwischen den Teigschichten leicht karamellisiert. Da die Teigschichten nicht übereinander, sondern nebeneinander liegen, geht der Teig nicht in der Höhe, sondern in der Breite auf – es entsteht die typische Herzform. Die Größe fertiger Schweinsohren variiert nach Region und Angebot von etwa fünf Zentimetern bis zu Tellergröße.
    (Quelle: Wikipedia)

  • Schweinohren für den Hund
  • Schweineohren kaufen wir heute nur noch für unseren Hund. Der liebt sie, getrocknet und kräftig duftend. Nach Schwein natürlich, denn sie kommen heute tatsächlich vom Schwein und stinken fürchterlich. Dann schon lieber den Dessertpreussen aus der Migros zum Kaffee&Kuchen Zvieri.

    Naasästüübär, Böllä, Tüpfi — Neues Fachvokabular aus der Schweiz und aus Österreich

    Juni 17th, 2008
  • Wen schüttelt der Tschüütteler?
  • Spiegel-Online schickte die Journalistinnen Sandra Sperber und Yasemin Yüksel in Wien und Basel auf die Strasse, um das Knowhow der Ortsansässigen in Sachen Fussballvokabular zu testen. Den Beitrag gibt es hier zu sehen. Gefragt wurde in Basel nach „Tschüütteler“, „Böllä“, Hüntschii, Juchzer, Naasästüübär und Tüpfi.

  • Die Leidenschaft beim Juchzer
  • Beim Juchzer liessen sich männliche Basler Passanten leicht zum Vormachen überreden. Mit Inbrunst und ungespielter Leidenschaft wurde er gleich auf der Strasse zum besten gegeben. Beim „Tschüütteler“ war ganz eindeutig das heftige Schütteln des gegnerischen Stürmers beim Angriff und Kopfballversuch vor dem eigenen Tor gemeint. Wer so schüttelt, der bekommt in der Regel einen Elfmeter aufgebrummt.

  • Wieviel „ö“ hat ein Böllä?
  • „Böllä“ wurde vom befragten Basler erst einmal sachlich korrekt zu „Böllö“, mit vorn und hinten ein „ö“ korrigiert, bevor er die Frage beantwortete. Die seltene Bärenart des „Naasästüübärs“ mag vielleicht doch als ein Verwandter des Nasenbärs durchgehen? Warum dieser Name ist Schweizer Fussball Verwendung findet, erklärten die Befragten in Basel. Den Tüpfi kannten wir nur mit der Erweiterung „-scheisser“, als hyperkorrekten Kleingeist. Was mag das Wort so isoliert bedeuten?

  • Ist Ballack ein Ballesterer?
  • In Wien auf der Strasse erfahren wir, dass eine „Wuchtel“ eine Süssspeise ist, sofern man keine Ahnung von Fussball hat, wie der befragte Wiener. Ein „Ballesterer“ ist da noch schwieriger zu deuten, und beim „Primgeiger“ müssen wir ganz aufgeben. Vielleicht ein Spieler der die erste Geige (Lat. „primus“ = eins) in der Mannschaft spielt? Ein „Autwachtler“ wird dann schon gar nicht mehr erklärt. Ob sich alle Bezeichnungen in unserem Variantenwörterbuch oder gar im Duden befinden? Blogwiese-Leserinnen und Leser mit Österreich-Spezialwissen werden uns diese Wörter sicher richtig erklären können. Dann hat es sich bald „autgewachtelt