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Haben Sie auch einen Puff daheim? — Die französischen Lehnwörter in der Schweiz

(reload vom 31.10.05)

Ich bekam Post aus Obwalden und las den Satz:

  • Ich habe einen Puff daheim!
  • Was will uns diese Schweizer Schreiberin damit sagen?
    Wohnt sie im Vergnügungsviertel, womöglich direkt im Rotlichtmilieu?
    Ist sie selbst im „horizontalen Gewerbe“ tätig?
    Oder beherbergt sie so etwas womöglich im eigenen Haus?
    Ausser beim Blutspenden gibt es bekanntlich nicht viele weitere Möglichkeiten, bei denen sich sonst im Liegen bequem Geld verdienen lässt. Nein, sie hat lediglich daheim nicht aufgeräumt. Die Schweizer sagen dann „einen Puff haben„. Wie kommt es dazu? Nun, wie so oft, ist es ein Lehnwort aus dem Französischen. In Frankreich und somit auch in der Westschweiz sagt man „quel bordel„, wenn eine Situation besonders unübersichtlich oder verwirrend anmutet. Das wurde von den Schweizern irgendwann clever übersetzt. In Fremdsprachen sind sie bekanntlich gut, die Schweizer. Sie sprechen zum Beispiel oft ziemlich gut Hochdeutsch.

    Die Textverarbeitung Word für Windows in der Uraltversion 6.0 lieferte als Synonym für das Word „Puff“ übrigens den Begriff „Frauenhaus„. Es gab noch andere Scherze in dieser Version. So wurde das Wort „Unternehmer“ als Synonym für „Ausbeuter“ ausgegeben, und die Überprüfung von „Realitätsverlust“ führte absolut jederzeit reproduzierbar zu selbigem, nämlich zum Absturz des Systems.

  • Wir foutieren diese Regelung einfach
  • Im August 2003 veranlasst der Chef des BAZL (= Bundesamt für Zivilluftfahrt), den Flugbetrieb des Tessiner Flughafens Lugano-Agno aus Sicherheitsgründen empfindlich einzuschränken. Die Tessiner Behörden beschliessen jedoch, die Regelung zu foutieren.
    Oups, was war das denn wieder für ein Wort?

    „Foutieren“ kommt aus dem Französischen, von „foutre„, das wiederum von Latein „futuere“, und das bedeutet eine ganze Menge, was Wörter, die mit „f“ beginnen, in den Europäischen Sprachen eben so alles bedeuten. Unter anderem auch „egal sein“. Wenn der Franzose ausruft „je m’en fous!“ meint er damit: „ist mir doch egal“. Wahrscheinlich haben die Suisse-Totos dies oft genug bei Ihren welschen Nachbarn gehört und daraus abgeleitet: „der foutiert das einfach„.

  • Könnten sie das denn wenigstens goutieren?
  • Bitte nicht verwechseln mit „guillotinieren„, es ist noch so ein Lehnwort aus dem Französischen. „Le goût“ = der Geschmack. „Goûter“ ist eigentlich schmecken. „Le goûter“ ist das „z’Vieri„, der kleine Imbiss am Nachmittag, das süsse Stückchen oder Kuchenteil für die spät von der Schule heimkehrenden französischen Kinder. In Frankreich schmeckt ja nichts, sondern es riecht: „Ca sent bon“ heisst „es riecht gut„, und für „es schmeckt gut“ müsste man „cela a un bon goût“ sagen, es hat einen guten Geschmack. Nicht so in der Schweiz. Da wird alles abgeschmeckt: „Das goutieren wir gleich“. Und wenn es gut schmeckt, hat man „Geschmack daran gefunden“. So ist das Wort zu verstehen: Es wurde begrüsst, oder für gut empfunden, es wurde „goutiert„.

    Interview mit Christoph Blocher vom 25.10.2001 „Die Steuerzahler werden das Crossair-Engagement nicht goutieren„. Der Mann spricht übrigens fliessend Französisch und in allen noch so zu kritisierbaren Parteitagsreden stets Hochdeutsch.

  • Haben Sie auch ein Depot?
  • Um ein Depot zu hinterlassen, muss man in der Schweiz keinen geheimen Stollen graben, um dort seine Waffen oder Konservendosen für den Notfall zu „deponieren“. Es reicht aus, einfach nur ein Pfand zu bezahlen. In Deutschland fährt die Strassenbahn (ja, ich weiss, dass die in der Schweiz „Tram“ heisst) am Abend ins Depot. Und das war’s auch schon, wo die Deutschen dieses Wort verwenden. Sonst bleiben sie lieber bei ihren „Pfänderspielen“ und hinterlassen ein Pfand.
    Le dépôt“ schreibt sich auf Französisch tierisch kompliziert mit zwei Akzenten und hat etliche Bedeutungen:

    das Depot
    dépôt m. [tech.] die Ablage
    dépôt m. die Ablagerung
    dépôt m. das Absetzen
    dépôt m. die Abstellung
    dépôt d’armes das Arsenal
    dépôt m. der Aufbewahrungsort
    dépôt m. der Bodensatz
    dépôt m. das Depositum
    dépôt m. die Einlage
    dépôt m. [admin.] [jur.] die Einreichung
    dépôt m. die Hinterlassung
    dépôt m. die Hinterlegung
    dépôt m. das Lager
    dépôt m. die Lagerhalle
    dépôt m. das Lagerhaus
    dépôt m. der Lagerraum
    dépôt m. die Postablage

  • Heben und nicht lupfen
  • Wenn ein Norddeutscher in den Süden kommt und auf einer Baustelle als Zimmermann zu arbeiten beginnt, muss er einiges dazulernen. „Heb mal den Balken“ heisst nicht, dass er ihn nun hochheben soll, sondern er möge ihn einfach nur festhalten. „Heben, nicht lupfen habe ich gesagt„. Schon kapiert. „Hochheben“ = „lupfen„. Da sind sich für einmal die Schweizer und Süddeutschen einig.

  • Il y a = Es hat noch, solange es etwas gibt
  • Auch bei „geben“ und „haben“ besteht nahe sprachliche Verwandtschaft zwischen der Schweiz und dem süddeutschen Raum. Sie fallen in Norddeutschland sofort auf, wenn sie an der Kaffeetafel die Frage stellen: „Hat’s noch Kaffee?“ Hier wäre „gibt’s noch Kaffee“ angebracht. Natürlich ist die Formulierung „es hat solange es hat“ etwas, dass man nur in der Schweiz und in Süddeutschland zu hören bekommt. Die Konstruktion erinnert an romanische Sprachen, wie im Französischen „Il y a“ (=es davon/dort hat).

    Ehrlich gesagt, wer lange genug im Süden lebt, übernimmt „Es hat noch Kaffee“ total automatisch, denn es ist eine durch und durch praktische Erweiterung des Sprachschatzes, nicht mit „es gibt“ zu vergleichen. Dennoch die Warnung: Sie ernten ein Lächeln, wenn sie „hat’s noch..?“ in Norddeutschland fragen und werden gleich in die Kategorie „Almöhi“ einsortiert.

    

    10 Responses to “Haben Sie auch einen Puff daheim? — Die französischen Lehnwörter in der Schweiz”

    1. Almöhi Says:

      „Hats noch Kaffee?“ heisst gar nicht dasselbe wie „Gibts noch Kaffee?“ Beim ersteren, das offenbar sofort an mich denken lässt, gehts nur mal drum, festzustellen, ob noch Kaffee vorhanden ist. Dann kann ich allenfalls fragen, ob ich auch davon haben kann.

      „Gibts noch Kaffee“ enthält auch schon die Frage, ob ich Kaffee bekommen kann. Vielleicht hats zwar noch, aber man ist schon am Abräumen, z.B. in einer Festwirtschaft, und darum gibts keinen mehr, obwohls noch hat.

      Gerade dieses Beispiel ist eigentlich verwirrlich. In Deutschland mit dem bereits mehrfach diskutierten Filterkaffee gibts, so lange es hat, denn irgendwie muss der Rest eh aus der Kanne. In der Schweiz mit den üblichen Kaffee- und Espressomaschinen „hats“ ja eigentlich kaum Kaffee, sondern jede Tasse wird nach Bedarf zubereitet. Ist aber die Maschine (oder Teile davon) schon gereinigt, gibts auch keinen mehr.

      Warum nicht einfach „Wer hat, der gibt“? Südlich oder nördlich des Rheins oder Mains.

    2. solanna Says:

      Meiner Meinung nach heisst es DAS Puff, wenn damit ein Chaos gemeint ist. Was als Puff bezeichnet wird, ist aber relativ. Manche entschuldigen sich schon für ihr Puff, wenn eine Strickarbeit und zwei Zeitungen auf dem Tisch des sonst peinlich aufgeräumten Wohnzimmers liegen, andere findens auch noch kein Puff, wenn sie über Stapel steigen und Schachteln umrunden müssen in ihrem Logis. Ein Puff kann auch emotional sein („es Gnuusch im Fadechörbli haa“ entspricht diesem Zustand) oder im Kopf stattfinden, wenn jemand manches verwechselt oder vergisst.

      DER Puff gibt es auch. Man gibt ihn freundschaftlich einem Kollegen oder bekommt ihn von einem solchen. Es ist ein leichter Stoss gegen die Schulter oder den Oberarm.

    3. Philipp Hofmann Says:

      Ganz klar & 100% sicher, es heisst

      – DAS Puff, wenn du die „Unordnung“/“Chaos“/“es Duränand“ meinst oder das „Freudenhaus“

      und

      – DER Puff, wenn du „Ärger“/“Zoff“ (>>Ey, wotsch Puff?

    4. Psalmist Says:

      Ergänzung zu solanna: Auch „Puff“ im Sinn von Bordell ist CH sächlich.

      Übrigens irritiert mich die Ausdrucksweise „etwas foutieren“ ziemlich. Woher hast du denn diesen Schmarren? Nein, laß mich raten: Vom sprachlichen Niveau her muß das wohl der Tagi sein… *g* Bisher habe ich auch im Deutschen immer nur die französische Konstruktion „sich um etwas foutieren“ angetroffen.

    5. Phipu Says:

      Hier noch der Grund, weshalb es zu diesem Thema nur so wenig Kommentare gab. Das meiste wurde nämlich hier schon erwähnt:
      http://www.blogwiese.ch/archives/70
      Viel Spass beim Lesen

    6. Psalmist Says:

      @Philipp Hofmann: Nein, imo heißt es auch nicht „der Puff“, wenn man von Zoff spricht. „Puff“ ist in diesem Fall als Kollektivwort gebraucht und trägt daher gar keinen Artikel. Vom Sinn her handelt es sich um das selbe Wort wie bei „das Puff“ im Sinn von Unordnung. „Der Puff“ bezeichnet CH ausschließlich, wie solanna bereits erwähnt hat, den freundschaftlichen Ellbogenimpuls.

    7. Philipp Hofmann Says:

      @ Psalmist

      Es mag stimmen, dass „Puff“ im Sinne von „Zoff“ grundsätzlich ohne Artikel verwendet wird. Nichts desto trotz hat das Kind einen Namen, sprich ein Geschlecht – wie jedes gute Nomen. Und dieser dürfte 99% männlich sein. „Ärger“ usw. verwendet man ja oft auch ohne Artikel.

      Von welchem Wort es denn nun wirklich herstammt, weiss von uns sicher niemand. Genauso logisch wie von „Unordung“, wäre ein Abstammen vom proklamierte „Anstumpsen“.

      Oder wodsch öppä Puff? De chasch ha! 🙂

    8. Psalmist Says:

      Nein, wenn schon: „Das chasch ha.“ 🙂 Daß das Wort keinen Artikel trägt, läßt beim Geschlecht Spielraum für unterschiedliche Interpretationen und Spekulationen. Ich für mich beharre auf sächlich. Allerdings entwickelt sich Sprache, so daß auch Geschlechtsumwandlungen möglich sind. Vielleicht ist hier gerade wieder eine im Gange – dann ist nur die Frage, in welche Richtung…

    9. Pete from Scotland Says:

      Ich fand , wahrend Ferien in Berner Oberland seit ein Monat, dass man spricht haufig ‚Merci‘ in Ort von ‚Danke‘.

    10. Christian Says:

      Ein weiterer Unterschied:

      Deutsche gehen zur Schule, Schweizer in die Schule.
      Siehe dazu auch: Resultate der PISA Studie!