Wollen Sie Schweizer werden? — Nein, ich bin schon jemand
Januar 31st, 2007Als wir vor 6 Jahren in die Schweiz zogen und dies unseren Freunden und Verwandten in Deutschland erzählten, kam häufig in den Gesprächen die Frage auf: „Und wann werdet ihr Schweizer?“
Als ob es das Natürlichste auf der Welt sei, dass man mit dem Umzug in die Schweiz nach einigen Jahren seine alte Nationalität an den Nagel hängt, ablegt wie ein altes Kleid oder wie einen alten Mantel, und sich eine neue sucht, durch Erwerb und Erhalt des Schweizerpasses. Zwangsläufig und automatisch.
Wir haben dann erklärt, dass wir ganz glücklich mit unserem jetzigen roten EU-Pass sind, dass wir nach wie vor am politischen Geschehen in Deutschland teilnehmen, zum Beispiel regelmässig als Auslandsdeutsche via Briefwahl an Wahlen partizipieren, und wirklich kein dringendes Bedürfnis verspüren, dies zu ändern. Sicher, mit den Jahren verblasste dann ein bisschen unser Interesse an der Deutschen Innenpolitik und gleichzeitig stieg unser Interesse und unser Wissensbedarf in Bezug auf Schweizer Gesellschaftspolitik. Wir verfolgen jede Volksabstimmung mit Spannung und bilden uns unsere Meinung. Dann ist es schon ein wenig frustrierend, dass man zwar als Steuerzahler und Arbeitskraft willkommen im Land ist, jedoch politisch nichts zu sagen hat. Ein Meinung haben wir aber dennoch.
Doch das ist für die Ausländer in Deutschland nicht anders. Nur in sehr geringem Umfang auf lokalpolitischer Ebene fand hier ein Wandel statt. So ist die Teilnahme an Kommunalwahlen und an den Wahlen fürs Europaparlament auch für EU-Ausländern in Deutschland möglich:
Bei der Kommunalwahl können wir uns als Wähler regelrecht austoben. Vorausgesetzt, „wir“ sind entweder Deutsche oder EU-Ausländer und mindestens 16 Jahre alt. Möglich wurde dies durch eine Änderung des Grundgesetzes sowie des Kommunalwahlrechts in NRW. 1999 durften erstmals Jugendliche ab 16 und EU-Ausländer bei Kommunalwahlen mitwählen. Allerdings auch nur dabei. Bei Landtags- und Bundestagswahlen gilt nach wie vor: Mindestalter 18 und deutsche Staatsbürgerschaft.
(Quelle: wdr.de)
In dem DOK-Film DIE DEUTSCHEN KOMMEN – Und wie lieb wir sie haben fragte Pino Aschwanden zum Schluss alle interviewten Deutschen, ob sie denn nun Schweizer werden wollten. Manche bejahten, manche verneinten, eine Deutsche fragte zurück: „Möchte ein Schweizer Deutscher werden?“ und der letzte Deutsche sagte: „Ich muss net Schweizer werden – ich bin schon jemand“, mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Dieser Schlusssatz löste in der Folge sehr interessante Diskussionen aus.
So schrieb mir ein Schweizer dazu:
Das Schlusswort des einen Deutschen (leider habe ich seinen Namen nicht gemerkt):
„Ich brauche nicht Schweizer zu werden – ich bin schon wer“, hat natürlich wieder allen Kritikern bestätigt, dass sie recht haben mit dem Vorwurf der Arroganz! Schade eigentlich.
(Quelle: private E-Mail)
Pino Aschwanden fand den Abschluss „ironisch-sarkastisch“. Eine andere Schweizer Kollegin, die ich dazu befragte, fand diesen Schluss „lustig“. Es gehen also hier die Meinungen ziemlich auseinander. Der Blogwiese Leser „Phi“ schrieb dazu:
Am “coolsten” fand ich den Abspann.
Sagt doch der ein, auf die Frage ob und wann er Schweizer werden will: “Wieso sollte ich, ich bin doch schon jemand”.
Wie treffend, und wie wünschenswert, ein bisschen mehr Toleranz bei jedermann.
Wie kindisch ist denn dieses ganze Getue? Jeder ist Ausländer, überall! Und jeder ist irgendwo mal arrogant, kleinbürgerlich, intolerant usw usw.
(Quelle: Kommentar zum Artikel)
Mich hat Pino Aschwanden auch gefragt, ob ich Schweizer werden will. Ich habe geantwortet, dass ich als „Mensch“ ganz glücklich lebe in der Schweiz, und mich mit einem roten EU-Pass auch sehr wohl fühle. Der Begriff „Nation“ nebst der Zugehörigkeit zu einer solchen hat für uns Deutsche noch mal einen ganz anderen Beigeschmack. Zuviel ist schief gelaufen „im Namen des Volkes“, und erst ganz langsam, seit der letzten WM vor allem, entspannt sich ein bisschen unser Verhältnis zum „Deutschsein“, zur „Deutschlandflagge“ etc.
Zurück zum ersten Kommentar. Mir ist bis jetzt unbegreiflich, wie die Aussage „Ich muss net Schweizer werden – ich bin schon jemand“ als Beweis für typisch deutsche Arroganz aufgefasst werden kann. Sollte es denn unser aller Streben und Trachten sein, in der Schweiz mit den Schweizern eins zu werden und unsere eigene Identität beim Betreten des Landes quasi an der Garderobe abzugeben?
Im Zürich im Spital lernte ich viele „Neu-Schweizer“ kennen, die ihre Heimat in Tibet, Serbien, Tunesien, Nigeria oder anderswo verlassen hatten, hier seit Jahren lebten und mit dem Schweizer Pass auch wieder eine politische Identität bekamen. Sie wollten nicht mehr zurück, aus politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Gründen. Für sie ist die Schweiz zur neuen Heimat geworden. Wir empfinden die Schweiz heute als unser „Zuhause“, ob mit oder ohne Schweizerpass.
Wir können auch mit dem häufig gehörten Satz „Ihr nur seid Gäste hier“ nicht viel anfangen. Ich höre dann immer noch den ungesagten zweiten Satz: „ … und als Gäste müsst ihr schön still sein und dürft bloss das Maul nicht zu weit aufreissen. Es gehört sich nicht, als ‚Gast‘ irgendetwas zu kritisieren oder zu beanstanden“.
Ja, wir sind Gäste. Wir sind Gäste auf dieser Welt. Der Boden, auf dem wir laufen, kann niemanden „gehören“ und nur für „bestimmte Menschen“ dasein. Nur weil ein Mensch in einem bestimmten geographischen Gebiet zur Welt kam, sollten daraus allein keine besonderen Rechte oder Nachteile resultieren. Aber jetzt wird es vielleicht zu philosophisch.
Das Grundrecht auf „Freizügigkeit“ wird von den meisten Staaten der Welt nur den eigenen Bürgern gewährt. In der EU spielt der „Freie Personenverkehr“ ein ganz besondere politische Rolle:
Der Freie Personenverkehr (englisch: Free Movement of Persons, französisch: Libre Circulation de Personnes), ist eine Politik der Europäischen Gemeinschaft. Im engeren Sinn umfasst sie lediglich Wanderungsbewegungen von Drittstaatsangehörigen, betrifft also Fragen wie die Asylgewährung, die Aufnahme von Flüchtlingen, die Visa-Politik sowie die Einwanderung aus Drittstaaten. Zu unterscheiden ist der freie Personenverkehr insofern insbesondere von der die Unionsbürger selbst betreffenden Freizügigkeit.
(Quelle Wikipedia)
Fazit: Wer nicht EU-Bürger ist hat das Nachsehen. Aber nicht immer. Als ich im Sommer nach England flog, gab es dort an der Zollabfertigung ein paar gut besetzte Schalter für EU-Mitglieder, und eine lange einsame Warteschlange am „NON-EU“ Abfertigungsschalter. Ganz klein und fast zu übersehen hatte jemand nachträglich auf des EU-Schild den Zusatz „and Switzerland“ geklebt.
Die Schweiz wurde, zum Erleichterung der Schweizer Passagiere, dank der bilateralen Verträge wie ein EU-Mitglied behandelt, und niemand schien in diesem Moment dort am Flughafen etwas dagegen zu haben.