-->

Strahlen in den Haaren? — Es „strählen“ nicht nur die Narren

  • Strahlen in den Haaren?
  • Die Schweizer sind nicht zimperlich, wenn es um ihre eigene Körperpflege geht. Fangen wir doch ganz oben an, beim Kopf, oder um noch genauer zu sein: Bei den Haaren. Die werden in der Schweiz nicht nur „gekämmt“, sondern quasi mit einer Strahlenkanone malträtiert. Der Fachmann dafür ist in der Schweiz natürlich kein „Frisör“ wie in Deutschland, sondern ein „Coiffeur“ und der spricht vom „Strählen“.

  • Wir strählen das Gewinde
  • In der Industrie ist das eine beliebte Technik der Metallbearbeitung:

    – Mehrkantdrehen und Tieflochbohren auf der Drehmaschine
    – Gewinde schneiden, strählen, rollen und walzen
    – Rundschleifen, spitzenlosschleifen und flachschleifen
    (Quelle: accurtec.ch)

    Was wir mit Gewinde anstellen können, warum sollten wir das nicht auch mit unseren Haaren tun?

  • Wir strählten schon in alter Zeit
  • Der Duden klärt uns über die Herkunft dieser Technik auf:

    strählen sw. V.; hat [mhd. strælen, ahd. strāljan]
    (landsch., schweiz. mundartl., sonst veraltet):
    (langes Haar) kämmen:
    ich strähle [mir] mein Haar; Die Friseurin nimmt eine Rundbürste aus der Tasche und strählt und föhnt und windet ihr kunstvoll das Haar um den Kopf (Frischmuth, Herrin 46);

    Wir bemerken, dass die Duden-Redaktion einmal mehr ein schweizer Wort als „veraltet“ einstuft, und es als „landschaftlich schweiz. mundartl“ kennzeichnet. Hinter „landschaftl.“ versteckt sich wahrscheinlich wie immer der restliche alemannische Sprachraum ausserhalb der Schweiz, sprich das Elsass, Schwaben usw.

    Auch DWDS, das „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jh.“, herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, nennt das Verb veraltet:

    strählen /Vb./ veralt. jmdn., sich, etw. kämmen
    (Quelle: dwds.de)

    Mit umfangreichen Quellen und Belegen kann hingegen wie immer das fabelhafte Wörterbuch der Gebrüder Grimm aufwarten:

    kämmen, ahd. strâlen (aus *strâljan); mhd. strælen; as. …
    1) in eigentlicher Bedeutung ‚kämmen‘; ahd. in glossen für lat. pectere: stralta …
    a) das haar, die locken, den bart mit dem kamm, der bürste ordnen, kämmen; pectere strelen .
    (Quelle: Grimm)

  • Wenn der Narr den Bürger strählt
  • In Deutschland kennt man das Verb „strählen“ ausserhalb der Metallverarbeitung heutzutage nur noch in der alemannischen Fasnacht. Dort werden die Besucher eines Umzugs von den Narren „gestrählt“:

    Ein rückläufiger Brauch ist das „Strählen„, „Schnurren“, „Hecheln“, „Aufsagen“oder „Welschen“, d.h., der Narr spricht den unvermummten Mitbürger (den „Gestrählten“) auf der Straße oder im Gasthaus, ggf. mit verstellter Stimme, an und kann diesem hinter der Maske ohne Rücksicht auf die soziale Stellung des Angesprochenen unverhohlen und geradeheraus die Meinung sagen, ihn rügen (Rügerecht des Narren), ihn mit der Kenntnis der einen oder anderen Begebenheit überraschen oder einfach Unsinn reden. Das Gesagte sollte allerdings niemals verletzend oder gar ehrenrührig sein. Daher lautet in Rottweil auch das Motto: „Niemand zu Leid – jedem zur Freud“. Da der Narr heutzutage aber immer mehr Zugezogene oder Fremde am Straßenrand oder im Wirtshaus antrifft, fällt es ihm zunehmend schwerer, den Brauch des „Schnurrens“ zu pflegen. „Schnurren“ leitet sich ab von „Schnurre“ = „Posse, komischer Einfall“ (ursprünglich ein Lärmgerät, mit dem besonders Possenreißer umgingen). „Strählen“ = „kämmen“ und „hecheln“ = „Fasern des Hanfs oder Flachses spalten“: der Narr zieht im übertragenen Sinn sein Gegenüber, wie einst die Bäuerin die Flachsbüschel, durch ein (kammartiges) Nagelbrett (den Hechelkamm).
    (Quelle: narren-spiegel.de)

    In der Schweiz hingegen wird auch mal in der Politik etwas durch „strählen“ wieder ansehnlich, denn „strählen“ kann auch „verschönern“ bedeuten:

    dass wir in diesem Saal oder mindestens die Kommissionen diese Berichte – ich glaube, im Dezember 2003 sind der dritte und vierte Bericht fällig – noch anschauen und „strählen“ können, bevor solche Dinge wieder nach aussen gehen.
    (Quelle: parlament.ch)

    Schon lange ist den Hausfrauen bekannt: Die schönsten Muster in der Butter bekommt frau mit einem Kamm hin! Warum solche Verschönerungen nicht auch beim „Strählen“ von Kommissions-Berichten versuchen?

    Zum Abschluss ein paar Verse Schweizerdeutsch. Geben Sie Obacht und versuchen Sie einmal, die Herkunft dieses Dialektgedichts zu ergründen:

    dîn hâr was dir bestroubet:
    dô strælte dir dîn houbet
    zeswenhalp der rabe dâ,
    winsterhalp schiet dirz diu krâ
    (Quelle: Grimm)

    Na, woher stammt das? St. Gallen oder doch eher aus dem Wallis? Lassen Sie sich nicht in die Irre führen. Es ist etwas viel Älteres. Die Verse sind kein Versuch eines Deutschen, Schweizerdeutsch zu schreiben sondern entstammen der Versnovelle „Meier Helmbrecht“ von Wernher dem Gärtner aus dem dritten Viertel des 13. Jahrhunderts

    Hätten wir das jetzt nicht erwähnt, wäre bestimmt sogleich eine Diskussion entbrannt. Wir werden uns hüten, nochmals Schweizerdeutsch „frei-nach-Gehör“ zu verschriften. Sonst kommt noch jemand mit dem Kamm und will uns strählen.. lieber nicht.

    Strählen geht nicht immer ohne Nebenwirkungen:
    Strählen mit dem Kamm

    

    13 Responses to “Strahlen in den Haaren? — Es „strählen“ nicht nur die Narren”

    1. su Says:

      Wir kommen entweder mit der Bürste oder dem Sträu um euch zu strählen. Aber doch nicht mit dem Kamm *g*

    2. Administrator Says:

      @su
      und wieso kommt dann Duden.de und Grimm zu dem Schluss, das „Strählen“ = kämmen sei? Ist „strählen“ eher = „bürsten“?
      BTW: Was ist ein Sträu? Nicht das was ich den Kaninchen in den Stall schütte, damit sie es trocken und kuschelig haben?

    3. Phipu Says:

      Jens
      ’s „Schtrou“ oder „Schtrau“ = das Stroh, der „Schträäu“ oder „Schträhl“ = der Kamm. Ein Meerschweinchen kaut nicht gerne Elfenbein, Horn oder Plastik.

      Ich habe absichtlich alle „St“ lautmalerisch mit „Scht“ geschrieben. im Transkript steht es natürlich als „St“.

      http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GS49073

      http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GS50423

      „bürschte“ als Verb gibt es auch. Beim Coiffeur hat es einfach keine Kämme sondern nur Strähle. Die Kämme sind beim Frisör.

    4. Geissenpeter Says:

      su meint damit, dass „Kamm“ kein schweizerisches Wort ist. Der „Schträu“ ist ein Kamm – und kommt von „strählen“.

    5. sylvie Says:

      ja und das arme Kind das da einen Knoten in den Haaren hat , eine Qual beim strählen von langem Haar,kämpft mit einem ‚Baggu‘ 🙂
      ‚verbagglets‘ Haar ist Haar voller Knoten…………………….

    6. HaegarCH Says:

      Strähl zum strähle
      Bürschte zum Bürschte oder Striggle (dann aber das Pferd).

      Aber „bürschte“ kann dann auch ein „Spiel“ unter Erwachsenen sein, was dann neun Monate später einen Balg und allfällige Allimentenzahlungen nach sich ziehen kann.

    7. joram Says:

      interresantes bild 😉

    8. Phipu Says:

      Beim „Strählen“ übrigens unbedingt auf die richtige Aussprache des „ä“ achten (also nicht „strahlen“). Ich würde nämlich eher in Höhlen oder Bergen „strahlen“ als in Haaren. In der Kopfhaut ist die Ausbeute nur etwa so gering wie in: http://www.blogwiese.ch/archives/292

      In Bergen, Höhlen und anderen Gesteinsschichten findet man beim „strahlen“ dagegen oft wertvolles Gestein.

      Noch immer nichts begriffen? „Strahlen“ (als Verb) bedeutet „nach Kristallen suchen“ Siehe: http://www.kristalle.ch/strahlen/strahlen.asp
      Die gefundenen Google-Resultate deuten auf nur in der Schweiz bekannten Wortsinn hin.

    9. Jürg Says:

      Und wieder ein sehr guter „da strählets mi grad hindere“ undgefähr das haut mich aus den Socken.

    10. bärner-oberlenderi Says:

      nur so nebenbei – hier im berner oberland sagen wir den knoten im haar „Wureni“ – und wieder „öppis glert“ 🙂

      ps: kuuler blog

    11. myl Says:

      Von Zürich an ostwärts würde man dem Knoten im Haar wohl „Chnopf“ oder „Näscht“ sagen, letzteres in Anlehnung an die Ähnlichkeit mit einem Vogelnest…

    12. mare Says:

      Und das Stählen, das der Narr macht, heisst bei uns „intrigieren“

    13. Allmechtna Says:

      hier darf eines nicht fehlen:

      putzt un gstrählet = (übertr.) alles bestens; auch: bestens vorbereitet, kann kommen was mag