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Langes Fädchen, faules Mädchen — Was alles langfädig ist in der Schweiz

  • Wasserkraft und Webereien im Linthtal
  • Die Industriegeschichte der Schweiz ist eine Reihung von Erfolgen und Niedergängen. Es fehlten die natürlichen Ressourcen wie Eisenerz oder Kohle. Aber es gibt Wasserkraft in jedem Tal, und die liess sich nutzen um z. B. mechanische Webstühle und Spinnereien anzutreiben. So lasen wir über das Glarnerland:

    Während der Blütezeit um 1865 arbeiten in den 22 Druckereien etwa 6000 Menschen, die jährlich grosse Mengen Tücher hauptsächlich mittels Handmodel bedrucken. In den zahlreichen Spinnereien und Webereien sind zudem annähernd 4000 Arbeitende tätig. Die Textilindustrie beschäftigt fast einen Drittel der stark gewachsenen Gesamtbevölkerung, die 1870 mit 35 200 eine Höhe erklimmt, die in den folgenden sechs Jahrzehnten nicht mehr erreicht werden soll.
    (Quelle: www.glarusnet.ch)

    Ein bequemer Radwanderweg erlaubt es, vom oberen Ende des Tals ab Linth bis hinunter zum Bahnhof Ziegelbrücke auf 50 Km an den 80 ehemalige Spinnereien und Webereien den „Glarner Industrieweg“ zu erkunden. Sportlich ambitionierte Biker fahren natürlich in Gegenrichtung bergan von Ziegelbrücke nach Braunwald. Es ist geradezu unheimlich zu erkennen, wie gespenstig unbewohnt und verlassen die Orte im oberen Teil des Linthtals heute sind und sich das Tal mit jedem zurückgelegten Kilometer bergab erst nach und nach belebt, je mehr man sich dem Hauptort Glarus nähert, und je kürzer die Pendeldistanz zum nahen Kanton Zürich wird.
    Betrieb im Linthtal
    (Quelle Foto: glarusnet.ch)

    Weben und Spinnen sind also altbekannte Techniken in der Schweiz. Ein langer Faden muss selten gewechselt werden, und bei der Handarbeit gilt „langes Fädchen — faules Mädchen“, weil selten ein neues Stück Garn eingefädelt werden muss. Vielleicht rührt daher auch die Erfahrung, eine „landfädige“ Tätigkeit ziemlich langweilig ist.

  • Pflegen Sie auch langfädige Rituale?
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger:

    In langfädigen Ritualen macht der Gemeinderat alle paar Wochen Hunderte von im Ausland geborenen Ausländern zu Schweizern.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 30.11.06)

    Wir fanden weitere Überbleibsel der Textilindustrie:

    Das halbherzige Engagement, mit langfädigen Entscheidungen und Verspätungen führte dazu, dass die NEIN-Kampagne in der Öffentlichkeit kaum sichtbar war.
    (Quelle: viavia.ch)

    Sogar im Sprachgebrauch Schweizer Linux-Freaks erhielt sich die textile Tradition:

    Dort fand man es in etwa hundert Unterordnern was zu einer sehr langfädigen URL führte
    (Quelle: Linuxinfozentrum.ch)

    Für „langfädig“ findet sich bei Google-CH 1‘070 Belege. Die Variante “langfädigen” ist immer noch mit 434 Exemplaren
    dabei. Kein Wunder, denn ist tatsächlich eine echte Schweizer Variante:
    Unser Duden meint:

    langfädig (Adj.) (schweiz.): weitschweifig, langatmig und langweilig: langfädige Erklärungen.
    (Quelle: duden.de)

  • Gepflegte Fadesse bei den Österreichern
  • Lässt man das „lang“ weg, kommt man schnell von „fädig“ zu „fade“, für „reizlos“ oder „langweilig“. Die Österreicher haben daraus sogar ein Tätigkeitswort für gepflegte Langeweile geformt. Sie „fadisieren“ ganz einfach (670 Funde bei Google-AT) . Und folglich ist Langeweile in Österreich auch eine „Fadesse“. (14‘000 Funde)

  • Was nicht fad ist, ist dröge
  • In meiner Heimat in Nordwestdeutschland sagen die Menschen statt „fade“ oder „langfädig“ lieber „dröge“. Das hat nun leider gar nichts mit dem „Drögeler“ zu tun und das Wort „Dröge“ ist in der Schweiz eher ein Nachnamen als ein Adjektiv. Beeindruckende 406‘000 Fundstellen bei Google-DE gegenüber nur 22‘600 bei Google-CH belegen gut, dass diese Adjektiv den Schweizern als Variante für „langweilig“ eher fremd ist. Die ersten Belege stammen übrigens von einer Seite namens „Blogwiese“: Sei nicht dröge und werde kein Drögeler.

  • Ich lisme einen Lismer
  • Falls Sie bis hierhin durchgehalten haben bei dieser langfädigen Lektüre, dann herzlichen Glückwünsch! Sie dürfen jetzt zur Abwechslung Wolle kaufen gehen und damit einen „Lismer“ „lismen“, sofern sie in der Schweiz leben oder mit langem Faden eine Strickjacke stricken, wennSie in Deutschland wohnen und dies nicht zu dröge finden.

    

    15 Responses to “Langes Fädchen, faules Mädchen — Was alles langfädig ist in der Schweiz”

    1. sylv Says:

      ou nei, lisme ma i nid, da zieh i Fäde:)

      ‚Fäde zieh‘
      BE deutsch ->sich aus dem Staub machen

    2. Peter Says:

      mia is fad…drum hob i wieda amoi da ind blogwiesn einigschaut….

      off topic:
      Weiss eigentlich jemand warum es die zwei Firmennamen WICK und VICKS gibt? Wir Österreicher kennen nur WICK. Vicks klingt vielleicht in unseren Ohren etwas schlüpfrig, es kann aber auch etwas weniger Schlüpfriges bedeuten wie zBsp die „Uniform“ der Studentenverbindungen, denn die heissen auch Wichs (Wix gesprochen) – aber das wissen auch die wenigsten.
      Zurück zu WICK und VICKS: Es ist doch auffallend dass in der Schweiz das nametlich gleiche Produkt (Vaporup etc…) auch gleich verpackt ist aber VICKS heisst. Was steckt da dahinter? Sind ja sehr ähnliche Namen….

      pfiat eich/tschüss/sali
      Peter

    3. coolman Says:

      also ich finde diese google-zahlenvergleiche nicht besonders gut als „beweis“ für die beliebtheit und bekanntheit von wörtern.

      langfädig ist mit rund 1’000 nennungen also ein typisches schweizer wort, aber dröge mit 22’000 den schweizern eher fremd? das passt doch nicht. auch ein vergleich Deutschland-Schweiz ist nur dann sinnvoll, wenn man die Einwohnerzahlen mitberücksichtigt (eigentlich ja die Websites, die evtl. proportional zu den Einwohnern sind). multipliziert man die 22’000 schweizer dröge-funde mit 10 (10 x weniger einwohner als d), dann ist man schon bei 220’000 und über der hälfte der 400’000 bei google.de.

      oft kommt es auch sehr darauf an, in welchem casus das Wort gebraucht wird, in welcher schreibweise, evtl. noch mit einer vorangestellten silbe, die google dann nicht findet.

      und noch was: in deutschland wird vermutlich viel weniger mundart in blogs geschrieben als in der schweiz, womit die typischen regionalismen auch weniger oft auftauchen.

      alles argumente, die zeigen, dass man mit google nicht zu viel „herausrechnen“ sollte, insbesondere nicht in einem ländervergleich.

      [Anmerkung Admin:
      Du hast Recht, ein absoluter Beweis ist das bestimmt nicht, aber dennoch ein Hinweis. „Dröge“ wird aber im Variantenwörterbuch als rein D Variante für „langweilig“ geführt, während „langfädig“ nur in CH bekannt ist. In beidenLändern ist „Dröge“ häufig auch ein Name, in der Schweiz eher als in Deutschland.
      War für Dich persönlich denn „dröge“ gleich langweilig / träge bisher bekannt?]

    4. mare Says:

      Mit auserlesenem Faden lisme ich lieber als dass ich mit einem Strick eine Jacke herstelle.

    5. .d. Says:

      Hm, das Wort „langfädig“ kannte ich aber auch noch nicht – wird wohl (zumindest in der Zentralschweiz) nicht enorm verbreitet sein – ganz im Gegensatz zu ‚lisme‘ was natürlich alle kennen.

      @ Peter
      So wie ich das sehe heisst „Vicks“ überall ausser gerade in Deutschland und Österreich „Vicks“ und nicht „Wick“. Macht auch Sinn, denn die Firma „Richardson-Vicks“ hat das Zeugs laut Wi(c)kipedia erfunden.
      Vielleicht hat man es wirklich wegen dem etwas schlüpfrig assoziierbaren Namen in DE/AT umgetauft.
      Protector & Gamble (der heutige Hersteller) schreibt übrigens in einem deutschen FactSheet: „Mit weltweit bekannten Marken wie WICK (VICKS in anderen Ländern)“. Ich denke also es ist durchaus anzunehmen, dass es wirklich überall ausser bei euch Vicks heisst.

    6. myl Says:

      Ich finde „langfädig“ ein wunderbarer Begriff. Ich hätte aber die Herkunft nicht in der Faden“-Industrie vermutet, sondern einen Zusammenhang mit Fondue hergestellt:

      Eine Diskussion ist langfädig, weil sie an einem Ort klebenbleibt und nur schwer vom Punkt wieder wegkommt, eben so wie der Käse Fäden zieht, die bei einem rechten Fondue wirklich endlos werden können…

    7. Brun(o)egg Says:

      Auch Geschäfte werden eingefädelt in der Schweiz und Lismen ist eindeutig Berndeutsch. Sonst wird gestrickt.

      Ist langfädig und dröge das Gleiche? Eine lanfädige rede-, viel Zeit, mit Ausschmückungen-, kann trotzdem interessant sein. Eine dröge Rede ist doch eher platt, langweilig (nicht fädig) nichts sagend und ermüdend vorgetragen.
      Mehr ein ein Empfinden meinerseits als Wissen.

    8. solar Says:

      O nein, gerade im Kanton Zürich oder in der Zentralschweiz benutzt bestimmt niemand, der die Mundart auch nur einigermassen beherrscht, „stricken“ oder eine Ableitung davon. Man „lismet“ eindeutig.

      Hingegen sagt man weiter östlich (TG, SG) meines Wissens „schtrigge“.

      Der Lismer kommt allerdings ziemlich aus der Mode (wir haben unsere Tante (Jhg. 1928, nördl. Kanton Zürich) jedenfalls schon früher hoch genommen wegen dieses Ausdrucks).

      Das Wort „Stricken“ findet sich auch im Ausdruck „Strickbau“, einer Bauweise mit horizontal aufeinander geschichteten Balken. Bedeutet der Familienname Stricker etwa Zimmermann oder war der namengebende Vorfahre doch ein Lismer?

    9. myl Says:

      @brun(o)egg

      lismen=stricken????!?

      Als Ex-Zürcher und nun-Ostschweizer wüsste ich nicht, wo hier gestrickt wird – bei uns wird überall gelismet….

      stricken ist für mich ganz klar schrift/hoch-deutsch

    10. myl Says:

      Nachtrag, um einem Missverständnis vorzubeugen:

      Logisch ist lismen=stricken, aber lismen ist in der ganzen Deutschschweiz lismen, und nicht stricken.

    11. .d. Says:

      „und Lismen ist eindeutig Berndeutsch. Sonst wird gestrickt.“

      Sicher nicht nur Berndeutsch – in Luzern sagen wir genauso (und ich bin ziemlich sicher, auch in vielen anderen Kantonen)

      Und Dröge ist übrigens auch kein total unschweizerisches Wort – es mag vielleicht nicht so beliebt sein wie gewisse andere Synonyme, wird aber sicher verstanden und teilweise auch verwendet im Schweizerdeutschen.

    12. Phipu Says:

      An Peter

      Manchmal versuche ich mir die in der Schweiz anderen Namen durch die Mehrsprachigkeit zu erklären. Für die importierten Produkte bei uns mussten ja schon seit jeher andere Etiketten als die für Deutschland, Frankreich oder Italien gedruckt werden. Wieso also nicht gleich den Namen anpassen. Aber bei „Vicks“ sehe ich auch keinen Grund in der Mehrsprachigkeit.

      Höchstens noch dies: auch bei der Schreibweise „Vicks“ wird das Wort als [Wiggs] ausgesprochen. V wird bei allem, was fremd klingt, nicht als F gesprochen, wie bei Velo [Welo]. Daher können wir auch alles Holländische so schön falsch sagen. Z.B. die Stadt Venlo (falsch: [Wenlo] statt richtig: [Fenlo]). Wie auch immer der V bei Vicks ausgesprochen wird, man kann immer an etwas Schlüpfriges denken.

      Sogar bei der Umbenennung der amerikanischen Schoggistängel des Namens Raider in Twix hierzulande konnte ich mir in meiner jugendlichen Phantasie etwas Belustigendes vorstellen, bis ich mich an diesen Namen gewöhnt hatte. Hiessen die eigentlich im ganzen deutschen Sprachraum früher Raider? In der Schweiz sind ja, wie geschildert, viele Namen anders; z.B. auch die Schuhläden DE: Deichmann, CH: Dosenbach, damit es nicht so gar teutonisch fremd tönt.

    13. suk Says:

      Oh nein, „lisme“ ist auch in der Region Aargau/Zürich gebräulich!

    14. Katia Says:

      @ Brun(o)egg: „Gstriggt“ wird eigentlich nur in Basel. Überall sonst wird „glismet“.

    15. Else Says:

      Das sind Worte die man vielleicht bei http://www.fremdwort.de wiederfinden könnte.