Was ist ein Küchenkasten? — Rätsel um ein Schweizerdeutsches Wort

August 18th, 2006
  • Was ist ein Küchenkasten?
  • Ja, wir haben es jetzt begriffen: Chuchichäschtli oder Chochichäschtli oder Kuchikäschtli ist eine „Küchenkasten“, versteht doch jeder. Aber was um alles in der Welt ist ein „Küchenkasten“?

  • Der Kasten ist ziemlich vielseitig
  • Wir sind erstaunt, was uns unser Duden zum Kasten alles ausspuckt:

    Kasten, der; -s, Kästen, selten auch: – [mhd. kaste, ahd. kasto, wahrsch. verw. mit Kar]:
    1. rechteckiger, aus Holz od. einem anderen festen Material hergestellter [verschließbarer] Behälter zum Aufnehmen od. Aufbewahren von etw.:
    ein hölzerner K.; ein K. aus Blech, für die Asche; der K. steht offen, ist verschlossen.

    Im Standarddeutschen selten gebräuchlich, häufig durch „Kiste“ ersetzt. Seit es keine Kohleöfen mehr gibt, sind auch die „Aschenkästen“ selten geworden.

    2. zum Transport von Flaschen vorgesehener, in einzelne Fächer unterteilter offener Behälter:
    Kästen mit Bier und Limonade; ein K. Limonade; ein K. bayerisches Bier; mit zwei Kästen bayerischem Bier/(geh.:) bayerischen Biers.

    Die wichtigste Form von Kasten, finden wir, in der Schweiz komplett durch „Harasse“ ersetzt. (vgl. Blogwiese).

    3. kurz für Aushängekasten, Schaukasten:
    Vor dem Filmpalast sah sich Jenny Bilder an … Wir schauten Bilder in einem anderen K. an (Grass, Hundejahre 276); im K. hängen (landsch.; [vom Aufgebot 2] im Aushängekasten hängen, um öffentlich bekannt gemacht zu werden).

    Schaukasten ist in der Schweiz garantiert nur als „Vitrine“ bekannt, klingt so wunderbar eingedeutscht von Campe 1871.

    4. (ugs.) kurz für Briefkasten:
    der K. wird morgen früh geleert; einen Brief in den K. stecken, werfen, zum K. bringen.

    Spricht den wirklich jemand „ugs“ = Umgangssprache in Deutschland? Ich dachte, die sind alle mit poliertem und gestochenem Hochdeutsch völlig ausgelastet?

    5. (landsch.) kurz für Schubkasten:
    den Kasten herausziehen.

    Gibt es unter den wenigsten Betten von Ikea, und wenn, dann heissen die „Schublade“.

    6. (ugs. abwertend)
    a) großes, unschönes Gebäude:
    Das Hotel, in dem wir frühstückten, war ein pompöser alter Kasten (Koeppen, Rußland 121);
    b) großes, unförmiges, meist altes Verkehrsmittel:
    zwei Fahrzeuge, von denen das eine … ein schwerfälliger alter Kasten aus Reichswehrzeiten … war (Kuby, Sieg 20); Die Tirpitz war das Gespött der Stralsunder … Es roch ziemlich muffig in diesem alten Kasten (Fallada, Herr 51).

    Als „Kastenwagen“ selten im Einsatz:

    7. kastenförmiger Aufsatz auf dem Fahrgestell bestimmter Kraftfahrzeuge u. Pferdewagen.

    8. (ugs. abwertend) kastenförmiges, meist größeres Gerät (z. B. Radio, Fernsehapparat, Kamera o. Ä.):
    mach doch endlich den K. aus!; Mein Klavier habe ich verkauft … Der alte Kasten hat hundert Mark eingebracht (Remarque, Obelisk 343); Wir haben die Aufnahmen ja schon im K. (Hörzu 9, 1973, 124).

    Eine Aufnahme „im Kasten“ haben ist gebräuchlich, obwohl die zeitgenössische Antwort lauten müsste. „Habe ich schon gespeichert“ oder „schon auf der Festplatte“.

    9. (südd., österr., schweiz.) Schrank:
    hohe Kasten mit vielen flachen Schubfächern und beschriebenen Zetteln standen in seinem Zimmer (Musil, Mann 342); Waltner macht Ihnen alle Kästen …, denn Waltner ist nicht nur Möbelhändler, sondern auch Möbelerzeuger (Vorarlberger Nachr. 22. 11. 68, 3).

    Damit klärt sich das Rätsel um den „Küchenkasten“. Nur in Süddeutschland, Österreich und in der Schweiz ist das Wort als Synonym für „Schrank“ gebräuchlich. Im Norden kennt das wieder kein Schwein.

    Wenn im Norden von Deutschland ein „Kasten“ erwähnt wird, dann meistens, weil man etwas drauf hat:

    14. * etw. auf dem Kasten haben (ugs.; intelligent, befähigt sein; wohl in Anspielung auf den Kopf als Kasten, in dem der Verstand sitzt, vgl. Gehirnkasten).
    (Alle Zitate aus duden.de)

    Und schliesslich ist da noch unser geliebtes „Chochichästli-Orakel„, mit dem sich die Herkunft eines jeden Schweizers genau bestimmen lässt:
    Das Chochichästli-Orakel der Schweizer Dialekte

    Beim Zeus, du sollst nicht zeuseln! — Kokeln in der Schweiz

    August 10th, 2006
  • Zerzaustes Zeug zeuselt gut
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 8.7.06 auf Seite 15:

    Kinder zeuselten
    Bäretswil. – Der Grossbrand im Heilpädagogischen Institut St. Michael ist geklärt. Die Ermittlungen der Kantonspolizei Zürich ergaben, dass zwei zeuselnde Kleinkinder Heu in der Scheune angezündet hatten. (…)

    Kinder zeuseln
    (Quelle Tages-Anzeiger vom 8.7.06, S. 15)
    Und wieder ein wunderbares Wort der Schweizerdeutschen Sprache gelernt: Zündelt man in der Schweiz mit Zeug, dann ist das „zeuseln“.

    Die Nord- und Mitteldeutschen hingegen stehen mehr auf „Koks“, der schlecht brennt, und wenn es ums Spielen mit dem Feuer geht, dann wird dort nicht gezeuselt, auch nicht „gekokst“, sondern „gekokelt“:

    Unser Variantenwörterbuch kennt sie alle beide:

    zeuseln CH sw.V./hat (Grenzfall des Standards):
    zündeln A CH D (ohne ost), kokeln D-nord/mittel „unvorsichtig mit Feuer spielen“: Mutter Brigitte sass in der Küche, im Wohnzimmer zeuselten Adrian und Dario. Im Handumdrehen stand das alte Haus in Flammen (Blick 25.7.1997,9)

    Kind beim Kokeln
    Wir hoffen stark, dass es bei diesen beiden Varianten beschränkt bleibt und nicht plötzlich 20 weitere Verbformen für „unvorsichtig mit dem Feuer herumspielen“ auftauchen.
    Grimm meint dazu:

    ZEUSELN, verb., gelegentlich auftretende (H. FEDERER berge u. menschen 463) verhochdeutschte lautform des Bd. 31, Sp. 874 schweiz. züseln (STALDER schweiz. idiot. 2, 470; -ö- TOBLER appenz. 461a), welches seinerseits aus zünseln (th. 16, 623) entstanden ist. –
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Es steht also auch im Idiotikon, das wir leider bisher immer noch nicht finanzieren und nach Hause schleppen konnten, und ist eine „verhochdeutschte Lautform“ von „züseln“, oder „zünseln“. Ah, jetzt, ja! Und es kommt aus Appenzell, soviel ist klar.

    Bei Google-CH fanden wir 162 Belege.

    Zeuseln ist brandgefährlich
    Langnau: Feuerwehr schult Kindergärtler auf Brandschutz
    (Quelle: Zürichsee Zeitung)

    oder

    Zamt & Zunder zeuseln
    Mit dem Stück «Cowboy, Cowboy» zeigt das Theater Zamt & Zunder ein Stück über Gewalt. Lehrpersonen wird ausführliches, theaterpädagogisches Begleitmaterial überreicht.
    (Quelle: Zuonline.ch)

    Auch die Schreibung mit „ä“ kommt häufig vor.
    Beispiel:

    Jetzt zäuseln sie wieder:
    nehmt ihnen die Streichhölzer weg
    Oder soll das Schweizerhaus in
    Flammen aufgehen?
    (Quelle: freie-meinung.ch)

    Ist das nicht poetisch? Der Duden hat übrigens keine Ahnung von dem Wort, aber immerhin wird es im Deutsch (Schweiz) Thesaurus von Microsoft Word 2003 erwähnt! Ja genau, das berühmte Synonymwörterbuch aus Richmond, was in früheren Versionen zu „Puff“ das Synonym „Frauenhaus“, zu „Unternehmer“ einfach „Ausbeuter“ lieferte, und bei der Eingabe des Wortes „Realitätsverlust“ gnadenlos abstürzte. Ist aber lange nicht mehr so, da hilft kein Ausprobieren. Word ist trittsicher in Sachen Schweizerdeutsch geworden.

    Wenn der grosse Chlapf kommt

    August 4th, 2006
  • Wir warten nicht auf Godot, wir warten auf den Chlapf
  • In anderen Kulturen ist das Warten auf religiöse oder mythische Gestalten Teil des Alltags. Während die Iren und andere Beckett-Fans immer noch auf „Godot“ warten, die Menschen mosaischen Glaubens den Messias (Maschiach) erwarten und für ihn am Schabbat, extra ein Gedeck mehr auf den Esstisch stellen, warten die Deutschen auf den Briefträger mit dem Bescheid vom Arbeitsamt.

    In der Schweiz gibt es auch eine mystische Gestalt, auf die alle warten. Es ist der sagenumwobene „grosse Chlapf“.

    Zitat:

    Es liegt nun am EMD und an der Armeeführung, den entstandenen Schaden zu beheben. Die Zeit heilt bekanntlich Wunden, aber es darf in nächster Zukunft wirklich nicht mehr etwas Ähnliches passieren, sonst kommt der grosse Chlapf.
    (Quelle: http://www.parlament.ch/Poly/Suchen_amtl_Bulletin/cn97/printemp/241.HTM?servlet=get_content

    Wir geben zu, diese Quelle ist neun Jahre alt, denn das „Eidgenössische Militär Departement“ hat sich mittlerweile zum Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport kurz VBS gewandelt, wie wir bereits hier erläuterten.

    Oder hier:

    Oke… in ein paar Tagen erfolgt der grosse Chlapf!!
    (Quelle: kopfmehl.net )

  • Warten auf den Chlapf im Permafrostgebiet
  • Das hübsche Wörtchen „Chlapf“ lernten wir im heissen Sommer 2006, also durch die hohen Temperaturen in den Permaforstgebieten der Alpen die Wahrscheinlichkeit zunahm, dass in den Bergen ordentlich was abging:

    Am Waldrand oberhalb der Häuser sitzend beginnt der Stuttgarter von der Schweiz im Allgemeinen und von «dieser einzigartigen Berglandschaft» im Besonderen zu schwärmen. Doch wie viele andere Gäste auch hält er seine Kamera in der Hand und wartet auf den grossen «Chlapf» –das schweizerdeutsche Wort muss ihm niemand erklären.
    (Quelle: espace.ch)

    Nun, der Stuttgarter ist von Haus aus Schwabe, versteht also einen Alemannischen Dialekt, darum muss ihm niemand den Chlapf erklären.

    Wir lasen in der Sonntagszeitung vom 23.07.06

    Hitze bedroht die Berge
    An vielen Orten in den Schweizer Alpen schmilzt der Permafrost-Boden. Schattenhänge oberhalb von 2400 Meter werden instabil, es drohen Felsstürze und Murgänge. « Mit fortschreitendem Eisverlust nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass in der Schweiz ein Grossereignis passiert»

    Kurzgesagt. Der Berg ruft nicht mehr, sondern er kommt gleich selbst.

    Der „Chlapf“ ist für Schweizer auch eins von vielen Koseworten für ihr Auto. Hier eine kleine Übersicht aus dem Slängikon für Züridütsch:

    Badwanne, Bäne, Bläch-Guutsche, Büchs, Bütti, Charre, Chischte, Chlapf, Dräckschlüüdere, e Garette, e Soife-Chischte (selbstgebasteltes Auto für Kinder), es Gschooss (schnelles Auto), galoppierendi Öpfelhurde oder Runkle (kleines oder altes Auto), Gelte, Göppel, Griite-Schlepper, Guutsche (Kutsche), Kilometer-Frässer, Maggina (von ital. macchina), Mühli, Pfüpferli, Poschti-Chörbli, Rääbe, Rochle, Roschthuufe, Roschtlaube, Sackgäld-Verdampfer, Schlitte, Schnupf-Trucke, Tasse, Trog, Wartsaal (langsames Auto)
    (Quelle: Slängikon)

    Es fällt auf, dass in diesem Lexikon all die Dinge und Tätigkeiten besonders gut und variantenreich vertreten sind, die der Schweizer gern hat oder gern tut. So findet sich zum Beispiel zum Thema „arbeiten“:

    aaschaffe, ackere, ad Seck gah, Batzeli verdiene, bügle, chnuppere, chnüttle, chrampfe, chrämpferle, chrüpple, d Stämpel-Uhr beschäftige, Freiziit vergüüde, grüble, hacke, in Bou gah, in Bunker gah, in Stolle gah, maloche, noddere, pickle, rackere, robottere, rüttle, s Bättle versuume (zu wenig verdienen), schufte, wörke (von engl. to work)

    Oder Geld:

    Geld Thema [Geld] Züri-Släng Chies, Chlöibi, Chlööte, Chlotz, Chludi, Chlütter, Chole, Flider, Flocke, Hammer, Höde, Käsch (von engl. cash), kei Schruube am Arsch ha (kein Geld haben), Kneete, Moni (von engl. money), Moos, Münz, Müüs, Noote, Rubel, Schnee, Schotter, Schruube, Stei, Stiis, Stutz, Zaschter
    (Quelle: Slängikon)

    Sagen die echt nicht „Fränkli“ zu ihrem Geld?

    Nicht so gern tun die Zürcher streiten:

    chääre, chifle, Chritz haa, Lämpe haa, zangge

    dafür aber umso lieber „Liebe machen“, vgl. hier.

    Eine Ehemaligenvereinigung einer Schule hat sich die Domäne www.chlapf.ch schon 1999 gesichert, in der Urzeit des Internets.
    Der grosse Chlapf als Abizeitung
    Sieben Jahre später haben alle ehemaligen Abiturienten das Surfen verlernt und arbeiten in richtigen Berufen.

    Haben Sie auch eine Scheibe? — Neue Schweizer Redewendungen

    Juli 30th, 2006
  • Auf was man alles schiessen kann
  • Die Schweizer sind ein schiessfreudiges Völkchen. Schon mehrfach berichteten wir vom „Schiesspurgatoriumobligatorium“, der Pflicht des wehrhaften Schweizers, seine international geführten Fähigkeiten als „Sniper“ zu trainieren und auszuüben. Geschossen wir mit den Hochpräzisionsgewehren über 300 Meter auf Scheiben, nicht auf Pappkameraden wie bei der Deutschen Bundeswehr.
    Unternehmen Pappkamerad
    (Foto: Filmplakat „Unternehmen Pappkamerad„, Quelle: murnau-stiftung.de)

    Das Schiessen auf solch einen „Pappkameraden“ war für manchen Wehrdienstleistenden in der Bundeswehr Grund genug, sofort und unmittelbar den „Kriegsdienst mit der Waffe“ zu verweigern, wie es seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland von den Vätern der Verfassung in Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes vorgesehen ist:

    „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“.
    (Quelle: datenschutz-berlin.de)

    Wer den Kriegsdienst in Deutschland verweigern will, sollte diesen Satz nebst Quelle auswendig können, denn nichts ist peinlicher, als bei einer Verhandlung danach gefragt zu werden, und gar nicht zu wissen, auf welchen Artikel man sich da beruft.

    Interessant ist der nachfolgende Satz im Grundgesetz: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“, denn da öffneten sich dann etliche Möglichkeiten, die von Jahr zu Jahr angepasst wurden.

  • Eine Scheibe haben — auf eine Scheibe schiessen
  • Die Schweizer schiessen also auf Scheiben, wenn sie nicht gerade selbst „eine Scheibe haben“. Nein, sie malen sich dazu nicht runde Kreise auf die Stirn, im Sinn eines Kamikaze-Kämpfers als „bewegliches Ziel“ für die anderen. Es ist kein angenehmes Gefühl für einen Schweizer, wenn er „eine Scheibe hat“. Es ist ihm dann schummrig, schlecht, er ist wackelig auf den Beinen, wie nach einer durchzechten Nacht ohne Schlaf, oder nach dem Genuss diverser Chemikalien.

    In Deutschland wäre man in dieser Situation wahrscheinlich „neben der Kappe“ oder man hätte eine „Mattscheibe“, wie ein Fernseher, der nur weisses Rauschen anzeigt. „Neben der Kappe“ sein findet sich bei Google-De immerhin 11.900 mal, während die Schweizer „Schiibe han“ nur wenig geschriebene Belege hat. Wem so schlecht ist, der schreibt das selten auf. Wahlweise ist es dann eine „hammer Schiibe“, eine „mega Schiibe“ oder eine „fette Schiibe“ die jemand hat: Vgl. Google.

    Mit dem Ausdruck lässt natürlich wunderbar wortspielen, zum Beispiel in einem Beitrag über die Plattenindustrie:

    Der König bin ich und nicht die Herren und Damen der Industrie, die mittlerweile vor lauter Prozessen, An- und Wehklagen eine ziemliche Scheibe haben dürften.
    (Quelle pctipp.ch)

    Das bemerkenswerte Züri-Slangikon führt diese Redewendung als eine von vielen Varianten für „müde, erschöpft“ sein:

    chasch mi schüüfele (ich bin todmüde), d Luft isch dusse, d Schlüüch sind leer, dure, duuch, fertig sii mit de Wält, fix und foxi, flade, fläde, flocho, gschlisse, gschluuchet, halb-läbig, i de Brüch, i de Seil hange, ich han e Schiibe, im Arsch sii, lulo (lustlos), proche (gebrochen), putt (Abk. von kaputt), säcke, schläbe, Schrott, sugo, teig, tilt, uf de Felge, uf de Schnäuz, uf de Schnure, uf de Stümpe, uf em Hund, uf em Zahfleisch laufe, uf Resärve, uusbrännt, uusglutschet, voll am Arsch, Wind i de Wüeschti haa, zur Sou
    (Quelle: Slängikon)

    Ob es auf Züridütsch genauso viele Ausdrücke für „ich habe Lust zu arbeiten“ gibt?

  • Eine Scheibe abschneiden und Scheibenkleister
  • Im Hochdeutschen können wir uns davon ruhig „eine Scheibe abschneiden“, den dass wäre die einzige Redewendung, die wir zum Thema beitragen können. Abgesehen von der Anmerkung, dass das Wort „Scheibe“ oder „Scheibenkleister“ gern als harmloser Ausweichbegriff für gleichbeginnende Worte der Fäkalsprache verwendet werden. Womit sich durch den Ausruf „Es schiist mich an“ der Reigen wieder schliesst.

  • Die Wahrheit über „es schiist mich an“
  • Einst haben wir behauptet, dass die Schweizer diesen Fluch nur äussern wenn daheim das Sturmgewehr beim Putzen im Kleiderschrank umfiel und sich ein Schuss von allein in Richtung Putzfrau löste (vgl. Blogwiese) . Nachdem wir über diesen Irrtum in der Zwischenzweit an die 20 Mal aufgeklärt wurden, halten wir heute fest fürs Protokoll: Ja, wir wissen was „es schiist mich an“ bedeutet, wobei wir bei der Vorstellung von reflexiver Stuhlgang immer noch etwas unter mangelndem Vorstellungsvermögen leiden. Wie soll das denn funktionieren? Will man uns hier etwa verscheissern?

    Blochen ohne Blocher — Wenn es der Schweizer eilig hat

    Juli 28th, 2006
  • Er blocht auch ohne Blocher
  • Wir lasen in der SonntagsZeitung vom 16.07.06 über zwei in der Schweiz gestoppte Teilnehmer des verbotenen „Cannonball-Rennen“:

    „Die Lady musste 1500 Franken Bussendepot hinterlegen, ihr Konkurrent 2’500 Franken. Beträge aus dem Benzinkässeli, die beide anstandslos bezahlten. Keine Wirkung hatte das Fahrverbot für die Tempobolzer: Die für solche Fälle vorgesehenen Beifahrer übernahmen das Steuer. Und blochten unbeeindruckt weiter, durch den Gotthard Richtung Rimini.
    (SonntagsZeitung 16.07.06, S.2)

    Nun, dass hier nicht Geld dafür bezahlt wird, um Reisebusse ins Depot zum Übernachten zu bringen, haben wir nach fünf Jahren Schweiz begriffen. Auch über das „Benzinkässeli“ verziehen wir keine Miene mehr, es steht gleich neben dem Kuchenkässeli (Chochichästli) auf dem Küchentisch. Nein, was uns hier irritierte ist das Tätigkeitswort „blochen“. Es hat doch nichts mit dem Schweizer Bundesrat Christoph Blocher zu tun?

  • Ein Blocher ist zum blochen da
  • Doch, der Familienname des von Deutschen Einwanderern (vgl. Tages-Anzeiger) abstammende Bundesrat Blocher stammt von einem Tätigkeitswort, welches uns zwar irgendwie an „bloggen“ oder „blocken/blockieren“ erinnert, tatsächlich aber auf Hochdeutsch „bohnern“ bedeutet.

  • Wenn Sie einen Blocher haben, müssen Sie einlassen
  • Der Schweizer „Blocher“ ist in Deutschland ein „Blocker“, ein „Bohnerbesen“, eine „schwere Bürste mit Stiel zum Einwachsen von Fussböden“ (Quelle: Variantenwörterbuch S. 126)
    Der Bohnerbesen ist ein Blocher
    (Ein Blocher = Bohnerbesen von Manufaktum.de)

    Und „blochen“ heisst in Deutschland demzufolge auch „blocken“, „einlassen“, „bohnern“, „wachsen“, „mit Wachs polieren“.

  • Wer blocht da auf der Autobahn?
  • Nur was diese durchgeknallten Porschefahrer des Canonballrennens da in der Schweiz taten, das hatte bestimmt nichts mit Bohnerwachs zu tun. Sie fuhren zu schnell, was merkwürdiger Weise in der Schweiz als „blochen“ bezeichnet werden kann. Vielleicht weil die tiefergelegten Wagen mit Breitreifen enormen Druck auf die Strasse ausübten, wie sonst nur ein Blocker oder Blocher?

    Weil „schnell fahren“ im gesamten Deutschsprachigen Raum beliebt ist, gibt es auch zahlreiche Varianten für diese Tätigkeit:

    Blochen CH: 1. Sw.V./ist;
    bretteln A, tuschen: tuschen lassen A, bledern A-mitte/ost, fahren wie eine gesengte Sau A D, fräsen CH, brettern CH D, heizen D-mittelwes/südwest, stochen D-mittelwest =„schnell [und rücksichtslos]fahren; rasen“
    (Quelle: Variantenwörterbuch S. 126)

    „Brettern“ und „bretteln“ muss aus der Skifahrer-Fachsprache stammen, als die Jungs noch auf Brettern stehend den Hang hinab donnerten, und nicht auf Hightech-Sportgeräten.

    „Tuschen“ und „tuschen lassen“, das müssen uns die Freunde aus Österreich erklären, was schwarze Tusche = Tinte mit schnellem Fahren zu tun hat. Vielleicht wegen der schwarzen Streifen beim „Kavaliersstart“, durch den Abrieb der Reifen auf der Fahrbahn? Oder tönt der Motor beim Gasgeben wie ein Tusch?
    Interessant finden wir noch die zweite Bedeutung von „tuschen“:

    tuschen sw. V.; hat [mhd. tuschen, wohl lautm.] (landsch.):
    a) (durch einen Befehl) zum Schweigen bringen;
    b) dämpfen, unterdrücken:
    Die Gegenwart des Amtmannes und seine Anstalten tuschten einen Auflauf (Goethe, Werther II, Der Herausgeber an den Leser).

    „Bledern“ ist vielleicht ein Variante von „brettern“ im asiatischen Raum von Mitte- und Ost-Österreich. „L“ und „r“ tauschen dabei die Plätze, so wie beim „schüss-saulen Schweinefreisch“, kennen Sie doch von Ihrem unbezahlbaren Lieblingschinarestaurant.

    Fahren wie eine gesengte Sau“, das grenzt schon an Tierquälerei, denn wenn das weibliche Schwein mit einem Brenneisen sein Brandzeichen bekommt, dann wird ihm die Haut versengt und es entwickelt eine enorme Laufgeschwindigkeit.

    „Fräsen“ tun die Schweizer, mit der Motorsäge durch den Bannwald, dass Du — haste nicht gesehen — nur noch mit den abgesägten Wimpern zucken kannst.

    „Heizen“ hatten wir schon bei der Diskussion um den Schweizer „Chauffeur“ erklärt, vgl. Blogwiese, und „stochen“, das ist laut Duden:

    stochern [Iterativbildung zu veraltet stochen, mniederd. stōken = schüren, eigtl. = stoßen, stechen, wohl zu stoßen]:
    mit einem [stangenförmigen, spitzen] Gegenstand, Gerät wiederholt in etw. stechen:
    (Quelle: Duden.de)

    Im Prinzip also ähnlich wie „heizen“, als die Eisenbahnen noch mit Feuer und Dampf betrieben wurden.
    Witzig, dass „ich stoche seit drei Stunden über die Autobahn“ offensichtlich in der Schweiz nicht verstanden wir, oder irrt das Variantenwörterbuch da vielleicht?

    Unser Lieblingswort wurde hier vergessen, und sicherlich können auch die Blogwiese-Leser noch die ein oder andere Variante für „schnell fahren“ nennen.
    „Sauen“ sagt man im Schwäbischen, und „pesen“ kennt sogar der Duden:

    pesen sw. V.; ist [H. u.] (ugs.):
    a) sehr schnell laufen; rennen:
    da ist er ganz schön gepest; zum Bahnhof pesen;
    b) sehr schnell fahren:
    sie ist mit dem Auto um die Ecke gepest.

    Ob das was mit lecker „Pesto“ zu tun hat? Ich kriege jetzt jedenfalls Hunger und pese, presto presto, in die Küche.