Kein Blut am Hintern — Wenn es den Schweizern zu heiss wird

Juli 25th, 2006
  • Der füdliblutte Wahnsinn im Blick
  • Wir finden auf der Titelseite des Blicks, der Schweizer „Bild-Zeitung“ mit eher links-konservativer Grundhaltung, die Überschrift:
    Der füdliblutte Wahnsinn
    Der füdliblutte Wahnsinn
    (Quelle: Blick vom 24.07.06 )

    Wer blutet da? Doch nicht etwas der schweizerische verlängerte Rücken, auch „Füdli“ genannt? Aus dem Kontext und den mitgelieferten Bildern können wir schliessen: „Blutt“ ist in der Schweiz nicht nur rot, sondern vor allem nackt, weil „blank“.

    Sogar unser Duden hat diesem Wort seine Weihen gegeben:

    blutt (Adj.) [mhd. blut, H. u.] (südd. mundartl., schweiz. ugs.)
    1. nackt, bloß:

    mit dem blutten Finger in ein heißes Fondue langen;
    Übertragung: einen Enzian auf blutten (nüchternen) Magen nehmen.
    2. einzig:
    sie hatte schon lange keinen blutten Tausendfrankenschein mehr gesehen.
    (Quelle: duden.de)

    Erneut haben wir so ein Wort gelernt, dass seit dem Mittelalter unveränderlich im Süden des Deutschen Sprachraums überwintern konnte, und zwar in der in der Bedeutung von „nackt, bloss, einzig und blank“, denn das ist alles was wir dazu beitragen können: „Den blanken Hintern“.

  • Mach Disch nackisch
  • Blut können auch andere Körperteile sein, so fanden wir im Tages-Anzeiger Online:

    Frauen beharrten darauf, sich ausziehen zu dürfen, ohne gleichzeitig angestarrt zu werden. «Wir liessen uns nicht vorschreiben, was ein blutter Busen zu bedeuten hatte», sagt Küng. Wehe dem, der dies missverstand und die befreiten Brüste als erotische Aufreizung begriff.
    (Quelle: Tagesanzeiger.ch)

    Auch im seniorenweb.ch kennt man sich beim Thema „blutter“ aus:

    Ob sie uns da eine Fälschung oder ein echter „blutter PoPo“ von?? zu sehen gibt??? Lamas Hinterteil sieht auf jeden Fall ganz, ganz anders aus – wolliger und runder……….einfach „echt Natur – nichts gefälscht.
    (Quelle: seniorenweb.ch)

    Ist das jetzt der „blutte“ Wahnsinn? Oder der „bluttere“ Wahnsinn? Und was wäre, wenn ein Bluter nackt herumläuft in der Schweiz. Wäre das dann ein „blutter Bluter“?

  • Wenn Kinder doch nicht bluten
  • Wir hatten versprochen, die Kinder unserer Nachbarin zu hüten. Es war im Sommer und der kleine Noah hatte sich heimlich im Badezimmer ganz ausgezogen. Dann sprang er nackend durch den Raum und rief entzückt „Ich blüttle, ich blüttle“, worauf wir ihn erstmal ängstlich nach eventuell vorhandenen blutenden Wunden absuchten. Muss alles erst gelernt werden.

    Wir danken per Verdankung

    Juli 16th, 2006
  • Wörter mit „ver“ und „ung“
  • Wir kannten bisher die „Vermittlung“, die „Verbreitung“ und auch die „Verlosung“. Alles hübsche Nomen der Deutschen Sprache mit einem Präfix „Ver“ und einem Suffix „-ung“. Was uns jedoch bislang entgangen war, ist die „Verdankung“. Wir fanden Sie, dankbar wie immer, im Tages-Anzeiger vom 01.07.06. Es ging darin unter der Überschrift SRG blitzt mit Rekurs zu «Traumjob» ab „um verbotenes Sponsoring:

    Verdankung des Hotels

    „Mit den ausgestrahlten Szenen aus dem Hotel Victoria-Jungrau und der blossen Verdankung des Hotels im Abspann der Sendung habe die SRG das Victoria-Jungrau nur ungenügend als Sponsor deklariert.“

    Falls Sie nun nicht wissen, was „Rekurs“ ist, einfach hier nachlesen: Blogwiese

  • Die Verdankung ist nicht selten
  • Der Duden klärt uns über dieses hübsche Wort auf:

    Verdankung, die; -, -en (schweiz., sonst selten):
    Dank, Ausdruck des Dankes:
    Hans Furter … ist unter Verdankung der geleisteten Dienste auf Ende Mai in den Ruhestand versetzt worden (NZZ 11. 4. 85, 27).
    (Quelle: Duden.de)

    Wie die Dudenredaktion dazu kommt, 18.900 Fundstellen Google-CH als „sonst selten“ abzutun? „Verdankung“ finden Sie in der Schweiz überall dort, wo es ums „Danke sagen“ geht. Hier nur ein weiteres Beispiel:

    Alle anderen, bisherigen Kuratoriumsmitglieder wurden unter Verdankung ihres Engagements in ihrer Funktion bestätigt.
    (Quelle unifr.ch)

    Unser Thesaurus- und Synonymwörterbuch kennt es jedenfalls nicht, und auch LEO.org kann damit nichts anfangen. Dabei kam uns gerade der leise Verdacht, dass es sich bei diesem Wort vielleicht um einen verunglückten Übertragungsversuch von Französisch „le remerciement“ handeln könnte?

  • Fehlte Ihnen dieses Wort nicht auch schon immer?
  • Wir fragen uns bei der Entdeckung dieses hübschen helvetischen Wörtchens, warum uns das bisher im Sprachgebrauch eigentlich überhaupt nicht gefehlt hat? Sind wir undankbar, zeigten wir nicht genug Dank, war uns die „Danksagung“ oder „Abdankung“ ausreichend genug, dass wir nicht auch noch eine „Verdankung“ haben wollten? Vielleicht liegt es einfach daran, dass das Wort „Verdankung“ ein bisschen wie „Dung“ klingt, wenn man es schneller ausspricht, und den Geruch haben wir genug in der Nase, wenn der Bauer von nebenan gerade wieder mit dem Güllewagen aufs Feld fährt. Wie nennt man eigentlich das, was er da tut? „Verdungung“ vielleicht?

    Wollen wir abmachen? — Fürs Rendezvous braucht der Schweizer kein Werkzeug

    Juli 7th, 2006
  • Wenn die Schweizer etwas abmachen
  • Manche Formulierungen der Schweizer sind für uns in den letzten Jahren völlig normal geworden, auch wenn wir sie immer noch nicht aktiv verwenden würden. Dazu zählt sicherlich die Angewohnheit, ständig etwas abmachen zu wollen. Wir denken da nach wie vor an Schraubendreher und anderes Werkzeug, mit dem man was los machen kann, denn das ist für uns abmachen. Etwas lösen.

    Der Duden meint dazu

    abmachen (sw. V.; hat):
    1. (ugs.) von etwas loslösen und entfernen:

    den Rost abmachen.; das Schild [von der Tür] abmachen.;
    Übertragung: das mach dir man ab, Vater! Schnaps kriegst du nie mehr (Berlin.; das schlag dir aus dem Kopf!; Fallada, Jeder 327).
    (Quelle: duden.de)

    Abmachen tun wir grundsätzlich sehr gern, denn wir sind gern, wenn irgendwo was los ist. Die Deutschen verwenden das praktische Verb freilich auch im Sinne von „vereinbaren“, dann aber nur in der 2. Partizip Form. Das ist die mit dem „ge“ dazwischen:

    2.
    a) vereinbaren:
    einen neuen Termin, eine dreimonatige Kündigungsfrist abmachen; wir hatten abgemacht, dass jeder die Hälfte zahlen soll; es war zwischen ihnen noch nichts abgemacht worden; (häufig im 2. Part.) (bekräftigend, zustimmend in Bezug auf den Abschluss einer Vereinbarung:) abgemacht!;

  • Am Abmachen erkennen Sie den Schweizer
  • Während die Deutschen nur eine „Abmachung treffen“, wenn es sehr förmlich zugeht, treffen sich die Schweizer, wenn sie was abmachen. Das „was“ ist dabei absolut unwichtig, denn es geht auch ganz direkt und zwanglos in der Schweiz. Die Frage: „Wollen wir abmachen“ ist eine durchaus akzeptierte Form des Anbändelns:
    In Schweizer Internet-Foren findet man das mit schöner Regelmässigkeit:

    Bike Treff/Tour in Luzern

    @ Kyle
    Wann und wo wollen wir abmachen?
    (Quelle: traildevis.ch/forum)

    Spielst Du auch Tennis?
    Wollen wir abmachen?
    (Quelle: fcbforum.ch)

    Wenn Sie diesen Satz in einem ansonsten recht anonymen Forum lesen, dann können Sie sicher sein, dass der Schreiber oder die Schreiberin Schweizer(in) ist. Deutsche würden eher fragen: „Wollen wir uns treffen?“ oder „Hast Du Lust auf ein Bier“, „Gehen wir Tauben vergiften im Park?“, ach nee, das war ja der Wiener Georg Kreisler, der das bei den Wienern populär machte.

    Suchen Sie Streit? Gehen Sie in einen Lämpen-Laden!

    Juli 4th, 2006
  • Lämpen haben in der Schweiz
  • Eine Lampe ist eine prima Sache. Mit ihr kann man zum Beispiel im Dunkeln lesen, oder den Weg zum Kühlschrank finden, ohne sich das Knie an der Tischkante anzustossen. Mehr als eine Lampe sind „Lampen“, und dann gibt es da noch die „Lämpen“, die die Schweizer mitunter haben, aber auf die keiner so richtig scharf ist.

    Unser Variantenwörterbuch meint dazu:

    Lämpen CH die; nur Plur.: „Auseinandersetzungen, Streitereien“: Ich bezahl auch sofort, will keine Lämpen mit Franz (Durschei, Meldegg 148)

    Der altmodische Duden kennt das Wort mit einer ganz anderen Bedeutung:

    Lämpen, der; -s, – [spätmhd. lempe = Stück Fleisch]
    (schweiz.): Doppelkinn.

    Wie kommen wir vom Doppelkinn zu den Streitereien? Sind es die vielen Streitereien, die das Doppelkinn entstehen lassen?

    Lämpen fanden sich auch im Tages-Anzeiger vom 30. September 2004

    Lämpen mit Laax
    Südschneiser und Laaxer Skitourismusleute sind wegen eines ironischen Plakatplagiats aneinander geraten.
    (Quelle: )

    Oder im Kleinreport.ch

    Wieder Lämpen zwischen Teleclub und Cablecom
    Neue Runde im mehrjährigen Seilziehen zwischen dem Kabelnetzbetreiber Cablecom und der Pay-TV-Firma Teleclub
    (Quelle: kleinreport.ch)

    Sogar die NZZ, sonst immer betont bemüht, ohne Helvetismen auszukommen, verwendet in einem NZZ-Folio Interview diese Formulierung

    Ich will friedlich leben und mit niemandem Lämpen haben. Ich bin nicht unglücklich, wenn es mit meinem Leben so weitergeht.»
    (Quelle: nzz.ch)

    Kompliziert wird es bei Grimm

    schweiz. lampen hängen, welken, sich schlaff bewegen STALDER 2, 154;
    in Appenzell lampa schlaff herabhängen TOBLER 290b;
    auch hess. lampen nachlassen, nachlässig sein VILMAR 235; (…)
    schweiz. lämpi liederlicher, nachlässiger mensch, der lämpen der lappen, abgerissenes stück von einem ganzen, wampe beim rindvieh;
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

  • Lämpe nicht mit Meister Lampe
  • In der Tierwelt ist „Meister Lampe“ ein anderes Wort für einen Hasen, denn dessen Stummelschwanz leuchtet so schön im Dunkel, wenn er davon hoppelt, ganz ohne „Lämpe“ zu machen. Falsch, die „Lampe“ ist eine Kurzform von „Lamprecht“, denn so wurde der Hase in Fabeln und Märchen genannt: Meister Lampe[recht]

  • Lehrer Lempel kann auch Stress machen.
  • Der Lehrer Lempel, von Wilhelm Busch, war nicht so fürs Streiten bekannt, sondern mehr für seine einfühlsamen pädagogischen Umgangsformen.
    Lehrer Lempel von Busch

  • Kommen wir giessen einen auf die Lampe
  • Im Norden kann sich dann noch „einen auf die Lampe giessen“, sprich: etwas Alkoholisches trinken, was allerdings nicht wörtlich gemeint ist.

    „Die Wendung geht auf den Gebrauch von Öllampen zurück. „Öl auf die Lampe giessen“ heisst soviel wie „Öl nachfüllen“.
    (Quelle: Duden Redensarten)

    So schlimm geht es uns ja wohl hoffentlich nicht, dass wir jetzt gleich Spiritus oder Duftöl saufen müssen. Jetzt fängt das Thema an, nach „Lampe zu riechen“. Auch eine hübsche Redewendung, wenn etwas „gequält, gewollt wirkt; die Anstrengung erkennen lässt“.
    Die Wendung bezieht sich darauf, dass mühsames Arbeiten sich bis spät in die Nacht hinzieht, dass man also lange die Lampe brennen lassen muss. Darum jetzt nix wie „Lampe löschen“! Und keine Lämpe deswegen!

    Was die Geiss nicht alles so wegschleckt — Als Urs Meier Deutschland sprachlich bereicherte

    Juli 3rd, 2006
  • Eine Geiss ist eine Ziege
  • Sie kennen alle noch unseren Freund „Geissenpeter“ aus Hamburg? In Deutschland müsste er sich „Ziegenpeter“ nennen, denn das Wort „Geiss“ bedeutet in der Schweiz „Ziege“, während es im Standarddeutschen nur als „weibliches Tier bei Gams-, Stein- und Rehwild“ vorkommt. (Quelle: DeGruyter Variantenwörterbuch, S. 384). Doch „Ziegenpeter“ ist eine ziemlich blöde Kinderkrankheit, auch als „Mumps“ bekannt und wer will schon heissen wie eine Krankheit, drum nennt er sich halt „Geissenpeter. In der japanischen Trickfilmversion von Johanna Spyris Heidi wurde tatsächlich der Name übersetzt zu „Ziegenpeter“.
    Die Geiss ist eine Ziege
    (Quelle Foto: sgk.org)

  • Das schleckt keine Geiss weg
  • Google-Schweiz weisst 442 Funde auf. Ohne diese hübsche Redewendung sind Sie absolut aufgeschmissen in der Schweiz, denn sie findet sich sehr häufig, auch in der ehrwürdigen Neuen Zürcher Zeitung:

    Obwohl die Finanzhilfen für die Substanzerhaltung im Infrastrukturbereich (200 Mio. Fr.) angeblich einen hohen Technologiegehalt zulassen, schleckt keine Geiss weg, dass das Bauhauptgewerbe im Visier der Massnahmen steht.
    (Quelle: Kantonsrat.zh)

    In Deutschland hingegen gab es nur 35 Stellen mit dieser Formulierung. Das war vor Urs Meier, jetzt sind es 10 Stellen mehr, wegen Urs Meier.

  • Als Urs Meier den Deutschen etwas beibrachte
  • Aber dann war da dieser denkwürdige Abend im ZDF-Studio, als der Schweizer Ex-Schiedsrichter Urs Meier gefragt wurde, ob es sich bei einer umstrittenen Szene in der ersten Spielhälfte Argentinien gegen Mexiko tatsächlich um ein Abseits gehandelt habe: „Dass es kein Offside war, das schleckt keine Geiss weg.“

    Was dann folgte, beschreibt der Tages-Anzeiger vor dem Spiel der Schweizer gegen die Ukraine, wie folgt:

    Konsternation erst und dann, nach der Klärung dieses Steilpasses, lautes Lachen im deutschen WM-Studio und auf allen Grossbildschirmen der Grossnation. Mit solchen unverständlichen Kommentaren macht Urs Meier unmissverständlich klar, dass die Schweiz einen ernst zu nehmenden Gegner für Deutschland darstellt. Auch das schleckt keine Geiss weg.
    (Quelle: Guido Kalberer im Tages-Anzeiger vom 26.06.06, S. 43)

    Urs Meier sagte diese Redewendung, Johannes B. Kerner schaute verdutzt, fragte zurück „Was hast Du da gerade gesagt“? Urs Meier wiederholte seinen Satz, Johannes B. Kerner versucht noch zu übersetzten „Das leckt keine Ziege auf“, aber es war schon zu spät.

    Und wieder erleben wir live im Fernsehen, wie fatal die Unwissenheit der Deutschen in Bezug auf Schweizerdeutsche Gegenwartssprache ist. Wenn doch Schweizer Fernsehen auch nach Deutschland ausgestrahlt würde, wenn der „Geheimcode Schwiitzerdütsch“ täglich von 80 Millionen Zuschauern empfangen werden könnte, dann würde niemand auch nur mit der Wimper zucken bei einem solchen Satz. Es ist doch eine klasse Redewendung, mit einem wunderbaren inhärenten Binnenreim „schleck-weg“. Was hat das Standarddeutsche da schon Vergleichbares zu bieten?
    „Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche“
    oder
    „Da kannst Du Gift drauf nehmen“
    oder
    „Da führt kein Weg dran vorbei“
    Langweilig, wir fangen gleich an zu gähnen.

  • Hat Urs Meier sich oder die Schweizer im ZDF blamiert?
  • Aber nein, wir sehen das ganz locker. Er hat auf wunderbare Weise den Deutschen eine neue Redewendung geschenkt, wenn die bei den Süddeutschen nicht sowieso schon lange bekannt und im Gebrauch ist, denn so eine praktische sprachliche Formulierung macht an Landesgrenzen nicht halt.

  • Schleckstängel und Schleckwaren
  • In der Schweiz ist der Schleckstängel das übliche Wort für den deutschen „Lutscher“, „Dauerlutscher“ oder „Lolli“. Schleckwaren sind daher „Süssigkeiten zum Schlecken“. In Deutschland ist „Schlecker“ eine erfolgreiche Drogeriekette, sozusagen der Aldi der Drogeriebranche, in fast jedem Land Europas vertreten, nur (noch) nicht in der Schweiz.

  • Was alles kein Schleck ist
  • Nur in der Schweiz können sie sagen. „Das ist kein Schleck“ um auszudrücken, dass etwas kein Vergnügen, sondern eine schwierige Angelegenheit ist. Die Redewendung kommt wahrscheinlich vom „Honigschlecken“ oder „Zuckerschlecken“. Diese Varianten des Schlecks sind auch in Deutschland bekannt. Den „Schleck“ ohne alles haben die Schweizer für sich reserviert.